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GEFAHR/011: Invasive Arten richten Schäden in Milliardenhöhe an (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter September 2009

Invasive Arten richten Schäden in Milliardenhöhe an


"Allein schaffen wir das nicht. Die Pflanze breitet sich immer weiter aus, und das, was im Boden drin ist, das bekommen wir nicht wieder heraus, obwohl wir die zurzeit zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten ausschöpfen, um eine weitere Ausbreitung der Pflanze zu vermeiden. Wir haben einfach keine Lösung - das ist das Schlimmste", so Dagmar Schenke, Vorstandsvorsitzende der Agrargenossenschaft Drebkau eG. Privatisierung nach der Wende, EU, sinkende Milchpreise - alles das haben die Landwirte überstanden. Jetzt aber macht ihnen eine Pflanze zu schaffen, gegen die kein Kraut gewachsen zu sein scheint: Das Beifußblättrige Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia), kurz Ambrosia. Ein Name, der lieblich und harmlos klingt. Die Pflanze hat es aber in sich. Sie kann bis zu zwei Meter hoch werden, wuchert ganze Felder zu. Es gibt nur wenige Pflanzenschutzmittel, die wirksam sind, z. B. solche, die im Raps oder Mais Anwendung finden. Mit Chemie ist ihr also kaum beizukommen. Mit Ausreißen oder Abweiden ebenfalls nicht, da diese Pflanze von den Tieren nicht gefressen wird. Eine schnelle Lösung scheint nicht in Sicht, denn die Samen können im Boden bis zu 40 Jahre auf ihre Chance warten. Vermutlich kam die Ambrosia in den 60er Jahren mit verunreinigtem Saatgut aus Osteuropa in die Niederlausitz. Seit der Wende ist die Population so explodiert, dass Experten inzwischen von "ungarischen Verhältnissen" sprechen.

Während es in Ungarn oder der Schweiz eine kategorische Bekämpfungspflicht gibt, handeln in Deutschland die Bundesländer unterschiedlich - sofern sie denn überhaupt handeln. Bayern hat 2007 einen Aktionsplan erarbeitet, der ein umfangreiches Melde-, Monitoring- und Bekämpfungssystem vorsieht. Auch Berlin hat seit diesem Sommer ein Aktionsprogramm. Während die Situation in Brandenburg aber deutlich ernster ist - hier gibt es schätzungsweise 1000mal mehr Ambrosiapflanzen als im größeren Bayern - sind Gegenmaßnahmen noch nicht in Sicht. Immerhin gibt es inzwischen einen Arbeitskreis, in dem vier Ministerien, fünf Fachbehörden sowie als Forschungspartner die BTU Cottbus und das UFZ vertreten sind. "Die Ambrosia betrifft verschiedenste Bereiche: der Samen das Vogelfutter, die Pflanze den Pflanzenschutz und der Pollen die Gesundheit", erläutert Uta Berghöfer vom UFZ die komplizierten Zuständigkeiten. Die Soziologin untersucht, wie die Akteure aus Politik und Behörden zusammenarbeiten und sucht nach Wegen, diese Prozesse zu optimieren. "Wahrscheinlich gibt es keine Pflanze, die bereits so viele unterschiedliche Akteure zusammengebracht hat." Dass etwas getan werden muss, darin ist sich die Brandenburger Arbeitsgruppe Ambrosia einig. Denn die Pollen der Ambrosia sind stark allergieauslösend und können mit dem Wind weit verbreitet werden. Ein Problem, das also nicht nur die strukturschwache Region im Süden Brandenburgs betrifft, sondern auch die Metropolen in der Nachbarschaft. Zusammen mit dem Allergiezentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München untersuchen Ökonomen des UFZ gerade die Gesundheitskosten der Ambrosia. Dabei wollen sie herauszufinden, ob Kosten zu erwarten und welche Bereiche betroffen sind. Bis erste Ergebnisse vorliegen, werden jedoch noch mehrere Monate vergehen.


