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ENERGIE/1337: Desertec - Solarstrom aus der Wüste. Gute Idee oder bloß Greenwashing? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2009

Pro & Contra

Desertec - Solarstromimporte aus der Wüste
Gute Idee oder doch bloß Greenwashing?


Desertec hat in den vergangenen Monaten für viel Wirbel gesorgt, handelt es sich doch um eine der potenziell größten und auch teuersten privaten Öko-Strom-Initiativen aller Zeiten. Die Initiative hat das Ziel, Solarstrom in den Wüsten Nordafrikas und im Nahen Osten zu produzieren und per Fernleitung auch nach Europa zu transportieren.

Ein Konsortium aus zwölf Unternehmen schloss sich im Juli dieses Jahres zur sogenannten Desertec-Initiative zusammen - mit dabei Konzerne wie Siemens, E.on, RWE, Münchener Rück und Deutsche Bank. Noch im Herbst wollen die beteiligten Firmen eine Gesellschaft gründen, die das Projekt vorantreiben soll. In drei Jahren dann soll es Baupläne für die ersten Solarkraftwerke geben. Soweit so gut. Doch wird das Projekt wirklich halten können was es verspricht?

Andree Böhling (Greenpeace) sieht in der Initiative eine zukunftsweisende Alternative zur derzeitigen Energieversorgung, die auch in Afrika eine sinnvolle Ergänzung zur dezentralen Energieerzeugung sein kann. Valentin Hollain (Eurosolar) betont nicht nur die Probleme bei der Umsetzung, er sieht auch die Gefahr, dass es den Energiekonzernen vor allem um die Erhaltung ihres Anbietermonopols geht und dass sie Desertec nutzen werden um den heimischen Ausbau der Erneuerbaren Energien zu verzögern.

Strom aus den Wüsten - von der Vision zur Wirklichkeit

Die Produktion und der Import von Solarstrom aus den sonnenreichen Wüstengebieten Nordafrikas und den Ländern des Nahen Ostens ist eine zukunftsweisende Alternative zur derzeitigen Energieversorgung. Sie ist sauber und viel realistischer als zum Beispiel die Abspaltung und Speicherung von CO2 aus Kohlekraftwerken oder der Bau vieler neuer Atomkraftwerke. Die Technik ist erprobt und derart ausgereift, dass sie weltweit vor ihrem Durchbruch steht. Die DESERTEC-Initiative von vorwiegend deutschen Unternehmen zur Erschließung des Wüstenstrom kann hierfür einen wichtigen Beitrag leisten.


PRO

Erderwärmung erfordert höheres Tempo beim Ausbau Erneuerbarer Energien

Von Andree Böhling


Angesichts der riesigen Probleme, die mit der derzeitigen Nutzung von Öl, Kohle, Gas oder Atomkraft verbunden sind, wäre es fatal, auf die enormen Chancen solarthermischer Kraftwerke verzichten zu wollen. Wüstenstrom kann laut einer Greenpeace-Studie bis Mitte des Jahrhunderts etwa ein Viertel der weltweiten Stromversorgung sichern. Dies wird auch notwendig sein, wenn wir weltweit die CO2-Emissionen drastisch reduzieren wollen. Der Klimawandel macht einen schnellen Ausstieg aus der Nutzung fossiler und nuklearer Energien notwendig: Bis 2015, so die Klimawissenschaft, muss der Trend weltweit steigender Treibhausgase gestoppt und umgekehrt werden. Bis 2050 müssen Industriestaaten wie Deutschland Ihre Emissionen auf Nahe Null senken. Nur so kann der weltweite Temperaturanstieg - Auslöser für große ökologische und soziale Herausforderungen - gebremst werden. Die Folgen der Klimaveränderungen treffen gerade die ärmsten Länder wie in Afrika am härtesten und stellen eine existenzielle Bedrohung für einzelne Staaten dar.

Erneuerbare Energien, dezentral plus zentral

Die zentrale Frage sollte sein, wie schnell wir eine vollständige Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien realisieren können, um die globalen Energieprobleme zu lösen und die Klimaveränderung zu stoppen. Deswegen macht es keinen Sinn darüber zu streiten, ob dezentrale erneuerbare Energien wichtiger sind als Solarstromimporte. Wir werden beides brauchen und sollten deshalb zwischen dreckiger und umweltfreundlicher Stromerzeugung unterscheiden. Es ist ja leider nicht so, dass in der internationalen Politik und Industrie schon ein Konsens über den Vorrang von Erneuerbaren Energien besteht. In China und Indien werden weiterhin massenhaft neue Kohlekraftwerke gebaut und in den USA einmal mehr über den Bau von 100 neuen Atomkraftwerken diskutiert. Und selbst in Deutschland sollen, wenn es nach Union und FDP geht, die Laufzeiten alter Atommeiler verlängert und 25 neue Kohlekraftwerke gebaut werden.

