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MASSNAHMEN/207: Der Umwelt zuliebe? - Energetische Gebäudesanierung (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 178 - Februar / März 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Der Umwelt zuliebe?
Energetische Gebäudesanierung - Mieterinnen und Mieter zur Kasse, bitte!

von Janine Behrens



Bei Lebewesen reicht die Bandbreite der körpereigenen Wärmeisolierung von Behaarung und Gefieder, über Fettgewebe und Speckschicht bis hin zur Bekleidung beim Menschen. Ganz so einfach verhält es sich bei der Wärmedämmung von Gebäuden unglücklicherweise nicht.

Die energetische Gebäudesanierung umfasst mehrere mögliche Maßnahmen zur Minimierung des Energieverbrauchs bezogen auf Heizung, Warmwasser und Lüftung. Im folgenden Artikel wird sich aufgrund der komplexen Thematik hauptsächlich mit dem Bereich der Wärmedämmung von Außenwänden auseinandergesetzt, welche nur Sinn macht, wenn im selben Atemzug auch die zum Teil veralteten Heizkörper beziehungsweise -systeme ersetzt werden und beim Einbau von moderneren Fenstern ein Lüftungskonzept vorliegt und umgesetzt werden kann.

Die historische Entwicklung von Gebäuden betrachtend, genoss die Wärmedämmung einen relativ geringen Stellenwert, wenngleich Brennholz und Kohle zum Heizen knapp und demnach teuer waren. Ebenfalls kaum vorhanden waren die dafür geeigneten Baustoffe und -elemente. So trat 1977 in Deutschland die erste Wärmeschutzverordnung für Gebäude in Kraft, abgelöst durch die seit 2002 und bis heute geltende novellierte Energieeinsparverordnung (EnEV). Friede, Freude, Eierkuchen gibt diese Entwicklung aber nicht her. Laut EnEV dürfen Mieterinnen und Mieter jährlich mit 11 Prozent der Gesamtsanierungskosten belastet werden. Auch andere Risiken geben Anlass zum Nachdenken.

Brandgefährlich ...

Das Material, welches zumeist bei der Isolierung der Außenwände von Gebäuden verwendet wird, besteht aus Polystyrolschaumstoff alias Styropor. Generell gelten Wärmedämmverbundsysteme mit Kunststoff - versetzt mit Flammschutzmitteln und oberflächlich geschützt durch eine Putzschicht - als schwer entflammbar. Eine Voraussetzung für die baurechtliche Genehmigung mit Wärmedämmverbundsystemen aus Polystyrol bei Mehrfamilienhäusern ist also, die Anforderungen der Brandschutzklasse B1 (schwer entflammbar) zu erfüllen. Überprüft wird das in Brandversuchen, die von Materialprüfungsanstalten auf Kosten des Herstellers durchgeführt werden. Viele dieser Systeme haben die Tests bestanden und werden bundesweit verbaut.

Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, wie aussagekräftig diese Versuche tatsächlich sind. In einer 2012 ausgestrahlten Dokumentation ist ein Brandversuch in der Materialprüfanstalt Braunschweig unternommen worden. Ein Fachbetrieb hatte dort das Wärmedämmverbundsystem eines Markenfabrikanten aufgestellt, welches der Einwirkung heftig lodernder Flammen 20 Minuten hätte standhalten müssen. Bereits nach acht Minuten geriet der Versuch außer Kontrolle. Die Feuerwehr musste wegen der enormen Feuersbrunst und extremen Rauchgasentwicklung unter Atemschutz umgehend mit den Löscharbeiten beginnen.

Die rasante Brandausbreitung könnte durch das Abweichen im Prüfaufbau begründet sein. Laut Angaben der Versuchsdurchführer ist bei diesem Test nämlich bewusst auf den Einbau eines Brandschutzsstreifens bestehend aus nicht brennbarer Mineralwolle über dem simulierten Fenstersturz verzichtet worden. Häufig wird bei der Wärmedämmung ganz oder zumindest teilweise auf Brandschutzstreifen verzichtet - das zeigt die Praxis. Prominent negative Beispiele für die zum Teil verheerenden Folgen zu nennen sind Delmenhorst, wo im November 2011 fünf Mehrfamilienhäuser gleichzeitig Feuer fingen, und ein großflächiger Fassadenbrand im Mai 2012, der in Frankfurt zum Großalarm für die Feuerwehr wurde.

