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VÖGEL/808: Alpendohlen - Elegante Flieger im Hochgebirge (Vogelschutz)


Vogelschutz - 1/2012
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Alpendohlen
Elegante Flieger im Hochgebirge

von Einhard Bezzel



"5-6 Stück stellten sich oft bei dem Haus ein und machten sich an den Konservenbüchsen etc. zu schaffen. Dies waren die einzigen Vögel, die während eines Jahres am Gipfel zur Beobachtung kamen." So lautete die Meldung des Meteorologen am Observatorium auf der Zugspitze für das Jahr 1900, die er der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern für ihren Jahresbericht zukommen ließ. Bei diesen einzigen Vögeln auf dem höchsten Gipfel Deutschlands handelte es sich um Alpendohlen. Heute begrüßen die gewandten Flieger mit ihren hellen Rufen die zahlreichen Besucher der belebten und mit Restaurants bestückten Zugspitze meist in größerer Zahl. Über 40 Alpendohlen zählte ich bereits im September 1957‍ ‍am Observatorium, als ich der Zugvögel wegen zwei Wochen dort oben verbrachte. Mittlerweile mögen es noch mehr geworden sein, denn in der kargen Felsstufe des Hochgebirges profitieren die aufmerksamen und lernfreudigen Vögel von hungrigen Fahrgästen, die aus den Bergbahnen quellen.

Alpendohlen - Jeder Bergwanderer kennt die eleganten Schwarzen, die fast überall in den Alpen oft ganz überraschend von irgendwoher als Brotzeitgäste auftauchen. Mit dem, was von der Mahlzeit abfällt, haben Alpendohlen ja nun schon weit mehr als ein Jahrhundert Erfahrung.


Unterschiedliche Dohlenwelten

Die Verbreitungskarten im bayerischen Brutvogelatlas enthüllen es auf einen Blick: Die Dohle, Vogel des Jahres 2012, hat es nicht so mit den Bergen. Ihre Brutplätze hören schon im voralpinen Hügel- und Moorland auf und reichen nicht mehr an den Rand der bayerischen Voralpen. Ihr Lebensraum sind die tiefer gelegenen Landesteile. Selbst in den Mittelgebirgen sucht man Dohlen meist vergebens, etwa im Oberpfälzer und Bayerischen Wald, der weitgehend dohlenfrei ist. Viel höher, nämlich erst in etwa 1600 m, beginnt das Brutgebiet der Alpendohle, das bis über 2000 m in die Gipfelregionen der bayerischen Alpen reicht. In der Schweiz wurde sogar eine Brut in 3820 m ü. M. oberhalb von Zermatt nachgewiesen. Die beiden Dohlenarten gehen sich also aus dem Weg. Zwischen ihren Pfaden sitzt z. B. die Staatliche Vogelschutzwarte in Garmisch-Partenkirchen in 811 m ü. N. 1966 hatten wir damit begonnen, möglichst sorgfältig das Vorkommen aller Vögel in Tagesprotokollen zu dokumentieren. Nach 44 Jahren waren nicht weniger als 240.600 Datensätze zusammengekommen. In diesem riesigen Material finden sich Dohlen, die meist einzeln vorbeiflogen, nur 11 mal in 10 Jahren. Aber auch Alpendohlen machten sich rar: Nur 13 mal in 12 Jahren waren vorbeifliegende Schwärme zu beobachten, die von größeren Höhen ins Tal heruntergekommen waren. Solche Statistiken enthüllen, wie strikt mitunter Grenzen des Lebensraumes auch bei scheinbar sich grenzenlos bewegenden Vögeln gezogen sind. Alpendohlen leben in Deutschland tatsächlich nur innerhalb des schmalen Alpensaums. Hier sind sie zwar nicht gefährdet, ja sie scheinen sogar als einzige Alpenvögel von der Tourismuslawine zu profitieren. Trotzdem haben sie ihren Platz auf der Roten Liste der Brutvögel gefunden, und zwar in der Rubrik "extrem selten". Darunter sind sehr lokal vorkommende Vogelarten zusammengefasst, deren Bestände langfristig zwar nicht abgenommen haben, aber innerhalb unserer nationalen Verantwortung klein und daher gegenüber unvorhersehbaren Gefährdungen besonders anfällig sind. Gerade so genannte "Kulturfolger", zu denen man Alpendohlen häufig rechnet, haben in den letzten Jahrzehnten viele Beispiele dafür geboten, wie kritisch und vorsichtig man Entwicklungen zu verfolgen hat, die ganz unversehens auch große und scheinbar blühende Bestände von häufigen Tieren dahinraffen. Für Alpendohlen gilt Wachsamkeit auch für das übrige Europa, denn von Spanien bis Südosteuropa sind sie überall auf Hochgebirge beschränkt. Weiter östlich über Vorderund Innerasien bis in den Südwesten Chinas stehen ihnen weitläufigere Gebirgslandschaften zur Verfügung.


Namen - mehr als Schall und Rauch?

