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VIELFALT/192: Anspruch und Wirklichkeit - Das 2010-Ziel und seine Zukunft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010
2010 Entscheidungsjahr für die Biologische Vielfalt

Anspruch und Wirklichkeit
Das 2010-Ziel und seine Zukunft

Von Mira Beinert


Den Verlust der Biodiversität bis 2010 nachhaltig zu reduzieren bzw. weltweit zu stoppen ist seit 2002 die Zielmarge der Staatengemeinschaft. Ziele braucht man, an Zielen orientiert sich das Handeln. Auch für die Weltgemeinschaft unter dem Dach der Vereinten Nationen gilt dieses. Dennoch steht fest, die Weltgemeinschaft hat versagt. Das 2010-Ziel ist bei weiten nicht erreicht worden. Was kommt nun?

Internationales Jahr der Biodiversität

Die Eröffnung des "Internationalen Jahres der Biodiversität" fand Anfang des Jahres unter der Präsidentschaft der deutschen Bundesregierung im Berliner Museum für Naturkunde statt. Im altehrwürdigen Dinosauriersaal bekräftigten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Japans Vize-Umweltminister Issei Tajima und der UN- Generalsekretär Ban Ki-moon, den drängenden Schutz der biologischen Vielfalt. Treffender konnte ein Ort nicht gewählt werden. Derzeit spielt sich weltweit das größte ökologische Massensterben ab, seitdem die Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren von der Erdoberfläche verschwunden sind. In Vergleich zu damals ist nicht ein Meteorit sondern der Mensch hierfür verantwortlich. Keine andere Spezies auf der Erde beeinflusst die natürlichen Lebensgrundlagen so prägend wie der Mensch.

Die aktuelle Rate des weltweiten Artensterbens übersteigt die angenommene natürliche Aussterberate um das 100- bis 1000-fache. Das ist ein Prozess, der die Lebensbedingungen aller nachhaltig schädigt.

Das Jahr 2010 ist für den internationalen Naturschutz ein Jahr der Bilanzen. Vor rund zehn Jahren einigte sich die Staatengemeinschaft auf das hohe und vielversprechende Ziel, den weltweiten Schwund an Lebensräumen, Tier- und Pflanzenarten und der genetischen Vielfalt signifikant zu reduzieren bzw. zu stoppen. Im Jahr 2002 auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz zur UN-Biodiversitätskonvention (COP-6) in Den Haag, Niederlande, wurde offiziell der Strategische Plan (SP) zur Umsetzung der Biodiversitätskonvention verabschiedet.

Bereits ein Jahr zuvor hatten sich die EU-Staatschefs in Göteborg, Schweden auf das ambitionierte Ziel geeinigt, den dramatischen Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 in Europa zu stoppen.

Der SP beschreibt die mittel- bis langfristigen Prioritäten zum Schutz und zur Erhaltung der biologischen Vielfalt bis 2010 und legt das weltweite Ziel fest, die Verlustrate an biologischer Vielfalt auf globaler, nationaler und regionaler Ebene signifikant zu reduzieren. Er ist das Kernstück des globalen 2010-Zieles. In Nagoya steht er zur Revision an.


Ungebremster Biodiversitätsverlust

Bei allen kleineren und größeren Erfolgen im langjährigen Bemühen ist die weltweite Biodiversität jedoch bedrohter als je zuvor. Täglich verschwinden nach aktuellen UN-Angaben zwischen 50 und 150 Arten von der Erde. Dies ist im Wesentlichen auf die Trägheit ökologischer und gesellschaftlich-politischer Systeme zurückzuführen. Die Globalisierung, die Wachstumsgläubigkeit der Wirtschaft und die modernen Lebensstile fordern ihren Preis. Ebenso haben Habitatveränderungen, Klimawandel und das Einbringen invasiver, gebietsfremder Arten direkten Einfluss auf den hohen Verlust an biologischer Vielfalt.

