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GEFAHR/005: Brandsatz Fukushima - Dekontaminisierungsdesaster (SB)


Multifaktorielle, multinuklide Wasserprobleme behoben - Japans Rückkehr ins Atomzeitalter?

Ein neues Wasseraufbereitungskonzept, das sich die "Sieben Samurai" nennt, soll die Wasserverklappung im Pazifik rechtfertigen


Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2014 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Seit dem Scheitern der Wiederwahl des früheren Regierungschefs Koizumi steht die Energiewende in Japan durchaus wieder in Frage. Dabei hatte Japan den Expreßausstieg aus der Atomkraft bereits ein Jahr lang ohne energetische Engpässe gemeistert ...

Am 23. September 2014, etwa dreieinhalb Jahre nach dem Atomunglück in Fukushima, in dessen Folge sämtliche Atomkraftwerke Japans stillgelegt wurden, haben rund 16.000 Japaner in Tokio gegen den Beschluß der Atombehörde, zwei Kernreaktoren wieder in Betrieb zu nehmen, demonstriert. [1] Der für die Präfektur zuständige Gouverneur Yuichiro Ito erteilte dennoch vor wenigen Tagen die Genehmigung, nachdem auch die lokale Versammlung am 31. Oktober 2014 bereits ihre Zustimmung gegeben hatte. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Shinzo Abe drängt offenbar gegen den Willen der Bevölkerung zur Rückkehr in die Atomwirtschaft, da das importierte Gas, mit dem die entstandene Versorgungslücke bislang gebrückt wurde und für das Japan doppelt so viel zahlen muß wie Europa, für wachsende Strompreise und wirtschaftliche Einbußen gesorgt hat. Ein Wiederhochfahren der fraglichen Reaktoren im Akw Sendai wäre somit nur der erste Schritt zurück ins Nuklearzeitalter, trotz der extremen Risiken, die damit verbunden sind. Selbst nach einer Qualifizierung der Sicherheitsauflagen, die Zehntausende von Seiten umfassen sollen und bei denen jetzt schon fraglich ist, welcher der vom Netz genommenen Reaktoren sie jemals erfüllen kann, bleiben enorme Unsicherheiten. Die Bevölkerung fragt sich auch, welche Zugeständnisse gemacht bzw. Risiken in Kauf genommen werden müssen, um ein solches Hochrisikounternehmen wie Atomstrom in Japan wieder durchzuwinken.

Die Akws Sendai 1 und 2 sollen angeblich den Streßtest bestanden haben. [2] Selbst Riesenwellen könnten dem an der Küste der Südwestspitze Japans (der Insel Kyushu) gelegenen Kraftwerk nichts anhaben. Das wurde seinerzeit auch von Fukushima behauptet. Darüber hinaus befindet sich das Kernkraftwerk auf einer seismisch aktiven Zone. In etwa 70 Kilometern Entfernung gibt es den Vulkan Sakurajima, der permanent aktiv ist. Die Vorschriften der International Atomic Energy Organisation (IAEO) sehen einen Mindestabstand von 160 Kilometern vor, an dieser Stelle hätte somit von vornherein kein Atomkraftwerk gebaut werden dürfen. Auch wird Kyushu immer wieder von Wirbelstürmen heimgesucht, wie Anfang Oktober der Taifun "Vongfong", der zunächst als Supertaifun eingestuft wurde und später glücklicherweise abflaute, so daß er "nur" zwei Menschen tötete. Im Zuge des Klimawandels muß das Inselreich zunehmend mit Extremwetterverhältnissen, Hochwasser und Tsunamis rechnen. All das sind keine sicheren Voraussetzungen für den Betrieb von riskanten Technologien, wie sich vor dreieinhalb Jahren 1.137 Kilometer nordöstlich von Sendai in Fukushima gezeigt hat.

Daß die neuerliche Risikobereitschaft Japans keine weiteren Wellen in der Weltöffentlichkeit schlägt, die seit dem Beginn der schwersten atomaren Katastrophe dieser Generation, gewissermaßen mit jedem Tag mehr, von den in den Pazifik geratenen oder eingeleiteten radioaktiven Rückständen betroffen ist, hat möglicherweise mit einem Gewöhnungseffekt an Hiobsbotschaften in weiter Ferne zu tun, der bereits im Schattenblick häufiger diskutiert wurde [3]. Darüber hinaus scheint die konzertierte Transparenzstrategie des Akw-Betreibers Tepco und der japanischen Regierung offenbar zu greifen, mit der man die Gefahr herunterspielt, indem Mängel scheinbar offengelegt und der Eindruck erweckt wird, zwar nicht alles unter Kontrolle, aber doch "in Arbeit" zu haben. Dadurch sucht man zu verdrängen, daß die nukleare Katastrophe nicht, wie gemeinhin behauptet, im März 2011 stattgefunden, sondern nur ihren Anfang genommen hat ...


Multifaktorielle, multinuklide Wasserprobleme

Eines der größten Probleme stellt nach wie vor das Wasser dar. Zum einen werden immer noch täglich etwa 500 Kubikmeter Wasser gebraucht, um den Kernbrand in den Ruinen zu kühlen, zum anderen steigt das Grundwasser unter dem Gelände des Kernkraftanlage und fließt trotz aller Versuche, es zu bremsen, in den Pazifik.

Grundwasser war schon vor Beginn der Katastrophe ein Problem. Der Betreiber hat die gesamte Anlage in Fukushima Daiichi quasi auf Wasser gebaut, das aus den Bergen fließt und schon vor der nuklearen Katastrophe im März 2011 ständig abgepumpt und drainiert werden mußte, um dem Untergrund ausreichend Stabilität zu geben. Nach dem Erdbeben stehen nur noch 20 der ursprünglich 46 Pumpen zur Verfügung, während die Radioaktivität im Untergrund die Situation zusätzlich verschärft, weil das Grundwasser auf dem Akw-Gelände mit Radionukliden kontaminiert wird oder sich mit aus unbekannten Lecks aussickerndem Kühlwasser mischen kann.

