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VERKEHR/984: Warum die Deutsche Bahn AG noch immer den Schienenverkehr dominiert (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Bahnverkehr in Deutschland
Warum die Deutsche Bahn AG noch immer den Schienenverkehr dominiert

von Heidi Tischmann



Das Hauptziel der Bahnreform von 1994 war es, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Ein begrüßenswertes Ziel, denn nur mit der Verlagerung von möglichst vielen Transporten auf die Schiene lassen sich die Herausforderungen der Zukunft wie wachsender Verkehr, Klimawandel, Energiewende und demografischer Wandel bewältigen. Dazu beitragen sollten unter anderem eine neue Organisationsstruktur und die Öffnung des Eisenbahnmarktes für alle Unternehmen. Doch das Verlagerungsziel wurde bis heute nicht erreicht. Lediglich der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) hat leicht an Marktanteilen hinzugewonnen. In Grenzen hält sich auch die Zahl der Eisenbahnverkehrsunternehmen, die heute auf dem deutschen Schienennetz fahren.


Die beiden Staatsbahnen »Reichsbahn« und »Deutsche Bundesbahn« wurden im Zuge der Bahnreform von 1994 in die privatwirtschaftlich organisierte Eisenbahngesellschaft des Bundes, die Deutsche Bahn AG (DB AG), überführt. Damit erfolgte die Trennung von staatlicher Gemeinwohlverantwortung und unternehmerischer Betätigung. Die öffentliche Hand hat seitdem die Gemeinwohlverantwortung für den Ausbau und den Erhalt des Schienennetzes sowie für die Fernverkehrsangebote auf diesem Schienennetz. Dem Unternehmen DB AG sollte diese Organisationsform ein flexibles und kundengerechtes Agieren am Markt ermöglichen. Weitere Bestandteile der Bahnreform waren die Übertragung der Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr auf die Bundesländer und die Öffnung des Eisenbahnmarktes für alle Unternehmen.

Trennung von Infrastruktur und Transport
Die Trennung von staatlicher Gemeinwohlverantwortung und unternehmerischer Betätigung wurde jedoch nicht konsequent umgesetzt. Hauptfehler: Der Gesetzgeber hat die Bahninfrastruktur im Konzern DB AG belassen; die Bahninfrastruktur, für die der Staat die Gemeinwohlverantwortung hat, und die allen interessierten Eisenbahnverkehrsunternehmen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung stehen soll. Zwar wurde 1994 mit der Öffnung des Eisenbahnmarktes der Zugang zur Infrastruktur rechtlich geregelt, im Wesentlichen die Vergabe der Trassen, die Höhe der Trassen- und Stationspreise und die Bahnstromversorgung, doch die Dominanz der DB AG im deutschen Eisenbahnverkehrsmarkt zeigt, dass die Regulierung nicht wirksam ist. Private Eisenbahnverkehrsunternehmen beklagen die Ungleichbehandlung bei der Bahnstromversorgung, die weitgehend willkürliche Trassenpreissteigerungen und Ähnliches.

Es gibt Bestrebungen die Regulierung wirkungsvoller zu machen. Doch besser als eine Regulierung ist die Schaffung von Rahmenbedingungen, unter denen Wettbewerb funktioniert, denn Regulierung bedeutet zusätzlichen administrativen Aufwand. Das politische Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, lässt sich unter den Bedingungen eines integrierten Eisenbahnkonzerns eher nicht erreichen. Im Gegenteil: DB Netz muss sich den kurzfristigen Gewinnzielen der DB Holding unterordnen und kann deswegen nicht für einen maximalen Transport auf der Schiene eintreten. Im Sinne fairen Wettbewerbs ist daher eine Herauslösung des Infrastrukturbereiches aus dem DB-Konzern sinnvoll. Das wäre auch im Sinne der Bahnreform von 1994.

Dass ein integrierter Konzern Diskriminierungspotential bietet, zeigen auch die aktuellen Ermittlungen des Bundeskartellamtes gegen die Deutsche Bahn. Im Januar 2014 wurde bekannt, dass Wettbewerber des Konzerns über beschränkte Zugänge zum Vertriebssystem der DB AG klagen.

Das Bundeskartellamt geht nun der Frage nach, ob und zu welchen Bedingungen Wettbewerber der Deutschen Bahn AG ihre Fahrkarten in den Bahnhöfen verkaufen dürfen.

Schieneninfrastruktur muss ausgebaut werden
Das Gleisnetz in Deutschland ist mit knapp 34.000 Kilometer Länge zwar das größte in Europa, die Infrastruktur wurde aber seit der Bahnreform kontinuierlich zurückgebaut: rund ein Drittel der Bahnhöfe wurden geschlossen, Gleisanschlüsse zu 70 Prozent gekappt, die Anzahl der Weichen um 50 Prozent reduziert und die Gleislänge um 17 Prozent auf 34.000 Kilometer zurechtgestutzt.(1) Das rächt sich jetzt. Die Belastbarkeit der Schieneninfrastruktur stößt an ihre Grenzen. Viele Hauptverkehrskorridore und Bahnknoten sind so überlastet, dass eine weitere Verlagerung von Verkehr auf die Schiene nicht möglich ist - die Kapazitäten der Schieneninfrastruktur reichen nicht aus. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Auch vor dem Hintergrund, dass Bundesregierung und DB AG von einem Wachstum des Schienenverkehrs ausgehen, insbesondere des Güterverkehrs.

