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KATASTROPHEN/062: Mini-Vulkan ruft Erinnerungen an Tschernobyl wach (IPPNW)


IPPNW - Berlin, den 19. April 2010

Dampfexplosionen und gefährliche Wolken

Mini-Vulkan ruft Erinnerungen an Tschernobyl wach


Anlässlich des Ausbruchs des isländischen Eyjafjalla-Vulkans weist die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW auf Parallelen zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 24 Jahren hin.

"Die offenkundigste Parallele zwischen dem aktuellen Vulkanausbruch und der Atomkatastrophe in Tschernobyl ist der Umstand, dass es vom Standort wie auch vom aktuellen Wetter abhängt, wer die meisten Schäden davonträgt und wie groß der Gesamtschaden letztlich ist", meint der Atomexperte der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW, Henrik Paulitz. "Ebenso wie die derzeitige Asche-Wolke des Vulkans entschieden vor 24 Jahren Winde und Niederschläge, wo die radioaktiven Gefahrenstoffe von Tschernobyl hintrieben und wo sie abgeregnet wurden. Es war reiner Zufall, dass damals beispielsweise auch Bayern zu den Gebieten gehörte, über denen noch relativ viele radioaktive Substanzen abregneten, mit der Folge einer erhöhten vorgeburtlichen Sterblichkeit", so Paulitz. "Wie Untersuchungen zeigen, könnte ein Super-GAU im deutschen Atomkraftwerk Biblis je nach Wetterverhältnissen auch weiter entfernte Großstädte wie Berlin oder Paris empfindlich treffen und die Gesamtschäden wären wegen der 10fach höheren Bevölkerungsdichte in Deutschland ungleich höher als nach Tschernobyl."

Bemerkenswert ist ferner der Umstand, dass bei einem Vulkan ebenso wie beim Super-GAU in einem Atomkraftwerk Explosionen nicht am Anfang stehen müssen, in der Folge jedoch zu einem katastrophalen Verlauf des Ereignisses beitragen können. So ist der Ausbruch des Eyjafjalla keine explosive Eruption wie etwa beim Vesuv, sondern "nur" der Ausfluss von Lava aus einer Spaltenöffnung. Die Lava schmilzt auf Island dann aber die umliegenden Gletscher und reagiert mit dem Wasser, was zu Dampfexplosionen führt. "Ebenso wird ein Reaktorunfall im Gegensatz zur Atombombe meist nicht durch eine Explosion ausgelöst. Wasserstoff- wie auch Dampfexplosionen zählen aber zu den gefürchtetsten Folgeereignissen, die zu frühen und massiven Freisetzungen von Radioaktivität führen können", so Paulitz.

Eine weitere wichtige Parallele nicht-technischer Art ist der fehlende beziehungsweise völlig unzulängliche Versicherungsschutz im Schadensfall. Derzeit wird damit gerechnet, dass die europäischen Fluglinien aufgrund des Vulkanausbruchs einige Hundert Millionen Euro Umsatz und damit auch merklich Gewinn einbüßen könnten, weil sie gegen Flugausfälle nicht versichert sind. "Ungleich dramatischer wären die ökonomischen Folgen eines Atomunfalls in Mitteleuropa, wenn viele Millionen Menschen auf Dauer ihre Wohnungen und Betriebsstätten verlassen müssten", so Paulitz. "Die Schäden wären Studien zufolge so immens, dass die globale Versicherungswirtschaft weder dazu in der Lage noch dazu bereit ist, derartige Schäden abzudecken. Beim Super- GAU sind all diejenigen, die ihn zwar überleben, aber von Massenevakuierungen betroffen sind, wirtschaftlich ruiniert. Die deutsche Volkswirtschaft läge am Boden."

Der nicht besonders dramatische Vulkanausbruch auf Island bietet daher nach Auffassung der IPPNW die Chance, nochmals neu über das Risiko der Atomenergie und die von der Bundesregierung beabsichtigten Laufzeitverlängerungen überalterter Atomkraftwerke nachzudenken.

Weitere Informationen: www.ippnw.de/atomenergie

Über die IPPNW:

Diese Abkürzung steht für International Physicians for the Prevention of Nuclear War. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges engagieren sich seit 1982 für eine Welt ohne atomare Bedrohung und Krieg. 1985 wurden sie dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit 1990 stehen zusätzlich gesundheitspolitische Themen (z.B. Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere, Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten) auf dem Programm des Vereins. In der IPPNW sind rund 7.000 ÄrztInnen und Medizinstudierende organisiert.


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Quelle:
Presseinformation der IPPNW - Deutsche Sektion der
Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, 19.04.2010
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Sven Hessmann, Pressereferent
Tel.: 030-69 80 74-0, Fax: 030-69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2010