Möglicher Weg des Wassers aus dem Reaktorgebäude (1) durch das Turbinenhaus (2) bis in den Kabelschacht (3). Dort wurde Natriumsilikat eingespritzt, um den Ausgang ins Meer zu unterbinden. - Grafik: By Shigeru23 (Made by uploader) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

Unidentifizierte Lecks in den Gebäuden sorgen für schwankende Werte der Grundwasserradioaktivität.
Grafik: By Shigeru23 (Made by uploader) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

Ein Abpumpen und Speichern des radioaktiven Wassers ist auf dem Gelände nicht dauerhaft möglich, da die Speicherkapazität mit dem anfallenden Kühlwasser schon stark ausgelastet ist. Die Pläne, das Wasser mit einer Eiswand einzufrieren (der Untergrund läßt sich nicht einmal bis zum Gefrierpunkt abkühlen) und neu aus den Bergen zufließendes Wasser mit einem "Bypass ins Meer umzuleiten", ehe es auf dem Gelände verseucht wird, haben nicht die gewünschten Erfolge gebracht. [3, 4] Im Gegenteil, es kam seither noch zu einem weiteren Anstieg des angestauten Grundwassers auf dem Gelände. Die Gebäude stehen derzeit auf einem schwammigen Grund. Bei einem neuerlichen Erdbeben könnten sie zusammenbrechen und die Kühlsysteme ausfallen. Die dreifache Kernschmelze, die am 11. März 2011 ihren Anfang nahm, würde eine weitere unerwünschte Qualifizierung nehmen. Das Grundwasser, das normalerweise mit 500 Becquerel pro Liter strahlt, muß daher abgepumpt werden, um Schlimmeres zu verhindern.

Immer wieder legen plötzliche Anstiege dieser Strahlungswerte bei Routinemessungen unidentifizierte Austritte an Radioaktivität nahe. Zuletzt veröffentlichte Tepco am 24. Oktober 2014 Messungen, in denen selbst dieser erhöhte Wert aus noch unbekannten Gründen um das 800 bis 920fache überschritten wurde. [5] Proben, die am 22. Oktober 2014 aus zwei der Pumpanlagen entnommen wurden, die normalerweise zur Verringerung der Grundwassermenge dienen, wiesen Cäsiumkonzentrationen von 460.000 und 424.000 Becquerel pro Liter auf. Die Pumpen wurden daraufhin stillgelegt. Auf diese Weise werden die Tatsachen einfach nicht mehr ans Licht befördert. Doch Wasser fließt und nimmt den Weg des geringsten Widerstands ins Meer.

Daneben müssen die Tepco-Ingenieure noch unentwegt Wasser zur Kühlung der Kernschmelzen in die Ruinen pumpen, das über Leckagen in die Druckkammern der ursprünglich abgeschirmten Containments gelangt, von wo aus es auf immer noch weitgehend unbekannten Wegen in die unteren Bereiche der Reaktoren sowie in das Maschinenhaus fließt. Unterwegs umspült das Wasser die geschmolzenen Kernbrennstäbe, wodurch es stark kontaminiert wird. Da die Druckbehälter der Reaktoren durch die Kernschmelze durchlässig geworden sind, fließt dieses Wasser unkontrolliert in den Kellerbereich und von dort aus in den Untergrund, wo es sich mit Grundwasser mischen kann. Um diese Folgen möglichst klein zu halten, was nicht gelingt [s.o.], wird das Kühlwasser mit leistungsstarken Pumpen abgepumpt. Man hofft, dadurch einen Sog auf das Grundwasser auszuüben, so daß umgekehrt das weniger verstrahlte Wasser in die Reaktorgebäude gezogen wird. Das heißt, daß letztlich mehr hochkontaminiertes Wasser abgepumpt wird, als nur das Kühlwasser. Dieses wird auf dem Gelände von Fukushima Daiichi zwischengelagert. Insgesamt befinden sich mittlerweile weit mehr als 360.000 Tonnen kontaminiertes Kühlwasser in Auffangbecken und Tanks vor Ort, das eine Radioaktivität von etwa 230 Millionen Becquerel pro Liter aufweist.

Der radioaktive Inhalt beschleunigt die Korrosion der Tanks. Darüber hinaus läßt auch die Qualität der Tanks zu wünschen übrig. Noch im Juni 2014 schreibt The Asahi Shimbun, daß Tepco erst jetzt überlege, die derzeitig noch aus verschraubten und verbolzten Versatzstücken bestehenden Container durch welche mit geschweißten Nähten zu ersetzen, um ein weiteres Aussickern von Wasser zu verhindern. Anschließend weist der Autor Shunsuke Kimura darauf hin, daß ohne eine weitere Entsorgung des Wassers [mit Hilfe der Dekontaminationsanlage ALPS, s.u.] der Speicherplatz auf dem Tepcogelände nicht mehr ausreicht und man auf immer größere Flächen für die Lagerung der Tanks ausweichen müssen wird.

TEPCO intends to replace current bolted storage tanks for radioactive water with ones made of welded steel plates to prevent water leaks. But if the start of ALPS' full-scale operations is delayed even further, it will likely become difficult for the utility to continue storing contaminated water at the plant site alone. [6]
... ist der Pazifik doch so nah oder "Dilution is the solution to pollution." [7]

Die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO) hatte bereits am 4. Dezember 2013 nach einer Inspektion der Anlage und der Arbeiten eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie grünes Licht für die Verklappung radioaktiv-kontaminierten Wassers gab. [8] Im Hinblick auf die wachsende Menge von kontaminiertem Wasser auf der Anlage sollte TEPCO seine Anstrengungen bei der Aufbereitung des Wassers verstärken und zudem alle Alternativen prüfen, wie mit diesem Wasser anschließend verfahren werden könne, einschließlich der Möglichkeit, ein kontrolliertes Ablassen unter Einhaltung der offiziellen Grenzwerte wieder aufzunehmen. Um diese Variante zu verfolgen, sollte TEPCO entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfungen erstellen und diese an die Aufsichtsbehörde weiterleiten.