Solarstrom bezahlbar für Alle machen

Die Herausforderung bei der gemeinschaftlichen Nutzung von Solarstrom aus Wüsten wird sein, diese Technologie zu beiderseitigem Nutzen für die Menschen in Afrika und in der Europäischen Union verfügbar zu machen. Solarkraftwerke in den Wüstenregionen Afrikas werden nicht ohne das Kapital und das Knowhow finanzstarker Investoren z.B. aus Deutschland gebaut werden können. Andererseits muss der erzeugte Solarstrom auch den Menschen in den Wüstenregionen selbst zu Gute kommen, die sich derzeit keinen Solarstrom leisten können. Deswegen brauchen wir einen fairen Güterausgleich zwischen diesen Interessen. Ziel muss es insgesamt sein, die Solartechnik durch eine breite Markteinführung so schnell wie möglich zu einer für alle Menschen bezahlbaren Alternative zu machen.

DESERTEC-Initiative mit Modellcharakter

Wüstenstrom ist dabei selbstverständlich nur ein Teil der Lösung, weil die Infrastruktur für den Stromtransport in den meisten Ländern Afrikas fehlt. Daher werden für viele Menschen so genannte Insellösungen mit z.B. einzelnen Windkraft- oder PV-Anlagen eher eine Alternative sein. Nichtsdestotrotz kann Strom aus Wüstenkraftwerken die Industrie- und die Ballungsräume in den Ländern Afrikas mit sauberem Strom beliefern und Wasserentsalzungsanlagen für eine verbesserte Wasserversorgung antreiben. Bei der derzeitigen Situation, die durch eine Ausbeutung und den Export von Energierohstoffen wie Erdöl, Kohle, Uran oder Erdgas geprägt ist, sollte es jedenfalls nicht bleiben. Denn damit verbunden sind unmenschliche und ökologisch katastrophale Bedingungen für die Bevölkerung vor Ort sowie eine Verschärfung der ohnehin schon bedrohlichen Klimaveränderung. Die DESERTEC-Initiative kann einen Modellcharakter für die weltweite Ausbreitung von Wüstenstrom haben. Wir sollten die Initiative daher kritisch und konstruktiv begleiten und nicht deswegen ablehnen, weil sich daran auch Großkonzerne beteiligen. Großkonzerne haben bislang beim Klimaschutz zwar versagt. Angesichts der drängenden Zeit beim Klimaschutz macht es aber keinen Sinn die Unternehmen auszugrenzen. Im Gegenteil: Die Unternehmen müssen verstärkt in die Verantwortung genommen werden, damit mehr Geld in Erneuerbare Energien anstatt in Kohle- und Atomstrom fließt.

Der Autor ist Klima- und Energieexperte bei Greenpeace.


Contra

Greenwashing und Verhinderungspolitik
Stromkonzernen geht es um Erhaltung ihres Anbietermonopols

Von Valentin Hollain


Im Kampf gegen Klimawandel und Ressourcenverknappung spielt die Beschleunigung der Energiewende eine entscheidende Rolle. Sollen die Folgen des Klimawandels begrenzt werden, dann muss unverzüglich gehandelt werden. Es ist ebenso offensichtlich, dass nach der Wirtschaftskrise die Preise für fossil-atomare Ressourcen auf neue Rekordhöhen steigen werden. Einen Ausweg für beide Problemfelder, die für die Menschheit eine existenzielle Bedrohung darstellen, bietet nur der dezentrale Ausbau der Erneuerbaren Energien, mit dem die großen heimischen Potenziale zeitnah und kostengünstig in Wert gesetzt werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz aktiviert die motivierten Akteure und ermöglicht es, etablierte Strukturen aufzubrechen.

Die Strukturfrage

Die Energiefrage lässt sich nicht allein auf die fossil-atomare oder regenerative Herkunft des Stroms reduzieren. Bei dem Wechsel zu Erneuerbaren Energien geht es um neue Wirtschaftstrukturen, von der nicht nur einzelne Großkonzerne profitieren. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist in Deutschland bisher immer gegen den Widerstand der fossil-atomaren Großkonzerne durchgeführt worden, da sie in einer demokratisierten Energieversorgung mit vielen neuen Trägern zu den Verlierern gehören. Die konsequente Umstellung auf eine dezentrale Energieerzeugung bedeutet eine breite regionale Wertschöpfung durch viele Millionen Investoren und nicht nur wenige Stromkonzerne, denen es zu allererst um die Erhaltung ihres Anbietermonopols geht. Viele tausend kleine und mittlere Anlagen mit vielen tausend Investoren tragen dazu bei, diese Anbietermonopole zu zerschlagen.

