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REPTILIEN/019: Neuer Inselbewohner aufgespürt - Der Lirung-Waran lebt auf Salibabu (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 3/2009

Neuer Inselbewohner aufgespürt
Der Lirung-Waran lebt auf Salibabu

Von Katja Lüers


Er wird etwa bis zu 150 Zentimeter groß, kann gut klettern und ist mit seinen vielen gelben Flecken am dunkelbraunen, fast schwarzen Körper nicht gerade unauffällig. Und doch lebte Varanus lirungensis viele Jahrzehnte lang unentdeckt auf den indonesischen Talaud-Inseln zwischen den Philippinen und Nord-Sulawesi. Der Biologe André Koch vom Zoologischen Forschungsmuseum Koenig in Bonn fand diese Pazifik-Waranart mit seiner indonesischen Kooperationspartnerin Evy Arida vom Zoologischen Museum in Bogor (Java) - und vor allem mit Hilfe eines Einheimischen.


"Pak Henry wusste genau, wo die Tiere zu finden sind, denn diese Waranart steht auch auf dem Speiseplan der Einheimischen", erzählt Koch. Der Jäger und Lehrer führte die beiden Wissenschaftler in die Kokosplantagen der Insel. Doch was dort oben in den Palmen saß, war nicht das, womit Koch ursprünglich gerechnet hatte. Der 31-Jährige war nämlich auf die Talaud-Inseln gereist, um den Bindenwaran (Varanus salvator-Gruppe) zu studieren, der in Südostasien weit verbreitet ist. Es war allerdings völlig unklar, welche Form er auf der Inselgruppe finden würde. Eine neu entdeckte Bindenwaranart wäre Bestandteil seiner Promotion geworden, in der sich der Biologe mit den Reptilien und Amphibien von Sulawesi und speziell mit der Phylogeographie der Warane, also den Verwandtschaftsverhältnissen dieser Echsen vor dem Hintergrund der geologischen Evolution der Insel, beschäftigt. Stattdessen sonnten sich oben in den Palmwipfeln Pazifik-Warane (Varanus indicus-Gruppe).


Noch unbekannter Artgenosse

"Im ersten Moment war ich sehr verwundert", erinnert sich Koch. Denn ihm war sofort klar, dass sie auf der Palme etwas "Neues" entdeckt hatten. Seine Vermutung bestätigte sich nach genetischen und morphologischen Untersuchungen: Die Tiere stellen eine eigenständige Entwicklungslinie dar. Aus der noch namenlosen Echse wurde der Varanus lirungensis - benannt nach dem Fundort, der Ortschaft Lirung auf Salibabu, der zweitgrößten Insel im Talaud-Archipel. "Wie groß die Population ist, können wir noch nicht sagen", erklärt der Biologe. Unklar sei auch, ob die Tierart vom Aussterben bedroht ist. "Einige Medien haben es fälschlicherweise so dargestellt", sagt Koch. Tatsache ist, dass der Lirung-Waran bisher nur von den Talaud-Inseln bekannt geworden ist, "was nicht ausschließt, dass die Echsen auch auf anderen indonesischen Inseln vorkommen".

Warane sind in ihrem Beuteschema recht flexibel: Sie fressen Aas, jagen kleinere Beutetiere und verschmähen auch Hühner nicht - was sie bei der einheimischen Bevölkerung nicht sonderlich beliebt macht. In die Verwandtschaft des Lirung-Warans gehört auch der größte Vertreter unter den Echsen - der berühmt-berüchtigte Komodo-Waran: Er wird bis zu drei Meter lang und jagt auch größere Säugetiere wie Hirsche, lauert seiner Beute auf und beißt zu. Der Biss allein ist aber nicht sofort tödlich: Wie neueste Untersuchungen gezeigt haben, enthält der zähflüssige Speichel eine Mischung verschiedener Gifte, die gerinnungshemmend wirken, zusammen mit den tiefen Bissverletzungen einen Schock verursachen und so zum Tod der Beute führen. Der Waran verfolgt das angeschlagene Tier so lange, bis es an den Bissfolgen zugrunde geht. Der Lirung-Waran ist harmloser: Umgeben von Meer und Palmen, ernährt er sich vor allem von Krabben und Heuschrecken.