Dominoeffekte

Mehr als 11.000 gebietsfremde Arten sind mittlerweile in Europa ansässig. Über die Hälfte davon sind Landpflanzen. Wirbellose machen etwa ein Drittel aus. Lediglich fünf Prozent entfallen auf Wirbeltiere. Das haben die europaweiten Untersuchungen des EU-Forschungsprojektes DAISIE (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe) ergeben, an dem UFZ-Forscher maßgeblich beteiligt waren. Erstmals liegt nun eine Übersicht für das Problem biologischer Invasionen in der EU vor. Verglichen mit Schätzungen von vor einem reichlichen Jahrzehnt haben die neuen Daten über fünfmal mehr Vogelarten, eine Verdreifachung von Säugetierarten und eine Verdoppelung an Pflanzenarten ergeben. Pflanzen- und Tierarten, die nach letzten Schätzungen der Europäischen Kommission Kosten von über 12 Milliarden Euro pro Jahr verursachen. Und diese Schätzung ist eher unter- als übertrieben, denn von 90 Prozent aller gebietsfremden Arten sind die ökonomischen und ökologischen Folgen bisher völlig unbekannt. "Die Auswirkungen vieler Eindringlinge bleiben unbemerkt. Unser Leben hängt aber von den Dienstleistungen ab, die die Natur durch Arten bereitstellt, erklärt Dr. Montserrat Vilà von der Estación Biológica de Doñana im spanischen Sevilla. "Die Präsenz - und oft auch die Dominanz - von zugewanderten Arten kann viele ökologische Auswirkungen haben, die Veränderungen in den Ökosystemdienstleistungen hervorrufen. Diese Veränderungen können unumkehrbar und so bedeutend sein wie jene durch den Klimawandel oder durch Umweltverschmutzungen." Landwirbeltiere verursachen die größte Bandbreite an ökologischen Auswirkungen, die oft alle Kategorien der Ökosystemdienstleistungen beeinflussen. Viele Landwirbeltiere sind Räuber, deren Einschleppung einen Dominoeffekt in der Nahrungskette auslöst. Der Marderhund oder der Amerikanische Nerz sind prominente Beispiele dafür. Im Gegensatz dazu haben terrestrische Wirbellose wie Insekten oder Spinnen den kleinsten Bereich an ökologischen Auswirkungen, richten aber die größten finanziellen Schäden an. Besondere betroffen ist hier die Land- und Forstwirtschaft - Bereiche, in denen etablierte Methoden existieren, um die Kosten der Nahrungs- und Holzproduktion zu bestimmen. Die Autoren schätzen die jährlichen Verluste durch fremde Gliederfüßer in der Landwirtschaft Großbritanniens auf 2,8 Milliarden Euro. Die Kosten für eine Bekämpfung der 30 am weitesten verbreiteten Unkräuter durch Herbizide würden in Großbritannien jährlich über 150 Millionen Euro betragen. "Wir heben in der Studie versucht, einen ersten Überblick über die ökonomischen Auswirkungen in Europa zu schaffen", sagt Dr. Ingolf Kühn vom UFZ. "Dennoch muss man sagen, dass die Datenlage bisher sehr dünn ist. Von 1347 Arten ist bekennt, dass sie wirtschaftliche Kosten bereiten. Doch meist liegen lediglich stichprobenhaft Zahlen vor, die obendrein oft einige Jahre alt sind. Biologische Invasionen sind aber ein sehr dynamischer Prozess. Es ist daher gut möglich, dass wir bisher nur die Spitze des Eisberges zu Gesicht bekommen haben." Deshalb arbeiten die Wissenschaftler an Konzepten, um z. B. mit Hilfe von biologischen Merkmalen der Arten besser abschätzen zu können, welche Arten in Zukunft problematisch werden können. "Hinzu kommt, dass sich Floren und Faunen immer ähnlicher werden. Seltene Arten gehen verloren und häufigere werden zwischen den Regionen ausgetauscht. Bei Pflanzen konnten wir das schon für die Artebene, aber auch für Merkmale und die Verwandtschaftsbeziehungen zeigen. Wir nennen das "loss of uniqueness", ergänzt Dr. Marten Winter vom UFZ, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Erschwert werden solche Prognosen durch die Komplexität des Systems. Wie stark sich eine invasive Art ausbreitet, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. So konnten Forscher der Universität der Ägäis in Griechenland und des UFZ nachweisen, dass das gleichzeitige Auftreten mehrerer gebietsfremder Arten das Problem potenzieren kann. "Der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) ist der größte Fraßfeind von Kartoffelpflanzen weltweit. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Anwesenheit von invasiven Pflanzenarten, die eng mit der Kartoffel verwandt sind, die Vermehrung des Käfers begünstigt, da er dann auch außerhalb der Kartoffelsaison zumindest zeitweise Nahrung findet", nennt PD Dr. Josef Settele vom UFZ ein Beispiel, Sorgen bereitet der Landwirtschaft auch ein anderer Käfer. Der Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis) wurde ursprünglich zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingeführt, da er große Mengen an Blattläusen vertilgt. Gelangt er aber bei der Weinlese mit in die Traubenpresse, dann wird der Wein bitter. Bitter könnte auch die Zukunft für eines der klassischen Glückssymbole aussehen - den Marienkäfer. Denn der Asiatische Marienkäfer breitet sich in Europa stark aus und verdrängt dabei oft seinen einheimischen Konkurrenten. In Großbritannien haben deshalb verschiedene Forschungsinstitute - darunter auch das UFZ- Partnerinstitut CEH - die Bevölkerung aufgerufen, an einer großen Zählaktion teilzunehmen, um diesen Prozess untersuchen zu können. (www.ladybird-survey.org)


