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FORSCHUNG/879: Ökotoxikologie - Alternativen zu Tierversuchen in der chemischen Industrie (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt

Intelligent testen und integriert bewerten

von Benjamin Haerdle



Um chemische Stoffe auf ihre Folgen zu untersuchen, sind Tierversuche in der chemischen Industrie oft noch Standard. Ändern sollte das eigentlich die EU-Chemikalienverordnung REACH, die im Jahr 2007 in Kraft trat. Sie sieht vor, so oft wie möglich Alternativmethoden zur ökotoxikologischen Bewertung von Industriechemikalien einzusetzen. In der Praxis läuft das häufig anders: "Die Industrie ist noch weit davon entfernt, die Sicherheitsvorsorge für den Umgang mit chemischen Substanzen vollständig ohne Tierversuche durchzuführen", sagt Prof. Dr. Gerrit Schüürmann vom UFZ. Er hat mit seinen Mitarbeitern eine Reihe von Alternativmethoden auf den Weg gebracht, mit denen die Anzahl der Tierversuche deutlich reduziert werden könnte.

Schüürmanns Verfahren sind für die Umsetzung von REACH wichtig, weil die Verordnung mit dem Instrument Integrierter Teststrategien (ITS) auf einen neuen Bewertungsansatz setzt. Anstelle einer Fortführung der Routineanwendung von Tierexperimenten sollen nun vermehrt kombinierte Anwendungen von mehreren Alternativmethoden eingesetzt werden. "Durch diese Kombination wollen wir vermeiden, dass Informationen, die ein Tierversuch hätte liefern können, verloren gehen", sagt Schüürmann. Entwickelt haben er und sein Team computerbasierte Instrumente, die Aussagen zu quantitativen und qualitativen Struktur-Wirkungs-Beziehungen liefern, sogenannte QSAR-Modelle. Ein Beispiel dafür ist das Computerprogramm "ChemProp". Es kann bewertungsrelevante Eigenschaften von Stoffen berechnen und für bestimmte Bereiche auch Wirkstärken und Wirkmechanismen vorhersagen. Forscher können damit beurteilen, wie giftig die Chemikalie in der Umwelt ist. Die Software benutzt nicht nur bekannte Methoden aus der wissenschaftlichen Literatur, sondern auch am UFZ entwickelte Rechenverfahren. Beispiele sind die Löslichkeit organischer Stoffe und ihr damit zusammenhängendes Aufnahmevermögen in Wasserorganismen sowie die akute Fischgiftigkeit.

Ein wichtiger neuer Ansatz für Computermodelle ist das Read-across, also die Interpolation aus Daten ähnlicher Stoffe. Dabei gehen die Wissenschaftler davon aus, dass sich die Gefährlichkeit einer Substanz aus bereits vorhandenen experimentellen Befunden zu ähnlichen Stoffen vorhersagen lässt. Für die Suche nach ähnlichen Substanzen hat das UFZ-Team um Schüürmann Algorithmen entwickelt und zur Vorhersage unterschiedlicher Stoffeigenschaften erfolgreich getestet. "Das neue Verfahren bringt häufig eine Aussagerichtigkeit von etwa 80 Prozent", sagt der Chemiker. Das gilt als guter Richtwert, den die Forscher sogar noch auf mehr als 90 Prozent steigern können, wenn sie diesen Ansatz mit zusätzlichen alternativen Testverfahren verschneiden. Die vor kurzem publizierte Methode setzten die Wissenschaftler bereits ein, um in einer Langzeitstudie für Elbe, Weser, Aller und Ems die dort chemisch identifizierten Stoffe im Hinblick auf ihre Giftwirkung gegenüber Fischen einzuschätzen.

Das wissenschaftliche Know-how für Computermodelle als Komponenten einer ITS-Bewertung chemischer Stoffe ist also bereits vorhanden. Noch fehlt aber der politische Durchbruch. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA), die für die Zulassung chemischer Stoffe zuständig ist, ist noch nicht ganz so begeistert von den Alternativverfahren. QSAR, so Schüürmann, werde bei der ECHA bislang eher als Nachweis zur Belastung und weniger zur Entlastung genutzt. Ist nach QSAR ein Stoff unbedenklich, reicht das den Behörden oft nicht aus - sie fordern zusätzlich einen Tierversuch. Hat die Chemikalie laut der Alternativverfahren dagegen Folgen für Mensch und Natur, kann oft auf einen Tierversuch verzichtet werden.

Doch auch wenn sich die Behörden noch etwas sträuben, werden sich "intelligente Teststrategien unter Einsatz von QSAR letztlich doch durchsetzen", ist Schüürmann überzeugt. Der Grund: Kann die Industrie statt der Tierversuche Alternativmodelle nutzen, muss sie bei der Umsetzung von REACH weniger Geld ausgeben. Außerdem können Computermodelle auch zur Beurteilung von erst in Planung befindlichen Stoffen eingesetzt werden. Damit könnten chemische Strukturen mit großer Giftigkeit von vornherein vermieden werden.

UFZ-Ansprechpartner:
• Prof. Dr. Gerrit Schüürmann
Leiter Dept. Ökologische Chemie

e-mail: gerrit.schuurmann[at]ufz.de

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Quelle:
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt, S. 13
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2012