Auf globalpost.com [9] wird zudem der Leiter dieser IAEO-Inspektion, Herr Lentijo zitiert, der während einer Pressekonferenz in Tokyo verlauten ließ, "kontrollierte Freisetzungen sind eine reguläre Praxis bei allen Atomkraftwerken auf der Welt. Unserer Ansicht nach ist diese Option für eine gute Abwägung der Risiken und für die langfristige Stabilisierung der Anlage in Betracht zu ziehen ..."

Fukushima Diary, eine von dem japanischen Umweltaktivisten Iori Mochizuki betreute, kritische Webseite, die die Katastrophe in Fukushima seit ihrem Beginn im März 2011 begleitet, befürchtete im August 2014, daß entsprechende Pläne über ein Abwasserentsorgungssystem bereits bei der Regierung eingereicht worden sind. [10] Diese würden auch eine Dekontamination des Wassers einschließen - wie soll das gehen?

In einer realistischen Einschätzung des Fortschritts der Aufräumarbeiten zum dritten Jahrestag des Reaktorunglücks im März 2014 hieß es dazu in Spektrum der Wissenschaft - Die Woche 11/14:

Zurzeit besteht keine technische Möglichkeit, sie komplett von Radionukliden zu säubern und gefahrlos ins Meer abzulassen. Angesichts des hohen täglichen Verbrauchs wächst die Sorge, dass die Tanks doch einfach so in den Pazifik entleert werden (müssen). Dazu kommen immer wieder Lecks im Leitungs- und Tanksystem, aus denen Wasser ins Meer oder auf den Boden sprudelt. An diesen Stellen treten auch immer wieder extrem hohe radioaktive Strahlungswerte auf. Messungen in einem Abstand von fünf Zentimetern über dem Boden ergaben im September 2,2 Sievert pro Stunde, so Tepco - die stärkste Strahlung, die bis dato an den Tanks gemessen wurde und die ebenfalls in wenigen Stunden beim Menschen schwere bis tödliche Strahlenschäden verursachen würde. [11]

Die Sieben Samurai von Tepco

Zu diesem Zeitpunkt ist eine in diesem Zusammenhang vieldiskutierte Wasseraufbereitungsanlage ALPS (Advanced Liquid Processing System) in Fukushima, von der sich die Betreiber wahre Wunder versprechen, die aber in allen Phasen ihrer Entwicklung bisher noch nie die gewünschte Leistung gezeigt hat, gerade wieder einmal zusammengebrochen ...

Das ursprüngliche ALP-System wurde im Herbst 2012 aufgrund neuer Sicherheitsauflagen und Qualitätsanforderungen an das aus dem Reaktor abgepumpte Kühlwasser gemeinsam mit EnergySolution und Toshiba entworfen und gebaut. ALPS ist seit den ersten Wochen der Inbetriebnahme so störanfällig, daß es, statt durchgängig zu arbeiten, immer wieder zur Fehlerbereinigung abgeschaltet werden muß. Nach Fertigstellung der Anlage im September 2012 kam es aufgrund noch nicht erfüllter Sicherheitsauflagen und anderer Probleme erst im März 2013 zum ersten Testlauf. [12] Seither kämpfen die Ingenieure mit vorzeitiger Korrosion an sensiblen Stellen, unerklärlichen Löchern, rätselhaften Eintrübungen oder Wolkenbildung im Filtrat (die auf nicht ausreichende Filtrierleistung schließen lassen) sowie frühzeitig gealtertem Dichtungsmaterial, aus dem Radioaktivität austritt. [13] Erst im April 2014 mußten 21 Tanks und ein Kilometer Rohrleitungen wegen des Systemausfalls mühsam dekontaminiert werden. Sie wurde erst im Juni wieder eingeschaltet. Das wird vermutlich noch lange so bleiben, denn um derartig große Mengen an hochkontaminiertem Wasser von Radioaktivität zu befreien, gibt es bisher keine Erfahrungswerte und keine getesteten Materialien, die auf den nuklearen Angriff von 230 Millionen radioaktiven Zerfällen pro Sekunde und Liter vorbereitet sind. So bauen die neuen Anlagen in Fukushima auf Systemen auf, die bereits in anderen Fällen gescheitert sind.

Um das zunehmend anfallende, kontaminierte Wasser zu reinigen, hatte man etwa seit Juni 2011 zunächst ein amerikanisches Dekontaminierungssystem des US-Unternehmens Kurion Inc. in Betrieb genommen, das bereits bei der Aufbereitung des Wassers während der Harrisburg Kernschmelze 1979 eingesetzt worden war. Nicht gesagt wird dazu, daß die Dekontaminationsarbeiten in Harrisburg nach zwölf Jahren wegen der hohen Verstrahlung als gescheitert eingestuft und bis auf weiteres eingestellt wurden.

Zur Unterstützung von Kurion wurden im Laufe des Jahres noch Areva (ein Filtersystem, das radioaktive Nuklide als Niederschlag ausfällen soll) und SARRY (Toshiba) dazugenommen, wobei das Adsorptionsprinzip von Kurion und SARRY mit vergleichbar ähnlichen Mitteln arbeiten. Dabei wird das belastete Wasser unter Druck durch eine Anzahl von dicht mit einem pulverförmigen Adsorbens beschickten Säulen gepumpt, in denen die radioaktiven Stoffe festgehalten (adsorbiert) werden.

