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FORSCHUNG/381: Dossier Klima - Kraftstoff aus land- und forstwirtschaftlichen Abfällen (research*eu)


research*eu Nr. 63 - April 2010

Magazin des Europäischen Forschungsraums

DOSSIER KLIMA


VERKEHR
Benzin und Diesel ade

Von Stéphane Fay


Um die Forschungen zu den Biokraftstoffen der zweiten Generation voranzutreiben, hat Europa das NEMO-Projekt ins Leben gerufen. NEMO setzt auf Enzyme und Mikroorganismen, um aus den land- und forstwirtschaftlichen Abfällen von heute den Kraftstoff von morgen herzustellen.

Bereits 2020 sollen 10% aller im Verkehr verbrauchten Kraftstoffe in Europa aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich die Union ein neues Instrument geleistet: Das Projekt Novel high-performance enzymes and micro-organisms for conversion of lignocellulosic biomass to bioethanol (NEMO) wird von Merja Penttilä, Forscherin am Valtion Teknillinen Tutkimuskeskus (VTT), dem technischen Forschungszentrum von Finnland, koordiniert. Es soll die Herstellung von Biokraftstoffen der zweiten Generation aus landund forstwirtschaftlichen Abfällen fördern und sie im Vergleich zu ihren Vorgängern der ersten Generation verbessern. Diese haben nicht nur eine fragwürdige ökologische Bilanz, sie werden noch dazu meist aus Nahrungspflanzen hergestellt, etwa Getreide. Damit verursachen sie einen Preisanstieg dieser Ressource und gefährden in der Folge den sozialen Frieden und die politische Stabilität der ärmsten Länder unserer Welt.(1) Wenn die Europäische Union ihren Platz in diesem strategischen Forschungsbereich behaupten möchte, muss sie sich auch auf neue Projekte wie dieses verlassen, um die künftige Energieunabhängigkeit zu verbessern.


Ziel Ökologie

An NEMO sind 18 Partner in neun europäischen Ländern (Deutschland, Belgien, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Slowenien, Schweden, Schweiz) beteiligt. Es bringt Universitäten, Forschungszentren und auch Privatunternehmen wie die kleine deutsche Firma Green Sugar zusammen. "Dank unserer Kontakte zur Universität Frankfurt (DE) wurden wir zu einer Besprechung des NEMO-Projekts eingeladen und stellten fest, dass wir gemeinsame Interessen hatten", berichtet Frank Kose, Projektleiter bei Green Sugar. Das Forschungsbudget beläuft sich auf 8,25 Mio. EUR für vier Jahre. Davon stammen 5,9 Mio. EUR aus dem Themenbereich "Lebensmittel, Landwirtschaft und Fischerei sowie Biotechnologie" des 7. Rahmenprogramms (RP7), der sich auf die Entwicklung der Biowirtschaft konzentriert.

Die Biokraftstoffe der zweiten Generation, die NEMO entwickeln möchte, werden auf der Grundlage von Lignozellulose hergestellt. Diese kommt vor allem in Pflanzenzellen vor, weshalb die Verwendung aller Pflanzenteile möglich ist: Blätter, Stiele, Stroh oder auch Grünschnittabfälle. Damit ist es nicht mehr nötig, nur auf den essbaren Pflanzenteil zurückzugreifen, um Biokraftstoff herzustellen, und es zeigt sich ein Ausweg aus dem Zwiespalt "essen oder fahren" der ersten Generation von Biokraftstoffen. Außerdem bietet die Verwertung pflanzlicher Abfälle auch Vorteile im Hinblick auf die Rentabilität.


Umwandlung grüner Abfälle

Die Forscher wollen neue Verfahren zur Umwandlung von Lignozellulose (die aus Lignin, Zellulose und Hemizellulose besteht) aus land- und forstwirtschaftlichen Abfällen in Biokraftstoff entwickeln. Diese Umwandlung erfolgt normalerweise in vier Phasen: Vorbehandlung, Extraktion, Fermentation und Destillation.

