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FORSCHUNG/1578: MOSES - zur rechten Zeit am rechten Ort (Umwelt Perspektiven)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ

Umwelt Perspektiven
Der UFZ-Newsletter - Dezember 2019

MOSES - zur rechten Zeit am rechten Ort

von Benjamin Haerdle und Susanne Hufe



Der Klimawandel verändert unsere Umwelt und das hat Folgen. Permafrostböden tauen auf und setzen Treibhausgase frei, Wetterextreme wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen nehmen zu. Diese hoch dynamischen Ereignisse verändern unsere Erde und Umwelt langfristig und großräumig. Doch wo genau, in welchem Ausmaß und mit welchen Auswirkungen? Wissenslücken wie diese wollen Helmholtz-Forscher*innen mit dem Beobachtungssystem MOSES schließen. Es besteht aus flexiblen und mobilen Modulen, die darauf ausgelegt sind, die Wechselwirkungen von kurzfristigen Events und langfristigen Trends in Erd- und Umweltsystemen zu untersuchen. Derzeit ist es im Aufbau und wird für den Einsatz vorbereitet. Ab 2022 soll MOSES startklar sein.


Das Tief Axel bescherte Süddeutschland Mitte Mai 2019 Dauerregen und Unwetter. In Teilen Oberbayerns fielen an diesen Tagen so viele Niederschläge wie sonst in einem Monat. Im Landkreis Weilheim-Schongau trat der Fluss Ammer über die Ufer, Felder wurden geflutet. Mitten im betroffenen Gebiet, in Fendt nahe Peißenberg, kamen genau zu der Zeit Wissenschaftler*innen aus mehreren deutschen Forschungseinrichtungen zusammen. Sie wollten gemeinsam erproben, wie sie Stoff- und Energie-Austauschprozesse in Boden, Vegetation und Luft analysieren können, die durch Hitzewellen und Dürre ausgelöst werden. Dabei testeten sie insbesondere das Zusammenspiel mobiler Mess- und Sensorsysteme, mit denen sich entscheidende Indikatoren dieser Prozesse, etwa die Treibhausgasbilanz, die Bodenfeuchte, die Biomasse und die Luftqualität, ermitteln lassen. Doch statt Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen hieß es plötzlich Land unter an der Ammer. Innerhalb weniger Stunden wurde das Beobachtungskonzept an die neue Situation angepasst. Die Messsysteme, die eigentlich aufgebaut waren, um einen Einsatz bei Hitze und Trockenheit zu proben, erfassten stattdessen die Auswirkungen eines anderen Wetterextrems: Starkniederschläge. Diese Flexibilität ist ein wesentliches Markenzeichen für das Beobachtungssystem MOSES Modular Observation Solutions for Earth Systems.

MOSES bündelt Kompetenzen der Helmholtz-Zentren

Seit dem Jahr 2017 treiben neun Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft gemeinsam den Aufbau der Forschungsinfrastruktur MOSES voran, koordiniert vom UFZ in Leipzig. 30 Millionen Euro investiert Deutschlands größte außeruniversitäre Forschungsgemeinschaft bis zum Jahr 2022, um Antworten auf drängende Fragen zur langfristigen Entwicklung von Erd- und Umweltsystemen zu liefern: Welche Auswirkungen haben kurzfristige, dynamische Ereignisse wie Hitzewellen, Starkregen oder Dürren? Was passiert, wenn Wetterextreme durch den Klimawandel häufiger werden und Ökosystemen Zeit zur Erholung fehlt? Wie beeinflussen Ozeanwirbel den Energietransport und die Nahrungsketten der Meere? Wie sehr steigen die Treibhausgase der Atmosphäre an, wenn in der Arktis die Permafrostböden auftauen?

Im Mittelpunkt von MOSES stehen vier Ereignistypen, die aufgrund ihrer Relevanz für Klima- und Umweltveränderungen und ihrer sozioökonomischen Auswirkungen ausgewählt wurden: Hitze und Dürre, hydrologische Extreme, Ozeanwirbel und das abrupte Auftauen von Permafrost. Ziel ist, eine Infrastruktur aufzubauen, die die direkten Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Erd- und Umweltsysteme möglichst vollständig erfasst. Das hieße dann beispielsweise konkret, den Verlauf eines Starkregens als ein mögliches hydrologisches Extrem detailliert zu erfassen und zu untersuchen, unter welchen Bedingungen in der betroffenen Region Hochwasser entsteht. Das können die Forscher dann, so die Vision, mit all seinen Auswirkungen auf den Fluss und bis ins Meer hinein verfolgen also vom Ursprung in der Atmosphäre bis hin zu Reaktionen der Biosysteme.

