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MILITÄR/077: Gefährliche Strandfunde - Das unheimliche Erbe der Weltkriege (Naturschutz heute)


Gefährliche Strandfunde
Das unheimliche Erbe der Weltkriege

Von Ingo Ludwichowski und Sven Koschinski



Ferien am Meer - für viele ist das der Inbegriff von Urlaub. Zu einem solchen Urlaub gehört es auch, Spülsaum und Strand auf spannende Funde abzusuchen. Doch manch unheilvolle Überraschung lauert für Steine-Sammler zwischen Fossilien und eiszeitlichem Geschiebe als gefährliches Erbe der Weltkriege: In den deutschen Gewässern der Nordsee liegen schätzungsweise 1,3 Millionen Tonnen Munition, in der deutschen Ostsee weitere 300.000 Tonnen. Dabei handelt es sich um Munitionsteile von Gewehrpatronen bis Minen, Raketen und Torpedos. Sie wurden in Kampfhandlungen der Weltkriege ausgebracht, auf dem Rückzug von deutschen Truppen oder nach Kriegsende im Auftrag der Alliierten versenkt. Zusätzlich gelangten 230.000 Tonnen chemischer Kampfstoffmunition ("Giftgas") in die Nord- und Ostsee.

Schwer zu erkennen

Alle diese Hinterlassenschaften werden heute zur Gefahr nicht nur für die Ökosysteme, sondern auch für deren menschliche Besucher. Dies ist kein allein deutsches Problem: Weltweit besteht an vielen Stränden die Möglichkeit, auf Munition zu stoßen.

Munitionsteile sind nicht leicht als solche zu identifizieren. jahrzehntelanger Kontakt mit Salzwasser hat Spuren hinterlassen. Viele Granaten, Wasserbomben oder Minen bröckeln auseinander und Sprengstoffe wie die in großen Mengen verwendete "Schießwolle" werden an den Strand gespült. Die unheimliche Gefahr ist bis heute präsent: So fand ein sechsjähriger Junge aus Baden-Württemberg beim Strandbesuch im Juli 2012 einen unbekannten "Stein" von der Größe eines Ziegels, den er mit in die Ferienwohnung nahm. Der Vater des Jungen berichtete dem NABU, dass sich Hände, T-Shirt, Jacke und Hose orange verfärbten. Der Kampfmittelräumdienst identifizierte den "Stein" schließlich als Schießwolle.

Vorsicht vor Phosphor

Die Sprengstoffe sind also nicht leicht zu identifizieren. Nach Jahrzenten sehen sie eher wie ein interessanter, teilweise wegen beigemengten Aluminiums glitzernder "Stein" aus, sodass sie wohl häufiger von Touristen mitgenommen werden und als unbestimmtes Souvenir in manchem Wohnzimmer oder Partykeller liegen. Neben der Haut-Verfärbung kann das Berühren auch zu Blasenbildung oder gar großflächiger Ablösung ganzer Hautpartien sowie Leberschäden führen.

Besonders gefährlich ist weißer Phosphor, der Bernstein zum Verwechseln ähnlich sieht. Da sich dieser bei Austrocknung selbst entzündet, kommt es regelmäßig zu schwersten Verbrennungen bei Strandbesuchern, die sich Phosphorklumpen als vermeintliche Bernsteine in die Tasche gesteckt haben. Daneben ist er extrem giftig.

Fische untersuchen

Munition im Meer ist eine tickende Zeitbombe, die auch erhebliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt, die Fischerei, den Tourismus und die Schiffssicherheit hat. Schießwolle enthält krebserregende und erbgutverändernde Substanzen, die auch für Meeresorganismen giftig sind. Aus Sicht des NABU sind in Munitionsversenkungsgebieten weitere Untersuchungen an standorttreuen und langlebigen Fischen wie Aalmuttern, Seeskorpionen oder Plattfischen sowie filtrierenden Organismen wie Miesmuscheln nötig, die TNT-Partikel leicht in größeren Mengen aufnehmen können.

