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VÖGEL/730: Letzte Kolonien im Visier - NABU lehnt "Kormoran-Bestandsmanagement" ab (NABU SH)


NABU Landesverband Schleswig-Holstein - 17. August 2011

Letzte Kolonien im Visier

NABU lehnt "Kormoran-Bestandsmanagement" ab


Neumünster, 17. August 2011: In der heutigen Umweltausschusssitzung beabsichtigt eine Fischer- und Anglerkoalition, in ihrem Beschlussantrag die Bundesregierung aufzufordern, ein "wissenschaftliches Kormoran-Bestandsmanagement" zu erarbeiten. Der NABU zeigt sich überrascht: Bislang hat gerade diese Koalition alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Kormoran, der bundesweit zu den am besten untersuchten Vogelarten zählt, konsequent ignoriert - weil diese häufig das auf alten Vorurteilen beruhende Zerrbild der Fischer und Angler vom "Schadvogel" nicht stützen. Die Analyse zeigt, dass der Antrag auch weiterhin von Wissenschaftlichkeit weit entfernt ist und statt dessen noch mehr politische Opportunität durchscheinen lässt.

Die Nutzer-Koalition übernimmt dabei den Begriff eines Kormoran-"Managements", um einen ursprünglich positiv besetzten Begriff für sich zu vereinnahmen und von den wahren Zielen abzulenken, trotz gegenteiliger wissenschaftlicher Erkenntnisse gegen den Kormoran und seine Kolonien vorgehen zu können. In Schleswig-Holstein existieren nur noch elf Brutstätten, davon nur noch eine größere und zwei Kleinkolonien im Binnenland. Denn während Managementpläne im Naturschutz u.a. erstellt werden, um so Schutzmaßnahmen für bedrohte Tierarten wie den Wolf oder die Herrichtung von Naturschutzflächen fachlich abgesichert zu unterstützen, soll offensichtlich im geforderten Kormoran-Managementplan die Grundlage für eine noch weitergehende Vertreibung selbst aus seinen letzten, bislang geschützten Brutstätten an der Küste gelegt werden.

Die EU hat aber aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Erstellung eines europaweiten Kormoran-Managementplans bereits abgelehnt. Eine allgemeine Reduzierung des Bestandes hält sie für fachlich nicht notwendig. Auch aus dem Bundesumweltministerium ist aus fachlichen Erwägungen heraus für das Vorhaben keine größere Unterstützung zu erwarten.

Der NABU hat mit seinem laufenden Webcam-Projekt im NABU-Wasservogelreservat Wallnau auf Fehmarn zudem belegt, dass auf Kolonien des Kormorans eine Vielzahl von Faktoren einwirken, die die Vermehrung dieser Art begrenzen. Jeder zusätzliche menschliche Eingriff in die sensiblen Brutstätten kann dabei binnen kurzer Zeit zur Bedrohung für die Art werden, die bereits früher schon einmal in unserem Land aktiv ausgerottet wurde.


Weiterhin keine Belege für Horror-Behauptungen

Der NABU hat auf seinen Internetseiten seit Jahren umfangreich den aktuellen Stand der Wissenschaft, erarbeitet auch durch vom Landwirtschaftsministerium MLUR in Auftrag gegebene wissenschaftliche Gutachten, zusammengetragen, der den Kormoran gegenüber alten, überkommenen Vorurteilen deutlich entlastet:

• Danach zählen vor allem wirtschaftlich unbedeutende Fischarten zu seiner Nahrung. Ein volkswirtschaftlicher Schaden konnte trotz mehrfacher, teils unter haarsträubenden Annahmen konstruierter Versuche, nie belegt werden.

• Auch für im Bestand bedrohte Fischarten wie die Meerforelle oder den Lachs geht von Kormoranen keine Gefahr aus, wie bereits die zuständige Fachbehörde LLUR erklärte. Nach wie vor sind vor allem die mangelnde Gewässergüte und die Strukturarmut - also eine schlechte Lebensraumqualität - die entscheidenden Gründe für die Gefährdung seltener Fischarten. Gerade der zunehmende Grünlandumbruch und der Maisanbau verursachen durch freigesetzte Nährstofffrachten dabei eine weitere Verschlechterung der Wasserqualität.

• Der Anteil der Fischnahrung des Kormorans aus den Küstengewässern ist gemessen an den erheblichen Fangmengen der Meeresfischerei vollkommen unbedeutend. Lediglich in Teichwirtschaften kann es lokal zu Problemen kommen, die jedoch lokal lösbar sind. Hier hat das MLUR bereits Maßnahmen finanziell gefördert, um Kormorane von den wenigen Betriebsflächen fernzuhalten.

