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MASSNAHMEN/231: "Grüne Infrastruktur" - Freie Bahn für Wildtiere (NABU)


ADAC, Deutscher Jagdverband (DJV), Naturschutzbund (NABU), WWF Deutschland - Gemeinsame Pressemitteilung, 22. März 2017

Freie Bahn für Wildtiere

ADAC, Deutscher Jagdverband, Naturschutzbund (NABU) und der WWF Deutschland wollen fünf Prozent weniger Wildunfälle jährlich. Deutschland hat zu wenig "Grüne Infrastruktur".


Hunderttausende Rehe, Hirsche, Füchse und viele andere Tiere sterben jedes Jahr auf unseren Straßen. Wildunfälle stellen zudem für Autofahrer ein erhebliches Risiko dar. Zum anderen gefährden die Zerschneidung und Verinselung von Lebensräumen die biologische Vielfalt in Deutschland.

ADAC, Deutscher Jagdverband, Naturschutzbund (NABU) und der WWF Deutschland begrüßen deshalb das heute vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Berlin vorgestellte "Bundeskonzept Grüne Infrastruktur" als eine dringend notwendige Grundlage. Gleichzeitig kritisieren sie die schleppende Umsetzung des 2012 beschlossenen Bundesprogramms Wiedervernetzung sowie eines bundesweiten Biotopverbunds. Grund dafür ist neben der unzureichenden Finanzierung auch der bestehende Mangel von bundesweiten Planungsgrundlagen und Umsetzungsstrategien.

In einem gemeinsamen Papier fordern die Verbände daher Bund und Länder auf, ihre Anstrengungen zur Umsetzung von Wiedervernetzung und Biotopverbund deutlich zu verstärken. Ziel müsse es sein, die Zahl der Verkehrsunfälle mit Wildtieren - auch zum Schutz des Menschen - um jährlich fünf Prozent zu verringern. Hierfür brauche es geeignete Maßnahmen wie Querungshilfen, Wildwarnanlagen oder Zäunung.

Außerdem sollte ab sofort mindestens ein Prozent der Investitionen in Bundesfernstraßen für Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen an bestehenden Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen verwendet werden. Bis zum Jahr 2027 sollen so die 93 wichtigsten Wiedervernetzungsabschnitte aus dem Bundesprogramm abgearbeitet sein.

Für den dauerhaften Ausbau und den Erhalt Grüner Infrastruktur sollte ein "Bundesnetzplan Biotopverbund" eine länderübergreifende Vernetzung von Lebensräumen gewährleisten. Als fester Bestandteil der Raumplanung wären auf diese Weise wichtige Achsen sowie überlebenswichtige Kernflächen des Biotopverbundsystems dauerhaft gesichert. Besonderer Wert ist dabei auf die bestmögliche Einbindung von Wildbrücken und anderen Querungshilfen in das Netz der Natur zu legen.

Eines der größten Probleme stellt derzeit die intensive Landnutzung und damit die Verfügbarkeit von Fläche für den Naturschutz dar. Hier fordern die Verbände von der öffentlichen Hand, den Verkauf wichtiger Flächen aus ihrem Besitz einzustellen und diese für die Umsetzung des länderübergreifenden Biotopverbundes bereitzuhalten. Insbesondere in der Agrarlandschaft müssten ausreichend Trittstein- und Vernetzungslebensräume wie z.B. Waldinseln, Feuchtgebiete oder Hecken geschaffen werden. Hier ist auch die Agrarpolitik gefordert.

Die Tagung "Lebensraumkorridore für Mensch und Natur" am 27. März 2017 in der Berliner Landesvertretung von Baden-Württemberg befasst sich ebenfalls mit der Thematik der Wiedervernetzung und stellt zahlreiche Praxisbeispiele vor.

Raute


Gemeinsames Forderungspapier

von

Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V. (ADAC),
Deutscher Jagdverband e.V. (DJV),
Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) und
WWF Deutschland (WWF)

"Leben braucht Bewegung"

Die Wiedervernetzung von Lebensräumen und die nachhaltige Entwicklung ökologisch wertvoller Korridore muss forciert werden, denn Mensch und Natur brauchen ein lebenswertes, funktionsfähiges Netz Grüner Infrastruktur durch ganz Deutschland.