Bisher waren die Forscher davon ausgegangen, dass die Bindenwarane, die sehr gute Schwimmer sind, von den Philippinen über die Talaud- und Sangihe-Inseln nach Sulawesi gelangt sind. Die Wissenschaftler nahmen an, dass die Reptilien die kleinen Inselgruppen als "Trittsteine" im Meer benutzt haben, um sich auszubreiten. Auf den Sangihe-Inseln fanden die Forscher auch einen Bindenwaran, der diese biogeographische Hypothese zunächst stützte, doch die molekularen Analysen zeigten, dass diese Tiere nicht nächstverwandt mit ihren philippinischen Nachbarn sind. Der Fund des Lirung-Warans widerlegt die biogeographische Hypothese zusätzlich. Außerdem gibt es auch keine Belege dafür, dass die beiden Großwaranarten gemeinsam auf der Insel leben. Ihr Vorkommen scheint sich aufgrund ihrer ähnlichen Lebensweise auszuschließen.


Unterschätzte Vielfalt

Für ihre Untersuchungen vermessen die Forscher die Tiere und ermitteln charakteristische Schuppenwerte, um sie gegen andere bekannte Arten abzugrenzen. Sie knipsen die Schwanzspitzen von lebenden Tieren ab, um Gewebeproben für die genetischen Untersuchungen zu erhalten, entnehmen Muskelgewebe von Belegexemplaren und untersuchen den Mageninhalt, um Rückschlüsse auf die Nahrungsökologie der Tiere zu ziehen.

"Diese Funde und die Entdeckung mehrerer bisher unbekannter Formen des Bindenwarans vor zwei Jahren auf Sulawesi und den umliegenden Inseln belegen die nach wie vor unterschätzte Vielfalt der indonesischen Warane", erklärt Prof. Dr. Wolfgang Böhme vom ZFMK. Indonesien gilt aufgrund seines Artenreichtums als "Megadiversitätsland". Die Forscher sind sich einig: Eine taxonomische Überarbeitung der verschiedenen Warane ist notwendig, um seltene Arten zu schützen. Immerhin werden jedes Jahr fast eine halbe Million Bindenwarane allein aus Indonesien exportiert. "Die Art wird für den Lebendtier- und Reptillederhandel genutzt, man kann schon sagen ausgebeutet", erklärt Koch. Es liegt also auf der Hand, dass eine kleine Inselpopulation, die von den Fängern stark bejagt wird, schnell aussterben könnte. "Hier ist wissenschaftliche Aufklärung unbedingt erforderlich", bringt es ZFMK-Direktor Prof. Dr. Wolfgang Wägele auf den Punkt. Und Koch fügt hinzu: "Wenn wir die einzelnen Arten beschreiben, ihre Verbreitung skizzieren und ihnen einen wissenschaftlichen Namen geben, lassen sie sich effektiver schützen." Offizielle Fangquoten und der Schutzstatus könnten von den indonesischen Behörden entsprechend angepasst werden.

Seine wissenschaftlichen Untersuchungen am Lirung-Waran hat Koch abgeschlossen. Er konzentriert sich nun wieder auf die Bindenwarane von Sulawesi: "Schließlich will ich bald mein Projekt abschließen und promoviert werden." Doch der Biologe ist auf den Geschmack gekommen: Das Wissen über die Diversität, Verbreitung und Verwandtschaftsverhältnisse der Pazifik-Warane ist noch sehr lückenhaft, und diese wissenschaftlichen Lücken möchte der 31-Jährige in naher Zukunft füllen.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 3/2009, Seite 12-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2009