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AGENDA LOKAL/064: Berlin. Erfolg bei CO2-Reduktion zum Teil nur auf Papier (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 147 - Dezember 08/Januar 09
Die Berliner Umweltzeitung

Schwierige Klimabilanz
Die Erfolge bei der CO2-Reduktion in Berlin stehen zum Teil nur auf dem Papier

Von Hartwig Berger, Berlin 21


Die Bilanz unserer Stadt in der Erzeugung von Treibhausgasen ist ohne Zweifel ein wichtiges Kriterium für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Dazu wird in allen Bundesländern als ein Merkmal die Emission von Kohlendioxid regelmäßig errechnet. In der Lokalen Agenda 21 der Stadt ist als Mindestziel festgelegt, dass sich der Ausstoß dieses Gases, der von Berlin aus verursacht wird, bis 2010 um mindestens 25 Prozent und bis 2020 um mindestens 40 Prozent verringern muss. Mindestens: Denn die alarmierenden Berichte der Klimaforschung geben jeden Anlass, den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger erheblich zu beschleunigen.

Wo steht Berlin in der wichtigen Aufgabe der CO2-Reduktion? Der Verein Berlin 21 bemüht sich seit fast einem Jahr vergeblich, vom Senat zuverlässige Daten zu erhalten. Zwar erklärte die Umweltsenatorin noch im Juli 2008, dass die CO2-Erzeugung in Berlin von 1990 bis 2004 um 19,9 Prozent gesunken sei, eine genauere Sichtung der vorliegenden Statistiken lässt daran jedoch Zweifel aufkommen. Die CO2-Bilanzen und die Zahlen zum Energieverbrauch ziehen in der Jahresfolge regelrechte Achterbahnen, ohne dass Sinn und Logik der Zu- und Abnahmen nachvollziehbar sind. Besonders rätselhaft ist der Wechsel vom Jahr 2002 zum Jahr 2003: Ohne erkennbaren Grund sinken die CO2-Emissionen um deutliche 5,5 Prozent, während zur gleichen Zeit der Energieverbrauch in Berlin um 4 Prozent ansteigt.

Nachfragen beim Amt für Statistik ergaben, dass der Grund für solche rätselhaften Auf- und Abschwünge unterschiedliche Berechnungsmethoden sein mögen, die seit 1990 - und so auch von 2002 nach 2003 - mehrfach verändert worden sind. Zum Beispiel mussten früher alle Bundesländer die CO2-Bilanz der Fernwärme unabhängig davon berechnen, ob sie mit gleichzeitiger Stromerzeugung gewonnen wurde oder nicht. Seit 2003 nun geht in die Berechnung ein, dass vielerorts Heizkraftwerke sowie zunehmend kleine Blockheizkraftwerke mit der Heizwärme zugleich Strom erzeugen. Gerade Berlin hat mit seinem ausgedehnten Fernwärmenetz einen besonders hohen Anteil an dieser doppelten Energienutzung.

Berlin steht also seitdem in der statistischen Bilanzierung klimawirksamer Gase etwas günstiger dar, als es die Bilanzen bis 2002 erkennen ließen. Doch ändert die überfällige Korrektur natürlich nicht das Maß der relativen Verringerung des CO2-Ausstoßes. Denn natürlich war der Anteil der gekoppelten Strom-Wärme Erzeugung 1990 ähnlich hoch wie 2003 und dürfte sich in dieser Zeit wenig verändert haben. Um die relative CO2-Verringerung aber geht es, wenn wir Erfolg oder Scheitern von Klimaschutzpolitik in Berlin bewerten wollen.

Hier hat unsere Korrespondenz mit der Berliner Umweltsenatorin bedauerlicherweise bisher zu nichts geführt. Wir haben Frau Lompscher mehrfach vorgeschlagen, eine - zugegeben nicht ganz leichte - Rückberechnung der CO2-Emissionen nach der heute angewendeten Methode für 1990 in Auftrag zu geben, um so die relative CO2-Verringerung für Berlin erstmals einigermaßen zuverlässig feststellen zu können. Dieser Vorschlag wurde leider nicht aufgegriffen. Die Konsequenz allerdings ist fatal: Angesichts des mehrfachen Wechsels der Berechnungsmethoden können wir überhaupt nicht wissen, wo Berlin in seiner CO2-Bilanz steht. Dass es - wie der Senat erklärt - 19,9 Prozent sind, wäre ein geradezu märchenhafter Zufall. Berlin kann genauso gut deutlich schlechter - oder vielleicht besser dastehen.

Wir befürchten allerdings, dass Berlin schlechter dasteht; denn wir haben uns versuchsweise selbst an eine Teilarbeit der Rückberechnung gemacht. Wir unterstellen dabei, dass von 2002 bis 2003 die CO2-Emissionen Berlins sich etwa entsprechend dem Energieverbrauch in der Stadt entwickelt haben. Wie bereits gesagt, ist dieser damals um 4 Prozent gestiegen. Wenn wir den nur geringen Zuwachs erneuerbarer Energien 2002-2003 nicht in Betracht ziehen, entspricht dem Energiezuwachs ein analoger Anstieg von CO2-Emissionen. Um einen Vergleich zum Jahr 1990 mit derselben Berechnungsmethode anzustellen, müssen wir folglich zur CO2-Bilanz von 2004 rund 10 Prozent dazu rechnen. Wir kommen dann auf eine CO2-Reduktion von 1990 bis 2004, die gerade einmal 11,8 beträgt!

Mittlerweile liegen auch die CO2-Daten für 2005 vor. Sie ergeben eine auf den ersten Blick erfreuliche Reduktion von 6,8 Prozent gegenüber dem Jahr 2004. Zugleich hat laut Statistik der Energieverbrauch in Berlin um 4,2 Prozent abgenommen. Auch diese Inkongruenz ist rätselhaft und bedarf dringend der Aufklärung. Mit dem Vorbehalt des ausstehenden Klärungsbedarfs können wir somit für den Zeitraum 1990-2005 eine maximale CO2-Reduktion von 17,8 Prozent errechnen. Auf jeden Fall ist die Stadt um Längen vom Mindestziel, minus 25 Prozent bis 2010 und minus 40 Prozent bis 2020, entfernt! Berlins Klimapolitik darf sich nicht auf unverdienten Lorbeeren ausruhen. Vielmehr muss ein entschiedenes Engagement für eine klimaverträgliche Stadt- und Lebensgestaltung erst noch richtig beginnen.


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Quelle:
DER RABE RALF - 19. Jahrgang, Nr. 147, Dezember 08/Januar 09, S. 17
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009