Das Fundament menschlichen Wohlergehens sind die von gesunden, biologisch vielfältigen Ökosystemen zur Verfügung gestellten Dienstleistungen. Diese Sicht teilt auch der Entwurf des 3. Global Biodiversity Outlook (GBO3) aus dem Jahr 2009, indem er feststellt, die Regierungen hätten ihre Anstrengungen zwar gesteigert und die Schutzbemühungen beispielsweise über die Neuausweisung von Schutzgebieten erhöht, jedoch habe sich das gesteigerte Engagement noch nicht in einem Rückgang des Biodiversitätsverlustes bzw. den schwindenden ökosystemaren Dienstleistungen niedergeschlagen. Noch im 2. Global Biodiversity Outlook, dem Bericht des CBD-Sekretariats zum Status der globalen Biodiversität, aus dem Jahre 2006 wird von einer beträchtlichen aber nicht unlösbaren Herausforderung des 2010-Zieles gesprochen. In Jahr 2010 ist das 2010-Ziel allgemein Makulatur. Die Auswertung der CBD-Indikatoren belegt eine anhaltende Abnahme der Biodiversität weltweit. Von den 16 CBD-Indikatoren im GBO3 zeigen 10 negative Entwicklungen, bei dreien sind bedenkliche Tendenzen erkennbar und nur zwei bilden einen positiven Trend (Schutzgebietsausweisung, Wasserqualität).


Vom Einzelnen zur Gesamtheit

Gleich einem Netz von Wechselbeziehungen formt die biologische Vielfalt die Erde zu einem einzigartigen, bewohnbaren Raum. Es gibt keine konkreten Zahlen, wie viele Arten auf der Erde tatsächlich existieren, vieles ist noch unerforscht, dennoch gehen Wissenschaftler von rund 2 Millionen weltweit beschriebener Arten aus. Experten schätzen die tatsächliche Artenvielfalt um das 10-fache höher. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) hat eine rote Liste der bedrohten Arten erstellt. Darin sind rund 17.000 Arten akut vom Aussterben bedroht.

Diese Zahl erscheint auf den ersten Blick gering, bedenklich ist jedoch der potenzielle Verlust für die Menschheit, wie folgende Beispiele zeigen: Der australische Magenbrüterfrosch brütet seinen Nachwuchs im Magen aus. Ein Sekret des Muttertieres verhindert, dass die jungen Kaulquappen von den Magensäuren und Enzymen zersetzt werden. Erste wissenschaftliche Untersuchungen nährten die Hoffnung auf ein neues Medikament gegen Magengeschwüre. Mit dem Aussterben aller vorkommenden Magenbrüterarten mussten auch die Forschungen abrupt beendet werden.

Korallenriffe sind natürliche Wellenbrecher. Sie mindern bei Sturmfluten die zerstörerische Kraft der Wassermassen. In der Karibik, einer der meist gefährdeten Hurrikanregionen im Atlantik, sind bereits 80 Prozent der natürlichen Korallenriffe zerstört. Hauptursache ist hier das anthropogene Treibhausgas CO2. Bei weiterhin gleichbleibendem CO2-Ausstoß werden die Korallenriffe in den nächsten Jahrzehnten völlig abgestorben sein.

Es ist nicht nötig in die Ferne zu schweifen auch in Deutschland ist es um die heimische Natur nicht gut bestellt. Nach Aussage der neuesten Roten Liste des Bundesamtes für Naturschutz sind 72 Prozent aller bundesdeutschen Lebensräume bedroht oder stehen kurz vor der Vernichtung. Von den einheimischen Tierarten sind 35 Prozent und von den Pflanzenarten 26 Prozent bestandsgefährdet.


COP 10: Chance für post-2010

Vom 18. bis 29. Oktober dieses Jahres treffen sich erneut Experten und Politiker, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, der mit dem 2010-Ziel dramatisch verfehlt wurde. Im japanischen Nagoya auf der COP-10 zur UN-Konvention über die biologische Vielfalt werden die 193 Vertragsstaaten Bilanz ziehen und ein post-2010-Ziel bestimmen. Weltweit herrscht schon jetzt die Einsicht, dass der Verlust der Biodiversität nicht genügend reduziert wird, dass geeignete Indikatoren und Monitoringprogramme fehlen oder nicht genügend Beachtung finden, dass Regulationsmechanismen zur Reduzierung klarer umgesetzt werden müssen und dass neue Finanzmittel zur Unterstützung des post-2010-Zieles bereitgestellt werden müssen.

