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ATOM/955: Biblis-Gutachten bringt Vertuschungsversuche ans Licht (IPPNW)


IPPNW - Berlin, den 22. Oktober 2009

Verräterische Ungereimtheiten

Biblis-Gutachten bringt Vertuschungsversuche ans Licht


Mit einer Pressemitteilung versucht RWE den Eindruck zu erwecken, die Schlampereien im Atomkraftwerk Biblis umfassend aufgeklärt zu haben. Die Analyse des Biblis-Gutachtens des Öko-Instituts zeigt aber nach Auffassung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW: Zahlreiche Vorwürfe entsprechen den Tatsachen. Darüber hinaus enthält das Dokument eine Reihe verräterischer Ungereimtheiten, die nur einen Schluss zulassen: Hier wird vertuscht, so gut es eben noch geht.

Besonders auffällig sind seltsame Datumseinträge bei der Dokumentation von Sicherheitssystemen, auf die selbst die hessische Atomaufsicht in einem Schreiben aus dem Jahr 2008 hinweist. In der Realität erfolgt die Freigabe einer "Planrevision" in zeitlicher Abfolge vor der Erstellung so genannter "Reinschriftpläne". Nach Angabe der hessischen Atomaufsicht war es insofern "auffällig ..., dass das Erstellungsdatum der Reinschriftpläne mehrfach noch vor dem Datum der "Freigabe zur Planrevision" lag, was nicht nachvollzogen werden konnte". Wie kann das sein?

Das Öko-Institut macht schließlich die Angabe, dass zur Beseitigung der auffälligen "Datumsdiskrepanzen" bei der Übernahme von Planänderungen das Dokumentationshandbuch durch eine "Umsetzungsanweisung" ergänzt wurde. Nach Auffassung der IPPNW besteht dringender Aufklärungsbedarf darüber, was Inhalt und Zweck dieser "Umsetzungsanweisung" ist. "Es drängt sich die Frage auf, ob RWE bzw. die hessische Atomaufsicht im Dokumentationshandbuch des Atomkraftwerks eine Vertuschungsanweisung aufgenommen haben, um unangenehme Unstimmigkeiten hinsichtlich der Datumsangaben zu beseitigen", so IPPNW-Atomexperte Henrik Paulitz.

Das Öko-Institut weist ferner auf unterschiedliche Angaben zur Ursache eines Montagefehlers hin. Im Jahr 2008 hatte RWE als Ursache einen Herstellungsfehler angegeben. In der unter anderem auf älteren RWE-Angaben beruhenden Beschreibung des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) wird dagegen "von einer mechanischen Beschädigung der Lötstelle bei der Errichtung der neuen Komponente gesprochen". Die ältere RWE-Angabe stützt die Aussage des Elektromonteurs, wonach es bei den Montage- bzw. Inbetriebsetzungsarbeiten durch unsachgemäßes und unprofessionelles Vorgehen zur Beschädigung von Lötstellen gekommen war. Im Zuge der Aufklärung im Jahr 2008 wollte RWE offenbar dieser Aussage den stichhaltigen Beleg entziehen.

Ungereimtheiten gibt es auch hinsichtlich der Zahl der Arbeitstage, an denen der Elektromonteur in Biblis tätig war. Er selbst gibt an, zunächst für Planungsarbeiten vom 6. bis 8. November 2001 unter anderem im Kontrollbereich von Biblis tätig gewesen zu sein. RWE bestreitet, dass der Monteur im November 2001 in Biblis tätig war. Das Öko-Institut hält diese Angabe von RWE für alles andere als überzeugend. Nachvollziehbar sei vielmehr die Angabe des Elektromonteurs: "Plausibel ist dies, denn seine Sicherheitsbelehrung wurde am 6. November 2001 durchgeführt. Wenn er die Anlage nicht betreten hätte, wäre diese nicht erforderlich gewesen."

Auch hinsichtlich des Arbeitseinsatzes im Mai/Juni 2002 gibt es Unstimmigkeiten. Der Elektromonteur erklärte, er habe wegen der enormen Arbeitsbelastung durch die vielen Planungsfehler vom 3. Mai bis zum 5. Juni bis zu siebzehn Stunden täglich einschließlich der Wochenenden gearbeitet. Auch beklagte er sich, dass er am 4. Juni 2002 genötigt worden sei, unmittelbar vor dem Anfahren des Reaktors an sicherheitstechnisch wichtigen fehlerbehafteten Gebäudeabschlussklappen eine unzulässige "Drehmomentüberbrückung" vorzunehmen. Am 5. Juni habe er auf Anweisung des TÜV die Manipulation wieder rückgängig machen müssen. RWE bestreitet diesen Vorgang nicht, allerdings soll der Elektromonteur laut RWE bereits am 2. Juni seine Tätigkeit in Biblis beendet haben. Das Öko-Institut hält dies für unplausibel, weil eine Wiederkehrende Prüfung (WKP) einer Gebäudeabschlussklappe und das Anfahren des Reaktors am 5. Juni erfolgte, wie einer förmlichen Ereignismeldung zu entnehmen ist.

Weitere Informationen (u.a. auch eine Analyse der Pressemitteilung von RWE): www.ippnw.de/atomenergie

Über die IPPNW:
Diese Abkürzung steht für International Physicians for the Prevention of Nuclear War. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges engagieren sich seit 1982 für eine Welt ohne atomare Bedrohung und Krieg. 1985 wurden sie dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit 1990 stehen zusätzlich gesundheitspolitische Themen (z.B. Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere, Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten) auf dem Programm des Vereins. In der IPPNW sind rund 7.000 ÄrztInnen und Medizinstudierende organisiert.


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Quelle:
Presseinformation der IPPNW - Deutsche Sektion der
Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, 22.10.2009
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Sven Hessmann, Pressereferent
Tel.: 030-69 80 74-0, Fax: 030-69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2009