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BODEN/109: Humus, der Motor des Bodens - Wissenschaftler haben ihn fest im Blick (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter September 2010

Den Boden fest im Blick


Ackerflächen und Autobahnen, Wälder und Städte, Obstplantagen und Friedhöfe haben bei aller Gegensätzlichkeit etwas gemeinsam: Sie haben alle den gleichen Untergrund, den Boden. Während es jedoch für Wasser und Luft EU-Richtlinien zu Schutz und Qualität dieser Elemente gibt, wurde dem Boden lange Zeit viel zu wenig Beachtung geschenkt. In Halle an der Saale haben Wissenschaftler des UFZ die oft übersehene Lebensgrundlage fest im Blick.


Humus - Der Motor des Bodens

Von Jörg Aberger

"Hier trifft sich alles: Biosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre." Es ist ein höchst komplexes Gebilde, das Prof. Hans-Jörg Vogel beschreibt, nämlich die obersten Dezimeter unserer Erdkruste, die Haut unseres Planeten, oder schlicht: den Boden. Hier werden Nährstoffe recycelt, wird Wasser gefiltert und Kohlenstoff gespeichert. Bewerkstelligt wird das Ganze von einer riesigen Vielfalt an Organismen, die sich den Boden als Lebensraum teilen, vom Bakterium bis zum Regenwurm. Diese Betriebsamkeit findet von den meisten unbemerkt, ganz im Stillen unter unseren Füssen statt. Sie ist jedoch Grundlage für alles Pflanzenwachstum und letztlich auch für die Ernährung von allem, das oberirdisch überleben will. "Der Boden mit all seinen Funktionen wird von den Menschen als selbstverständlich angesehen", bemerkt denn auch Dr. Uwe Franko. Die beiden Wissenschaftler vom Department Bodenphysik des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) wissen, wovon sie sprechen, konzentriert sich ihre Forschung doch auf eben diese Bodenfunktionen und darauf, wie sie sich durch natürliche und vom Menschen gemachte Einflüsse verändern. Beispielsweise durch den Klima- oder Landnutzungswandel.

Bei diesen Themen denken viele an Wetter oder die Zukunft der Energieversorgung. Beides hat aber auch einen gewaltigen Einfluss auf die Funktionen unserer Böden. Temperatur und Feuchte sind steuernde Größen für alle Umsatzprozesse in der Ackerkrume. Wird die Landbewirtschaftung verändert - sei es über die Art der angebauten Pflanzen oder die Bodenbearbeitung - verändern sich die Bedingungen im Boden. Aber wie sollen diese Einflüsse und Wechselwirkungen in dem komplizierten unterirdischen Durcheinander beurteilt werden? Als kritische Größe für die Qualität, die Stabilität und die Produktivität der Böden wird der Gehalt an organischer Substanz betrachtet, also das, was landläufig auch als Humus bezeichnet wird. "Er beeinflusst die Biologie, die Chemie und die Physik des Bodens, ist damit Motor des lebenden Systems Boden", beschreibt Franko. Bei den UFZ-Wissenschaftlern stehen insbesondere die Kreisläufe von Kohlenstoff (C) und Stickstoff (N) im Fokus der Untersuchungen.


Auf die gesunde Balance kommt es an

Ein aktuelles Beispiel ist die Produktion von Bioenergie auf dem Acker. Um den Verbrauch fossiler Energieträger zu reduzieren, werden Pflanzen angebaut, die als Energierohstoff genutzt werden. Das hat Auswirkungen auf die genutzten Böden und die Stoffkreisläufe. "Kohlenstoff, den ich für die Bioenergie einsetze, geht der Humusreproduktion verloren", gibt Franko zu bedenken. Denn während beim Getreideanbau nach der Ernte kohlenstoffhaltiges Stroh entweder direkt wieder untergepflügt oder zunächst in den Ställen als Einstreu genutzt wird und dann als Mist wieder im Boden landet, wird bei der Gewinnung von Bioenergie soviel organische Substanz wie möglich dem Reproduktionskreislauf entzogen. "Je mehr Biomasse man vom Acker fährt, desto mehr Humus geht verloren." Vor allem bei sehr leichten, sandigen Böden können die so verursachten Humusverluste die Produktivität der Böden empfindlich beeinträchtigen.

