Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INDUSTRIE

ALTLASTEN/017: Ecotech-Verfahren zur Reinigung von industriell verunreinigtem Grundwasser (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Dezember 2013

Mit Ecotech in die Praxis

Von Benjamin Haerdle



Benzol und Methyl-Tertiär-Butylether (MTBE) verunreinigen an vielen Industriestandorten das Grundwasser. Forscher des UFZ isolierten ein Bakterium, das die Schadstoffe abbauen kann. Damit entwickelten sie ein Ecotech-Verfahren, mit dem in einer großtechnischen Anlage bald 500.000 Liter Grundwasser täglich gereinigt werden können. Die Geschichte eines erfolgreichen Technologietransfers.

Vom Reagenzglas zur technischen Anlage

Es ist unscheinbar, nur ein bis zwei tausendstel Millimeter groß und zylinderförmig - doch der optisch unscheinbare Eindruck des Bakteriums täuscht: Aquincola tertiaricarbonis, so der wissenschaftlich korrekte Name für den Bakterienstamm, ist ein Superstar, zumindest auf dem Gebiet der Reinigung von Grundwasser. Zu dieser Einschätzung kommt Dr. Thore Rohwerder. Der Mikrobiologe hat den Winzling vor mehr als zehn Jahren in Wasserproben gefunden und erforscht ihn seitdem am UFZ. "Das Bakterium hat einen perfekten Stoffwechsel geschaffen, um Methyl-Tertiär-Butylether (MTBE) mithilfe von Sauerstoff zu Kohlendioxid abzubauen", sagt Rohwerder. Bis zu 20 Enzymschritte hat er beim MTBE-Abbau festgestellt. Jeder Schritt Sauerstoff zu Kohlendioxid abzubauen", sagt ist verbunden mit einem oder mehreren Genen, die bestimmte Proteine kodieren. "Der Bakterienstamm hat sich genetisch an die schwierigen Umweltbedingungen hervorragend angepasst", sagt der Mikrobiologe mit leichter Bewunderung in der Stimme.

Gefunden hat er das Bakterium im Grundwasser der 1.300 Hektar großen Fläche der ehemaligen Leuna-Werke, gelegen im Mitteldeutschen Chemiedreieck in Sachsen-Anhalt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gilt Leuna als Standort der Großchemie, zu DDR-Zeiten wurde dort Erdöl verarbeitet. Die Folge: Boden und Grundwasser waren 1990 durch Leckagen, Unfälle und Kriegsfolgen vielerorts mit MTBE, aromatischen Kohlenwasserstoffen, insbesondere Benzol, und Mineralöl-Kohlenwasserstoffen belastet.

MTBE, das dem Benzin zugeführt wird, um die Klopffestigkeit zu erhöhen, ist unangenehm geruchs- und geschmacksintensiv und macht Trinkwasser so ungenießbar. Benzol, ein Nebenprodukt der Verarbeitung von Rohöl zu Kraftstoff, ist giftig und krebserregend. Behörden und Wissenschaftler stellt das vor eine große Herausforderung, denn das kontaminierte Grundwasser muss aufwendig gereinigt werden, um die Wasserversorgung angrenzender Gemeinden zu schützen.

Ein interdisziplinäres UFZ-Team, zu dem neben dem Mikrobiologen Rohwerder maßgeblich die beiden Biotechnologen Dr. Roland Müller und Dr. Manfred van Afferden zählen, hat nicht nur ein technologisches Verfahren entwickelt, mit dem sich dank des Bakteriums Benzol und MTBE aus dem Grundwasser entfernen lässt. Das Verfahren wurde auch zur Marktreife gebracht. Im kommenden Jahr soll am Standort des Ökologischen Großprojektes Leuna eine Anlage in Betrieb gehen, die täglich bis zu 500.000 Liter belastetes Grundwasser reinigt - eine für Grundwasserschadensfälle beachtlich große Menge. "Wir wollten das Verfahren von Anfang an großtechnisch realisieren", sagt Müller. Dass die Umsetzung so gut funktioniert habe, sei auch der engen Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort zu verdanken - u. a. mit der Landesanstalt für Altlastenfreistellung Sachsen-Anhalt und der Mitteldeutschen Vermögens-Verwaltungsgesellschaft.

Das Prinzip - ein Vertikalfiltersystem

Der Aufbau des Vertikalfiltersystems, das die UFZ-Forscher entwickelten, scheint auf den ersten Blick nicht kompliziert. Verunreinigtes Wasser wird aus vier bis sechs Metern Tiefe in ein mit grobkörnigem Blähton gefülltes Becken gepumpt. Danach fließt das Wasser in ein zweites Becken mit feinkörnigerem Filtermaterial. In beiden Becken verwerten Millionen von Mikroorganismen sehr effizient die Schadstoffe. Benzol und MTBE werden so mit Sauerstoff zu Kohlendioxid abgebaut.

