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EUROPA/388: Nanomaterialien fallen unter REACH - Risikobewertung "von Fall zu Fall" (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände
EU-Koordination

EU-News - Donnerstag, 04. Oktober 2012 / Chemie & Nanotechnologie

Nanomaterialien fallen unter REACH - Risikobewertung "von Fall zu Fall"



Nanomaterialien fallen unter die EU-Chemikalienverordnung REACH und die Risikobewertung soll als Einzelberwertung je Stoff erfolgen. Das ist der Tenor der Mitteilung zur zweiten Überprüfung der Rechtsvorschriften zu Nanomaterialien, die die EU-Kommission gestern veröffentlicht hat.

Die EU-Kommission stellt in der Mitteilung fest, dass Nanomaterialien [1] normalen Chemikalien oder Stoffen ähneln, da sich unter ihnen toxische und nicht toxische befinden. Das heißt für die Europäische Kommission, dass mögliche Risiken jeweils mit bestimmten Nanomaterialien und spezifischen Verwendungsarten verbunden sind. Daher erforderten Nanomaterialien eine Risikobewertung, die fallweise und auf der Grundlage belastbarer Informationen erfolgen müsse. Derzeit verfügbare Methoden der Risikobewertung könnten angewandt werden, auch wenn bestimmte Aspekte der Risikobewertung noch einer Weiterentwicklung bedürften.
Es gebe aber einige große Herausforderungen, die noch bewältigt werden müssten, beispielsweise müssten noch validierte Methoden und Instrumente für den Risikonachweis entwickelt werden. Zudem fehle es an vollständigen Informationen über von Nanomaterialien ausgehende Gefahren. Des Weiteren müssten Methoden für die Bewertung der Exposition gegenüber Nanomaterialien entwickelt werden.

Die EU-Kommission ist überzeugt, dass die EU-Chemikalienverordnung REACH den "bestmöglichen Rahmen für das Risikomanagement von Nanomaterialien bereithält", allerdings müssten dafür noch einige Anhänge geändert und die Registrierung (2013) weiterentwickelt werden.

Zukünftig soll eine neue Web-Plattform Informationen über Nanomaterialien leichter zugänglich machen. Die Nanotechnologie gilt als Schlüsseltechnologie. Das Marktvolumen von Nanoprodukten soll Schätzungen zufolge von 200 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf 2 Billionen Euro im Jahr 2015 ansteigen. Ohne dass bisher konkrete Vorschriften für eine Genehmigung von Produkten mit Nanomaterialien existieren, wurden in den letzten Jahren viele neue Alltagsprodukte auf den Markt gebracht. Dazu gehören geruchshemmende Textilien, Sonnenschutzcremes mit Nanopartikeln oder Rieselhilfen in Lebensmitteln.

Bis 2014 will die Kommission eine abschließende Bewertung für eine mögliche Überarbeitung der Rechtsvorschriften im Bereich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz vornehmen. Zurzeit arbeitet eine Untergruppe "Nano" der Arbeitsgruppe zu Chemikalien, die der Beratende Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz eingesetzt hat, einen Entwurf einer Stellungnahme zu Risikobewertung und Risikomanagement von Nanomaterialien am Arbeitsplatz. Diese Stellungnahme muss anschließend der Beratende Ausschuss annehmen oder ablehnen.

In einem Anhang der Kommissionsmitteilung KOM (2012) 572 [1] sind in einer Tabelle übersichtlich Player und Zeitpläne für bestimmte politische Prozesse in der EU-Nanopolitik aufgelistet (S. 14-18).

Der Berichterstatter des EU-Parlaments zum Thema Nanomaterialien Carl Schlyter (Grüne, Schweden) kritisierte im Vorfeld, dass es seiner Meinung nach nicht ausreiche, nur REACH-Anhäge anzupassen. Stattdessen müsse es aus Verbraucherschutz- und Umweltschutzgründen spezielle Gesetzesänderungen in den EU-Rechtsvorschriften für Kosmetika, Elektroschritt, Biozide oder Chemikalien geben. Schließlich würden Nanomaterialien eher selten in Jahresmengen über einer Tonne (die Registrationsgrenze unter REACH) produziert.

Umweltverbände hatten bereits die Definition von Nanomaterialien kritisiert. Das Europäische Umweltbüro (EEB) war "tief enttäuscht" über die "zu enge" Definition, was als Nanomaterial gelten soll und was nicht [1]. Das EEB kritisierte, dass die Industrielobby sich gegenüber der EU-Kommission durchgesetzt habe. Es gebe auch Materialien mit weniger als den angegebenen 50 Prozent Bestandteilen unter 100 nm, die neuartige Eigenschaften aufweisen können und durch das Raster fallen und um entsprechende Sicherheitstest herumkommen, kritisierten die Umweltschützer. Es sei völlig unverständlich, warum die EU-Kommission von den wissenschaftlichen Empfehlungen des Wissenschaftlichen Ausschusses "Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken" (SCENIHR) abgewichen ist, der sogar ab einer Bestandteilmenge von 0,15 Prozent Partikeln unter 100 nm empfohlen hatte, das Material als "Nanomaterial" zu definieren. Zudem sage die reine Größe von Nanopartikeln nicht unbedingt etwas über ihr Sicherheitsrisiko aus. [jg]

[1] Definition von Nanomaterialien (Empfehlung 2011/696/EU der Kommission (ABl. L 275 vom 20.10.2011)): "...ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder hergestelltes Material, das Partikel in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthält und bei dem mindestens 50% der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben. In besonderen Fällen kann der Schwellenwert von 50% für die Anzahlgrößenverteilung durch einen Schwellenwert zwischen 1% und 50% ersetzt werden, wenn Umwelt-, Gesundheits-, Sicherheits- oder Wettbewerbserwägungen dies rechtfertigen. [...]"

Pressemitteilung der EU-Kommission: IP/12/1050 und MEMO/12/732
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/12/1050&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=MEMO/12/732&format=HTML&aged=0&language=EN&guiLanguage=en

Mitteilung KOM (2012) 572
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0572:FIN:DE:PDF

Arbeitsdokument zu Arten und Gebrauch von Nanomaterialien einschließlich bekannter Risiken (englisch)
http://ec.europa.eu/enterprise/sectors/chemicals/files/reach/nano_swp_preliminary_en.pdf

Hintergrundwissen zu Nano: Nanotrust
http://nanotrust.ac.at/dossiers_sum.html

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Quelle:
EU-News, 04.10.2012
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2012