Neben dem übermäßigen Entzug von organischer Substanz ist aber auch das Gegenteil - nämlich zu viel - kritisch für eine gesunde Balance. Das gilt weniger für den Kohlenstoff als für den Stickstoff, der leicht an angrenzende Ökosysteme abgegeben wird und dort nicht gern gesehen ist. So ist die Nitratkonzentration im Trinkwasser an vielen Brunnen über dem zulässigen Grenzwert. Die Betrachtung des Bodens als Gesamtsystem mit geschlossenen Stoffkreisläufen ist ein wesentliches Grundprinzip der Forscher. Mit einem am UFZ entwickelten Verfahren kann zum Beispiel gemessen werden, wie hoch der Eintrag von Stickstoff aus der Atmosphäre ist - eine bis dato in ihrem Ausmaß unbekannte Größe. "Damit konnten wir nachweisen, dass die Menge im Jahr bei 50 bis 60 Kilogramm Stickstoff pro Hektar liegt, was etwa einer Düngungsgabe entspricht", berichtet Vogel. Dieser Gratiszuschlag an Stickstoff wird für gewöhnlich bei der Schätzung des Düngungsbedarfs nicht berücksichtigt.


Eiweiß oder Holzkohle? Gegessen wird, was auf den Tisch kommt

Ein wesentliches Ziel der UFZ-Forscher ist es, die C- und N-Flüsse innerhalb des Systems Boden und damit den Humushaushalt für verschiedene Umweltbedingungen vorhersagen zu können. Eine Voraussetzung dafür ist, auch die verschiedenen Umwandlungsprozesse der organischen Substanz in Böden richtig zu verstehen.

Hier versuchen Franko und Vogel und ihr Team neue Wege zu beschreiten. Es gibt heute eine Vielzahl von Modellen, um die Kohlenstoffdynamik in Böden zu beschreiben. Sie beruhen fast ausschließlich auf einer Aufteilung der organischen Substanz auf verschiedene 'Pools'. Dabei wird davon ausgegangen, dass unterschiedliche Substanzen aufgrund ihrer unterschiedlichen chemischen Zusammensetzung auch unterschiedlich leicht oder schwer umsetzbar sind. Ein Bakterium kann eine kurze Eiweißverbindung leichter verwerten als ein Stück Holzkohle. Was aber, wenn dieses leckere Stück Eiweiß so im Boden eingebettet ist, dass das Bakterium gar nicht ran kommt, das Eiweiß also nicht bioverfügbar ist? Und was, wenn die Holzkohle über das Porensystem im Boden leicht erreichbar ist? Wird im Boden letztlich nicht auch gegessen, was auf den Tisch kommt? Genau um diesen Aspekt wollen die Bodenphysiker die bisherigen Modellvorstellungen erweitern: Dass nämlich die Struktur der Böden den biologischen Stoffumsatz ganz wesentlich beeinflusst. Beispiele für die tatsächlich große Bedeutung solcher 'Struktureffekte' gibt es einige:

So ist schon lange bekannt, dass eine intensive Bodenbearbeitung den Humusgehalt senkt - durch die mechanische Umstrukturierung des Bodens wird ein Teil der vorher physikalisch geschützten organischen Substanz für die Mikroorganismen verfügbar gemacht. Ein anderer Effekt wird durch die Verdichtung der Böden hervorgerufen: Die Sauerstoffdiffusion wird behindert, so dass die Mikroorganismen ihren Energiebedarf aus dem Nitrat decken, dabei das klimarelevante Lachgas (N2O) produzieren und den Stickstofffluss in eine vollkommen unerwünschte Richtung lenken.


Simulationsmodelle für Theorie und Praxis

Durch ihre Arbeit ist es den Bodenforschern bislang schon gelungen, eine Reihe von Modellen zu entwickeln, die unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen gerecht werden. So hat Franko das Simulationsmodell CANDY (Carbon And Nitrogen DYnamics) entwickelt, mit dem für landwirtschaftlich genutzte Böden je nach Standortbedingungen und Bewirtschaftung die Kohlenstoffeinlagerung, der Umsatz organischer Substanz und die Aufnahme von Stickstoff durch Pflanzen simuliert werden kann. CANDY basiert auf einer Reihe unterschiedlichster Module, die Angaben zu Wettereinflüssen, Maßnahmen der Bodenbearbeitung und direkte Messdaten berücksichtigen, und erlaubt damit auch Prognosen für Szenarien regionaler Klima- und Landnutzungsentwicklungen.

Auf CANDY aufbauend integriert das CIPS-Modell (Carbon turnover in Pore Space) die neuesten Erkenntnisse, welche Auswirkungen die Struktur untersuchter Böden auf den Humushaushalt hat. Dabei geht das CIPS-Modell davon aus, dass die biologische Aktivität beim Humusumsatz von der Bodenstruktur - also der Größenverteilung der im Boden zu findenden Poren - und der davon abhängigen Verfügbarkeit von Wasser und Sauerstoff bestimmt wird. CIPS berücksichtigt dieselben Daten wie CANDY, ist aber auf detaillierte Angaben zur Bodenbeschaffenheit besonders angewiesen. Und schließlich gibt es das CCB-Modell (Candy Carbon Balance), das eine wesentlich vereinfachte Version von CANDY ist, dafür aber einen besonderen Vorteil hat: Es kann leicht in die praktische Anwendung überführt werden.

