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VIELFALT/194: TEEB - Ein Bewußtsein für den Wert der biologischen Vielfalt (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juni 2010

TEEB - Der Wert der biologischen Vielfalt
Bewusstsein für den Wert der Natur schaffen

Von Tilo Arnhold


Was kostet die Welt? 16 Cent für ein paar Kornblumen am Wegesrand, 150 Euro für ein Blaukehlchen oder gar einige Millionen US-Dollar für ein ganzes Korallenriff? Wenn Prof. Dr. Bernd Hansjürgens von der Studie erzählt, die seine Kollegen am UFZ koordinieren, dann ist dem zurückhaltenden Umweltökonomen eines ganz wichtig: "Es geht nicht darum, Lebewesen ein Preisschild zu verpassen. Sondern es geht darum, ein Bewusststein für den Wert der Natur zu schaffen. Denken Sie nur an den CO2-Handel. Vor 20 Jahren gab es diesen Markt nicht, seine Einführung war sozusagen eine Revolution. Wie großartig wären die Möglichkeiten, wenn es uns gelänge, auch nur ansatzweise solche Märkte im Biodiversitätsbereich zu implementieren?" The Economics of Ecosystems and Biodiversity - kurz TEEB - ist wahrscheinlich eine der ambitioniertesten Studien, an der Umwelt- und ökologische Ökonomen überhaupt arbeiten können. TEEB hat sich zum Ziel gesetzt zu zeigen, welchen Wert die Natur hat, was der Menschheit durch den bisher ungebremsten Rückgang der biologischen Vielfalt verloren geht und welche erfolgreichen Beispiele es für den Schutz und die nachhaltige Nutzung von Ökosystemen und Biodiversität gibt. Im März mussten die EU-Umweltminister feststellen, dass ihr 2010-Ziel zum Stopp des Verlustes an biologischer Vielfalt deutlich verfehlt wurde. "Ursprünglich sollte die Wende beim Biodiversitätsverlust bis 2010 geschafft werden. Jetzt will die EU dieses Ziel bis 2020 erreichen. Allein Deutschland will dazu zukünftig eine halbe Milliarde Euro jährlich in den Schutz tropischer Regenwälder investieren. Das zeigt, dass die Politik den Handlungsbedarf inzwischen zur Kenntnis nimmt", so Dr. Carsten Neßhöver vom UFZ, der am "Global Biodiversity Outlook 3" der UN-Biodiversitätskonvention mitarbeitet und die TEEB-Studie mitbetreut. TEEB hat dabei ein sehr erfolgreiches Vorbild: Der so genannte Stern-Report zur Klimapolitik beleuchtete 2006 erstmals die Ökonomie des Klimawandels und verdeutlichte, dass ein Umstieg auf eine Wirtschaft, die weniger CO2 in die Atmosphäre ausstößt, die Menschheit deutlich billiger kommt als die Folgekosten der Erderwärmung. Genauso will die TEEB-Studie zeigen: Vorsorgen ist preiswerter als Reparieren - und damit ein Umdenken auslösen.


Selbstbedienungsladen Natur?

