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AKTION/050: Papier ist geduldig. Wir nicht! - ARA plant neue Papierkampagne (ARA Magazin)


ARA Magazin 21, 2015/16 - Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.

Papier ist geduldig. Wir nicht!

ARA plant neue Papierkampagne


Weltweit wird jeden Tag mehr als eine Million Tonnen Papier verbraucht - und Konsum wie Produktion steigen stetig. Papier- und Zellstoffproduktion verursachen vielerorts erhebliche ökologische und soziale Probleme durch Waldvernichtung, Umweltvergiftung und Agrarlandverluste für weltweit expandierende Baummonokulturen. Fast die Hälfte der globalen industriellen Holzernte wird für die Papierherstellung genutzt. Ebenfalls dramatisch: die Folgen für das Klima, denn der CO2 Ausstoß der globalen Papierwirtschaft übersteigt den des globalen Luftverkehrs. Wir brauchen dringender denn je einen anderen Umgang mit Papier - so das Fazit von ARA.


Was sind schon ein paar ausgedruckte Seiten, ein Coffee-to-go-Becher oder ein paar Tücher von der Küchenrolle? Das klingt nicht gerade bedenklich. Doch das Papier, das wir Tag für Tag verbrauchen, summiert sich zu beachtlichen Mengen. Wussten Sie, dass wir in Deutschland pro Jahr

  • etwa 800.000 t Büro- und Administrationspapiere verbrauchen?
  • rund 6 Milliarden Getränkebecher aus Pappe benutzen und wegwerfen - und dies 50.000 t Papier entspricht?
  • vor zehn Jahren rund 10 kg Hygienepapiere pro Person verbraucht haben und es heute bereits 18 kg sind?
Massenkonsum versus Papierarmut

Der globale Papierkonsum ist seit Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen, hat sich seit 1960 sogar vervierfacht. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Prognosen sagen weltweit einen Anstieg um 25 Prozent bis 2025 voraus.

Dabei ist der Verbrauch extrem ungleich verteilt: Mit nur 15 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen die sieben wirtschaftsstärksten Länder bzw. Regionen ca. 70 Prozent allen Papiers, während über 60 Prozent der Weltbevölkerung nicht einmal jene 40 Kilo Papier pro Kopf und Jahr zur Verfügung stehen, die laut UN zur Erfüllung der Grundbedürfnisse an Hygiene, Kommunikation und Bildung benötigt werden.


Jahres-Papierverbrauch pro Person 
 (in Kilogramm pro Person) 
Nordamerika
West-Europa
Weltdurchschnitt
Lateinamerika
Asien
Afrika
229,00
179,00
54,71
43,00
41,00
7,50

Die Industrieländer stehen also in besonderer Verantwortung. Während Hauptverbrauchsländer wie die USA, Japan oder Kanada in den letzten 10 Jahren zwischen 50 und 100 kg Papier pro Kopf eingespart haben, bleibt der Verbrauch in Deutschland konstant auf hohem Niveau. 2014 ist er um weitere 4 Prozent auf 251 kg Papier pro Person gestiegen. Deutschland liegt damit beim Pro-Kopf-Verbrauch weltweit an dritter Stelle und beim absoluten Verbrauch auf Platz 4. Über 80 Prozent des in Deutschland für die Produktion genutzten Zellstoffs aus Holz werden importiert.

Papier macht niemand satt ...

Während Industrieländer die Vorteile von Papier genießen, leiden Entwicklungs- und Schwellenländer unter seiner Produktion. Der Druck auf die Wälder ist bereits heute immens. In den Lieferländern von Zellstoff führen die Abholzung von Wäldern und die Expansion von Zellstoffplantagen zu gravierenden ökologischen und sozialen Schäden.

Schätzungsweise 300 Millionen Menschen leben weltweit im und vom Wald, etwa 3 Milliarden sind vom Brennholz aus dem Wald abhängig. In den wichtigsten Lieferländern für deutsches Papierholz ist die einheimische Bevölkerung auf unterschiedliche Weise von den Folgen der Holzgewinnung aus Wäldern und Plantagen sowie der Zellstoff- und Papierherstellung betroffen.