Dem Wasser, das teilweise mit jeweils mehr als 5.000 Mikrogramm MTBE und Benzol pro Liter belastet ist, werden durch die mikrobiellen Stoffwechselprozesse die giftigen Substanzen entzogen. Dadurch werden die für das Grundwasser geltenden Grenzwerte unterschritten. Ist das Wasser dann gereinigt, wird es in eine Wiederversickerung geleitet und sauber ins Grundwasser zurückgeführt.

Alles begann mit mikrobiologischer Detailarbeit

Das scheinbar einfache Verfahren ist ein Ergebnis langwieriger und akribischer Forschungsarbeit im Labor. Zwar ist der Mechanismus, wie Bakterien Benzol abbauen, schon seit den 1970er Jahren bekannt. Eine Herausforderung für UFZ-Forscher Rohwerder war jedoch die Arbeit mit dem Bakterium Aquincola tertiaricarbonis: "Es war schwierig, die einzelnen Bakterienstämme zu isolieren", sagt er rückblickend. Der Mikrobiologe ging bei den Laborversuchen mit den Bakterien klassisch vor: Er gab eine Zelle des Bakteriums in einem Flüssigkeitstropfen auf eine gelförmige Agar-Platte, auf der sich die Mikroorganismen vermehren und Kolonien bilden können. Dieser Ansatz brachte bei Aquincola tertiaricarbonis aber nicht sofort das gewünschte Ergebnis. Der Grund: "Der erste Enzymschritt im MTBE-Abbauprozess war genetisch instabil", sagt Rohwerder. Das heißt: Waren auf den Agar-Platten nur winzige Spuren anderer Substrate vorhanden, scheiterte die Anzucht des Bakterienstamms mit der gewünschten Eigenschaft. Erst viele Versuche und Labornächte später gelang Rohwerder der Durchbruch mit der 108. Kolonie: Seitdem trägt Aquincola tertiaricarbonis den Beinamen L 108.

Die Erkenntnisse über das Potenzial von im Grundwasser vorhandenen Bakterien, die nicht nur MTBE, sondern auch Benzol vollständig unter Zufuhr von Sauerstoff umsetzen können, nutzten die Biotechnologen Müller und van Afferden für ihre eigenen Forschungsarbeiten und deren spätere großtechnische Realisierung. Den ersten Freilandcheck unternahmen sie im Jahr 2007 in einer am Standort Leuna vom UFZ errichteten Testanlage. Dort untersuchten die Forscher verschiedene Technologien im Hinblick auf ihr Potenzial, umweltrelevante Schadstoffe wie Benzol, Toluol, MTBE oder Ammonium aus dem Grundwasser entfernen zu können. Weil die Ergebnisse im Versuch mit der Vertikalfilteranlage äußerst positiv ausfielen, baute man 2011 im nächsten Schritt in Richtung Marktreife eine Pilotanlage. Diese sollte in einem einjährigen Test nun auch die ökonomische Effizienz des Verfahrens bestätigen. Das Ergebnis fiel positiv aus, das neue Verfahren erfüllte alle Erwartungen. Auf Basis dieser Ergebnisse gab das Land Sachsen-Anhalt grünes Licht für den Bau der großtechnischen Anlage, die 2014 eingeweiht wird und in der täglich bis zu zehnmal so viel Grundwasser wie im Pilotversuch gereinigt werden soll.

Hürden auf dem Weg in die Praxistauglichkeit

Doch bis dahin hatten auch die Umweltbiotechnologen am UFZ manch Hürde zu nehmen: "In der Anfangsphase war die Reinigungsleistung nicht stabil, wir hatten Probleme im Winter mit den niedrigen Temperaturen und lagen mit den MTBE- und Benzol-Werten deutlich über den angestrebten Zielwerten", sagt Manfred van Afferden. Vor allem das Problem, wie sich chemische Ablagerungen in den beiden Becken verhindern lassen, habe den Wissenschaftlern manch schlaflose Nacht bereitet, erinnert sich Roland Müller. Das galt insbesondere den Kalk- und Eisen-Ausfällungen. Beispielsweise können Eisenoxide und Eisenhydroxide zum Problem werden, da sie den Filter verstopfen und verkrusten können. "Wir haben das Filtermaterial im Grobfilter nun so gewählt, dass die Oxide als flockige Materialien den Filter leicht passieren können und danach sedimentiert werden", sagt van Afferden. Auch die Kalkablagerungen machten Sorgen. Sie entstanden, weil Carbonat wegen der unterschiedlichen Konzentrationen von CO2 im Grundwasser und der Luft in dem Moment ausfällt, in dem das Grundwasser an die Oberfläche kommt. Doch auch dieses Problem ist nun vom Tisch. "Die CO2-Konzentration in der Gasphase im Filterkörper ist nun so hoch, dass kein Carbonat mehr ausfällt", sagt van Afferden.

