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ATOM/1140: Vereinigung Deutscher Wissenschaftler lehnt Laufzeitverlängerung strikt ab (VDW e.V.)


"Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW e.V.) - 17. Februar 2011

Klima- und Energiepolitik in Deutschland 2010

Energiestudie der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler
Ein Paradigmenwechsel ist notwendig. Laufzeitverlängerung wird strikt abgelehnt.


Der ehemaliger Leiter des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie Prof. Dr. Peter Hennicke und Prof. Dr. Hartmut Grassl, ehemaliger Direktor des Max-Plank Instituts für Meteorologie und des WBGU stellte die Hintergrundstudie der VDW zu erneuerbaren Energien mit dem Titel "ambitionierte Ziele, untaugliche Mittel" in Berlin vor.

Das Hintergrundpapier hebt die weltweit wohl ambitioniertesten Ziele der bundesdeuschen Energiepolitik hervor. Diese sind durch viele Szenarien gut fundiert und hätten der Ausgangspunkt einer konsensualen Umsetzungsstrategie werden können. Nach Prüfung der von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen sind jedoch erhebliche Zweifel angebracht, ob die Ziele des Energiekonzepts mit den Maßnahmen realisierbar sind.

Peter Hennicke betonte bei der Vorstellung der Studie "der Vergleich langfristiger Energieszenarien bis 2050 zeigt, dass ein weitgehender wissenschaftlicher Konsens zu Zielen und Leitlinien der Energie- und Klimapolitik für Deutschland besteht: Eine Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 80% bis zum Jahr 2050 ist möglich. Die "Energiewende" hin zu einer risikominimierenden Energieeffizienz- und Solarenergiewirtschaft - ohne Kernenergie und fast ohne fossile Energieträger - ist technisch und wirtschaftlich realisierbar".

Hartmut Grassl unterstrich bei der Vorstellung: Notwendig ist die Erkenntnis: Weder ohne noch allein mit Effizienztechnik ist ausreichender Klima- und Ressourcenschutz denkbar! Die Energiewende erfordert eine Kultur der Genügsamkeit ("Suffizienz") - nicht als ethischer Appendix an eine Technik fixierte Energiezukunft, sondern als Kern jedes zukunftsfähigen Energiepolitikmodells".


Laufzeitverlängerung wird strikt abgelehnt

In der Studie heißt es: Die Laufzeitverlängerung führt zu leistungsunabhängigen Zusatzprofiten der Betreiber und zur Stärkung ihrer marktbeherrschenden Stellung. Der Preis für den Finanzierungsbeitrag zum Staatshaushalt besteht in der Verfestigung der strukturkonservierenden Rolle der Stromkonzerne und einer insgesamt gebremsten Innovations- und Investitionsdynamik.

Zu Fragen der Laufzeitverlängerungen und nukleare Sicherheit führte H. Grassl aus: Bei einer durchschnittlichen Kernschmelzhäufigkeit pro Anlage und Jahr von etwa 1 zu 100.000 ergibt sich durch den längeren Zeitraum von 60 Jahren eine Wahrscheinlichkeit von etwa 1 Prozent, dass in dieser Zeit in deutschen Kernkraftwerken ein Kernschmelzereignis auftritt. Wer dieses Risiko politisch fördert, geht - bildhaft gesprochen - eine gesellschaftliche Wette ein und riskiert mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 100, dass er verliert. Weitere zentrale Kritikpunkte aus der Sicht der nuklearen Sicherheit sind:

Peter Hennicke zusammenfassend: Nach heutigen Standards wäre keines der deutschen Kernkraftwerke mehr genehmigungsfähig.

Hartmut Grassl verwies auf dieEndlagerproblematik: "Heute, fast 60 Jahre nach dem weltweiten Aufruf und 40 Jahre nach dem Beginn der deutðschen Atomstromproduktion, gibt es weder weltweit noch in Deutschland ein Endlager für die Brennstäbe aus KKWs. Zwar wird in dreizehn Ländern aktiv an Programmen ("roadmaps") für hochradioaktiven Atommüll gearbeitet, aber nach jahrzehntelanger Arbeit bleibt immer noch das ernüchternde Fazit, dass bisher noch kein Land ein über ein genehmigtes, betriebsbereites Endlager für derartige Abfälle verfügt."

Eine Laufzeitverlängerung um 12 Jahre würde die hochaktiven Abfälle von bisher erwarteten 17.200 t auf 21.600 t Schwermetall erhöhen. Er betonte, dass für die Entscheidung über eine Endlagerung von hochgefährlichem Atommüll keinesfalls politische Erwägungen maßgeblich sein dürfen, sondern Standort vergleichende wissenschaftliche Analysen maßgeblich sind. Darüber hinaus wird eine transparente öffentliche Informationspolitik und die Beteiligung der Bürger gefordert.


In der Studie wird zusammenfassend festgestellt:

Die Energie- und Klimapolitik wird auf Technik und besonders auf Stromangebotstechnik konzentriert, statt sie in sozioökonomische gesellschaftliche Transformationskonzepte einzubetten. Szenarien dienen als Politikersatz.

Hier zeigen sich nicht nur Politikversagen, sondern auch konzeptionelle Mängel der Energie- und Klimaschutzberatung in der Bundesrepublik. Die Konzeptualisierung eines zukunftsfähigen Policy Mix muss sich intensiver mit integrierter Energie- und Ressourcenpolitik sowie mit der Frage beschäftigen, wie gleichzeitig Effizienzpotenziale erschlossen und kontraproduktive Wachstums- und Luxuseffekte durch alternative Verausgabung von Einkommen begrenzt werden können.

Steuern, Zertifikate, Dynamisierung von Standards (Flottenverbrauchsregelung; Top Runner Konzept; Bonus/Malus-Systeme; progressive Standards; Aufklärungskampagnen) sind dabei mögliche Optionen zur Begrenzung kontraproduktiver Gegeneffekte.

Nur ein sektor- und zielgruppenspezifisches Policy Mix und ein gesellschaftlicher Dialog über die neuen Grenzen des Wachstums und für mehr Lebensqualität auch für sozial Schwache können den Weg in eine Effizienz- und Solarenergiewirtschaft ebnen. Ökosteuern oder Zertifikate können Anreize bieten über neue Lebensstile und Selbstgenügsamkeit nachzudenken. Einen Wertewandel und eine Vision für eine gerechte Gesellschaft können sie nicht begründen.


Weitere Informationen finden Sie unter: www.vdw-ev.de


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Quelle:
Pressemitteilung vom 17. Februar 2011
Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW e.V.)
Schützenstr. 6a, 10117 Berlin
Telefon: +49 30 21234056, Fax: +49 30 21234057
E-Mail: info@vdw-ev.de
Internet: www.vdw-ev.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2011