Europäisch denken und handeln

Im US-Wissenschaftsmagazin SCIENCE stellen die Forscher des DAISIE-Projektes die provokative Frage: "Wird die Gefahr biologischer Invasionen die Europäische Union vereinigen?" Aus Sicht der Forscher zeigen die neuen Daten zum Umfang biologischer Invasionen, dass diese eine große Herausforderung für Gesetzgebung und Politik seien und schlagen deshalb eine neue Agentur vor: Ein Europäisches Zentrum für das Management invasiver Arten (ECISM) könnte Kapazitäten bündeln und eine Schnittstelle für die verschiedenen Bereiche bilden. Allein bei der EU-Kommission betrifft die Problematik diverse Generaldirektionen wie Umwelt, Transport, Landwirtschaft oder Fischerei. Vorbild könnte das Europäische Zentrum für Seuchen-Prävention und -Bekämpfung (ECDC) sein. Eine solche Agentur würde weniger als ein halbes Prozent der jährlichen Gesamtkosten biologischer Invasionen verbrauchen, könnte aber dafür sorgen, dass der Kampf gegen die biologischen Bedrohungen wesentlich effektiver wird. Dass Handlungsbedarf besteht, darüber herrscht unter den Experten kein Zweifel. "Auch wenn nur von etwa zehn Prozent aller gebietsfremden Arten bekannt ist, dass sie ökonomische oder ökologische Auswirkungen haben, dann bedeutet das: Es gibt über 1000 Arten, die ein aktives Management erfordern", erläutert Philip E. Hulme von der Lincoln University in Neuseeland. Europa könne leider nicht auf viele Erfolge zurückblicken. Lediglich 34 Arten (hauptsächlich Wirbeltiere) konnten aus einer oder mehreren Regionen erfolgreich zurückgedrängt werden, schreibt das Team um Hulme in SCIENCE.


Alles was Recht ist

Doch nicht nur auf EU-Ebene gibt es noch reichlich zu tun. Auch in Deutschland unterstützt das föderale System nicht gerade effektive Maßnahmen. Der Umweltjurist Prof. Dr. Wolfgang Köck vom UFZ untersucht seit mehreren Jahren die rechtlichen Rahmenbedingungen, an die Institutionen bei der Bekämpfung invasiver Arten gebunden sind. "Zu den praktisch wichtigsten Schutzregelungen gehören neben pflanzenschutzrechtlichen Vorschriften auch einige Artenschutzvorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). In der Praxis bereitet die Anwendung dieser Vorschriften jedoch Schwierigkeiten. Die Probleme liegen nicht nur in den stets knappen Kapazitäten der Naturschutzverwaltung begründet, sondern in fehlenden konkretisierenden Normen für die Vollzugsbehörden und auch in nicht hilfreichen gesetzlichen Definitionen." Das kürzlich verabschiedete neue Naturschutzgesetz des Bundes beseitigt einige dieser Defizite. Es führt erstmals den Begriff der invasiven Art als Gesetzesbegriff ein, verbessert die Kongruenz mit den Aufgaben und Zielen des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt und stärkt auch den Schutz der innerartlichen Vielfalt, indem das Ausbringen von Gehölzen und Saatgut gebietsfremder Herkunft von einem bestimmten Ablaufdatum an dem Genehmigungserfordernis unterliegt. Eine Regelung, die vom Bund deutscher Baumschulen heftig kritisiert wurde, die aber nach Auffassung von Köck an der bisherigen Rechtslage gar nichts ändert, sondern sie nur deutlicher zum Ausdruck bringt. Zur verbesserten Prävention gegen invasive Arten trägt auch die Erarbeitung eines Systems von Schwarzen und Grauen Listen durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) bei, auf denen jene gebietsfremden Arten geführt werden, von denen negative Auswirkungen bekannt sind oder vermutet werden.

