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MASSNAHMEN/227: "Enteignung" durch Ausweisung von Überschwemmungsgebieten? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1095, vom 17. Okt. 2016 - 36. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

"Enteignung" durch Ausweisung von Überschwemmungsgebieten?


Schon mehrmals hat der RUNDBR. darüber berichtet, dass die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten zu massivem Widerstand der betroffenen Kommunen führt (s. RUNDBR. 1030/1-2). Aber auch BürgerInnen, die von einem HQ100-Überflutungsgebiet betroffen werden, stellen sich quer (vgl. 1054/1-4) - so beispielsweise in Hamburg: Seit der Hamburger Senat an der Jahreswende 2014/2015 elf neue Hochwasserüberflutungsgelände ausgewiesen hat, kocht im Stadtteil Berne die Volksseele. Die Ausweisung als Überschwemmungsgebiet (ÜSG) nach § 76 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) bzw. von "Hochwassergefahrengebieten" nach § 74 WHG geht für die Betroffenen mit erheblichen Einschränkungen bei Neu- und Ausbau, bei Anpflanzungen und der Landnutzung einher - siehe § 78 WHG. Der Konflikt ist sofort politisch besetzt worden. Angesichts des Protestes der Anwohner der Berner Au hatte sich sogleich Dora Heyenn, die umweltpoltische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft auf die Seite der Berner Grundstücksbesitzer (nicht unbedingt das originäre Klientel der LINKEN) gestellt:

"Es ist kein Wunder, dass Anwohner im künftigen Überschwemmungsgebiet Berner Au auf die Barrikaden gehen. Obwohl in hundert Jahren wahrscheinlich nur einmal ein Hochwasser eintreten wird, sind die Anwohner umfassenden Einschränkungen ausgesetzt. Das ist völlig überzogen. Hamburg hat die rechtlichen Möglichkeiten hier andere, angemessenere Regelungen zu schaffen und muss es im Interesse der Betroffenen auch tun!"

Mit dem Schlachtruf "Kein ÜSG Berner Aue!" wollten sich die empörten Anwohner im Jan. 2015 mit einem Bürgerbegehren zur Wehr setzen. Das Bürgerbegehren wurde allerdings vom zuständigen Bezirksamt Wandsbeck umgehend als rechtlich nicht zulässig abgelehnt. Die Behörden lehnten es ab, den um den Wertverlust ihrer Immobilien fürchtenden Anwohnern ("Teilenteignung!") inhaltlich entgegenzukommen. Die Hamburg-Ausgabe der taz wusste hierfür eine Erklärung: Wenn man den Bernern entgegenkomme, müsste man entgegen aller hydrologischen Modellrechnungen möglicherweise auch in den zehn anderen Überflutungsgebieten Zugeständnisse machen. Die elf Überschwemmungsgebiete - fast allesamt an kleinen und kleinsten Bächen und Gräben - betreffen 2.200 Grundstücke mit etwa 5.000 Haushalten. Die Behörden verweisen darauf, dass man die Überschwemmungsgebiete nicht nach Lust und Dollerei ausgewiesen habe - sondern weil man damit letztlich den Anforderungen der EU-Hochwasserrisikomanagementrichtlinie (s. RUNDBR. 1030/1-2; 965/1-3) nachkomme.

Berner Aue: Wer provoziert das Binnenhochwasser?

Der rechtliche Hintergrund ist den BesitzerInnen der etwa 300 an der Berner Aue liegenden Wohngrundstücke ziemlich egal. Sie sind erbost, dass man ausgerechnet ihre Gärten als Überflutungsgelände ausweisen will - obwohl die Berner Aue, normalerweise ein Rinnsal mit längst versiegter Quelle, seit Menschengedenken noch nie über die Ufer getreten sei. Die Berner Aue im äußeren Nordosten Hamburgs (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Berner_Au) ist ein Zufluss zur Wandse, die wiederum über die Alster in die Elbe mündet. Normalerweise führt die Berner Aue nur Wasser, wenn es regnet - und das auch nur deshalb, weil die Stadt das Bachbett als Regenwasserkanal ("Regenwassersiel") nutzt. Der Klimawandel mit einer möglichen Zunahme von Starkniederschlägen und eine Nachverdichtung mit zusätzlichen versiegelten Flächen könnten in der Berner Aue zu einem "Binnenhochwasser" führen. Nach Meinung der Bürgerinitiative "Kein ÜSG Berner Aue!" wäre aber an einem "Binnenhochwasser" vorrangig die Stadt und nicht der Klimawandel schuld. Die Anwohner ärgern sich, dass die Stadt das Bachbett nicht offiziell als Regenwassersiel ausgewiesen hat (siehe Kasten). Wäre das der Fall, dann müsste die Stadt selbst für einen geordneten Hochwasserabfluss sorgen - beispielsweise durch den Bau von Rückhaltebecken. Aber die Berner Aue gilt weiterhin als natürliches Gewässer. Wegen der Nichtausweisung der Berner Aue als Regenwasserkanal einerseits und der Ausweisung eines Überschwemmungsgebietes andererseits würde die Stadt frecherweise die Regenwasserproblematik auf die Anwohner der Berner Aue abwälzen.

