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REPTILIEN/022: Die elegante Unbekannte - Die Schlingnatter im Porträt (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 3/10
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Schlingnatter

Die elegante Unbekannte
Die Schlingnatter im Porträt

Von Linda Baumann


Schlingnatter aus dem Nordosten Niedersachsens. "Ein halbwüchsiges, wahrscheinlich im zweiten Lebensjahr befindliches Tier mit einer geschätzten Körperlänge von 25 Zentimetern bei einem Durchmesser von vielleicht zehn bis zwölf Millimetern", beschreibt Christian Fischer seine Aufnahme. "Die Schlingnatter lag am Abend wärmetankend auf einem Sandweg in einem Heidegebiet."

Es ist ein warmer Sommertag im Juli, die Sonne scheint, ein leichter Wind weht - ein perfekter Tag, um einen Ausflug in die Natur zu unternehmen. Ein Mäusebussard kreist hoch oben im blauen Himmel. Zauneidechsen huschen über den Weg oder wärmen sich den Bauch auf flachen Steinen am Wegesrand. Unbemerkt von den Wanderern, versteckt unter dem Heidekraut, beobachtet ein weiterer Bewohner dieser Gegend das Geschehen. Sieht man genauer hin, kann man den grau-braunen Rücken mit den dunklen Flecken erkennen, die sich über den schlanken Körper ziehen.

Die Schlingnatter ist nach der Ringelnatter die am weitesten verbreitete Schlange in Deutschland, gehört aber gleichzeitig zu den unbekanntesten unter den heimischen Kriechtieren. Denn die schlanke Natter ist durch ihre Zeichnung perfekt getarnt und verschmilzt so regelrecht mit der Umgebung.


Meisterin der Tarnung

Auch bei Gefahr setzt sie eher auf Tarnung und Flucht, statt auf Angriff. Die Schlingnatter ist eine langsame, aber sehr elegante, geschmeidige Schlange und bewegt sich im Unterholz nahezu geräuschlos fort, so dass sie potenziellen Feinden oft unbemerkt entkommen kann. Nur wenn sie sich eingeengt fühlt und keine Fluchtmöglichkeit sieht, geht sie zum Angriff über. Dabei rollt sie sich zusammen und richtet den Oberkörper auf. Aus dieser Position kann sie sehr schnell zubeißen. Wird der Angreifer auch dadurch nicht abgeschreckt, kann die Schlingnatter, wie andere Nattern auch, ein stinkendes Sekret aus den Analdrüsen absondern, das den Fressfeinden gehörig den Appetit verdirbt.

Tagsüber hält sich die Schlingnatter oft in Verstecken wie Felsspalten oder Mäuselöchern auf. Als wechselwarmes Tier ist sie wie alle Reptilien auf die Sonnenwärme angewiesen, um ihren Köper auf "Betriebstemperatur" zu bringen. Aber auch beim Wärmetanken achtet sie auf ihre Deckung und bevorzugt das indirekte Sonnenbaden, zum Beispiel unter aufgewärmten Steinen.


Verwechslung ausgeschlossen?

Bekommen Spaziergänger doch einmal eine Schlingnatter zu Gesicht, erkennen sie diese oft nicht, sondern verwechseln sie mit der Kreuzotter. Vor allem wenn sich die Schlange bewegt, werden die dunklen, in Reihen angeordneten Flecken der Schlingnatter für das durchgehende Zickzackband der Kreuzotter gehalten.

Unterscheiden lassen sich die beiden Schlangen aber auch durch einen Blick in deren Augen. Die Schlingnatter hat runde Pupillen, während die Kreuzotter, wie alle Vipern, zu denen sie gehört, senkrecht geschlitzte Pupillen aufweist. Außerdem hat die Schlingnatter im Gegensatz zu der Kreuzotter ungekielte Schuppen, weswegen sie auch Glattnatter genannt wird. Und während die Kreuzotter zu den Giftschlangen gehört, ist der Biss der ungiftigen Natter für den Menschen völlig ungefährlich und hinterlässt oft nicht mehr als ein paar Kratzer.


Ringkampf mit Biss

Mit 60 bis 70 Zentimetern Länge ist die Schlingnatter nur etwa halb so groß wie die Ringelnatter und damit die kleinste heimische Schlangenart. Die Paarungszeit beginnt im April nach der Winterruhe. Dabei tragen die Männchen erbitterte Ringkämpfe aus. Anders als bei der verwandten Äskulapnatter, bei der die Kämpfe meist harmlos ausgehen, kommt es bei den Schlingnatterrivalen zu Bissen, die dem Kontrahenten ernsthafte Verletzungen zufügen können.

Auch das Weibchen muss sich während des Paarungsaktes oft Bisse des liebestollen Männchens in Kopf und Nacken gefallen lassen. Nach einer Tragzeit von etwa vier bis fünf Monaten bringt das Weibchen drei bis fünfzehn Junge zur Welt. Die Jungen sind bei der Geburt voll entwickelt und befreien sich schon während des Geburtsvorgangs oder direkt danach aus den dünnen, durchsichtigen Eihüllen.


Die "kleine Boa"

Die Jungschlangen ernähren sich zunächst hauptsächlich von Insekten. Die ausgewachsenen Schlangen dagegen bevorzugen Reptilien: Eidechsen, Blindschleichen oder junge Schlangen, auch die der eigenen Art. Ergänzt wird der Speiseplan gelegentlich durch junge Mäuse, Vögel oder Amphibien. Die Schlingnatter gehört zu den Würgeschlangen. Während kleinere Beutetiere manchmal lebend geschluckt werden, umschlingt die "kleine Boa" größere Beute mit ihrem Körper und erstickt diese, indem sie sie durch ihre Muskelkraft am Atmen hindert - daher der Name Schlingnatter.

Die Schlingnatter bevorzugt strukturreiche Lebensräume, in denen sich offene und niedrigbewachsene Standorte abwechseln. In Norddeutschland findet sie diese vor allem in Heidelandschaften, trockenen Hochmooren oder an Waldrändern, während sich in Süddeutschland Hanglagen mit Trockenrasen oder Weinberge anbieten. Aber auch vom Menschen geschaffenes Gelände wie Bahndämme oder Steinbrüche dienen der Schlingnatter als Revier.


Verfolgung und Schutz

Obwohl die Schlingnatter in Europa und Deutschland noch weit verbreitet ist, geht ihr Bestand zurück. Auf der nationalen "Roten Liste" wird sie mit Stufe 3 als "gefährdet" geführt. Durch die Verwechslung mit der Kreuzotter wurde die Schlingnatter jahrhundertelang verfolgt und getötet - noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vom Staat ein Kopfgeld pro erschlagener Giftschlange in Deutschland bezahlt.

Auch heute fallen Giftschlangen oder die, die für solche gehalten werden, gelegentlich der Angst vieler Menschen vor Schlangen zum Opfer. Die weit größere Gefährdung geht allerdings von der fortschreitenden Zerstörung und Zerschneidung der Lebensräume aus. Strukturreiche Landschaften werden intensiviert, Randstreifen werden gemäht, Trockenmauern und Hecken beseitigt. In monotonen Agrarlandschaften ist für die Schlingnatter kein Platz.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 3/10
(Text in der Internet-Fassung)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2010