Damit die Mikroorganismen MTBE und Benzol auch wirklich effizient abbauen, haben die beiden Biotechnologen versucht, ideale Rahmenbedingungen für die im Grundwasser lebenden Bakterien zu schaffen: Das Grundwasser, das durch die beiden Becken strömt, nimmt aus der Atmosphäre den Sauerstoff auf, den das Bakterium für die Stoffwechselprozesse zum Abbau der Schadstoffe unbedingt braucht. Wichtig ist auch die Temperatur des Grundwassers - acht bis zehn Grad Celsius brauchen die Mikroorganismen mindestens, um effektiv arbeiten zu können. Und natürlich müssen ausreichend Schadstoffe im Grundwasser vorhanden sein.

Ökologisch und wirtschaftlich konkurrenzfähig

Ab dem kommenden Jahr können die Mikroorganismen ihre Fähigkeiten in der neuen großtechnischen Anlage unter Beweis stellen. Der Geschäftsführer der Landesanstalt für Altlastenfreistellung Sachsen-Anhalt, Martin Keil, ist von den Vorteilen der UFZ-Ökotechnologie überzeugt: "Die Lösung ist ökologisch und wirtschaftlich vorteilhaft." Sie ermögliche den Einsatz einfacherer und robusterer technischer Anlagen. Damit würden deutlich weniger Energie und Betriebsstoffe verbraucht, der Wartungsaufwand sinke, der Betrieb laufe nahezu abfallfrei. Van Afferden hat die UFZ-Anlage mit den anderen Technologien verglichen, die derzeit auf dem Markt zu finden sind. "Gegenüber einer herkömmlichen Anlage ist unsere zwischen 30 bis 70 Prozent kostengünstiger", lautet seine Bilanz. Zwar seien die Investitionskosten infolge bautechnischer Besonderheiten, wie dem Bedarf spezieller Folien und dem Aushub der Gruben durch Bagger, höher, die Energiekosten und Betriebsausgaben lägen jedoch ein Mehrfaches unter denen der Konkurrenz. Zum einen ist der Aufwand für die Betreuung der Vertikalfilteranlage klein, da sie im Unterschied zu anderen Anlagen viel seltener gewartet werden muss. Zum anderen sind die Energiekosten gering, weil nur wenige Pumpen und elektrische Aggregate zum Einsatz kommen. Geht man von einer täglichen Grundwasserreinigung von 500.000 Litern aus, sparen die Anlagenbetreiber bis zu 1,7 Millionen Euro in fünf Jahren. "Je länger unsere Anlage in Betrieb ist, um so rentabler wird sie", weiß van Afferden.

Die wirtschaftliche Effizienz der Öko-Anlage belohnte in diesem Jahr auch die Jury des IQ Innovationspreises Mitteldeutschland. Das UFZ-Team belegte mit seiner Erfindung den zweiten Platz in der Kategorie Energie/Umwelt/Solarwirtschaft.

Die UFZ-Forscher haben die Technologie als Gebrauchsmuster beim Deutschen Patent- und Markenamt schützen lassen und halten nun Ausschau nach der nächs­ten Gelegenheit, ihre Anlage in der Praxis zu erproben. "Unser Verfahren lässt sich relativ schnell und unkompliziert an anderen Standorten anwenden", sagt Müller, der sich über erste konkrete Anfragen aus Industrieparks und der Petrochemie freut. "Alleine in Deutschland gibt es 313.000 Altlasten, davon mehrere tausend Grundwasser-Schadensfälle". Und auch Mikrobiologe Rohwerder sieht gute Möglichkeiten, den Superstar Aquincola tertiaricarbonis zur Reinigung von Grundwasser weiter einzusetzen: "Der Bakterienstamm kann nicht nur MTBE, sondern auch viele andere Kraftstoff-Additive, wie das mittlerweile stark verbreitete Ethyl-Tertiär-Butylether (ETBE) abbauen". Die Chancen, dass sich die Erfolgsgeschichte dieser Reinigungstechnologie weiter fortsetzt, sind also recht groß.



UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Roland A. Müller,
Dr. Manfred van Afferden
Dept. Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum (UBZ)
e-mail: roland.mueller@ufz.de,
e-mail: manfred.afferden@ufz.de

*

Quelle:
UFZ-Newsletter Dezember 2013, Seite 1 - 3
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
Tel.: 0341/235-1269, Fax: 0341/235-450819
E-mail: info@ufz.de
Internet: www.ufz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2014