Die Verantwortlichen in Bund und Ländern müssen sich zu einer umweltfreundlichen Bergung und Beseitigung der Altlasten im Meer bekennen."

Sprengkörper korrodieren nach langer Lagerung im Salzwasser und geben den gefährlichen Inhalt frei. Wellen spülen ihn an den Strand. Auch wird bei der lange Zeit üblichen Beseitigung von Großkampfmitteln durch Sprengung nicht der ganze Sprengstoff umgesetzt, sondern teils großräumig in der Wassersäule verteilt. Die Zahl der Sprengstoff-Funde ist leider weiterhin nicht bekannt. Der Forderung des NABU nach Einrichtung einer zentralen Meldestelle auf freiwilliger Basis sind die deutschen Behörden zwar 2012 nachgekommen, doch bei einem Vergleich der Daten aus dem Jahr 2013 mit dem NABU vorliegenden Angaben aus anderen Quellen wird deutlich, dass noch lange nicht alle Ereignisse mitgeteilt werden.

Regeln beachten

Trotzdem besteht kein Grund zur Panik, ein Urlaub an der Küste bleibt empfehlenswert. Es ist ein seltenes Ereignis, auf Munitionsreste zu stoßen und selbst ein Fund bleibt weitgehend harmlos, wenn Regeln beachtet werden. So sollten verdächtige Objekte keinesfalls selbst geborgen, sondern unverzüglich der Polizei gemeldet werden. Wer bereits einen Fund in Besitz genommen hat, sollte die Behörden informieren. Auch der NABU ist an Rückmeldungen interessiert.

Der NABU fordert einen offensiven und tranparenten Umgang mit dem Thema. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern müssen sich zu einer umweltfreundlichen Bergung und Beseitigung der Altlasten im Meer bekennen. Sprengungen sind auch zum Schutz von Schweinswalen und anderen Meerestieren keine Lösung, sondern vergrößern das Problem. Die Behörden müssen sich nicht nur zur Bergung bekennen, sondern sie auch bald in Angriff nehmen, denn jetzt ist noch eine Bergung möglich. Später, wenn die Metallhüllen weggerostet sind, werden die Munitionsreste mit den verwendeten Detektionsmethoden unauffindbar.

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"Ich habe gestern Abend ein Feuerzeug an das gebrochene Ende des 'Fossils' gehalten und im Bruchteil einer Sekunde gab es eine 30 Zentimeter lange Stichflamme, die auch durch Wedeln nicht aus zu bekommen war. Geistesgegenwärtig sprintete ich vier Meter zum Ofen, wo eine Zinkwanne für Feuerholz steht - die Gott sei Dank fast leer war - und warf das feurige Teil hinein. Nach insgesamt fünf Sekunden war das Spektakel vorbei, die Flammen aus, und das 'Fossil' war einfach weggebrannt. Bis auf einen höllischen Gestank und das Fehlen meiner Körperbehaarung am Unterarm ist nichts weiter passiert."

Bericht eines Finders einer Nitroglyzerin-Zellulose-Stange (Geschütz-Treibladung) in Klein Waabs im November 2013.


Wer selbst verdächtige Stücke gefunden hat, kann sich direkt an denNABU Schleswig-Holstein melden, gerne mit Foto des Objektes: Tel. 04321-53734, info@nabu.sh.de.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Der Name täuscht: Schießwolle sieht eher aus wie ein großer Kiesel, mal einfarbig, mal wie oben im großen Bild mit Mustern.
- Auch das ist Schießwolle: in der Form plattenartig und überwiegend homogen gefärbt.
- Hände weg auch bei solchen Fundstücken: Hier handelt sich um Stangenpulver.
- Aus den Meerestiefen geborgene Munition.

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 123/4.2014, Seite 42 - 43
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2014