Wenn wir einschätzen wollen, was extrem ist, müssen wir wissen, was normal ist, sagt Projektkoordinatorin Ute Weber.

Damit das gelingt, benötigen die MOSES-Forscher Sensor- und Messsysteme, die den speziellen Anforderungen gerecht werden. Diese jedoch gibt es nicht von der Stange zu kaufen. Deshalb werden die Wissenschaftler ihr eigenes Baukastensystem zusammenstellen, das aus vorhandenen Messsystemen der Helmholtz-Zentren und neu entwickelten Technologien und Einzelgeräten besteht. Sie für den mobilen, flexiblen und schnellen Einsatz weiterzuentwickeln und aufeinander abzustimmen, ist eine der zentralen Aufgaben der MOSES-Aufbauphase bis 2022. Dieses System of the Systems wird uns in die Lage versetzen, hoch dynamische Ereignisse zur rechten Zeit und am rechten Ort in bislang nicht gekannter räumlicher und zeitlicher Auflösung zu erfassen, fasst MOSES-Projektkoordinatorin Dr. Ute Weber den Anspruch zusammen. Das setzt jedoch nicht nur die gemeinsame Entwicklung und Systematisierung von Inhalten und Technologien voraus, sondern auch die Zusammenarbeit mit Beobachtungsplattformen und -netzwerken, die sich auf lange Zeiträume fokussieren und über viele Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich erhobene Datenreihen verfügen. Wenn wir einschätzen wollen, was extrem ist, müssen wir wissen, was normal ist, sagt sie. Wissenschaftlich formuliert bedeute das, dass man dafür das langfristige Systemverhalten kennen müsse. Zu den Langzeitobservatorien, die mit MOSES kooperieren, zählen etwa das Helmholtz-Observatorien-Netzwerk TERENO, das in vier sehr unterschiedlichen Regionen in Deutschland die langfristigen Auswirkungen des globalen Wandels auf terrestrische Umweltsysteme untersucht, das Küstenobservatorium COSYNA, die europäische Forschungsinfrastruktur zur Quantifizierung der Treibhausgasbilanz ICOS oder der weltweite LTER-Verbund, in dessen Fokus Langzeit-Ökosystemforschung steht.

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MOSES-Baukastensystem

Die Mess- und Sensortechnik wird nach einem Baukastensystem in insgesamt elf fachspezifischen Modulen bereitgestellt. Sie erfassen alle Kompartimente - vom Meer (blau) über die Landoberfläche (grün) bis in die Atmosphäre (grau) und sind flexibel für unterschiedliche Ereignisse und in unterschiedlichen Regionen einsetzbar. Ergänzt werden sie durch ein flugzeuggestütztes Tandem-L-System des DLR.

MOSES
Module
Beteiligte
Helmholtz-Zentren
Hitze/
Dürre
Hydrologische
Extreme
Ozean-
Wirbel
Perma-
frost
Meer
Unterwasser-Messknoten
Küste
Permafrost
Strömungs- und
Sedimentdynamik
Wasserqualität
Wasserressourcen
Vegetation
Land-Atmosphären-
Austausch
Atmosphärendynamik
Atmosphärenchemie
GEOMAR, HZG
AWI, GEOMAR, HZG
AWI, GEOMAR, HZG
AWI, GEOMAR, GFZ
AWI, GFZ, UFZ

