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MILITÄR/084: Rüstungsaltlasten in den Meeren (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1138 vom 11. Dez. 2018, 38. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Rüstungsaltlasten in den Meeren


Das Niedrigwasser in der Elbe und im Rhein hilft beim Aufräumen: Bei dem extrem niedrigen Wasserstand sind im Sommer und Herbst 2018 immer wieder Granaten und andere Munitionsreste aufgetaucht, die am Ende des Zweiten Weltkriegs in Elbe und Rhein entsorgt worden sind. Bedenklich: Waffenenthusiasten machen sich entlang der Elbe auf die Suche, um auf den trockengefallenen Sandbänken nach Granaten zu suchen - sozusagen Geocatching der anderen Art. Der TAGESSPIEGEL zitierte am 02.08.18 die Polizei, dass bei Berühren der Granaten dieselbigen einem um die Ohren fliegen können. - Dass das Schweizer Militär Munition im Thunersee versenkt hat, war Thema im RUNDBR. 851/1-2. - In diesem RUNDBR. wagen wir jetzt den Schritt aus dem limnischen Bereich in den maritimen Sektor: Dass dort in den Weltmeeren gigantische Mengen an Plastikmüll herumschwimmen, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Doch längs vieler Küsten tickt auf dem Grund der Meere eine regelrechte ökologische Zeitbombe. Denn wann immer Militärs überflüssige Munitionsbestände loswerden wollten, wurden sie überall auf der Welt in den Meeren verklappt. So ruhen allein auf dem Grund von Nord-und Ostsee rund 1,6 Millionen Tonnen an Munition und 200000 Tonnen chemische Kampfstoffe. Welche Risiken sich für die Umwelt ergeben, wenn die brisanten Inhaltsstoffe dieser Rüstungsaltlasten ins Meerwasser gelangen, wird seit einigen Jahren intensiver erforscht. Abgesehen von ihren ökologischen Auswirkungen gibt es jedoch noch wirtschaftliche Gründe, sich des Themas anzunehmen. Denn neue Fahrrinnen müssen freigelegt, Pipelines zu Bohrinseln gebaut und Seekabel für die Landanbindung von Windparks verlegt werden. Und allzuoft sind die gefährlichen Rüstungsaltlasten unter solchen Baustellen mit Schlick und Sand begraben. Nachfolgend fassen wir drei Berichte zusammen, die sich kürzlich dieses Themas angenommen haben. -rk-

Echolote und Software orten verklappte Munition

In der Zeitschrift "Helmholtz Perspektiven" (03/2018, S. 32-35) hat Kilian Kirchgeßner über das Projekt mit dem sperrigen Titel "Umweltüberwachung vor, während und nach der Delaboration von Munition im Meer - UDEMM", berichtet. Besonders gegen Ende des letzten Weltkriegs entsorgten zunächst deutsche Truppen und dann die Alliierten Munitionsbestände der Wehrmacht vor den deutschen Küsten.

Zwar wurden die Ablagerungsorte in Seekarten eingezeichnet, doch erwies sich diese Kartierung im Nachhinein als ungenau. "Die Schiffe fuhren einfach soundso lang in einem bestimmten Kurs auf die See hinaus und warfen die Munition ab", wird Jens Greinert von GEOMAR, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zitiert, der das vor zwei Jahren initiierte Projekt leitet. Solche mutmaßlichen Lagerstätten sind heute Sperrgebiete, in denen Schiffe nicht fahren dürfen. Geortet wird die Munition mit Echoloten, die den Boden absuchen. Künftig soll eine Software in der Lage sein, die Munition auf solchen Aufnahmen ausfindig zu machen. -rk-

Muscheln als Schadstoffsammler

Korrodiert die Munition allmählich im Seewasser, gelangen die gefährlichen Inhaltsstoffe - bei chemischen Kampfstoffen können dies z. B. arsenhaltige Substanzen oder Senfgas sein, bei explosiver Munition häufig der Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT) sowie die Umwandlungsprodukte dieser Stoffe, ferner Phosphor aus Brandbomben - ins Meerwasser und damit in die Nahrungskette. Um die Ausbreitung von TNT zu untersuchen, wurde an der Universität Kiel ein Verfahren mithilfe von mit Muscheln gefüllten Körbchen entwickelt. Taucher fixieren solche Körbchen nahe der Munitionsbestände. Da die Muscheln täglich mehrere Liter Wasser filtern, reichern sich die aus der Munition entwichenen Schadstoffe allmählich darin an. Rund um die Munitionslagerstätten bilden sich demnach regelrechte Wolken solcher Schadstoffe im Wasser. -rk-

Berechnete Schadstoffwolken in den Meeren

Um die Ausbreitung solcher Schadstoffwolken im Meer zu simulieren, wurde am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde ein Rechenmodell entwickelt, in das ostseetypische Bedingungen wie Windstärke, Wettereinflüsse, Salzgehalt und Temperatur des Wassers eingeflossen sind. Letztlich wurden so Karten erstellt, aus denen abgelesen werden kann, wie konzentriert freigesetzte Giftstoffe aus korrodierter Munition an beliebigen Stellen der Ostsee auftreten können. Das Rechenmodell soll universell einsetzbar sein, also selbst in tropischen Gewässern. -rk-