• Geradezu absurd wirken die nunmehr seit fast 30 Jahren lancierten und auch im Antrag anklingenden Berichte, dass Kormorane einen "großen Schaden in vielen Bereichen" anrichten oder gar die Gewässer leerfressen würden - und das jedes Jahr aufs Neue! Die Fischerei selbst nimmt dagegen drastisch Einfluss auf die Fischbestände, u.a. auch durch "Fehler" bei der praktischen Ausübung ihres Handwerks, wie sich Anfang 2011 am Großen Plöner See zeigte, als rd. eine halbe Tonne Flussbarsche fischereibedingt elend und nutzlos verendete.


Bereits durch die bestehende Kormoran-Verordnung des Landes, erneut verlängert am 28. März 2011, sind dessen Bestände im Binnenland stark rückläufig, ohne dass der Fischbestand - wie nach den Behauptungen zu erwarten - angestiegen wäre.

Dagegen werden durch Vergrämungsmaßnahmen andere Wasservögel stark beeinträchtigt, wie auch das Bundesumweltministerium bestätigt. Für den Großen Plöner See wird durch die Störaktionen - vom MLUR eingeräumt - der Status als schützenswertes Feuchtgebiet für Wasservögel nach der Ramsar-Konvention gefährdet. Anwohner und Touristen haben sich über den drastischen Lärm bei der Jagdausübung beschwert.


Die Sache mit dem Aal

In Ermangelung anderer fachlicher Argumente wird nun verstärkt wieder auf die angebliche Gefahr für zur Bestandsstützung ausgesetzte, "unerfahrene" Aale verwiesen. Der Aal spielt aber in der Beute des Kormorans kaum eine Rolle. Nur gerade einmal zwei Prozent der Nahrung betreffen diese Fischart, wie seit Jahren die wissenschaftlichen Untersuchungen im Auftrag des MLUR zeigen.

Über die Aalaussetzungen wird nun trotzdem versucht, den Kormoran wieder ins Visier zu nehmen. Danach soll der Kormoran dafür verantwortlich zeichnen, dass die Aktivitäten zum Wiederaufbau des Aalbestandes bislang offensichtlich nicht den erwünschten Erfolg zeigen. Den freigesetzten Aalen wird innerhalb einer um einige Tage verlängerten Schusszeit die Möglichkeit gegeben, ohne Kormorane zu "lernen", mit der für sie fremden Umwelt zurecht zu kommen. Diese Argumentation greift fachlich zu kurz: Kormorane dürften selbst nur ein Teil des "Problems" für unerfahrene Aale sein. Sicher zeichnen auch Hechte und andere Raubfische ebenso wie Möwen und weitere Fischfresser sowie der erste Kontakt mit Fischkrankheiten dafür verantwortlich, wenn die unter künstlichen Bedingungen in großer Zahl gezüchteten und ausgesetzten Aale verschwinden. Der postulierte Lerneffekt bei Aalen ist darüber hinaus unbelegt und auch unwahrscheinlich, da der erste Kontakt mit einem Fressfeind für einen unerfahrenen Aal auch zumeist der letzte gewesen sein dürfte.

Die wenigen Aussetzungsorte stellen für alle Fischfresser möglicherweise ideale "fast-food-Restaurants" dar, auf die sie sich schnell einstellen. Zudem bestehen die von Menschen verursachten Gefährdungen wie Wanderungshindernisse und der Glasaalfang vor der Küste nach wie vor fort. Nur eine weite Verteilung der aufgezogenen Jungaale auf viele Gewässer, statt einer Konzentration der ausgesetzten Tiere überwiegend auf die Schlei, mag der hohen Mortalität mittelfristig entgegenwirken können. Die Verteilung erfordert aber einen weitaus größeren zeitlichen und finanziellen Aufwand.


Politische Opportunität

Die Antragsteller im Landtagsausschuss handeln aus politischer Opportunität gegenüber der Lobby von Fischern und Anglern. Statt gemeinsam mit dem NABU bei diesen für mehr Verständnis für alle Fischfresser wie See- und Fischadler, Seehund und Schweinswal, Kormoran und Eisvogel, Fischotter und Haubentaucher zu werben, werden alte, längst dank moderner Untersuchungen widerlegte Feindbilder gepflegt. Eine fortschrittliche Naturschutzpolitik auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse sieht aber anders aus!

Spezielle Infos unter www.Kormoran-Fakten.de; http://webcam.NABU-SH.de


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Quelle:
Presseinformation, 17. August 2011
Herausgeber: Naturschutzbund Deutschland e.V.
NABU Schleswig-Holstein
Färberstr. 51, 24534 Neumünster
Tel.: 04321/53734, Fax: 04321/59 81
E-mail: info@NABU-SH.de
Internet: www.NABU-SH.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2011