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ATOM/1227: Moratorium für Ablagerung freigemessenen Atommülls auf Deponien in Baden-Württemberg (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 710-711 / 30. Jahrgang, 4. August 2016 - ISSN 0931-4288

Atommüll-Lagerung
Moratorium für die Ablagerung freigemessenen Atommülls auf Deponien in Baden-Württemberg

von Thomas Dersee


Moratorium wegen ungeklärter Fragen zur Nachnutzung von Deponieflächen für die Landwirtschaft

Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hat Ende Juni 2016 angekündigt, bis auf weiteres keine freigemessenen Abfälle aus dem Rückbau von Atomkraftwerken oder anderen atomaren Einrichtungen mehr auf die Deponie Froschgraben im Landkreis Ludwigsburg und andere Deponien in Baden-Württemberg verbringen zu lassen. Diesbezüglichen Anträgen würde das Umweltministerium vorerst nicht zustimmen. Zuerst, so Untersteller, müsse das Bundesumweltministerium Klarheit schaffen bezüglich einer eventuellen landwirtschaftlichen Nachnutzung von Deponieflächen.

"Die vor Ort geplante landwirtschaftliche Nachnutzung der Deponie ist strahlenschutzrechtlich unklar. Bis zur Beantwortung der offenen Fragen setzen wir die Lieferung freigemessener Abfälle auf Deponien in Baden-Württemberg aus," erklärte der Minister. "Die Strahlenschutzkommission geht davon aus, dass Deponieflächen, auf denen freigemessene Abfälle lagern, nach Schließung der Deponie nicht landwirtschaftlich genutzt werden. Der Bund hat es aber unterlassen, den Nachweis für die Unbedenklichkeit zu erbringen oder bestimmte Nachnutzungen strahlenschutzrechtlich auszuschließen. Deshalb gibt es Klärungsbedarf. Es entspricht der höchsten Vorsorge, bis dahin die Ablagerung auszusetzen."

Auf der Deponie Froschgraben werde dieser Bedarf offensichtlich. Denn laut Planfeststellungsbeschluss sei dort genau das eines Tages vorgesehen: zu einer landwirtschaftlichen Nachnutzung, möglicherweise auch zur Nahrungsmittelproduktion, hatte das Regierungspräsidium im Rahmen des Genehmigungsverfahrens verpflichtet. "Das können wir jetzt nicht einfach so hinnehmen", erklärte Untersteller. "Wie für die deponierten Abfälle selbst, die freigemessen und deshalb vollkommen unbedenklich sind, muss ganz konkret auch für die landwirtschaftliche Nachnutzung nachgewiesen sein, dass alle Sicherheitsgrenzwerte für radioaktive Strahlung auf der Deponiefläche eingehalten werden."

Das müsse radiologisch bewertet werden. "Hier sehe ich das Bundesumweltministerium in der Pflicht. Es geht um eine Berechnung, die weit in die Zukunft blickt, und gewährleistet, dass auch in Jahrzehnten noch keine radiologische Gefährdung der Bevölkerung zu befürchten ist. Das würde ich gerne berechnet haben und wissen."

In einer Pressemitteilung des Baden-Württembergischen Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft vom 28. Juni 2016 heißt es weiter: "Für freigemessene Abfälle gilt das so genannte 10 Mikrosievert-Kriterium. Dieses Kriterium muss auch bei der Nachnutzung einer Deponie eingehalten werden. Dieses der Freigaberegelung zu Grunde liegende Konzept geht davon aus, dass eine Freigabe von Stoffen, die zum Beispiel beim Betrieb eines Kernkraftwerks angefallen sind und für die eine Deponierung vorgesehen ist, dann verantwortet werden kann, wenn dies maximal zu einer zusätzlichen Strahlenbelastung führt, die im Bereich von 10 Mikrosievert (10 Mikrosievert = 0,01 Millisievert) für die effektive Dosis von Einzelpersonen im Jahr liegt. Diese Dosis gilt als unbedenklich, sie liegt bei etwa 0,5 Prozent der natürlichen Strahlenbelastung."

Das jetzige Moratorium dürfte vor allem in Schwieberdingen und Vaihingen-Horrheim auf großes Interesse stoßen. Denn dort rechnete man bisher damit, dass in den kommenden Jahren rund 3.350 Tonnen Schutt aus dem Rückbau des Atomkraftwerks Neckarwestheim anrollen. Zur Lagerung dieses Materials auf den Deponien Froschgraben und Burghof ist die Abfallverwertung des Landkreises (AVL) verpflichtet, denn drei Viertel des stillgelegten Kernkraftwerks liegen auf Gemmrigheimer Gemarkung und damit im Landkreis Ludwigsburg.

Die Pläne, den freigemessenen Schutt in den beiden Deponien abzuladen, hatten vor allem in Schwieberdingen großen Protest ausgelöst. So votierte der Gemeinderat vor einigen Wochen einstimmig dafür, die Lieferungen abzulehnen. Allerdings ist die Gemeinde weder Eigentümerin noch Betreiberin der Deponie.

Den Anti-Atom-Initiativen in der Region geht das Moratorium indes nicht weit genug. Zwar begrüße man den Lieferstopp, teilt die Arbeitsgemeinschaft "Atomerbe Neckarwestheim" mit. Jedoch reiche der Beschluss nicht aus. Es dürfe nicht bei einem vorläufigen Stopp bleiben, vielmehr solle der Schutt aus den Atomanlagen dauerhaft vor Ort gelagert werden.

Die Kreistagsfraktion der Freien Wähler im Landkreis Ludwigsburg fordert dagegen, freigemessenen Müll untertage in Bad Friedrichshall-Kochendorf zu entsorgen: "Das Befördern von Bauschutt untertage und das Füllen von großen Hohlräumen, die im Rahmen der Salzgewinnung entstanden sind, dient der Stabilität im Untergrund und wird seit vielen Jahren praktiziert." Schon heute werden beispielsweise verwertet: Rauchgasreinigungsrückstände aus Abfallverbrennungsanlagen, REA-Gips, Flugaschen und Kesselaschen aus Kohlekraftwerken, Böden mit schädlichen Verunreinigungen; Bauschuttmaterialien und Straßenaufbruch, Schlacken aus Abfallverbrennungsanlagen oder Hochofenprozessen; Gießerei-Reststoffe, Filterkuchen aus der Abwasserbehandlung verschiedener industrieller Anlagen, salzhaltige wässrige Lösungen als Anmachwasser, Rückstände aus der Chlor-Alkalielektrolyse.

Vor unbekannten Wechselwirkungen mit all diesen Stoffen und den schlechten Erfahrung mit der Einlagerung von Atommüll im Salzbergwerk Asse fürchtet man sich bei den Freien Wählern offenbar nicht.

Dr. Dierk-Christian Vogt fordert dagegen weiterblickend im Namen der Initiative froschgraben-freigemessen.de und für den BUND Kreisverband Ludwigsburg die durch das Moratorium gewonnene Zeit auch dazu zu nutzen, andere drängende Fragen zu klären. Etwa das Ausmaß der Freimessung in den Kernkraftwerken, die Anpassung der Umrechnungsfaktoren von der Strahlenaktivität im Kernkraftwerk zur Strahlengefährdungsdosis auf den Deponien und im recycelten Müll, Starkregengefährdung der Deponien sowie die lokalen Besonderheiten der Deponien.


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_16_710-711_S01-02.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, August 2016, Seite 1 - 2
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2016

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