Alle drei Systeme scheiden vor allem Cäsium ab und erfüllen inzwischen nicht mehr die neuen Anforderungen. [14] Nachdem Kurion anfänglich nicht die erwartete Leistung brachte und Areva ohnehin nur ein paar Monate in Betrieb war (seit September 2011 hat es nicht gearbeitet, das Fällungsprinzip hat sich nicht bewehrt), gilt SARRY als das zuverlässigste System. Aber auch SARRY arbeitet nie ganz störungsfrei. Die letzte veröffentlichte Panne, ein Handhabungsfehler, bei dem die Saugfähigkeit der Drucksteigerungspumpe B beeinträchtigt wurde und einen vorübergehenden Systemausfall mit sich brachte, war im September 2014. [15]

Am 17. Oktober 2014 gab Tepco nun offiziell ihr jüngstes, ambitioniertestes Wasseraufbereitungs-Konzept bekannt, das die Firma vermutlich deshalb die "Sieben Samurai" nennt, um davon abzulenken, daß es sich um die gleichen, ein wenig aufgemöbelten Systeme handelt, die schon seit 2011 in Betrieb sind, und um nicht an die zahllosen "ALP-Träume" anzuknüpfen, die jedes einzelne der sieben Elemente den zuständigen Technikern schon bereitet hat. Welche Rolle die einzelnen Systeme im Gesamtkonzept spielen, ist wie bei den Vorläufermodellen für den Laien nicht zu durchschauen. [16] Fraglich bleibt, in welcher Weise man die ursprünglich unzureichenden Systeme tatsächlich aufbessern konnte, oder ob nur immer wieder neues Material unter Extrembedingungen getestet wird.

Zahlreiche Reinigungseinheiten in der Theorie, in der Praxis jedoch nur Varianten oder Spielarten des gleichen störanfälligen Systems, bzw. der gleichen Filter. - Grafik: © 2014 by Tepco

Der Siebte Samurai - die Highperformance ALPS-Einheit, wurde am 5. November in Betrieb genommen. Sie ist nur der siebte Teil eines Konzepts voller Probleme.
Grafik: © 2014 by Tepco


Mehr Schein als Sein?

Für die Filtration von radioaktiven Substanzen hat es in den letzten Jahren keine revolutionären Neuentdeckungen gegeben. Die Güte einer Wasseraufbereitung hängt vor allem von der Vorbelastung ab. Deshalb scheint die hauptsächliche Verbesserung der Filtrationstechnik darin zu bestehen, weitere Filteranlagen dazuzuschalten, so daß zunehmend weniger belastetes Wasser schließlich in den letzten Einheiten endgültige Reinigung erfährt. Unnötig zu erwähnen, daß dies auch einen regelmäßigen, kurzfristigen Austausch der verwendeten (und dann hochkontaminierten) Filter voraussetzt, und daß zusätzliche Filtertürme oder ähnliche Adsorbentienverschmutzer, Abscheider oder Schlickerzeuger die Lagermöglichkeiten dieses radioaktiven Abfalls (samt der Filtermaterialien) extrem strapazieren.

Schaut man sich die Sieben Samurai einmal genauer an, so wird in einem "Pressehandout" (siehe Grafik) zum neuen Konzept der Eindruck erweckt, daß es sich beim Kern der Anlage nicht nur um eine, sondern um mindestens drei ALPS-Anlagen handelt, die für die Dekontamination in Gebrauch genommen werden. Tepco spricht dabei von der "existierenden" (14+2 Türme), der "verbesserten" (18 Türme) und der vom japanischen Ministerium für Wirtschaft und Industrie geförderten "Highperformance" (Höchstleistungs-)ALPS-Anlage (20 Türme). Man könnte vielleicht nicht ganz unabsichtlich zu dem Schluß kommen, daß diese drei "Samurai" zusammen 54 Adsorbtionstürme für die Aufbereitung des Wassers stellen. Ein Blick auf den Grundriß der Anlage [17] weckt aber den Verdacht, daß die "verbesserte" wie die "Highperformance"-Anlage nur jeweils noch zwei zusätzliche Türme zum bestehenden System liefern, wenn man die von den Einrichtungen besetzte Grundfläche vergleicht. Danach könnten also ALPS eins, zwei und drei erst gemeinsam das Highperformance-ALPS bilden, es sei denn, man hätte in den letzten Jahren noch revolutionäre Filtrationsmöglichkeiten entdeckt, die auf wenig Fläche sehr viel mehr leisten. Doch würde man von so einer fundamentalen Revolution in Sachen Dekontamination nicht längst sehr viel mehr gehört haben? Und könnte man dann nicht die ganze Anlage mit derartigen Superadsorbern bestücken? Die technischen Möglichkeiten dafür, daß diese letzten beiden Türme allein das Versprechen einer Highperformance, also einer besonders hohen Leistungsfähigkeit, erfüllen, scheinen doch eher bescheiden.

Verwirrend ist auch der vielleicht auf Übersetzungsprobleme zurückgehende Wortgebrauch "existierende" Anlage, die nahelegt, daß die anderen beiden zugewonnenen Filtereinheiten (bzw. vier Filtertürme) noch nicht existieren und vielleicht nichts mit dem bislang "fehleranfälligen" Kernstück zu tun haben. Tatsächlich stehen aber alle drei Anlagen schon vor Ort, wurden auch im Juni schon gestartet, dann aber wieder abgeschaltet, um noch notwendige Reparaturen an allen Einheiten vorzunehmen. Seit dem 5. November 2014 sind alle drei ALPS in Funktion, laufen allerdings noch mit eingeschränkter Leistung. Ob die erwartete Kapazität der Anlage, 2.000 Tonnen/2.000 Kubikmeter Wasser täglich durchzuschleusen und zu reinigen, die der Vertreiber verspricht, je erreicht wird?


Weniger ist mehr ...

Die Umsatzquote ist unter anderem auch von der Größe der Geschwindigkeit abhängig, mit der das belastete Wasser durch die Adsorbtionstürme getrieben wird, wobei sich die Durchflußgeschwindigkeit zudem auf die Qualität des filtrierten Wassers auswirken kann. Je kürzer die Einwirkzeit in der Säule und je größer die Durchflußgeschwindigkeit, umso geringer ist der tatsächlich stattfindende Ionenaustausch und damit das Ergebnis der Dekontamination. Dazu kommt, daß die Adsorbtion eine sogenannte Gleichgewichtsreaktion darstellt. Das heißt, Bindung und Lösung finden gleichzeitig statt, die verschiedenen Stoffe werden nur unterschiedlich lange an das Filtermaterial gebunden, finden sich aber nach entsprechender Durchlaufzeit durch die Säule doch irgendwann im Filtrat wieder. Um dem zuvorzukommen, müßten die Filter eigentlich in gleichem Maße ausgewechselt werden, wie Wasser durch die Anlage fließt. Eine derartige Funktionsweise läßt sich aber nicht erkennen und scheint auch nicht praktikabel zu sein.

