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ATOM/1195: Atommüll im Ton? (Gorleben Rundschau)


Gorleben Rundschau - März/April 2016, 1042/1043

Atommüll im Ton?

Viele offene Fragen zur Atommülllagerung in Tongestein


Tongestein  Seit über 40 Jahren setzt Deutschland für die tiefengeologische Lagerung seiner hochradioaktiven Abfälle auf Salz. Der Standort Gorleben wurde und wird favorisiert, die Ewigkeitslast aufzunehmen. Doch Forschungsprojekte beschäftigen sich durchaus mit Alternativen. Könnte Tongestein eine langfristig "sichere" Lagerung ermöglichen? Von Jan Becker

Ein 2007 im Auftrag des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) angefertigter Bericht benennt - nach bestimmten geologischen Kriterien wie Formationsmächtigkeit und -ausdehnung, Teufe, Unverritztheit, mineralogischen Eigenschaften oder Lage in Erdbebengebieten - untersuchungswürdige Tonsteinformationen, die sich in der Kreide Norddeutschlands und im Jura Nord- und Süddeutschlands befinden. Auf der Landkarte zieht sich ein breites, farbliches Band solcher Tonvorkommen quer durch Norddeutschland sowie durch das Grenzgebiet von Baden-Württemberg und Bayern.

Gegenüber dem in Deutschland für ein Atommülllager favorisierten Steinsalz besitzt Ton eine geringere Durchlässigkeit und eine hohe Sorptionsfähigkeit für Radionuklide. Es ist also kaum wasserlöslich und auch kaum wasserdurchlässig. Dadurch könnte eine mögliche Freisetzung von Radionukliden und anderen Stoffen aus einem Atommülllager "deutlich verzögert" werden, erklärt die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) in ihrem Internetauftritt www.endlagerung.de. Die GNS betreibt übrigens auch das Castor-Zwischenlager in Gorleben. Die Eigenschaften des Tongesteins klingen also zunächst verheißungsvoll.

Ton darf allerdings dauerhaft nur bis zu einer Temperatur von 100 Grad Celsius thermisch belastet werden (Salz: 200 Grad Celsius), da sonst Veränderungen in der Kristallstruktur der Wirtsgesteine nicht ausgeschlossen werden können. Zudem leitet Ton im Vergleich zu Salz Wärme schlechter ab. Damit sind längere Abklingzeiten in einem Zwischenlager über Tage und für die Einlagerung in einem Bergwerk eine größere Fläche für die gleiche Menge wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle nötig. Das wiederrum ist entscheidend für die notwendige Mächtigkeit einer Tonformation. Außerdem ist die Standsicherheit künstlich geschaffener Hohlräume wie Strecken und Grubenräume in Ton geringer als in Salz, was den bergmännischen Ausbau der Strecken mit technischen Hilfsmitteln erfordert.

Tongesteine werden zwar in einigen Ländern als Wirtsgesteine untersucht, beispielsweise in Frankreich und in der Schweiz, doch in Deutschland gibt es ein Problem: Der Wissensstand hinsichtlich unserer Tonsteinformationen ist im Vergleich zu Salz deutlich geringer. Auch bergmännische Erfahrungen im Tonstein liegen nur sehr begrenzt vor.

In verschiedenen Forschungsprojekten werden derzeit trotzdem Methoden und Werkzeuge entwickelt, um zu klären, welche Tongesteine in der Lage sind, radioaktiv strahlende Materialien langfristig zurückzuhalten. Ein Team der Universität des Saarlands ist in Kooperation mit weiteren Hochschulen in Deutschland seit 2006 an einem Forschungsverbund beteiligt, der überprüft, ob sich Tongestein als geologische Barriere eines künftigen Atommülllagers für hochradioaktive Abfälle eignet. Dafür wurden insgesamt rund 1,9 Millionen Euro an Drittmitteln bewilligt. Allein die Uni in Saarbrücken erhielt im September 458.000 Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Dabei haben die Forscher Szenarien untersucht, bei denen Atommüll in Stahlbehältern in großen Bohrlöchern tief unter der Erde in Tongestein eingelagert wird und es zu einem Wassereinbruch kommt. Erkenntnis: Die Behälter überdauern die extrem große Zeitspanne bis zur Unschädlichkeit des enthaltenen Atommülls nicht. Für eine Langzeitsicherheit wäre allein das umgebende Gestein verantwortlich.

Normalerweise würden Metalle - so auch das radioaktive Material wie zum Beispiel Uran, Neptunium und Plutonium oder deren chemische Stellvertreter - vom Tongestein festgehalten. Dränge jedoch im Laufe der langen Zeitspanne Salzwasser in das Lager ein, würden die Salze das Gestein und den Beton angreifen und Korrosionen hervorrufen, erklärte Ralf Kautenburger, promovierter Chemiker an der Universität des Saarlandes und Verantwortlicher für das Forscherteam, im September. Dadurch würden Stoffe freigesetzt werden, die etwa die Rückhaltefähigkeit des Tongesteins herabsetzen könnten. Es stellt sich also die Frage, ob sich die radioaktiven Nuklide vor Ort an Oberflächen ablagern und dort unbeweglich verharren, oder ob vielmehr organische Materialien, die in natürlichen Grundwässern vorkommen, die Verbreitung von radioaktiven Substanzen sogar beschleunigen. "Diese natürlich vorkommenden Stoffe können je nach potentiellem Standort in unterschiedlicher Zusammensetzung und Konzentration auftreten und durch ihre Komplexierungseigenschaften die Mobilität der Radionuklide im Umfeld eines Endlagers entscheidend beeinflussen", so Ralf Kautenburger. Doch diese organischen Substanzen lassen sich in ihrer Wechselwirkung nur sehr schwer analysieren. Kautenburger umreißt die Aufgaben des Universitätsverbunds der nächsten Jahre: "Wir müssen klären, in wie weit und wie lange die Materialien so noch in der Lage sind, die radioaktiven Stoffe zurückzuhalten"

Erklärtes Ziel der Projekte ist es, mögliche Standorte für ein Atommülllager künftig "schneller und zuverlässiger untersuchen zu können". Doch bevor es dazu kommt, braucht es noch viele Antworten auf viele offene Fragen.

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Quelle:
Gorleben Rundschau - März/April 2016, Seite 18-19
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2016

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