Für das Problem Ambrosia in Deutschland sehen die UFZ-Forscher langfristig nur eine Lösung: Die Verbreitung durch Vogelfutter stoppen. Selbst Vogelfutter mit dem Label "Ambrosia kontrolliert" ist bisher keine Garantie, dass unter den Sonnenblumensamen auch tatsächlich keine unerwünschten Ambrosiasamen enthalten sind. Helfen könnte hier eine Verschärfung der Saatgutverordnung. Der Gesetzgeber könnte den Reinheitsgrad des Vogelfutters festlegen und damit die Verbreitung der Ambrosia wirksam eindämmen. Zuständig dafür ist allerdings in erster Linie der europäische Gesetzgeber.

Tilo Arnhold


UFZ-Ansprechpartner:
• Dr. Ingolf Kühn, Dr. Marten Winter
Department Biozönoseforschung

Telefon: 0345/558-5311, -5316
e-mail: ingolf.kuehn@ufz.de
e-mail: marten.winter@ufz.de

• Prof. Dr. Wolfgang Köck
Department Umwelt- und Planungsrecht

Telefon: 0341/235-1232
e-mail:
wolfgang.koeck@ufz.de

• Uta Berghöfer
Department Ökonomie

Telefon: 0341/235-1648
e-mail:
uta.berghoefer@ufz.de

mehr Informationen:
EU-Strategie zur Bekämpfung invasiver Arten:
http://ec.europa.eu/environment/nature/invasivealien/index_en.htm


DAISIE

Im Rahmen des EU-Projektes DAISIE (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe) wurden zum ersten Mal für die Länder Europas alle bekannten Invasionsarten erfasst. Dabei wurden Informationen zu Ökologie und Verbreitung von gebietsfremden Pflanzen und Tieren gesammelt und über eine Internet-Datenbank allen Interessierten zugänglich gemacht (www.europe-aliens.org). Am Projekt waren Forschungseinrichtungen und Organisationen aus 15 Nationen beteiligt, darunter auch das DEZ.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Die Ambrosia (Ambrosia artemisiifolia) ist ein einjähriges "Unkraut", das ursprünglich aus Nordamerika stammt. Mittlerweile ist sie in Südosteuropa häufig und breitet sich auch in Mitteleuropa aus. Die Pollen gehören zu den stärksten Allergie-Auslösern und verlängern für Betroffene die Allergie-Saison bis in den Spätsommer. (Foto: Klaus-Dieter Sonntag (Verbreitung der Beifußblättrigen Ambrosia in Deutschland (BfN-Skripten 235, 1998): www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/service/skript235.pdf

• Der Mink (Mustela vison) ist eine in Nordamerika beheimatete Marderart, die sich erfolgreich in Europa ausbreitet und den etwas kleineren Europäischen Nerz mehr und mehr verdrängt.

• Ein internationales Forscherteam hat am EU-Projekt DAISIE eine Liste von 100 invasiven Arten zusammengestellt, die die größten Auswirkungen in den verschiedenen Wirtschaftssektoren haben. Unter den Top-Eindringlingen sind die Kanadagans (Branta canadensis), die abgebildete Wandermuschel (Dreissena polymorpha), der Bachsaibling (Salvelinus fontinalis), der Nickende Sauerklee (Oxalis prae-caprae) und die Biberrattte (Myocastor coypus), auch Nutria genannt. Unter den teuersten Eindringlingen sind die Wasserhyazinthe, der Nutria und eine Meeresalge. Foto: Dieter Florian.


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Quelle:
UFZ-Newsletter September 2009, S. 2-4
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2009