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MELDUNG/300: Wirkstoff Diclofenac - Tödliche Gefahr für Europas Geier nicht gebannt (NABU)


Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V. - Pressedienst, 4. September 2015

Tödliche Gefahr für Europas Geier nicht gebannt

Einsatz von Entzündungshemmer Diclofenac bei Weidetieren verbieten


Berlin - Seit Anfang 2014 fordern der NABU und sein internationaler Partner BirdLife International sowie die European Vulture Conservation Foundation (VCF) ein sofortiges Einsatzverbot des Wirkstoffes Diclofenac bei Tieren in Europa. Anlässlich des Internationalen Geiertages (International Vulture Awareness Day) am Samstag (5. September 2015) warnen die Naturschutzorganisationen, dass weiterhin keine effektiven Maßnahmen getroffen wurden, um ein Massensterben von Europas Geiern zu verhindern. Auf dem indischen Subkontinent hatte das zur Behandlung von Rindern eingesetzte entzündungshemmende Mittel in den 90er Jahren zu einem Massensterben bei Geiern geführt, dem etwa 99 Prozent aller Geier Indiens zum Opfer fielen.


Geier auf einem Felsen - Foto: © NABU/F.Derer

Gänsegeier in Extremadura (Spanien)
Foto: © NABU/F.Derer

Indien; Pakistan, Nepal und Bangladesch hatten im Jahr 2006 reagiert und die Verwendung von Diclofenac in der Tiermedizin untersagt. Dadurch konnte das komplette Aussterben der indischen Geierarten verhindert werden. Ein weiterer wichtiger Schritt zur Rettung der indischen Geier folgte nun im Juli: Die indische Regierung verbot zusätzlich den Verkauf von Mehrfachpackungen Diclofenac für den Gebrauch beim Menschen. Bis dahin wurden diese Mehrfachdosen häufig illegal auch bei Rindern angewandt, so dass der Wirkstoff nicht komplett aus der Nahrungskette der Geier verschwinden konnte. Naturschützer erwarten nun, dass sich die kleinen Restbestände der Geier wieder erholen können, und dass die zur Bewahrung der Arten gegründeten Gefangenschaftsbestände bald wieder in eine von Diclofenac freie Landschaft ausgewildert werden können.

"Europa hat aus den Erfahrungen in Indien anscheinend nichts gelernt", sagte NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. "Wenn die kürzlich erteilten Freigaben von Diclofenac zur Behandlung von Weidetieren in Spanien und Italien nicht zurückgenommen werden, kann es sein, dass man in Europa an zukünftigen Geier-Tagen vergeblich nach den großen Aasfressern Ausschau hält." Derzeit hält Spanien noch 95 Prozent des europäischen Geierbestandes und gleichzeitig eine der vitalsten Geierpopulationen weltweit. Gänsegeier, Mönchsgeier und Schmutzgeier sowie einige Adlerarten könnten aber schnell verschwinden, sobald mit Diclofenac behandelte Tiere in die freie Landschaft gelangen, da kleinste Mengen zu schnellem Nierenversagen dieser geselligen Vögel führen.

Die Naturschutzverbände hatten bei der EU-Kommission eine Überprüfung der Freigaben des Mittels erreicht. Die European Medicines Agency (EMA) hatte Anfang des Jahres in einem Bericht das große Risiko bestätigt, das von diesem Tierarzneimittel ausgeht, aber offen gelassen, mit welchen Maßnahmen es auszuräumen wäre. Da aber kein EU-Mitgliedsstaat bereit war, ein Verbotsverfahren anzustrengen, obwohl unschädliche alternative Medikamente existieren, hat die Kommission die Mitgliedsstaaten lediglich dazu aufgefordert, Maßnahmenpläne zu erstellen, die verhindern sollen, dass Diclofenac in die Nahrungskette der Geier gelangt.

Der NABU kritisiert den von Spanien vorgelegten Plan als völlig unzureichend: Es reiche nicht aus, einfach in die Packungsbeilage zu schreiben, dass mit Diclofenac behandelte Tiere nicht an Geier verfüttert werden dürfen. Bereits einzelne Versehen könnten katastrophale Konsequenzen haben und lokale Geierbestände auf einmal auslöschen. "Trotz der wichtigen Gesundheitsdienste, die die Geier leisten, unterstützt Europa lieber die Interessen der Pharmaindustrie und gibt damit ein fatales Signal an afrikanische Staaten, in denen die Verbreitung von Diclofenac bald zu erwarten ist", kritisierte Lachmann. "Ein Umdenken wird es hoffentlich spätestens dann geben, wenn die ersten vergifteten Geier gefunden werden."

Mehr Infos: www.nabu.de/voegel

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Quelle:
NABU Pressedienst, Nr. 108, 04.09.2015
Herausgeber:
Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU)
Pressestelle
Charitéstraße 3, 10117 Berlin
Tel.: 030/284 984-1510, -1520, Fax: 030/284 984-84
E-Mail: presse@NABU.de
Internet: www.NABU.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2015

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