UFZ, GFZ
GFZ, FZJ, UFZ
UFZ, KIT, FZJ, HMGU
KIT, FZJ, UFZ, GFZ

KIT, FZJ
KIT, FZJ



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Nicht minder wichtig sind eine bis ins Detail ausgeklügelte Logistik und Organisation: Informationsketten sind zu etablieren, verschiedenste Messgeräte aus den Forschungszentren sind an den Ort des Geschehens zu transportieren, aufzubauen und in Betrieb zu nehmen, Datenübertragungen zu organisieren, Behörden zu informieren, personelle Ressourcen bereitzustellen. Für all das bleibt im akuten Fall nicht viel Zeit: Die Vorwarnzeiten für die Einsätze bei Hitze und Dürren betragen wenige Wochen, bei Starkregen und Hochwasser sogar nur wenige Tage. Es kommt also darauf an, dass in der Planung ein Rädchen in das andere greift, betont Ute Weber die Herausforderungen. Das Zusammenspiel funktioniert nicht reibungslos von einem Tag auf den anderen und kann schon gleich gar nicht nur in der Theorie gelöst werden. Deshalb sind für die Aufbauphase etwa zehn Testkampagnen geplant. Diese werden im Laufe der Zeit zunehmend komplexer, bis sie die ablaufenden Prozesse in den vier Ereignistypen vollständig abdecken.

Starkregen im Erzgebirge und Alpenvorland

Ein Starkregen hat Folgen nicht nur für die Region, in der er niedergeht und eventuell Hochwasser auslöst, sondern auch für den gesamten Fluss, den Boden, das Grundwasser und den Küstenbereich, in dem der Fluss schließlich ins Meer mündet. Dies ist eine der vier Wirkungsketten, die das MOSES-Konsortium untersuchen will. Am Anfang der Kette stehen die Entwicklung von Starkregen und die Abflussbildung bis zum Hochwasser. Deswegen hatten die Helmholtz-Forscher im Müglitztal/Erzgebirge, wo im Jahr 2002 das Flüsschen Müglitz zu einem reißenden Strom anschwoll, im Frühjahr 2019 ihre mobilen Messgeräte aufgebaut. Sechs Starkregen haben die Forscher während ihres dreimonatigen Einsatzes registriert und verschiedene Messtechniken genutzt, um diese Ereignisse zu untersuchen.

Die Meteorologen um Prof. Christoph Kottmeier vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) interessierten sich beispielsweise vor allem dafür, wie Starkregen entsteht. Im Luftvolumen über dem Messort haben wir mit unserer Lidar- und Radartechnik die Niederschlagsverteilung in der Troposphäre aufgenommen, bis in zehn Kilometer Höhe und bis in 100 Kilometer Entfernung, erklärt er. Um den Einfluss von Gewittern zu untersuchen, kamen Ballonsonden zum Einsatz, die bis 35 Kilometer hoch aufsteigen können: Mit Wasserdampf-, Ozon- und Wolkeninstrumenten analysierten Wissenschaftler insbesondere den Spurengastransport durch das Gewitter in die Erdatmosphäre. Gravimeter registrierten kontinuierlich den Grundwasservorrat, Druck- und Durchflusssensoren zeichneten die Wasserstände und Durchflussmengen in der Müglitz und ihren Zuflüssen auf. Zudem maßen Cosmic-Ray-Sensoren die Bodenfeuchte. Die Bodenfeuchte ist eine zentrale Steuergröße für den Abfluss des Regenwassers: Ist der Boden sehr feucht oder sehr trocken, fließt es direkt über die Landoberfläche ab und es kommt schneller zu Überflutungen, erklärt Ute Weber.

Auch bei der anfänglich erwähnten durch Tief Axel initiierten Testkampagne im oberbayerischen Fendt, bei der es dann hauptsächlich um die Auswirkungen des Starkregens im Untersuchungsgebiet ging, spielte die Messung der Bodenfeuchte eine wichtige Rolle. Gleich drei verschiedene Verfahren wurden getestet, die die Entwicklung der Bodenfeuchte während und nach den Niederschlägen erfassen können: Zum einen installierten die MOSES-Wissenschaftler ein 100 mal 100 Meter großes Sensornetzwerk, das in der Lage ist, die für die Verdunstungsberechnung wichtige Globalstrahlung an der Erdoberfläche sowie Bodenfeuchte und -temperatur gleichzeitig an mehreren Stellen in drei unterschiedlichen Tiefen zu messen. Zum anderen setzten sie auch hier auf Cosmic Ray-Sensoren, um die Bodenfeuchte in einem Messradius von 150 Metern und bis in eine Tiefe von 50 Zentimetern zu erfassen stationär über 20 kleine Masten auf einem Quadratkilometer sowie mobil und großräumig mit Geländefahrzeugen über unzählige Kilometer.