Dohlen, Krähen, Raben - schwarze Vögel aus der Familie der Rabenvögel tragen Namen, die nicht immer zoologisch richtig verteilt sind. Sie sind eben nicht von Zoologen nach systematischen Gesichtspunkten eingeführt, sondern durch Erfahrungen und augenfällige Vergleiche entstanden und weitergegeben worden. Diese Tradition hat durchaus ihr Gutes, denn würden volkstümliche Namen die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse möglichst genau wiedergeben wollen, würden sie sich dauernd ändern. Molekulargenetische Methoden haben nämlich jetzt gezeigt, dass wir in der Systematik in vieler Hinsicht umdenken müssen, weil neue Zusammenhänge erkennbar werden. Das gilt auch für die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der Rabenvögel, über die immer noch manche Unklarheiten bestehen. Dohlen und Alpendohlen sind trotz deutschsprachlichem Gleichklang der Namen nicht die nächsten Verwandten. Die Dohle zählte man lange Zeit in die nähere Verwandtschaft von Saat- oder Rabenkrähe; heute tendieren Taxonomen wieder dazu, sie mit der ostasiatischen Elsterdohle einer eigenen Gattung zuzuordnen. Die Alpendohle hingegen bildete zusammen mit der ähnlichen Alpenkrähe eine andere Gattung Pyrrhocorax, was so viel wie Feuerrabe bedeutet. Die rotschnäbeligen Alpenkrähen sind also ebensowenig Krähen wie ihre gelbschnäbeligen Verwandten Alpendohlen wirklich Dohlen. Alpenkrähen kommen bei uns nicht vor. Sie brüten nur in den Westalpen und sind im westlichen und südlichen Europa weit verbreitet.


Herausforderungen des Gipfellebens

Schaut man den atemberaubenden Flugmanövern der Alpendohlen zu, ist man leicht geneigt, das oft gebrauchte Wort von der "perfekten" Anpassung in den Mund zu nehmen. Aber "perfekt" im strengen Wortsinn bedeutet "vollendet" und vollendet ist in der Natur nichts - sonst könnte es ja nicht weitergehen. Dass etwa das Nahrungsangebot in der kargen Alpinstufe eine Herausforderung darstellt, die auch die Alpendohlen als vielseitige Kleintierjäger nicht immer perfekt meistern können, zeigt ihre Umstellung auf menschlichen Nahrungsabfall mit neuen Möglichkeiten fürs Überleben. Im Winter müssen die Hochgebirgsvögel über Kilometer hinweg Talregionen aufsuchen und sind dann Tagesgäste mitten in Ortschaften. Dort, wo auch im Winter ganz oben lebhafter Tourismusbetrieb herrscht, haben sie die täglichen Nahrungsflüge nicht mehr nötig. Trotz solcher Ausweichmanöver, die Alpendohlen auch rechtzeitig nach Pausenschluss in Schulhöfe führen, kann die Ernährung im Winter durch Engpässe bedroht sein. Flechten und Moos auf alten Hausdächern, Knospen und vertrocknete Beeren müssen dann schon mal aushelfen. Die hoch entwickelte Ausnutzung von Luftströmungen zum Gleitfliegen spart Energie und ist damit ebenso wie das Verstecken von Nahrungsbrocken in Felsritzen ein Beitrag, Nahrungsknappheit zu meistern. Auch die Geselligkeit gehört dazu, denn viele Augenpaare sehen mehr als eines. Wenn es jedoch um den Nachwuchs geht, verteidigen die einzelnen Paare, die wahrscheinlich ein Leben lang zusammenhalten, meist ein eigenes Nestrevier mit einem vor Witterung geschützten Nistplatz. Vieles aber ist noch unklar im Jahresablauf eines der wenigen Vögel, die es das ganze Jahr über im Hochgebirge aushalten.

Autor:
Dr. Einhard BezzelDer ehemalige LBV-Vorsitzende und frühere Leiter der Vogelschutzwarte Garmisch-Partenkirchen ist einer der führenden Ornithologen Deutschlands und als Autor zahlreicher Fachbücher bekannt.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Eine Gruppe Alpendohlen vor der imposanten Kulisse des Karwendelgebirges
- Geschickt manövriert die Alpendohle


LBV-Aktion zum Vogel des Jahres 2012
Melden Sie uns Ihre Dohlenbeobachtungen! (keine Alpendohlen) Nach neueren Erkenntnissen gibt es in Bayern sechs- bis neuntausend Dohlen-Brutpaare, wobei innerhalb der letzten 10 Jahre der Bestand deutlich abgenommen hat. Schutzbemühungen kümmern sich um die Sicherung der Neststandorte, z. B. durch die Aktion "Lebensraum Kirchturm". Um diese besser umsetzen zu können, führt der LBV 2012 eine flächendeckende Erfassung des Dohlen-Bestandes in Bayern durch. Damit gerade in neu besiedelten Regionen eine weitgehend vollständige Erfassung möglich ist, sind wir auch auf jede Meldung von Zufallsbeobachtungen angewiesen. Daher rufen wir alle Naturfreunde und Vogelbeobachter in Bayern auf, Sichtungen von Dohlen an uns zu melden.

Weitere Informationen zur Zählung erhalten Sie bei:
LBV-Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein, Oda Wieding, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein, Tel. 09174/4775-32, email: o-wieding[at]lbv.de sowie im Internet unter: http://www.lbv.de/aktiv-werden.
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

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Quelle:
Vogelschutz - 1/2012, Seite 6-8
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
Verband für Arten- und Biotopschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2012