Aus den Presseveröffentlichungen geht auch nicht hervor, in welcher Reihenfolge die "Sieben Samurai" zur Wasseraufbereitung durchlaufen werden. Damit ergeben sich aus den wesentlich "langsameren" Filtrierumsätzen der anderen Systeme möglicherweise Flaschenhälse. Das alte Kurion sollte beispielsweise nur 15 bis 50 Kubikmeter Wasser pro Stunde schaffen. Das sind im Idealfall 360 bis 1200 Tonnen pro Tag. Die Flußgeschwindigkeit von SARRY läßt sich entsprechend mit Pumpen und Ventilen zwischen 25 und 50 Kubikmeter/Stunde einstellen, was eine ideale Tagesleistung von 600 bis 1200 Tonnen entspricht. Auch ergibt sich aus dem gleichen Filterprinzip die Frage, ob diese hohen Umsätze überhaupt erstrebenswert sind. Wenn es um eine möglichst quantitative Abscheidung der radioaktiven Nuklide geht, ist eine langsame Flußgeschwindigkeit in der Anlage möglicherweise effektiver, solange noch frisches, unbelastetes Filtermaterial vorhanden ist. Damit könnten die ambitionierten Ziele allerdings nicht erreicht werden, denn jeden Tag kommen zu dem bereits gelagerten radioaktiven Flüssigmüll (immer noch etwa 360.000 Tonnen) 400 Tonnen hochkontaminiertes Salzwasser dazu, das bei dem ersten Recyclingprozeß anfällt, der eingeführt wurde, um einen Teil des Kühlwassers wiederverwenden zu können und weniger Frischwasser täglich zu verbrauchen.


Undurchschaubarkeiten

Ob aber dieser erste Recyclingprozeß, bei dem ebenfalls schon Cäsiumionen abgetrennt werden sollen und bei dem das Wasser eine Umkehrosmoseanlage durchlaufen soll, ehe es wieder in den Kühlprozeß eingespeist wird, bereits zu den "Sieben Samurai" gezählt wird oder ein weiteres separates Reinigungselement darstellt, wird aus den Veröffentlichungen nicht ganz deutlich. Die täglich anfallenden Mengen an radioaktivem Flüssigmüll, welche die auf dem Gelände aufgestellten Lagertanks füllen und vermehren, bezeichnet Tepco als "RO-concentrated Saltwater", also hochkonzentriertes Salzwasser, das bei der Reversosmose bzw. Umkehrosmose anfällt, in welcher Form auch immer, aber mit mehr als 230.000 Becquerel pro Liter strahlend.

Falls die Umkehrosmose, die bei den "Sieben Samurai" als letzte Einheit aufgeführt wird, als ein Teil der gesamten Dekontaminationsanlage gezählt werden sollte, so ist sie mit Sicherheit der am meisten die Geschwindigkeit begrenzende Faktor. Denn der Prozeß, bei dem die belastete, mobile Flüssigkeit mit hohem Druck durch ein Filtermedium (eine halbdurchlässige, semipermeable Membran) gezwungen werden muß, durch die Wasser von selbst normalerweise nur langsam gemäß des osmotischen Gefälles (also in Richtung der hochkonzentrierten Salzlösung) "diffundiert", läßt sich nur bedingt forcieren. Die Durchflußgeschwindigkeit ist in großem Maße vom gewählten Material und dessen Porengröße abhängig. Doch wesentlicher ist die Frage, welche der als Membran verfügbaren Kunststoffmaterialien (von Polysulfon, Cellulose, Silikone, Nylon und so exotische Dinge wie Polypiperazinamid) die radioaktive Dauerbestrahlung ohne zu schrumpfen oder zu krumpfen oder sonstwie zu altern übersteht. Gerade bei der Membranfiltration spielt die Wahl des Filtermaterials eine entscheidende Rolle für die Geschwindigkeit, da auch polare Wechselwirkungen mit den Nukliden und bestimmten Gruppen des Kunststoffs in Betracht gezogen werden müssen, die eine sogenannte retardisierende Wirkung haben können (die Stoffe also länger festhalten). Dieser Effekt soll umso stärker sein, je größer der verwendete "Transmembrandruck" ist. Ein Filter der Umkehrosmoseeinheit, der den Ansprüchen der Anlage zu Druck und Durchflußleistung entspricht, müßte danach umso schneller für radioaktive Stoffe durchlässig werden.


Kurz, es geht viel mehr durch, als man denkt.

Da scheint es logisch, daß allein vier Aufbereitungseinheiten der "Sieben Samurai" all die Isotope auffangen sollen, die dem Super- Dekontaminator ALPS sprichwörtlich durch die Lappen gehen. Das leuchtet schon deshalb ein, weil ALPS zwar offiziell 62 Ionen abtrennen soll, was qualitativ mehr ist, als jede Anlage zuvor geschafft hat. Doch bei mindestens 1000 bekannten, aus den Brennstäben freigesetzten Nukliden, die in Fukushima vorkommen können, bleibt da noch eine Menge übrig, die auch ALPS nicht schafft.