Niedrigwasser in der Elbe

Ähnlich wie zu starke Niederschläge haben auch zu geringe Niederschläge und Hitzewellen überregionale Folgen. Diese lassen sich entlang einer Wirkungskette über Flüsse bis ins Meer verfolgen. Das war auch in diesem Sommer vielerorts sichtbar, zum Beispiel an der Elbe. Am Pegel Strombrücke bei Magdeburg wurde Ende Juli 2019 mit 46 Zentimetern der Niedrigwasser-Rekord aus dem Jahr 2018 erneut erreicht, das sind rund 40 Zentimeter weniger als das mittlere Niedrigwasser zwischen 2006 und 2015.

Doch wie wirkt sich ein solch extremes Niedrigwasser auf die Wasserqualität aus? Diese Frage stand im Mittelpunkt der MOSES-Testkampagne Niedrigwasser im August 2019. In neun Tagen fuhren Wissenschaftler und Techniker des UFZ mit ihrem Forschungsschiff ALBIS 580 Kilometer elbabwärts von der tschechischen Grenze bei Schmilka bis nach Geesthacht bei Hamburg. An 24 Standorten machten sie halt, um jeweils rechts, mittig und links in der Elbe Wasserproben zu entnehmen. Mehr als 800 Proben kamen in dieser Zeit zusammen. Sie werden derzeit einer aufwendigen Analyse in den UFZ-Laboren unterzogen vor allem im Hinblick auf Nähr- und Schadstoffe sowie Algen und andere Mikroorganismen. Diese detaillierten Messungen bei einem ausgeprägten Niedrigwasser sind bisher einmalig. Die Daten helfen uns, den Stoffhaushalt des Fließgewässers bei einer Extremsituationen zu verstehen und Prognosen für die Zukunft abzuleiten, erklärt UFZ-Gewässerökologe Prof. Markus Weitere.

Andere wichtige Wasserqualitätsparameter haben die Wissenschaftler entlang der gesamten Fahrstrecke mit Multiparametersonden gemessen etwa die Temperatur, den Sauerstoffgehalt, den pH-Wert, die Phytoplankton-Konzentration oder die Trübung des Wassers.

Die hohen Wassertemperaturen von über 25 Grad beispielsweise machten insbesondere Wanderfischarten wie dem Atlantischen Lachs zu schaffen. Andere Tierarten profitierten dagegen von der wärmeren, algenreicheren und trägeren Elbe: Die Asiatische Körbchenmuschel etwa vermehrte sich stark. Ob die invasive Muschelart in der Elbe langfristig eine dominante Stellung einnehme und damit einheimischen Muscheln den Lebensraum streitig mache, lasse sich derzeit noch nicht abschließend beantworten, sagt Markus Weitere. Das hinge auch davon ab, wie häufig solche Hitze- und Dürreperioden in Zukunft auftreten, wie lange diese dauern und wie sich die Temperaturen im Winter entwickeln.

Auch über die Phytoplankton-Konzentration im Elbeverlauf kann man schon jetzt Einiges sagen. Warum ist das wichtig? Die im Wasser schwebenden einzelligen Algen dienen vielen Tierarten als Nahrung und nehmen gleichzeitig Nährstoffe wie Phosphat und Nitrat auf. Moderates Algenwachstum kann also einen positiven Einfluss auf das Gewässer haben. Übermäßiges Algenwachstum führt hingegen zu einer Abwertung der Wasserqualität und zur Eutrophierung. Es kommt also auf die richtige Balance an, die durch extremes Niedrigwasser schnell gestört werden kann. Die bisherigen Messungen der MOSES-Kampagne zeigen nun: Die Phytoplankton-Konzentration stieg flussabwärts kontinuierlich an, zugleich sank die Konzentration des gelösten Phosphors auf null. Das heißt, dass der Phosphor komplett von den Algen aufgenommen wurde und folglich ihr wachstumslimitierender Faktor war, erläutert Weitere. Für das Management von Flusssystemen sei das eine wichtige Erkenntnis. Dies zeige, dass eine Verringerung von Nährstoffeinträgen auch in Niedrigwassersituationen dazu beitragen könne, Algenblüten zu reduzieren.