Beim CCB-Modell wird der Umsatz von abbaubarem Kohlenstoff auf der Grundlage von nur wenigen und leichter verfügbaren Eingangsdaten beschrieben. Dabei werden sowohl die Erträge der angebauten Feldfrüchte als auch der Eintrag frischen organischen Materials berücksichtigt. Oder einfacher: "Hier wird den Behörden, die zum Beispiel Landwirte in Fragen des Düngemitteleinsatzes beraten sollen, ein nützliches Werkzeug an die Hand gegeben."


Langzeitdaten nur über Dauerversuche

Doch ohne Daten gibt es keine Modelle, Simulationen oder Vorhersagen. Eine wichtige Quelle ihres Wissens ist für die Umweltforscher eine Versuchsanlage in Bad Lauchstädt, wo seit 1902 der zweitälteste Dauerversuch zur Bodenforschung in Deutschland läuft. Dort untersuchen die Wissenschaftler verschiedene Varianten organischer und anorganischer Düngung, darunter ein Feld, auf dem es seit Beginn der Versuchsreihe vor mehr als 100 Jahren gar keine Düngungsmaßnahmen gegeben hat. Ziel der Versuchsreihen ist es herauszufinden, wie sich die unterschiedlichen Düngungsvarianten auf die Humusentwicklung und weitere Bodeneigenschaften auswirken. "Solche Dauerfeldversuche sind außerordentlich wichtig, weil nur so Veränderungen über Jahrzehnte beobachtet werden können", unterstreicht Franko. In Bad Lauchstädt wird dokumentiert, wie sich Erträge und Bodeneigenschaften in einer Fruchtfolge von Kartoffeln, Winterweizen, Zuckerrüben und Sommergerste entwickeln. Zudem werden Pflanzenproben genommen und deren Zusammensetzung analysiert. Parallel zu den Langzeitexperimenten werden auf einem Intensivmessfeld auch zeitlich schnell veränderliche Größen zum Wasser- und Temperaturhaushalt untersucht. Die so gewonnenen Daten dienen dazu, die Modellansätze ständig zu verbessern. "Die Modelle sollen Vorhersagen treffen, wie sich Böden unter Einbeziehung von Faktoren wie Landnutzung und Klima verändern. Um unsere Modelle für diese Aufgabe fit zu machen, ist ein ständiger Vergleich von Modellergebnissen mit den entsprechenden experimentellen Beobachtungen im Dauerversuch essenziell", sagt Vogel.

Indirekt spricht er damit ein Thema an, das den Wissenschaftlern zumindest Unbehagen bereitet. "Dauerversuche befinden sich in einem ständigen Überlebenskampf", so Franko. Denn Langzeitversuche sind kostenintensiv und werden deshalb viel zu oft vorzeitig beendet. "Und dann geht eine wichtige Erkenntnismöglichkeit für immer verloren", warnt er. Doch ohne über lange Zeiträume gewonnene Daten ist es nicht möglich, verlässliche Modelle zu entwickeln und damit Entscheidern eine Beurteilungsmöglichkeit an die Hand zu geben, ohne die sie ins Ungewisse planen würden.

UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hans-Jörg Vogel
Dr. Uwe Franko
Dept. Bodenphysik
Telefon: 0345/558-5402; -5432
e-mail: hans-joerg.vogel@ufz.de;
uwe.franko@ufz.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Im Auftrag der Wissenschaft: Bestellung landwirtschaftlicher Versuchsflächen in Bad Lauchstädt

1997 wurde am Forschungsstandort Bad Lauchstädt ein Messfeld eingerichtet, auf dem seitdem jedes Jahr eine Reihe von wichtigen Boden- und Pflanzenmerkmalen unter verschiedenen Nutzungsvarianten erfasst werden. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, welchen Einfluss beispielsweise die konventionelle Markfruchtproduktion, ökologischer Landbau oder Grünland und Schwarzbrachen auf den Temperatur- und Wasserhaushalt, die Zusammensetzung und die Struktur des Bodens haben.

Werden Pflanzen als Energierohstoff verwendet, geht dem Boden wertvoller Kohlenstoff verloren. Denn während beim Getreideanbau nach der Ernte kohlenstoffhaltiges Stroh entweder direkt untergepflügt oder indirekt als Mist wieder im Boden landet, wird bei der Bioenergiegewinnung der Kohlenstoff dem Kreislauf im Boden entzogen: Aus den Biogasanlagen kommen nur kohlenstoffarme Reststoffe zurück auf den Acker.


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Quelle:
UFZ-Newsletter September 2010, S. 1-4
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2010