Nimmt man aber die in Frage kommenden Systeme unter die Lupe, so handelt es sich bei den "entkommenen" Nukliden, die man nachträglich fangen will, nur um Strontium-90, das in den vier weiteren Filtersystemen, in Kurion, SARRY, einem speziellen mobilen Strontium- Filter sowie einer (weiteren?) Umkehrosmoseanlage von 1/10 auf 1/1000 ausgedünnt werden soll. Werte, die im Spektrum der Wissenschaft veröffentlicht wurden, besagen, daß Tests der Anlage im März die Strontiumwerte auf 80 Millionen Becquerel pro Liter herunterbringen konnten, was nur einer Verbesserung des Ausgangszustands um einen Prozent also 1/100 entspricht. Das stolze Endergebnis der sieben bzw. vier Samurai käme also noch auf eine 10er Potenz weniger, sprich acht Millionen Becquerel pro Liter. Mehr ist samurai- und ALPS-mäßig einfach nicht drin, neben den 1000 definitiv ungeklärten Nukliden ...

Besonders wenig rühmlich scheint die Situation, wenn man bedenkt, daß gerade das besonders gefährliche, leukämieerzeugende Strontium-90 (Halbwertszeit 29 Jahre) schon zu dem 62-Nuklide-Abscheidungsprogramm gehört, das bereits das alte, ursprüngliche ALPS theoretisch herausfiltern sollte, aber trotz der verbesserten wie der Highperformance-Einheit auch jetzt noch nicht in ausreichender Menge schafft. Das gilt offenbar auch für die anderen 60 Radionuklide. Spreadnews schrieb dazu, das Multinuklid-Filtersystem ALPS, das in der Praxis zwar "insbesondere in der Filterung von radioaktivem Cäsium erfolgreich" sei, ließe doch in der Leistung bei anderen radioaktiven Substanzen noch sehr zu wünschen übrig. Ihren Informationen nach liegen die Strontiumwerte im Filtrat der neuen Anlage bislang zwischen 40 und 500 Millionen Becquerel pro Liter [18], womit die Schätzung von 8 Millionen Becquerel nach Abschluß aller Reinigungsphasen unter idealsten Bedingungen noch am unteren Limit der ganzen Wahrheit bleibt. Die jüngsten Angaben, es würden nur noch so wenig Radionuklide durch die Filterkolonnen der existierenden, verbesserten und Highperformance ALPS-Anlage bis in das "Filtrat" gelangen, daß die Nuklidbelastung die Nachweisgrenze nicht erreicht, wie sie Tepco in Grafiken um die Welt schickte, scheinen allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Ideal zu sein, das praktisch nicht erreicht werden kann.


Und das wäre noch nicht alles ...

Die schlechten Prognosen bezüglich der Strontium-90 Abtrennung verwundern wenig, wenn man bedenkt, daß die beiden alten Adsorbtionssysteme Kurion und SARRY wohl kaum technisch so aufgerüstet werden konnten, daß sie auch diesen Strontiumrest noch "neutralisieren".

In einer einführenden Erklärung seiner Dekontaminationseinrichtungen (2011) erklärte Tepco den Vorzug von Zeolithgerüsten als Ionenaustauscher damit, daß Zeolithe als anorganische Mineralien im Unterschied zu organischen Kunststoffen relativ inert gegenüber radioaktiven Strahlen sind. Zeolithe lassen sich vielseitig einsetzen als reines Filtriermaterial für Öl und Verunreinigungen in den Vorfiltern (Schwimmsteine u. dgl.) und eben nach Behandlung mit bestimmten Salzlösungen als Ionenaustauscher. Ihre Leistungskapazität ist dagegen sehr viel begrenzter gegenüber Ionenaustauscherharzen, die gewöhnlich bei der Demineralisierung von Wasser im entmineralisierten Ergebnis einer Destillation entsprechen. Die Bindung in Zeolith- Ionenaustauschern ist zudem reversibel, d.h. Zeolithe geben die ausgetauschten Ionen bei entsprechenden Konzentrationsverhältnissen auch gerne wieder ab.

Dabei gilt für die Abgabe oder Bindung am Zeolithgerüst, daß schwerere und höherwertige Ionen, die einen größeren Atomdurchmesser haben, leichter ausgetauscht werden als kleine und leichte Ionen. So werden einwertige Natriumionen (Na+) von zweiwertigen Calciumionen (Ca2+) verdrängt, aber auch Ca2+ durch Al3+ (Aluminiumionen). Warum also das zweiwertige, wesentlich größere Strontium (Sr2+) schwerer abzuscheiden ist, als das einwertige Cäsium (Cs+), in einer Konkurrenz, in der sämtliche Vorteile auf seiner Seite sind, stellt ein ungeklärtes Paradoxon dar, wenn die Voraussetzungen tatsächlich so sind, wie sie dargestellt werden.

Ein weiterer Grund wäre vielleicht in den sogenannten Vorfiltern zu suchen. Fast jede ALPS-, Kurion- oder SARRY-Anlage müßte, wenn die Darstellungen stimmen, über eine eigene zweistufige Vorfilteranlage verfügen, die zum einen aus Aktivkohle und Schwimmsteinen zur Abtrennung von Öl und unspezifischen Schwebteilchen besteht, zum anderen aber auch aus einer Einrichtung, in der statt Adsorbentien über das Einbringen von Chemikalien gelöstes radioaktives Material ausfällt oder zur Koagulation gebracht wird. Das ganze findet in einem oder mehreren Gefäßen statt, in dem sich der Niederschlag absetzen kann. Anschließend soll ein Filter alle restlichen Feststoffe zurückhalten. Wenn hier entsprechende Chemikalien verwendet werden, können auch radioaktive Stoffe wie Cäsium zum Ausfällen gebracht werden, wobei man die Vorbelastung für die anschließende Ionenaustauscher-Filtration verringert.

Allerdings erinnern diese Fällungseinheiten stark an das anfänglich verwendete, französische Filtrierverfahren von Areva, das abgesehen von einem Haufen an kontaminiertem Schlamm, der in Form von getrockeneten Pellets den radioaktiven Müllhaufen vergrößerte, so fehleranfällig und wenig produktiv war, daß man es noch im gleichen Jahr wieder verschrottete. Nebenbei traten korrosive Chemikalien aus den Einspritzanlagen aus. Wenn aber Areva-ähnliche Fällungseinrichtungen die radioaktive Last senken sollen, so stellt dieses zeitaufwendige Verfahren ganz sicher den Flaschenhals her, der die behauptete Leistungskapazität der ALPS-Anlage und aller Samurai unbedingt in Frage stellt.