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Testkampagne Hydrologische Extreme 2020

Deutsche Bucht - Stoffeintrag aus der Elbe, insbesondere bei Hochwasser: Erfassen von Sedimentfracht, Wasserqualität, Zustande mariner Ökesysteme (Biologie)

Hamburger Hafen - Ein Teil der Stofffracht der Elbe lagert sich hier ab, insbesondere bei Hochwasser: Diese Einträge werden regelmäßig mit dem Hafenschlamm ausgebaggert und dabei auch chemisch und biologisch untersucht.

Wehr Geesthacht - Ab hier unterliegt die Elbe den Gezeiten: Erfassen von Sedimentfracht, Wasserqualität, Zustand aquatischer Ökosysteme (Biologie)

Entlang der Elbe - Freizeitkonforme Schiffsbefahrung bei Hochwasser und bei Niedrigwasser: Erfassen von Wasserqualität, Zustand aquatischer Ökosysteme (Biologie)

Dauermessstellen (D) der Flussgebietsgemeinschaft Elbe und der Bundesanstalt für Gewässerkunde: Erfassen von Wasserstand, Wasserqualität, Zustand aquatischer Ökosysteme (Biologie)

Mittlere Einzuggebiete: Beispiel Bode - Erfassen von Grundwasser, Bodenfeuchte, Abflussbildung, Hochwasser, Niedrigwasser, Sedimentfracht, Wasserqualität, Zustand aquatischer Ökosysteme (Biologie)

Kleine Einzugsgebiete: Beispiel Müglitztal - Erfassen von Atmosphärendynamik, Gewitter, Starkregen, Grundwasser, Bodenfeuchte, Abflussbildung, Hochwasser
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Nährstofftransport in die Nordsee

Egal ob die Elbe wenig oder viel Wasser mit sich führt, am Ende mündet sie in die Nordsee und gerät damit in den Fokus der MOSES-Küstenforscher. Sie untersuchen die Stofffracht, die die Elbe ins Meer schwemmt bei Niedrigwasser und bei Hochwasser. Dazu gehören Nährstoffe, organisches Material wie Algen und Bakterien sowie Schadstoffe und Sedimente. Dr. Holger Brix vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht erinnert sich noch gut an die Auswirkungen des Elbehochwassers im Frühsommer 2013, als infolge der großen Nähstofffracht Algenblüten an mehreren Stellen im Küstenbereich auftraten. Diese impulsartigen Einträge einer Flutwelle können das Wachstum von Phytoplankton fördern, das wiederum kann das Nahrungsangebot für die Fische ändern, beschreibt Brix eine wichtige Wirkungskette.

Generell ist die Nordsee, genau wie die Elbe, in gewissem Maße auf Extreme eingestellt. Aber wenn wir jetzt durch den Klima- und Landnutzungswandel ein anderes Umfeld bekommen, zum Beispiel durch häufigere Hoch- und Niedrigwasser, den Meeresspiegelanstieg oder auch durch Überfischung, kann das bestehende System irreparablen Schaden nehmen, sagt Brix. Um solche Szenarien überhaupt aufstellen und in einem numerischen Modell berechnen zu können, müssen wir allerdings erst einmal verstehen, wie das System funktioniert.

Drei Testkampagnen haben die Helmholtz-Küstenforscher mit ihren Forschungsschiffen in diesem Jahr zwischen Elbemündung und Helgoland im Rahmen von MOSES absolviert. Dabei haben auch sie so wie ihre Kollegen vom UFZ auf der Elbe allgemeine Parameter der Wasserqualität gemessen und Wasserproben im Hinblick auf Veränderungen der Nähr- und Schastofffrachten analysiert. Bei den Messkampagnen ging es aber vor allem darum, den Weg eines möglichen Elbehochwassers zu verfolgen und das Messkonzept für diese Anforderung zu optimieren. Dafür stellten die Wissenschaftler mithilfe ihrer Computermodelle zuerst eine Prognose der Strömungsverhältnisse in der Deutschen Bucht auf. Dies ist wichtig, weil an der Nordseeküste sowohl die Gezeiten als auch die Hintergrundströmung die Ausbreitung des Elbe-Ausstroms steuern, betont Holger Brix. Anschließend machten sie auf zwei Forschungsschiffen den Wasserkörper der Elbe und dessen Ausdehnung anhand der mitgeführten Stofffracht ausfindig. Während die Messgeräte auf den Schiffen fortlaufend Daten erhoben, modellierten die an der Kampagne beteiligten Helmholtz-Forscher an Land parallel dazu die aktuellen Strömungsverhältnisse und lotsten so die Schiffe in das zu erwartende Zielgebiet des Elbe-Ausstroms.