Das Schienennetz muss so entwickelt werden, dass in Deutschland und Europa ein attraktiver Schienenverkehrsmarkt entstehen kann, der auch in Konkurrenz mit den anderen Verkehrsträgern erfolgreich ist. Bisher geschah der Ausbau der Bahninfrastruktur in Deutschland eher nach Art eines Flickenteppichs als nach einem integrierten Gesamtansatz. So wurden beispielsweise einzelne Hochgeschwindigkeitsstrecken gebaut, ohne dass vorher ihre Auswirkungen auf das Schienennetz und die Angebote in Nah- und Fernverkehr insgesamt überprüft wurden.

Die Lösung für dieses Problem ist der Deutschland-Takt. Der Integrale Taktfahrplan sorgt dafür, dass erst ein Fahrplan erstellt und auf dieser Grundlage die Infrastruktur ausgebaut wird, nicht umgekehrt. Dabei werden von Beginn an die erforderlichen Kapazitäten des Schienengüterverkehrs mit berücksichtigt. Mit der Ausrichtung des Netzausbaus auf das Verkehrsangebot im Personen- und Güterverkehr können die Investitionsmittel effizienter und ökonomischer eingesetzt werden.

Fernverkehr auf der Schiene muss neu organisiert werden
Die Gemeinwohlverantwortung des Staates bezieht sich nicht nur auf den Zustand der Schieneninfrastruktur, sondern auch auf »die Verkehrsangebote auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen«.(2) Das bedeutet, der Bund ist für die Qualität des Fernverkehrs auf der Schiene mit verantwortlich. Dieser Verantwortung ist er in den vergangenen Jahren jedoch nicht nachgekommen.

Trotz der Öffnung des Eisenbahnmarktes findet ein Wettbewerb im Fernverkehr so gut wie nicht statt. Bis heute ist die DB AG mit wenigen Ausnahmen alleinige Anbieterin im Schienenpersonenfernverkehr. Der Grund dafür ist das große unternehmerische Risiko, welches private Unternehmen eingehen, wenn sie in den Fernverkehrsmarkt einsteigen. Die Investitionen sind sehr hoch, die Sicherheiten gering. Fernverkehrszüge sind teuer und ihre Herstellung dauert mehrere Jahre. Zudem erteilt DB Netz, das zuständige Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die Genehmigung für das Befahren einer Strecke nur für die Dauer von fünf Jahren. Das ist ein zu kurzer Zeitraum für die getätigten hohen Ausgaben.

Und so entscheidet im Prinzip allein die DB AG, welche Strecken nach welchem Fahrplan bedient werden. Kriterium dafür ist die Wirtschaftlichkeit der Verbindung. Mit der Folge, dass immer mehr Städte vom Fernverkehr abgehängt werden, unter anderem Potsdam, Cottbus und Mönchengladbach. Eine weitere Tendenz ist, Strecken im IC-Verkehr zu streichen und durch ICE-Züge zu ersetzen. Das hat Nachteile für die Fahrgäste, denn der ICE ist teurer und transportiert keine Fahrräder.

Eine Neuorganisation des Fernverkehrs auf der Schiene ist notwendig. Der Bund muss für diese Verkehrssparte seine öffentliche Verantwortung im Sinne des Art. 87 des Grundgesetzes wahrnehmen und zumindest die Anforderungen für das Verkehrsangebot formulieren und durchsetzen. Der Staat könnte aber auch für die Verkehrsleistungen des Fernverkehrs Konzessionen vergeben oder sie, wie im SPNV, ausschreiben. Dabei wären immer ganze Linien und nicht einzelne hochprofitable Abschnitte zu berücksichtigen. So können lukrative und weniger lukrative Verbindungen in einem Maßnahmenpaket gebündelt werden.

Aufgaben des Bundes
Der Bund muss seiner Gemeinwohlverantwortung für die Schieneninfrastruktur und den Fernverkehr auf der Schiene gerecht werden. Er muss:

  • Ein verbindliches, zukunftsfähiges Konzept für den Schienenverkehr entwickeln, inklusive Mindeststandards und wirksamer Kontrollmechanismen. Dieses Konzept muss die absehbare Verteuerung und Verknappung der Treibstoffe für den Straßenverkehr, die Klimaschädlichkeit des motorisierten Verkehrs und die gesamteuropäischen Entwicklungen im Schienenverkehr berücksichtigen.
  • Die Schieneninfrastruktur erhalten und ausbauen. Grundlage für Aus- und Neubaumaßnahmen müssen fahrplanbasiert sein und die Belange des Güterverkehrs mit berücksichtigen.
  • Mindestanforderungen für das Fernverkehrsangebot formulieren und durchsetzen.
  • Den gleichberechtigten Zugang zur Infrastruktur für alle Unternehmen gewährleisten.
  • Dafür sorgen, dass die Gewinne aus der Infrastrukturnutzung in ihre Instandhaltung investiert werden.


Autorin Heidi Tischmann ist Referentin für Verkehrspolitik beim ökologischen Verkehrsclub Deutschland VCD.



Anmerkungen
(1) DB AG »Daten und Fakten« verschiedene Jahrgänge
(2) Artikel 87e Absatz 4 des Grundgesetzes


Mehr zum Thema finden Sie auf der Webseite des VCD unter
http://www.vcd.org/bahnreform.html


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014, Seite 14-15
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2014