... und gesundheitsgefährdend?

Hinzu kommt, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner frisch sanierter Häuser an einen strikten Lüftungsplan halten müssen. Sind im Zuge der Sanierung auch modernere Fenster eingebaut worden, droht bei mangelnder Lüftung sonst Schimmelbefall in der Wohnung. Bei älteren Fenstern war das Lüftungsverhalten nahezu egal, da aber modernere Fenster besser als die Wände dämmen, kommt es in den Ecken häufig zu Schimmel, weil sich die Feuchtigkeit nicht mehr auf den Scheiben sondern eben in den Ecken niederlässt. Es wird zumeist empfohlen, die komplette Wohnung mindestens zwei-, optimal dreimal täglich durchzulüften - für Berufstätige ist das kaum zu schaffen. Und manchmal reicht das nicht einmal aus, es muss zusätzlich geheizt werden, um die Feuchtigkeit loszuwerden. In der Rechnung sind diese zusätzlichen Kosten natürlich noch nicht inbegriffen.

Um die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner vor Schimmelpilzbefall zu schützen, haben in den USA bereits mehrere Bundesstaaten die Dämmung von Wohnimmobilien durch vorgefertigte Platten aus Polystyrol, Polyurethan, Glas- oder Steinwolle verboten.

Mythos Einsparpotential

Versprochen wird bei der energeischen Sanierung zumeist eine enorme Energieersparnis, insbesondere die Heizkosten betreffend. Aber geht diese Rechnung wirklich auf? Nein: Willkommen in der Realität. Angesichts der exorbitanten Kosten für die energetische Sanierung, wo zum Teil das teure Baugerüst noch nicht einmal mit einkalkuliert ist und der Spaß schnell mal 50.000 Euro mehr kostet, ist zeitnah nicht absehbar, dass sich die Investitionen mit den gegenüberstehenden Einsparungen amortisieren.

Auch die neue Vereinbarung der Großen Koalition im Bundestag bringt mehr Ernüchterung als Erleichterung für Mieterinnen und Mieter. Statt bislang 11 sollen "nur noch" 10 Prozent der Sanierungskosten jährlich auf die Mieter abgewälzt werden können. Mieterhöhungen von zum Beispiel 150 Euro monatlich stehen dann einer Ersparnis von vielleicht maximal 50 Euro Mietnebenkosten gegenüber - für den Mieter demnach eine Milchmädchenrechnung. Die Vermieter erfreuen sich derweil am gesteigerten Wert der Immobilie und die Bauindustrie am Geldsegen, den letztendlich die Mieterinnen und Mieter aufbringen.

Und es tut sich noch ein weiteres Problem auf: Dämmstoffe weisen nur eine begrenzte Haltbarkeit auf. Sanierte Häuser aus den 90er Jahren verzeichnen 20 Jahre später bereits Schäden, weil Regenwasser die gedämmten Fassaden durchfeuchtet, wodurch sich Kältebrücken bilden, die die Wärme aus den Zimmern nach draußen leiten. Statt Heizkosten einzusparen, muss in diesen Objekten mehr Gas oder Öl verbrannt werden. Ob ein langfristiger Nutzen bei der Wärmeisolierung von Außenwänden mit Kunststoffen gegeben ist, ist demnach mehr als fraglich. Eher sollte geprüft werden, inwiefern eine Dämmung mit naturnahen Materialien wie Hanf großflächig finanzierbar ist.

Festzustellen bleibt, dass ein schon bestehendes Gebäude bei der energetischen Sanierung immer als Ganzes betrachtet werden muss, um sowohl Bauschäden zu vermeiden als auch die Maßnahmen auszuwählen, die das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis darstellen. Schließlich kann es nicht sein, dass Mietterinnen und Mieter, die zuverlässig über Jahre ihre Miete bezahlt haben, nach der Sanierung ihrer Wohnungen ausziehen müssen, weil die Mietpreissteigerungen für sie nicht mehr tragbar sind. Der Umwelt zuliebe? Umweltschutz muss mehr sein als Klimaschutz.



Link zur Dokumentation des NDR:
www.youtube.com/watch?v=AWD0HeZLufM

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 178 - Februar/März 2014, Seite 1 + 4
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2014