Doch das ist leichter gesagt als getan. Wie kann der Wert von etwas berechnet werden, das es nicht zu kaufen gibt, das nie gehandelt wurde und das die meisten Menschen als selbstverständlich ansehen? So lange die Natur funktioniert hat, konnte der Mensch wie in einem Selbstbedienungsladen seinen Warenkorb füllen - ohne an der Kasse das Portmonee zücken zu müssen. Ozeane wurden so fast leer gefischt, Wälder abgeholzt und Feuchtgebiete trockengelegt. Erst jetzt, wo viele Ökosysteme kurz vor dem Kollaps stehen, wird sich die Menschheit langsam bewusst, dass sie die natürlichen Ressourcen zu lange zu bedenkenlos ausgebeutet hat, ohne darauf zu achten, dass sich die Systeme auch wieder regenerieren müssen. Zu oft wird auf technische Lösungen gesetzt, obwohl "natürliche" effektiver und sogar viel preiswerter wären. Das Treibhausgas Kohlendioxid lässt sich beispielsweise durch die Wiedervernässung von Mooren mit zwölf Euro pro Tonne viel günstiger vermeiden als durch Solarstrom. Die gleiche Einsparung würde damit 900 Euro kosten, haben Wissenschaftler von der Universität Greifswald ausgerechnet. Grob gesagt bringt ein Euro Investition in Ökosysteme einen Ertrag von 60 Euro, so die TEEB-Studie. Allein die 100.000 Schutzgebiete weltweit liefern "Dienstleistungen" im Wert von drei Billionen Euro pro Jahr, kosten aber nur etwa 30 Milliarden in der Erhaltung. "Die Gesellschaft muss dringend ihren mangelhaften ökonomischen Kompass ersetzen, damit sie nicht das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten durch die Unterbewertung und den dauerhaften Verlust von Ökosystemen und Biodiversität aufs Spiel setzt", mahnt Pavan Sukhdev. Der Ökonom wurde vom UN-Umweltprogramm UNEP mit der Leitung der TEEB-Studie beauftragt und dazu von seiner Arbeit bei der Deutschen Bank freigestellt. Er steht auch der Green Economy Initiative der Vereinten Nationen vor. Für den Top-Banker steht fest, dass die Menschheit Jahr für Jahr riesige Mengen Kapital vernichtet - mehr als zu Zeiten der Weltfinanzkrise.


Neue Märkte entstehen

Keine vergifteten Wertpapiere könnten dagegen die künftigen REDD-Zertifikate werden. REDD steht für "Reducing Emissions from Deforestation and Degradation" und könnte der erste weltweite Mechanismus werden, der dafür sorgt, dass es sich auch finanziell lohnt, Regenwälder zu erhalten. Immerhin sind die Abholzungen für rund ein Fünftel des vom Mensch gemachten Treibhauseffekts verantwortlich. Deshalb steht REDD auch auf der Tagesordnung der nächsten UN-Klimakonferenz Anfang Juni in Bonn ganz oben. Umweltökonomen setzen große Hoffnungen darauf, dass Ökosystemdienstleistungen in Zukunft bezahlt werden. Denn momentan ist es ein klassisches Dilemma: Die Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert. Am Beispiel Regenwald heißt das: Der Ertrag aus dem Holzverkauf wandert in private Taschen, die Folgen der Abholzung dagegen muss die Gesellschaft tragen. In Form des Klimawandels werden sie sogar auf die gesamte Menschheit und zukünftige Generationen abgewälzt. Daher setzen umweltbewusste Bürger und Unternehmen zunehmend auf Eigeninitiative. "Auch neue Märkte sind bereits entstanden, wie das "Wetland Banking" in den USA oder das "Bio-Banking" in Australien zeigen.

In beiden Fällen kaufen Privatpersonen oder Unternehmen "Credits", um ihren negativen Einfluss an anderer Stelle auszugleichen", erklärt Bernd Hansjürgens. "Hier wird bereits versucht, eine Kompensation zu schaffen. Und dazu braucht es vergleichbare Werte." Der ökonomische Ansatz ist jedoch nicht unumstritten. Kritiker melden ethische Bedenken an: Der Schutz der Natur werde dem materiellen Nutzen des Menschen untergeordnet. Auch wenn das Konzept einer ökonomischen Bewertung der Natur immer mehr Anhänger findet - "kulturelle Dienstleistungen" der Natur lassen sich meist nur schwer quantifizieren.