Warum Munition im Meer bisher nicht beachtet wurde

Dass es trotz der globalen Problematik von in Meeren versenkter Munition bisher kaum Forschung auf diesem Gebiet gab, liegt auch daran, dass "von der Politik bis hin zum Militär die unterschiedlichsten Akteure mitreden - und die haben sich bislang oft entschieden, mit Stillschweigen zu reagieren", so Kirchgeßner in seinem Beitrag. Doch scheint es utopisch, die gesamte Masse an verklappter Munition vor den deutschen Nord- und Ostseeküsten zu bergen. Besonders vor der Nordseeküste hat sich gezeitenbedingt längst Schlick über der Munition abgelagert. Selbst kontrollierte Sprengungen haben negative Folgen. Unter Wasser verbrennt der Sprengstoff nämlich unvollständig, so sich teils fußballgroße Klumpen von TNT am Meeresboden verteilen. Sind die Metallhülsen erst einmal wegkorrodiert oder wurden sie gesprengt, lassen sich die freien Sprengstoffe kaum noch unter Wasser orten. Weitere Informationen: Die Zeitschrift Helmholtz Perspektiven kann online unter www.helmholtz.de/perspektiven gelesen oder als Printausgabe kostenlos bestellt werden (perspektiven@helmholtz.de).

Zu UDEMM:
https://www.io-warnemuende.de/projekt/137/hymesimm.html
www.helmholtz.de/munition-im-meer. -rk-

Ein Robotersystem macht Munition unter Wasser unschädlich

In dem Beitrag "Explosives Kriegserbe am Meeresgrund" hat Franz Miller im Fraunhofer-Magazin "weiter.vorn" (3.18, S. 64-65) über das zeitgleich mit dem voranstehend beschriebenen Projekt UDEMM gestartete Projekt "RoBEMM" berichtet. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich das "Robotische Unterwasser-Bergungs- und Entsorgungsverfahren inklusive Technik zur Delaboration von Munition im Meer". Je besser die Ortungstechnik mit Sonar und Magnetsonden wird, desto mehr Munition wird längs der Küsten aufgespürt. Viele Sprengmittel lassen sich nicht mehr bergen. Da sich die Sprengstoffe nach so langer Zeit chemisch verändert haben können, reicht häufig schon die Druckveränderung aus, um eine Explosion auszulösen. Oft bleibt nur die Räumung in gefährlicher Handarbeit durch Taucher von Kampfmittelräumdiensten. Bei Unterwassersprengungen werden, wie schon erwähnt, Klumpen unverbrannten Sprengstoffs auf dem Meeresgrund verteilt. Mitunter werden Minen auch unter Wasser vorsichtig in bekannte Munitionsgebiete geschleppt, um sie dort weiter zu deponieren.

Das Verfahren RoBEMM soll künftig Tauchereinsätze und Sprengungen ersetzen. Dazu entwickeln Forscher des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie in Pfinztal gemeinsam mit Projektpartnern ein Verfahren, mit dem Munition direkt am Fundort automatisiert unschädlich gemacht werden kann. Das System besteht aus einer schwimmenden Entsorgungsplattform, unter der sich eine Delaborationseinheit im Wasser befindet. Ein Unterwassertransportgerät bringt die Munition zu dieser Einheit, wo sie geöffnet, in ihre Bestandteile zerlegt und unschädlich gemacht wird. Erste Tests mit RoBEMM sollen schon bald erfolgen.

Das Fraunhofer-Magazin "weiter.vorn" kann kostenlos bezogen werden (Tel. 089/1205-1301, publikationen@fraunhofer.de).

Risiken für Mensch und Umwelt durch Munition im Meer

Unter dem Titel "Stille Wasser" hat Marion Koch in der Zeitschrift "forschungsfelder" (2/2018, S. 22-25) über das bis 2019 laufende EU-Projekt DAIMON berichtet, in dem das Thünen-Institut für Fischereiökologie in Bremerhaven mit internationalen Partnern zusammenarbeitet. Bei den bisherigen Untersuchungen wurde bereits festgestellt, dass Fische ganz unterschiedlich auf die chemischen Belastungen aus verrotteter Munition reagieren. So wiesen Dorsche aus belasteten und unbelasteten Gewässern der Ostsee keine gravierenden Änderungen im Gesundheitszustand auf. Anders die Klieschen, die in einem flachen Gewässer am Rande eines Sperrgebietes in der Kieler Bucht gefangen wurden. Dort lagern beträchtliche Mengen an konventioneller Munition. "Ein Großteil der Klieschen wies Leberveränderungen auf, wiederum ein Großteil davon waren Tumoren oder Tumoren im Vorstadium", so Dr. Thomas Lang vom Thünen-Institut. Die Untersuchungen werden dadurch erschwert, dass sich Sprengstoffe wie TNT im Wasser oder in Organismen allmählich in oftmals nicht bekannte Folgeprodukte umwandeln. Ein Projektziel ist denn auch, solche Folgeprodukte in Fischen analytisch nachzuweisen. Ferner werden im Labor Toxizitätstests mit Wasserorganismen durchgeführt, um die Risiken zu bewerten, Grenzwerte festzulegen und so Richtlinien für den Verbraucherschutz aufzustellen.

Weitere Informationen:
Die Zeitschrift "forschungsfelder" des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) kann kostenlos bezogen werden bei Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 48 10 09, 18132 Rostock, Tel. 030/18 272-27 21, Fax: 030/18 10 22-27 21, publikationen@bundesregierung.de.



Zu DAIMON: https://www.daimonproject.com/

Weitere Informationen:
https://www.thuenen.de/de/fi/arbeitsbereiche/me eresumwelt/munition-im-meer/ -rk-

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1138
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2019

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