Werden - wie insbesondere in Kanada und Russland - zur Zellstoffproduktion großflächig Primärwälder eingeschlagen, verlieren indigene Völker ihre Lebensgrundlagen. Ähnliches geschieht in tropischen Regionen, wo die massive Ausdehnung von Plantagenflächen für die Zellstoffproduktion vor allem auf landwirtschaftlichen Flächen erfolgt.

In Brasilien, dem wichtigsten Zellstofflieferanten Deutschlands, wurde mit der Zerstörung der Urwälder in den Zentren der Zellstoffproduktion an der Atlantikküste bereits vor 40 Jahren begonnen. Heute sind nur noch etwa 7 Prozent des Atlantischen Regenwaldes erhalten. Wo sich die Monokulturen schnell wachsender Bäume wie Eukalyptus - von den Einheimischen "Grüne Wüsten" genannt - ausdehnen, werden vielfach Kleinbauern von Flächen vertrieben, die sie zum Anbau von Grundnahrungsmitteln benötigen.

Die Plantagen bieten nur wenige Arbeitsplätze, die zudem zeitlich begrenzt und schlecht bezahlt sind. Im Globalen Süden werden Arbeiten in der Forst- und Plantagenwirtschaft vielfach an Subunternehmen ausgelagert. Die starke Konkurrenz um Aufträge hat negative Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen, Löhne, Unterkünfte und Verpflegung. Arbeitnehmerorganisationen fehlen zumeist ganz. Arbeitsschutz und -sicherheit sind unzureichend, was aufgrund der hohen Risiken in der Forstwirtschaft sowie dem Umgang mit gefährlichen Agrochemikalien auf Plantagen zu vielen, oft schweren Unfällen bzw. Gesundheitsbelastungen führt.

Zellstoffproduktion - quo vadis?

Marktbeobachter schätzen, dass sich die Zellstoffproduktion bis 2050 verdoppeln wird. Waren bis vor wenigen Jahren die Staaten mit dem höchsten Papierverbrauch auch die wichtigsten Produzenten von Zellstoff (Finnland, Schweden und Kanada), verlagert sich die Produktion zunehmend in Länderdes Südens. Noch liegt der Schwerpunkt der Zellstofferzeugung in Asien, Nordamerika und Europa. Doch es ist bereits absehbar, dass sich die Produktion von Nordamerika nach Südamerika verlagert, während in Europa eine Verschiebung der Produktion ostwärts nach Russland zu beobachten ist.

Der Schwerpunkt der Zellstoffproduktion wird zukünftig in Lateinamerika liegen: Hier ist der Bau von zehn neuen Werken (acht in Brasilien und zwei in Chile) mit einer jährlichen Kapazität von fast 8 Millionen Tonnen Zellstoff geplant. Für Deutschland ist Brasilien bereits seit 2009 der wichtigste Lieferant von Zellstoff. Aktuell sind es über 900.000 Tonnen pro Jahr.

Wer zahlt die Kosten?

Die Zellstoff- und Papierproduktion wird oft als ein Segen für die meist schwache Wirtschaft von Entwicklungs- oder Schwellenländern angepriesen - aber zu welchem Preis? Zellstoff aus diesen Ländern ist begehrt, denn die Firmen produzieren hier konkurrenzlos billig. Durch niedrige Lohn- und Energiekosten, geringere Umweltauflagen und das schnelle Wachstum der Plantagen ist ihr Zellstoff oft nur halb so teuer wie der ihrer europäischen oder nordamerikanischen Konkurrenten.

Günstige klimatische Bedingungen in Lateinamerika sorgen dafür, dass Eukalyptus-Bäume nach nur acht Jahren 20 Meter hoch und schlagreif sind. In Skandinavien braucht eine Kiefer dafür ca. 80 Jahre. Grund genug für Zellstoffunternehmen, in den dünn besiedelten Regionen Südamerikas ganze Landstriche aufzukaufen. Außerdem locken äußerst investorenfreundliche Rahmenbedingungen. So werden Freihandelszonen eingerichtet, Subventionen für den Aufbau von Monokulturen gezahlt und Entwicklungsbanken gewähren milliardenschwere Kredite. Nur so lässt sich Eukalyptuszellstoff so billig produzieren, dass damit selbst die Preise für bei uns aufbereitetes Altpapier unterboten werden können.