Verzögern und Zurechtbiegen

Ziel der großen Energiekonzerne war und ist daher, die Energiewende um weitere 30-40 Jahre hinauszuzögern und dann die Beschaffung Erneuerbarer Energien in die alten Strukturen zu zwängen, so dass das Geschäft größtenteils in ihren Händen liegt. Desertec ist ein großtechnisches Projekt im Geiste der 60er und 70er Jahre, dessen Konzeption dafür maßgeschneidert ist. Das System der Großkonzerne stützt sich auf Monopole, Zentralisierung, lange Lieferketten und verbraucherferne Energiequellen. Insbesondere die langen Lieferketten ermöglichen ihnen zuverlässige Einnahmen, an jedem der zahlreichen Einzelelementen wird kassiert.

Da jedoch die großen Energiekonzerne ihre Chance zunächst im Weiterbetrieb abgeschriebener Atomkraftwerke und im Bau neuen fossiler Großkraftwerke sehen, setzt die fossil-atomare Energielobby das Desertec-Konzept bewusst ein, um den heimischen Ausbau der Erneuerbaren Energien zu diskreditieren, Dies betrifft sowohl die einheimischen Potenziale als auch die Kosten, obwohl sie selber in den letzten Jahren enorme Oligopolgewinne zu Lasten der Allgemeinheit abgeschöpft haben. Das schnelle Wachstum der Erneuerbaren Energien hierzulande gefährdet jedoch ihre neuen Großkraftwerksprojekte. Ein Energiemix mit einem hohen Anteil Erneuerbarer Energien erfordert ein Zusammenspiel mit dynamischen, dezentralen Kraftwerke, wie es z. B. heute schon in Dänemark der Fall ist. Fossile Großkraftwerke werden in einem regenerativ geprägten Energiemix nicht mehr auf die nötigen Vollaststunden kommen. Da kommt ein Konzept wie Desertec wie gerufen, mit dem man effektives Greenwashing und Verhinderungspolitik betreiben kann, ohne wirklich tätig werden zu müssen. Dabei ist man sich bei E.ON und RWE der Schwierigkeiten, die mit dem Desertec-Projekt verbunden sind, durchaus bewusst und ist nach dem großen Medienrummel um die Gründung des sogenannten Desertec-Konsortiums gleich auf die Bremse getreten. So trifft man schon argumentativ Vorsorge für den Fall des Scheiterns dieses Projektes. So spricht E.ON von einer "interessanten Vision" und warnt vor überzogenen Erwartungen.

Insbesondere der Beitrag von Prof. Fritz Vahrenholt, Leiter der Erneuerbare-Energien-Sparte von RWE, im Tagesspiegel von 27.07.2009 ist in dieser Hinsicht sehr erhellend. Er legt mit großer Gründlichkeit dar, welche enormen Hindernisse zwischen Konzept und Realisierung stehen.

Zu den Problemen gehören die gigantischen Dimensionen des Leitungsbaus und die Probleme der Wasserversorgung der Kraftwerke. Denn selbst mit modernster Technik müssten 30 HGÜ-Trassen durch Spanien, Frankreich und Italien geführt werden, was weit mehr als den von Desertec angegebenen Zeitbedarf erfordert und die Kapitalkosten in die Höhe treibt. Ein Raubbau an den fossilen Wasservorräten der Sahara wäre fatal für die dort lebenden Menschen und stünde im völligen Gegensatz zur propagierten Win-Win-Situation.

Energie für die Menschen vor Ort

EUROSOLAR fördert uneingeschränkt jede Initiative, die die Sahara-Staaten dabei unterstützt, ihre eigene Energieerzeugung vollständig auf Erneuerbare Energien umzustellen. Aber auch in diesen Ländern, die ohne Frage über enorme Potenziale sowohl im Bereich der Solar- als auch der Windenergie verfügen, ist die dezentrale, vebrauchsnahe Erzeugung zu favorisieren und lässt sich erheblich schneller realisieren. Mit der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien IRENA, deren Gründung maßgeblich auf das Engagement von Dr. Hermann Scheer und von EUROSOLAR zurückgeht, steht nun endlich ein Akteur bereit, der den schnellen Know-How-Transfer in diese Staaten gewährleisten kann.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Eurosolar.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2009, S. 26-28
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2009