Und was ist mit T?

Ein noch völlig ungeklärtes Problem ergibt sich aus einem weiteren radioaktiven Nebenprodukt der Kernspaltung, Tritium (oder auch superschwerer Wasserstoff 3H), das trotz einer Halbwertszeit von 12,32 Jahren in seiner Gefährlichkeit unterschätzt wird. Dieses Teilchen, dessen Atomkern aus einem Proton (wie Wasserstoff 1H) und zwei zusätzlichen Neutronen besteht, kann keines der sieben Systeme aus dem flüssigen Medium abtrennen. Tritium verhält sich wie Wasserstoff und bildet gemeinsam mit Sauerstoff schweres Wasser, das alle Filter wie das Lösungsmittel und die Kühlflüssigkeit Wasser frei durchfließt. Da es umhüllt ist von "normalen" Wassermolekülen, sich also nahtlos und unsichtbar im Wassermedium versteckt, ist es besonders problematisch, vor allem, wenn es in die Umwelt gelangt.

Es dringt in Körpergewebe und die oberen Hautschichten ein und kann anstelle von Wasserstoff organisch gebunden werden, wobei es unter Betastrahlung zerfällt. Seine Schädlichkeit ist deutlich größer, als man lange Zeit angenommen hatte [19], auch wenn die Betastrahlung des Tritium im Vergleich zu anderen als weich gilt und nach wenigen Mikrometern im Wasser gestoppt wird. Für den Menschen ist Tritium vor allem dann gefährlich, wenn es mit der Nahrung oder Luft aufgenommen wird. Die radioaktive Belastung von Tritium ist im ungeklärten Wasser zwar vergleichsweise gering. 660.000 Becquerel pro Kubikmeter gibt Tepco an. Allerdings erhöht sich der Wert auf 670.000 Becquerel pro Kubikmeter nach Durchgang der Dekontaminationsanlage. [20]


Endlager Pazifik

Der ungeklärte Rest landet jedoch in quantitativem Umfang im Meer, sollten die Empfehlungen des IAEO (siehe oben) in diesem Sinne gedeutet werden.

Über die tatsächlich vorgenommenen Verbesserungen am ALP-System halten sich die Betreiber bedeckt, so daß keine umfassende Einschätzung seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit möglich ist. Ebenso läßt sich zur Menge an radioaktivem Abfall keine Aussage treffen, der mit den Filtern anfällt, die regelmäßig gewechselt und gewartet werden müssen. Zwar gibt Tepco bekannt, daß die Highperfomance-Anlage nur 1/20tel an kontaminiertem Atommüll produziert, als zuvor durch das existierende oder das verbesserte ALPS anfällt. Die Angaben zum täglich anfallenden, strahlenden Müll dieser beiden Anlagen bestehen jedoch nur aus zwei Buchstaben: N/A (will heißen: not available - nicht verfügbar).

Einen Einblick über das Ausmaß des hochverstrahlten Sondermülls bekommt man aber, wenn man sich die Müllaufbereitung nur einer der vier Strontiumabscheider ansieht, die sich zum multinukliden ALPS- Atommüll noch dazu gesellen, wenn sich am Aufbau des ursprünglichen Kurion- und SARRY-Konzepts nichts geändert hat. Hier werden die gesamten Adsorptionseinheiten, d.h. die Gefäße (Vessels), die ebenfalls zum größten Teil aus porösem, durchlässigen Zeolith bestehen, ausgetauscht und als hochradiaktiver Müll gelagert, der in Folge komplett überwacht werden muß. Zuvor müssen die Apparaturen jedoch von Innen heraus getrocknet werden, da sich das vorhandene Wasser aufgrund der Radioaktivität in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) spaltet, eine explosive Mischung mit einiger Sprengkraft, gemeinhin als Knallgas bezeichnet.

Schaut man sich die Containments an, in denen der hochverstrahlte Müll auf offenem Gelände gelagert wird, die zunächst einen Blechcontainer mit 170 mm Wanddicke, umgeben von Zementblöcken (den sogenannten Culverts) mit noch einmal 200 mm Wand einnehmen, dann fragt man sich, ob man von den Wassercontainern zu den hochkonzentrierten Abfallcontainern nicht gar vom Regen in die Traufe gerät. Denn Haltbarkeit und Dichte dieser Nuklidverpackung wird sich erst im Dauertest Fukushima erweisen ...

Alle spontanen und unvorhersehbaren "Abgänge" dieses atomaren Dauerstreßtests für Materialien treffen auf dem einen oder anderen Weg in dem eingangs erwähnten und keinesfalls gelösten Grundwasserproblem wieder aufeinander, das selbst bei allen Ansätzen, es in den Griff zu bekommen, immer wieder für neue "Überraschungen" und Rückschläge sorgt. So wurde erst am 18. November 2014 ein weiterer Rückschlag bei dem Versuch gemeldet, zwischen den Untergeschossen der Turbinengebäude und den grundwasserhaltigen Tunnelsystemen eine Zementblockade zu errichten. [21]

Wie aus den Presseveröffentlichungen hervorgeht, sind die "Sieben Samurai" nicht für dieses Problem zuständig. Grundwasser wird bestenfalls mittels mobiler Einheiten aufbereitet, die den gleichen, hier kritisierten Prinzipien folgen, aber in einer sehr viel kleineren Ausführung mit vergleichsweise geringer Kapazität. Angesichts dieses Ausblicks scheint die Wiederinbetriebnahme von Kernkraftwerken auf unsicherem Terrain, wie eingangs erwähnt, bereits ein Ausdruck tiefster Resignation zu sein, oder anders gesagt: Fortsetzung folgt ...