Die laufenden Debatten über ein globales Biodiversitätskonzept für die Zeit nach 2010 sehen in einem robusten post-2010-Ziel ein Schlüsselelement zum Erhalt und Schutz der weltweiten Biodiversität. Die EU hat bereits im April vergangenen Jahres mit der "Botschaft von Athen", einem Acht-Punkte-Plan zum europäischen post-2010-Ziel, die Notwendigkeit eines deutlich verifizierbaren Biodiversitätszieles für die Zeit nach 2010 unterstrichen.

Unter spanischer Präsidentschaft hat die EU-Kommission Ende Januar Vorschläge zum europäischen 2020-Ziel vorgestellt, das in eine langfristige 2050-Vision zum europäischen Biodiversitätsschutz eingebunden werden soll. Die Europäische Union stellt vier Optionen der mit unterschiedlichen Ambitionsniveaus zur Diskussion, - diese Optionen zeigen auch den möglichen Gestaltungsrahmen für ein globales post-2010-Ziel auf. Sie gehen von Option 1 (Spürbare Senkung der Verlustrate bis 2020) bis Option 4 (Eindämmung, Wiedernutzbarmachung und Verbesserung des Beitrags der EU zur Vermeidung globaler Biodiversitätsverluste bis 2020). Allen internationalen Diskussionen zum post-2010-Ziel gemeinsam ist die Bereitschaft, ein neues Biodiversitätsziel stärker in den Kontext bereits bestehender Ziele wie den UN-Millenniumsentwicklungszielen oder anderer UN-Konventionen zu stellen.


Weichenstellung in Japan

Japan als Gastgeber der nächsten UN-Biodiversitätskonferenz (COP10) präferiert ein post-2010-Ziel in Sinne des gewählten Slogans für die COP-10: Life in harmony, into the future. Das neue globale Biodiversitätsziel soll sich kurzfristig am Jahr 2020 orientieren und in eine langfristige Biodiversitätsvision mit Bezug auf das Jahr 2050 eingebunden sein. Solch ein post-2010-Ziel dient aus japanischer Sicht auch als Instrument, um die Bedeutung der ökosystemaren Leistungen für die gesamte Menschheit und als ressortübergreifende Aufgabe aller Staaten hervorzuheben. Seit den ersten Veröffentlichungen zur TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity) 2008 wird die Dimension des Verlustes der biologischen Vielfalt und ihrer ökosystemaren Leistungen monetarisiert und so ressortübergreifend fassbar. Jedes Jahr ungebremster Naturzerstörung kostet die Weltwirtschaft rund 250 Milliarden US-Dollar und das zusätzlich zu der unwiederbringlichen Vernichtung von Ökosystemen und Arten, die die Existenz- und Wirtschaftgrundlage der gesamten Menschheit bilden. Der TEEB-Abschlussbericht wird auf der COP10 offiziell vorgestellt.

In Vorbereitung auf die COP10 in Nagoya und als Beitrag zum Internationalen Jahr der Biodiversität hat die japanische Regierung die Satoyama-Initiative ins Leben gerufen. Die Satoyama-Initiative will die Integration von traditionellem Wissen der einheimischen Bevölkerung und ihre Lebensweise mit dem Erhalt der biologischen Vielfalt und der Steigerung menschlicher Lebensqualität fördern; so können die Bereiche Agrobiodiversität und nachhaltige Entwicklung stärker mit in den Biodiversitätsschutz verknüpft werden.

Die Einigung auf ein post-2010-Ziel in Nagoya kann nur ein erster Schritt sein. Für die Zeit nach 2010 markiert ein neues Biodiversitätsziel lediglich den Anfang hin zu einen umfassenden Verständnis der Natur als Wohlstandsfaktor. Der Stopp des täglichen Verlustes an biologischer Vielfalt ist eine querschnittsorientierte, multilaterale Aufgabe. In Zeiten, in denen die Biosphäre zunehmend bedroht ist, ist der globale Biodiversitätsschutz längst eine Überlebensaufgabe.

Die Autorin ist Umweltwissenschaftlerin und Bundesreferentin für Biodiversität bei Naturfreunde Deutschlands (Berlin).


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010, S. 3-4
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2010