Präambel:

Lebensraumzerschneidung ist eine der wichtigsten Ursachen für die Gefährdung der biologischen Vielfalt. Lebensgemeinschaften können sich an den fortschreitenden Landschafts- wie Klimawandel nur anpassen, wenn Wildtiere sich großräumig fortbewegen und Arten sich über weite Strecken ausbreiten können.

Zahlreiche Forschungsarbeiten, Initiativen und Projekte der Verbände und Organisationen sowie das Bundeskonzept Grüne Infrastruktur bilden eine solide fachliche Grundlage. Sie belegen den Bedarf für eine Vernetzung isolierter Populationen und Lebensräume und identifizieren die bestehenden Konflikte mit dem Verkehrswegenetz, der intensiven Landnutzung und der Siedlungsentwicklung.

Zur Umsetzung internationaler Verpflichtungen und den nationalen Strategien zum Erhalt der biologischen Vielfalt hatte das Bundeskabinett am 29. Februar 2012 das Bundesprogramm Wiedervernetzung beschlossen. Mit ihm soll der Bau von Querungshilfen im Bestand des Bundesfernstraßennetzes befördert werden. Im Vorfeld hatten Verbände und Behörden in Kooperation mit dem Bundesamt für Naturschutz wichtige Entscheidungsgrundlagen erarbeitet (s. gemeinsames Positionspapier von BUND, DJV und NABU vom 21.02.2008).

Die Umsetzung des Bundesprogramms Wiedervernetzung und des Biotopverbunds verläuft jedoch schleppend, u. a. wegen fehlender finanzieller Untersetzung und fehlender, verbindlicher Planung und Umsetzung. Das Bundesprogramm Wiedervernetzung muss erweitert und auch der Biotopverbund verbindlich gestärkt werden.

Die Verbände fordern daher:

Bundesprogramm Wiedervernetzung stärken und fortentwicklen!
  • Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und die Auftragsverwaltungen der Länder werden aufgefordert, mindestens 1 Prozent der Investitionen in die Bundesfernstraßen für Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen an bestehenden Bundesautobahnen bzw. Bundesstraßen auszugeben. Die dafür notwendigen Haushaltsmittel sind in geeigneter Form zweckgebunden bereitzustellen.
  • Auf Basis dieser Finanzierung soll bis zum Jahr 2027 eine überarbeitete Liste der prioritären Wiedervernetzungsabschnitte aus dem Bundesprogramm Wiedervernetzung (BMU, 2012) abgearbeitet werden.
  • Bestehende Durchlässe und Brücken sollen - soweit geeignet - optimiert und unverhältnismäßige Barrieren bis zum Jahr 2027 zurückgebaut werden.
  • Bei der Durchführung von Wiedervernetzungsmaßnahmen ist auf eine geeignete Umfeldgestaltung und Hinterlandanbindung zu achten.
  • Kompensationmaßnahmen sind - sofern naturschutzfachlich sinnvoll - vorrangig in die Kulisse zukünftig kohärenter Lebensraumnetze zu legen.
  • Zur Wiedervernetzung v.a. in ausgeräumten Agrarlandschaften gehört die Untersuchung der Potenziale der Neu- und Umgestaltung von Wirtschaftswegen, d.h. die Anpassung der ländlichen Wege an moderne Landmaschinen bei gleichzeitiger Entwicklung der Wegränder zu ausreichend breiten Verbundkorridoren.
Biotopvernetzung weiter planen und umsetzen!

• Grüne Infrastruktur durch "Bundesnetzplan Biotopverbund" sichern

Für den dauerhaften Ausbau und Erhalt Grüner Infrasturkur muss - analog zum Bundesverkehrswegeplan - ein bundesweites Instrument geschaffen werden. Nach Erarbeitung eines Bedarfsplanes Grüne Infrastruktur muss dann ein "Bundesnetzplan Biotopverbund" eine länderübergreifende Umsetzung der Biotopvernetzung gewährleisten und in bestehende Planungen verpflichtend integrieren und Flächen sichern.