Damit die Kooperation der MOSES-Wissenschaftler im Fall eines Hochwassers der Elbe problemlos vonstattengeht, müssen Abläufe wie diese zur Routine werden. Deshalb dienten die drei Testkampagnen nicht nur dazu, die Sensorik zu testen und wissenschaftliche Daten zu sammeln. Sie sollten vor allem auch die mobilen Messungen und die Online-Kommunikation zwischen den Schiffen und mit dem Land überprüfen und etwaige Schwächen aufdecken, die im Ernstfall die nicht zu wiederholenden Messungen gefährden könnten. Käme es im Realfall zu einem extremen Hochwasser in der Elbe, hätten die Forscher an der Küste zwar mindestens eine Woche Zeit, bis das ablaufende Wasser aus der Elbe in die Nordsee strömt. Dann jedoch muss alles perfekt funktionieren, sagt Holger Brix.

MOSES-Generalprobe 2020

Doch was passiert eigentlich mit den Daten, die die MOSES-Forscher erheben? Gemeinsam mit den Langzeitdaten der Observatorien und Satellitendaten bilden sie die Beobachtungsgrundlage, auf der die Wissenschaftler Zukunftsszenarien entwickeln können. Die Herausforderung liegt auch hier in der systemübergreifenden Betrachtung der ablaufenden Prozesse. Deswegen koppeln die Forscher die verschiedenen Modellansätze. Nur so können sie die Auswirkungen von dynamischen Ereignissen und die dadurch ausgelösten Wechselwirkungen zwischen atmosphärischen, hydrologischen und terrestrischen Erd- und Umweltsystemen analysieren und besser verstehen. Gleichzeitig sind die Ergebnisse aus den Computermodellen notwendig, um den Einsatz und das Design des MOSES-Beobachtungssystems an die zu erwartenden Ereignisse anzupassen.

Damit das aber klappt, müssen die Daten zuerst so aufbereitet werden, dass sie als leicht zugängliche, nachhaltige und vielfältig nutzbare Datenprodukte verfügbar sind (FAIR-Prinzip). Deshalb arbeiten die Forscher derzeit an einem gemeinsamen Portal für die Metadaten, dessen Prototyp kommendes Jahr online gehen soll. Interessierte Wissenschaftler können darin nach bestimmten Schlagworten suchen und als Rechercheprodukt einen Link zu den gewünschten Daten erhalten. Doch MOSES will mehr. Künftig, so der Anspruch, sollen Daten, die in einer laufenden Kampagne erhoben werden, nahezu in Echtzeit allen beteiligten Partnern für die Auswertung zur Verfügung stehen. Ein solches Tool wird auch helfen, das Messdesign ad hoc anzupassen und zu verbessern. Derzeit tüfteln die Wissenschaftler daran, welche Variablen infrage kommen, um eine Kampagne in 'real time' zu steuern. Spätestens Ende 2021 wollen sie auch dafür Lösungen präsentieren.