B ist keine Inventur

Schwierig ist auch die Bewertung von Versorgungs- und Regulierungsdiensten von Ökosystemen. Ist zum Beispiel ein Sumpf in Florida genauso viel Wert wie in Kalifornien? An welchen Faktoren wird der Wert gemessen? Noch wissen Biologen nicht einmal, wie viele Arten unser Planet überhaupt beherbergt - wie soll da gar ein Kassensturz möglich sein? "TEEB will und kann keine Inventur sein", betont Dr. Heidi Wittmer. Die Sozialwissenschaftlerin vom UFZ koordiniert den TEEB-Bericht für lokale Behörden, der Anfang September erscheinen wird. "Aber wir können anhand von Beispielen zeigen, welchen Wert bestimmte Ökosysteme unter bestimmten Annahmen haben und damit eine ungefähre Vorstellung von den Dimensionen geben, um die es hier geht." Über 700 Einzelstudien gehen so in die Metastudie ein. Allein zum Wert von Korallenriffen gibt es über zwei Dutzend Fallstudien. Je nach Lage und Zustand des Riffs schwankt der geschätzte Wert zwischen zehn US-Dollar und einer Million US-Dollar pro Hektar Riff. Für den Unfall, bei dem der havarierte chinesische Kohlefrachter "Shen Neng 1" zu Ostern eine drei Kilometer lange Schneise durch das Great Barrier Riff vor Australien gezogen haben soll, würde das beispielsweise bedeuten, dass der Schaden irgendwo zwischen 750 US-Dollar und 75 Millionen US-Dollar liegen würde. Genaue Zahlen für einzelne Situationen sind also schwierig. Dennoch sind die tropischen Korallenriffe ein gutes Beispiel dafür, was die Menschheit dort verliert: Deren Ökosystemdienstleistungen vom Küstenschutz bis hin zur Fischerei werden auf 170 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. Weltweit hängen davon die Lebensgrundlagen von über einer halben Milliarde Menschen ab. Außerdem drohen mit der weiteren Überfischung der Meere der Kollaps von Fischindustrien und damit gravierende soziale Probleme. "Das Sichtbarmachen von Werten kann dazu beitragen, Unterstützung für neue Instrumente zu mobilisieren. Instrumente, die den Zweck haben, die Entscheidungen, vor die Landeigentümer, Investoren und andere Nutzer natürlicher Ressourcen gestellt sind, zu verändern." Das sei die Kraft der Studie, so Heidi Wittmer.

Die TEEB-Autoren sind bei ihrer Arbeit auf Studien anderer Wissenschaftler angewiesen. Die über 500 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Expertinnen und Experten aus der Praxis haben seit zwei Jahren alle Hände voll damit zu tun, bestehende Forschungsergebnisse und Praxisbeispiele zu verarbeiten. Im Oktober werden im japanischen Nagoya die Vertragsstaaten der Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD) tagen. Spätestens dann soll der Endbericht vorliegen. (ta) Tilo Arnhold


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TEEB 2010

TEEB wird unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen durchgeführt und von der Europäischen Kommission, dem deutschen Umweltministerium sowie Minis terien aus Großbritannien, Norwegen, Schweden und den Niederlanden finanziell unterstützt. Die wissenschaftliche Koordination erfolgt am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).

TEEB-Berichte für verschiedene Zielgruppen:
TEEB D1 für nationale und internationale Entscheidungsträger: - seit November 2009 online
TEEB D2 für lokale Entscheidungsträger und Behörden: - erscheint Anfang September 2010
TEEB D3 für Unternehmen: - erscheint im Juli 2010
TEEB D4 für Bürger: - eine Website, die Mitte 2010 freigeschaltet wird

Weitere Informationen unter www.teebweb.org


UFZ-Ansprechpartner:
• Dr. Heidi Wittmer
Dept. Umweltpolitik
Telefon: 0341/235-1629
e-mail: heidi.wittmer@ufz.de
• Dr. Carsten Neßhöver
Dept. Naturschutzforschung
Telefon: 0341/235-1649
e-mail: carsten.nesshoever@ufz.de
mehr Informationen: www.ufz.de/teeb


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:


- Der Drusenkopf (Conolophus subcristatus), bekannter als Galapagos-Landleguan, lebt ausschließlich auf den Galapagos-Inseln Santiago, Santa Cruz, Isabela und Fernandina. Die Galapagos-Inseln sind für ihren einmaligen Tierbestand weltberühmt - und gerade deshalb ein beliebtes und umstrittenes touristisches Ziel.

- Abfischen in den Wermsdorfer Teichen. Das Horstseefischen in Wermsdorf ist das größte Fischerfest in Deutschland. Pro Jahr werden weltweit Fische im Wert von 86 Milliarden US-Dollar gefangen -50 Milliarden weniger als dies bei nachhaltiger Bewirtschaftung möglich wäre.


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Quelle:
UFZ-Newsletter Juni 2010, S. 2-4
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010