Die Raumordnung muss alle wichtigen Achsen für den Lebensraumverbund dauerhaft planerisch sichern, indem die Kernflächen aller überregional bedeutsamen Wildtierkorridore als Vorranggebiete für Natur und Landschaft oder den 'allgemeinen' Freiraumschutz ausgewiesen werden. Besonderen Schutz muss das Umfeld sowie die Hinterlandanbindung von Querungshilfen genießen.

• Lücken im länderübergreifenden Biotopverbund schließen

Die Verfügbarkeit von Flächen für den Naturschutz ist einer der wesentlichsten Faktoren für die dauerhafte Sicherung der Grünen Infrastruktur. Mit einem Moratorium für den Verkauf geeigneter öffentlicher Flächen muss sichergestellt werden, dass Flächen der öffentlichen Hand zur Umsetzung des länderübergreifenden Biotopverbunds genutzt werden können.

Der großräumige Biotopverbund muss wieder hergestellt werden, indem gemeinsam mit den Landnutzern (u.a. auch über eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik) bis zum Jahr 2027 in defizitären Verbundachsen wieder ausreichend Trittstein- und Vernetzungshabitate entwickelt, d.h. Lebensraumkorridore für Mensch und Natur geschaffen und dauerhaft gesichert werden.

Maßnahmen zur Vermeidung von Wildunfällen umsetzen!
  • Die Zahl der Verkehrsunfälle mit Wildtieren soll auch zum Schutz des Menschen durch geeignete Maßnahmen, wie Querungshilfen, Wildwarnanlagen oder Zäunung um jährlich 5 Prozent verringert werden.
  • Hierfür muss ein Wildunfallkataster aufgebaut werden. Eine Meldepflicht für den Straßenbetriebsdienst und die Polizei zur lückenlosen Dokumentation der Wildunfälle muss eingeführt oder Verbandsinitiativen ausgebaut werden (vgl. www.tierfund-kataster.de). Die fortlaufende Wildunfallerfassung und Analyse der Wildunfallschwerpunkte dient dazu Maßnahmen zur Vermeidung von Wildunfällen zu entwickeln. Zur Dokumentation der Erfolge sind jährliche Berichte erforderlich.
  • Vor bekannten Wildunfallschwerpunkten muss konsequent gewarnt werden.
Beratung, Ausbildung und Information verbessern!
  • Auf Bundes- und Landesebene sind unabhängige Wiedervernetzungsbeauftragte nach dem Vorbild von Baden-Württemberg einzustellen. Sie beraten bei Planungen, initiieren und koordinieren Umsetzungsmaßnahmen und fassen das Erfolgsmonitoring zusammen.
  • Techniken der Wildunfallvermeidung, der Überwindung von Barrieren und der Entwicklung von Grüner Infrastruktur müssen in die Ausbildung von Landschaftsplanern, Landschaftsarchitekten und Verkehrsplanern besser integriert werden.
  • Zur Bürgerinformation ist alle 5 Jahre ein Bericht mit den realisierten Maßnahmen zur Vernetzung und zum Erfolgsmonitoring zu veröffentlichen. Voraussetzung dazu ist der Aufbau einer allgemein zugänglichen Datenbank über bundesweit bestehende und in Planung befindliche Querungshilfen. Darzustellen sind auch die Zunahme funktionsfähiger Lebensraumkorridore (Gesamtlänge) sowie die Anzahl rückgebauter Barrieren.

München und Berlin, den 22. März 2017

Ulrich Klaus Becker
Vizepräsident für Verkehr ADAC

Hartwig Fischer
Präsident DJV

Olaf Tschimpke
Präsident NABU

Dr. Diana Pretzell
Leiterin Naturschutz WWF Deutschland

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Quelle:
Gemeinsame Pressemitteilung, 22.03.2017
weitergeleitet von:
Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU)
Pressestelle
Charitéstraße 3, 10117 Berlin
Tel.: 030/284 984-1510, -1520, Fax: 030/284 984-84
E-Mail: presse@NABU.de
Internet: www.NABU.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2017

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