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VIELFALT/243: Weltbiodiversitätsrat warnt vor "kritischem Zustand" (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen e.V.
EU-Koordination

EU-News - 26.03.2018 / Naturschutz & Biodiversität

Weltbiodiversitätsrat warnt vor "kritischem Zustand"


Naturzerstörung, Artenschwund und Bodendegradation sind genauso gefährlich wie der Klimawandel, warnen WissenschaftlerInnen bei internationaler Konferenz in Kolumbien.

Das Wohlbefinden von zwei Fünfteln der Menschheit ist durch die zunehmende Verschlechterung der Bodenqualität in Gefahr. Auch der Artenschwund und der Klimawandel gehen rasant weiter. All dies verschärft bereits schwelende Konflikte und erhöht die Migrationsbewegungen. Davor haben die TeilnehmerInnen des sechsten IPBES-Treffens vom 17. bis 24. März im kolumbianischen Medellín gewarnt.

Die zwischenstaatlichen Plattform für Wissenschaft und Politik zu Biodiversität und Ökosystemleistungen (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services - IPBES) oder kurz: der Weltbiodiversitätsrat - hat fünf Berichte verabschiedet, die den weltweiten Zustand der biologischen Vielfalt bewerten. Vier Berichte beziehen sich auf die Weltregionen Amerika (Nord und Süd), Asien & Pazifik, Afrika sowie Europa & Zentralasien. Der fünfte Bericht widmet sich der Qualitätsverschlechterung von Landschaften und Böden, die allein im Jahr 2010 rund 10 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts der Welt gekostet hat. Über 800 EntscheidungsträgerInnen und ExpertInnen aus 128 IPBES-Staaten haben am Treffen teilgenommen.

Europa und Zentralasien

In der Europäischen Union weisen nur 7 Prozent der marinen Arten und 9 Prozent der marinen Lebensräume einen günstigen Erhaltungszustand auf. Darüber hinaus befinden sich 27 Prozent der Arten und 66 Prozent der Lebensraumtypen in einem "ungünstigen Erhaltungszustand", während die anderen als "unbekannt" eingestuft werden. Ein wichtiger Trend sei die zunehmende Intensität der konventionellen Land- und Forstwirtschaft, die zum Rückgang der Biodiversität und von natürlicher Bestäubung führe sowie auf Kosten der Bodenbildung gehe. "Die Menschen in der Region konsumieren mehr erneuerbare natürliche Ressourcen, als die Region produziert werden", sagte Markus Fischer (Schweiz), Co-Vorsitzender der Gruppe zur Bewertung von Europa und Zentralasien. Der ökologische Fußabdruck nehme immer mehr Flächen im Ausland in Anspruch. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union seien für etwa zehn Prozent der jährlichen weltweiten Entwaldungsrate verantwortlich. Die AutorInnen des Berichts empfehlen eine Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Naturverbrauch. Dafür bedarf es aus ihrer Sicht weitreichender Politikänderungen und Steuerreformen auf globaler und nationaler Ebene. Zudem trage die aktuelle Subventionspolitik zur Verschärfung von Landnutzungskonflikten bei.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze mahnte, dass das Artensterben nicht nur ein umweltpolitisches Problem sei, denn es betreffe alle Bereiche der Politik. "Die biologische Vielfalt ist unsere Lebensgrundlage. Wir wissen längst noch nicht alles über die Ursachen des Artensterbens. Aber wir wissen heute bereits genug, um gegensteuern zu können." Schulze verwies auf den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft als eine wesentliche Ursache. Sie sagte: "Deshalb wollen wir unter anderem den Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft in dieser Legislaturperiode beenden und grundsätzlich zu einem restriktiveren Umgang mit Pestiziden kommen."

Reaktionen aus der Umweltbewegung

"Der Bericht ist ein Weckruf der Wissenschaft an die Weltgemeinschaft, dass der aktuelle westliche Lebensstil unvereinbar ist mit dem Erhalt unserer natürlichen Ressourcen", sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. "Die fortschreitende Zerstörung der Natur und die massive Gefährdung unserer Lebensgrundlagen sollten uns allen die Augen öffnen. Die neue Bundesregierung muss sich insbesonders für eine andere EU-Agrarpolitik einsetzen." Anders gebe es keine Chance, das Insekten- und Vogelsterben aufzuhalten.

Der WWF forderte "ein Jahrzehnt der ökologischen Restaurierung", damit zerstörte Wälder, Flüsse und Meeresgebiete saniert werden können. Günter Mitlacher, Direktor für Internationale Biodiversitätspolitik beim WWF, sagte: "Die Fakten liegen auf dem Tisch. Jetzt muss die Politik endlich handeln, denn was wir nicht brauchen, sind neue Versprechungen. Die Zustandsberichte belegen, wie schlecht es um die Natur und die biologische Vielfalt auf unserem Planeten bestellt ist. Das Ergebnis ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine zutiefst menschliche Katastrophe, denn unsere Wirtschaft, unsere Gesundheit, unser Wohlergehen und unser Glück hängen letztlich davon ab, wie gut oder schlecht es unserem Planet geht." [jg]


IPBES-Pressemitteilung1
https://www.ipbes.net/news/media-release-biodiversity-nature%E2%80%99s-contributions-continue-%C2%A0dangerous-decline-scientists-warn

IPBES-Pressemitteilung2
https://www.ipbes.net/news/media-release-worsening-worldwide-land-degradation-now-%E2%80%98critical%E2%80%99-undermining-well-being-32

Twitter zum Thema
https://twitter.com/IPBES/status/977580577489670144

Zusammenfassung des gesamten Treffens
http://enb.iisd.org/ipbes/6-plenary/

Pressemitteilung Bundesumweltministerium
https://www.bmu.de/pressemitteilung/schulze-verlust-der-artenvielfalt-bedroht-auch-uns-menschen/

Reaktion NABU
https://www.nabu.de/modules/presseservice/index.php?popup=true&db=presseservice&show=23072

Reaktion WWF
http://www.wwf.de/2018/maerz/eine-zutiefst-menschliche-katastrophe/

Artikel in der FAZ
http://www.faz.net/aktuell/wissen/der-weltbiodiversitaetsrat-der-un-warnt-vor-dem-grossen-artensterben-15509674.html

Artikel in The Guardian
https://www.theguardian.com/environment/2018/mar/23/destruction-of-nature-as-dangerous-as-climate-change-scientists-warn?CMP=Share_iOSApp_Other

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Quelle:
EU-News, 26.03.2018
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
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E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2018

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