Wann ist ein Graben ein Regenwasserkanal?

Während Hamburg die Berner Aue nicht als Regenwasserkanal ausgewiesen hat, werden in anderen Kommunen offene Gräben als Einrichtung der Niederschlagswasserentsorgung eingestuft - also als Regenwasserkanal. Aber auch das kann auf Unverständnis und Widerstand der AnwohnerInnen stoßen. Denn diejenigen Anwohner, die lt. Abwassersatzung das Niederschlagswasser von Dach- und Hofflächen in den Graben ableiten, müssen Niederschlagswassergebühr bezahlen - obwohl gar kein kostenträchtiger Regenwasserkanal vorhanden ist. Das in den Graben abgeleitete Regenwasser versickert in der Regel schon im Graben oder landet weiter grabenabwärts in einem Bach - auf jeden Fall aber nicht in einer Kläranlage oder einem Regenwasserklärbecken. Dass man trotzdem zur Niederschlagswassergebühr herangezogen wird, ist für viele Anwohner empörend. Von der Niederschlagswassergebühr wären die Anwohner nur entbunden, wenn sie das Regenwasser von Dach-und Hofflächen gänzlich auf ihren Grundstücken selbst zur Versickerung bringen würden.

Überschwemmungsgebiet Berner Aue: Konflikt eskaliert

Jetzt sind die Auseinandersetzungen um die Ausweisung des Überschwemmungsgebietes an der Berner Aue noch einen Tick schärfer geworden. Das Gefühl der AnwohnerInnen, einer "Teilenteignung" ausgesetzt zu sein, hat noch ein Mal zugenommen, als die AnwohnerInnen in den letzten Wochen die neuen Versicherungspolicen ihrer Elementarschadensversicherungsgesellschaften in den Briefkästen fanden. Am 07.10.16 berichtete das HAMBURGER ABENDBLATT, dass ein Teil der AnwohnerInnen "eine Verzehnfachung der Prämien hinnehmen" müsste. Die Einstufung in deutlich höhere Risikostufen führen die betroffenen Hauseigentümer auf die Ausweisung des Überflutungsgeländes zurück. Und eine Hiobsbotschaft für Bauwillige: Neubauten an der Berner Aue würden wegen der Hochwassergefahr überhaupt nicht mehr versichert. Und ohne Versicherung gibt es keinen Baukredit von der Bank. Umso mehr fordert die Bürgerinitiative jetzt von der Stadt, aktiv zum Hochwasserschutz beizutragen. An der Elbe würden für den Hamburger Hochwasserschutz schließlich auch Millionen Euro in die Hand genommen. Angesichts der erneuten Eskalation des Konflikts hat sich nun auch die CDU in Hamburg auf die Seite der erzürnten Anwohner geschlagen: Der CDU-Fraktionsvize Dennis Thering nannte die ÜSG-Ausweisung in Berne "unsinnig" und der damit verursachte Wertverlust der Immobilien sei "eine Zumutung". Der von der SPD und den GRÜNEN gebildete Hamburger Senat müsse sich "endlich bewegen" und zu einem "verhältnismäßigen Umgang mit der Hochwassergefahr" übergehen. Wie das HAMBURGER ABENDBLATT weiter berichtet, habe die Stadt "auch jetzt auf Nachfrage wieder erklärt, die Immobilien hätten mit der Ausweisung als ÜSG nicht an Wert verloren. Sie trat damit Schadenersatzansprüchen entgegen. Makler, die von Wertverlusten oder gar von Unverkäuflichkeit gesprochen hatten, würden damit geschäftliche Interessen verfolgen."


Der Standpunkt der BI ("Bürger kämpfen um ihre Grundstücke") auf:
www.bernerau.de

Die umfangreichen Informationen der Stadt zur Ausweisung eines Überschwemmungsgebietes an der Berner Aue auf:
www.hamburg.de/ueberschwemmungsgebiete/4326290/ueberschwemmungsgebiet-berner-au/

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1095
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2017

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