Noch aber liegt das in der Ferne. In Sichtweite ist dagegen die große Testkampagne Hydrologische Extreme. Bereits im kommenden Jahr werden die sieben hier beteiligten Helmholtz-Zentren unter Federführung des UFZ den Einsatz ihrer Mess- und Sensorsysteme testen, vom Müglitztal über die Elbe bis in die Nordsee. Die Einzelaktivitäten dieses Jahres werden dann zu einer übergreifenden Messkampagne zusammengeführt. Organisatorisch und logistisch bedeutet dies ein deutliches Mehr: an Messgeräten, weil bis dahin die meisten der neuen Messsysteme einsatzfähig sein werden, an Daten, die aus der Atmosphäre, von der Landoberfläche, aus den Flüssen und von der Küste zusammenlaufen, und an beteiligten Personen. Auch die Einsatzzeit wird auf sechs Monate, von April bis September, ausgedehnt. Denn in diesem Zeitraum besteht eine realistische Chance, den Testeinsatz auch unter realen Bedingungen zu proben. Diese Kampagne soll zeigen, wie gemeinschaftliche Forschung dank abgestimmter Logistik und funktionierenden Messsystemen ab dem Jahr 2022 gelingen kann, um bei Extremereignissen wie Hitze und Dürre, Starkregen oder Hochwasser rasch vor Ort zu sein und die komplexen langfristigen Auswirkungen auf unsere Umweltsysteme zu erforschen, sagt Ute Weber. Eine einzelne Institution könne eine solche Infrastruktur weder aufbauen noch betreiben.

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MOSES - Modular Observation Solutions for Earth Systems

Mit MOSES (Modular Observation Solutions for Earth Systems) baut die Helmholtz-Gemeinschaft bis 2022 ein flexibles und mobiles Messsystem zur Erd- und Umweltbeobachtung auf. Knapp 30 Millionen Euro investiert Deutschlands größte außeruniversitäre Forschungsorganisation aus Mitteln des Bundes und der Länder in den Aufbau von MOSES und stärkt damit ihre führende Position und Sichtbarkeit in der internationalen Erdsystemforschung.

Neun Forschungszentren sind am Aufbau von MOSES beteiligt:

- Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ (Koordination)
- Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
- Forschungszentrum Jülich (FZJ)
- Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
- GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
- Helmholtz-Zentrum Geesthacht - Zentrum für Material- und Küstenforschung (HZG)
- Alfred-Wegener-Institut - Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)
- Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (HMGU)
- Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

www.moses-helmholtz.de
https://blogs.helmholtz.de/moses/de/

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Dr. Ute Weber, Projektkoordinatorin MOSES
ute.weber@ufz.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Neben Geräten zur Messung der Bodenfeuchte testeten die Wissenschaftler im oberbayerischen Fendt unter anderem auch den Einsatz von Hyperspektralkameras, um die Bodentemperatur und den Zustand der Vegetation zu messen. Bei den nächsten Kampagnen werden diese Kameras auf Flugzeugen installiert und die Daten aus der Luft gemessen.

- Die Cosmic Ray-Technologie basiert im Kern darauf, dass ein Detektor die Anzahl der Neutronen in der Luft zählt, welche durch den Eintritt der kosmischen Strahlung in die Erdatmosphäre entstehen. Diese Teilchen dringen auch in den Boden ein, werden jedoch meist zurück in die Luft reflektiert. Treffen sie allerdings auf Wasserstoffatome, werden sie stark abgebremst und schaffen es nicht zurück an die Erdoberfläche. Da Wasser zwei Wasserstoffatome enthält, kann also mit dem Neutronenzähler die Bodenfeuchte gemessen werden.

- Auf dem Magdeburger Domfelsen, einer Sandsteinformation in der Elbe, die nur bei Niedrigwasser sichtbar ist, konnte man bis in die Mitte des Flusses spazieren bereits das zweite Jahr in Folge.

- In den 2019 absolvierten MOSES-Testkampagnen wurde eine Vielzahl der neuen Messgeräte erstmals im mobilen und kombinierten Einsatz getestet. Unter anderem verfolgten Miniballons Starkregen und Gewitter bis in die Stratosphäre (a); Drohnen wurden eingesetzt, um Treibhausgase zu messen (b); am Boden kamen Pollen- und Aerosolmesser zum Einsatz (c); Multiparametersonden gaben Auskunft über die Wasserqualität (d); Gravimeter beobachteten die Grundwasservorräte (e); Küstenforscher nutzten autonome Messsysteme wie Glider, die eigenständig vorgegebene Routen abfahren und ein breites Spektrum an Parametern messen können (f).

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Quelle:
Umwelt Perspektiven / Der UFZ-Newsletter - Dezember 2019, Seite 4 - 13
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
Tel.: 0341/235-1269, Fax: 0341/235-450819
E-mail: info@ufz.de
Internet: www.ufz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2020

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