Die Mobile Einheit für die Grundwasserdekontamination findet auf einem Sattelschlepper Platz. - Foto: © by Tepco

Kleinerer Maßstab schützt nicht vor ALPS-Traum?
Mobiles "Advanced Multinuclide Removal Equipment" im Testlauf
Foto: © by Tepco


Anmerkungen:

[1] http://news.xinhuanet.com/english/photo/2014-09/23/c_133666144.htm

[2] http://www.ingenieur.de/Fachbereiche/Kernenergie/Nach-Fukushima-Zwei-Atomreaktoren-gehen-ans-Netz

[3] GEFAHR/004: Brandsatz Fukushima - Tuch des Schweigens glost und glimmt ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/brenn/ubge0004.html

[4] Seit dem 21. Mai 2014 wird Grundwasser abgepumpt und in den Pazifik verklappt.
http://www.tepco.co.jp/en/press/corp-com/release/2014/1236559_5892.html

Das System der Grundwasser-Umleitung, in dessen Verlauf das aus den Bergen stammende Grundwasser hochgepumpt und in Sonderbehälter umgeleitet wird, um es dann in den Pazifik zu verfrachten, soll die Menge radioaktiver Abwässer verringern. Doch wie Tepco eingestehen mußte, hat diese Bypass- oder, besser gesagt, Verklappungsmaßnahme bislang keine Erfolge gebracht. Anders als geplant sind die Wasserstände an den Grundwassermeßposten nicht merklich gesunken und nach Regenfällen steigt der Wasserspiegel weiter an. Mit jeder Verklappung sollen auf diese Weise etwa 1.638 Tonnen relativ sauberes Grundwassers in den Pazifischen Ozean eingeleitet werden. Das freigegebene Grundwasser müßte demnach pro Liter weniger als ein Becquerel Cäsium-134 und Cäsium-137 sowie weniger als fünf Becquerel eines Betastrahlers wie Strontium-90 und höchsten 1500 Becquerel Tritium enthalten. Selbst die japanischen Grenzwerte für radioaktives Jod-131, Cäsium-134 und Cäsium-137 liegen derzeit bei 40, 60 bzw. 90 Bequerel pro Liter Wasser. Wie das erreicht werden soll, ist fraglich, da schon das hochgepumpte Wasser normalerweise 500 Becquerel aufweist.
http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-effektivitaet-der-grundwasserumleitung-zweifelhaft/1140362/

Seit dem Start des Eiswandprojekts am 22. August 2013 konnte der betreffende Bereich nicht unter Null Grad Celsius heruntergekühlt werden.
http://fukushima-diary.com/2013/10/column-alps-and-frozen-water-wall-can-be-the-performance-before-discharging-contaminated-water-to-the-pacific/

[5] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-sitzblockaden-gegen-lagerung-von-dekontaminationsabfaellen-dauern-an/1142958/

[6] http://ajw.asahi.com/article/0311disaster/fukushima/AJ201406050041

[7] Übersetzung: "Verdünnung ist die Lösung für (Umwelt)-Vergiftung" Eine Verdünnung des Umweltgifts z.B. im Meer ist für radioaktive Substanzen keine Lösung. Sie wäre bestenfalls mit einem russischen Roulette vergleichbar, bei dem die Revolvertrommel mehr Kammern als Munition enthält. Doch nur ein einziges Nuklid, das sich zur falschen Zeit am falschen Ort spaltet und seine Strahlung abgibt, reicht, einem Lebewesen Krankheit und Tod zu bringen.

[8] "Regarding the growing amounts of contaminated water at the site, TEPCO should bolster its efforts to treat this water and then examine all options for its further management, including the possibility of resuming controlled discharges in compliance with authorized limits. To pursue this option, TEPCO should prepare appropriate safety and environmental impact assessments and submit them for regulatory review."
http://www.iaea.org/newscenter/pressreleases/iaea-team-completes-review-japans-plans-decommission-fukushima-daiichi

[9] "Controlled discharge is a regular practice in all the nuclear facilities in the world. And what we are trying to say here is to consider this as one of the options to contribute to a good balance of risks and to stabilize the facility for the long term ..."
http://www.globalpost.com/dispatch/news/xinhua-news-agency/131204/tepco-may-consider-discharging-contaminated-water-sea-iaea

[10] http://fukushima-diary.com/2014/08/tepco-plans-discharge-contaminated-groundwater-around-reactors-bypass-frozen-water-wall-fail/

[11] Antje Findeklee, Daniel Lingenhöhl und Lars Fischer, "Wie sieht es heute in Fukushima aus?", Spektrum der Wissenschaft - Die Woche 11/14, 13.03.2014, www.spektrum.de

[12] http://www.reuters.com/article/2013/09/03/us-japan-fukushima-alps-factbox-idUSBRE9820A320130903

[13] Eine gute Zusammenfassung der Probleme bis Mai 2014 finden Sie hier:
http://ajw.asahi.com/article/0311disaster/fukushima/AJ201406050041

[14] Auf dieser Seite läßt sich ein Video ansehen, in dem Tepco zu erklären versucht, wie die drei Systeme, Kurion, SARRY und Areva, radioactives Cäsium filtrieren.
http://photo.tepco.co.jp/en/date/2011/201110-e/111029-01e.html

[15] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-stopp-des-sarry-filtersystems-nach-zwischenfall/1142239/

[16] http://www.tepco.co.jp/en/press/corp-com/release/2014/1243241_5892.html?source=RSS

[17] http://www.tepco.co.jp/en/decommision/planaction/images/141021_01.pdf

[18] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-tepco-will-zwei-filtersysteme-aufruesten/1139777/

[19] Über Gefahren, die von Tritium ausgehen, klärt die folgende Datei auf:
http://www.bbu-online.de/Kampagnen/Tritium-Projekt.pdf

[20] http://fukushima-diary.com/2014/10/tepcos-data-shows-filtration-system-remove-tritium-potentially-discharged-water/

[21] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-blockierung-radioaktiver-abwaesser-erfolglos/1143558/

20. November 2014