Vermehrt FSC-Mix- statt Recyclingpapiere

Parallel zur Expansion der brasilianischen Zellstoffproduktion hat der Anteil von Altpapier z.B. bei der Produktion von Hygienepapieren in Deutschland in den letzten zehn Jahren bedenklich abgenommen hat. Gleichzeitig ist der Verbrauch von Hygienepapier kontinuierlich gestiegen. Heute liegt der europäische Pro-Kopf-Verbrauch schon viermal so hoch wie der weltweite Durchschnitt. Faseranalysen ergaben, dass verstärkt Eukalyptuszellstoffe im Papier auftauchten.

Immer häufiger ist statt eines Blauen Engels (der für 100 Prozent Recyclingpapier steht) das FSC-Mix-Siegel auf Papier zu finden. Ein bitterer Rückschritt fürdie, die mit viel Engagement für die Nutzung von Recyclingpapier geworben haben. Viele KonsumentInnen, die angesichts von drei unterschiedlichen FSC-Siegeln eher verwirrt denn informiert sind, nehmen oft an, dass sie ein Produkt aus Altpapier in den Händen halten. Das gewährleistet aber nur das FSC Recycling Siegel. Das häufiger zu findende Zeichen FSC Mix sagt nur aus, dass das Papier neben zertifiziertem Holz aus nachhaltiger Holzwirtschaft auch Altholz oder Altpapier enthalten kann.

Wenn die Papierindustrie behauptet, unsere Papierproduktion in Deutschland sei ökologisch nachhaltig und Altpapier aus Kreislaufwirtschaft unser erster Rohstoff, ist dies nur die halbe Wahrheit. Denn während 60 Prozent unserer vorbildlich produzierten Recyclingpapiere exportiert werden, importieren wir Frischfaserpapiere oder Fertigprodukte wie Bücher, deren Faserherkunft und Herstellungsprozesse im Dunkeln bleiben. Denn für die Rohstoffherkunft gibt es keine Nachweispflicht. Recherchen zeigen, dass in großen Mengen importiertes Papier aus Finnland mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Teil Zellstoff aus russischen Urwäldern enthält. Außerdem stellte der WWF immer wieder fest, dass nachweislich Tropenholzfasern aus indonesischen Regenwäldern in unseren Büchern stecken, weil 40 Prozent unserer Buchimporte "Made in China" sind. China ist einer der Hauptabnehmer von Zellstoff aus Indonesien, dem Land mit der höchsten Entwaldungsrate weltweit, besonders in Naturwäldern.

Die Herausforderung: Papier sparen und mehr Recyclingpapier!

Es ist an der Zeit, auf dem Papiersektor für mehr Aufklärung zu sorgen. Klar ist, dass eine Umstellung des Papierverbrauchs auf Recyclingpapier allein nicht ausreicht, um den Papierkonsum langfristig nachhaltiger zu gestalten. Eine Verbrauchsreduktion in Industrieländern wie Deutschland mit einem viel zu hohen Papierkonsum ist aus ökologischer wie sozialer Sicht unumgänglich. Es gilt, den Papierkonsum in den Industrieländern um die Hälfte zu reduzieren und den Recyclinganteil beim verbleibenden Papier zu erhöhen.

ARA plant hierzu, gemeinsam mit Umwelt- und Verbraucherorganisationen des Bundesnetzwerks Papierwende (www.papierwende.de) und des Europäischen Papiernetzwerks EEPN (www.environmentalpaper.eu), gerade eine neue, medienwirksame Kampagne.

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Quelle:
ARA Magazin 21, 2015/16, Seite 8 - 11
Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.
August Bebel Str. 16-18, 33602 Bielefeld
Redaktion: Wolfgang Kuhlmann, Jürgen Wolters
Telefon: 0521 / 6 59 43, Fax: 0321 / 213 140 96
E-Mail: ara@araonline.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2016

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