Die Vorbehandlung der Lignozellulose dient der Aufspaltung des Lignins, um diesem die Zellulose- und Hemizellulosemoleküle zu entziehen und daraus Glukose zu gewinnen. Durch Fermentation von Glukose mithilfe von Hefen entsteht Ethanol, ein Alkohol, aus dem Biokraftstoff destilliert wird.

NEMO wird sich hauptsächlich auf die erste Phase konzentrieren. "Hierbei geht es vor allem darum, die Kohlenstoffketten der Zellulose und Hemizellulose mithilfe neuer Enzyme in ihre Bestandteile aufzuspalten - das heißt in Zucker wie Glukose. Das wird Zuckerbildung genannt", erklärt Frank Kose. Enzyme sind Proteine, die chemische Reaktionen beschleunigen und die Molekülstruktur verändern können. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Bakterien, die den Fermentationsprozess der Glukose aufrechterhalten, nur schwach toxisch sind. "Bei jedem neuen Enzymansatz muss die Biomasse auf die Aktion der Enzyme vorbereitet werden. Bei der von Green Sugar entwickelten Technologie werden anorganische Säuren verwendet, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen", erklärt der Projektleiter.

Neben den wissenschaftlichen Zielen will NEMO überprüfen, ob die in den Labors entwickelten Enzyme auch wirksam genug sind, um in industriellen Verfahren eingesetzt zu werden. "Unser Engagement wird natürlich von wirtschaftlichen Erwägungen geleitet", erklärt Frank Kose. "Wir wollen eine Technologie zur Verzuckerung des Pflanzenmaterials entwickeln, die künftig in Produktionsanlagen mit einer jährlichen Kapazität von 50 000 bis 100 000 Tonnen eingesetzt werden kann. Dazu brauchen wir starke Industriepartner. Wenn NEMO eine neue Technologie entwickelt, um Zellulose mithilfe von Enzymen umzuwandeln, und wenn dabei die Technologie von Green Sugar zum Einsatz kommt, dann werden sich die Industrieunternehmen, die sich am Projekt beteiligen, dieser Technologie bedienen. Und das ist, als ob wir ihnen unser Know-how verkaufen würden."

Damit ist NEMO sowohl für Industrieunternehmen als auch für Forscher interessant. Denn über die Hoffnung hinaus, zur Lösung des weltweiten Energieproblems beizutragen, geht es auch darum, sich ein Stück vom derzeit boomenden Markt für Bioenergiequellen zu sichern. Doch noch bevor NEMO seine Versprechungen erfüllen kann, naht bereits eine dritte Generation von Biokraftstoffen heran. Sie stützt sich auf den Auszug von Öl aus Algen und wagt gerade erste Schritte auf dem Weg aus dem Labor in die Praxis.

(1) Siehe Artikel Auf die Hoffnung folgen Zweifel in unserer Sonderausgabe Abschied vom Erdöl?, März 2008.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Biomasseversuchsanlage auf dem INRA-Gelände in Estrée-Mons (FR). Foto: INRA/Gérard Paillard


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Der Themenbereich "Lebensmittel, Landwirtschaft und Fischerei sowie Biotechnologie"

Mit einem Budget von 1,9 Mrd. EUR gehört er zu den Themen des spezifischen Programms "Zusammenarbeit" des 7. Rahmenprogramms (RP7). Das Hauptziel ist die Errichtung einer europäischen Wissenswirtschaft, die sich auf Nachhaltigkeit und ein gutes Management der biologischen Ressourcen stützt. Es geht vor allem darum, die Umwandlung von Biomasse zu optimieren, um Produkte mit hohem Mehrwert herzustellen.


Gemeinsame Initiative für Brennstoffzellen und Wasserstoff

Europa erforscht auch andere Wege, um sich mit erneuerbaren Energiequellen auszustatten. Das ist der Fall bei Brennstoffzellen und der Wasserstofftechnologie, die beide Energie aus Wasserstoff liefern. Sie stehen im Mittelpunkt der neuen gemeinsamen Technologieinitiative (JTI) Brennstoffzellen und Wasserstoff (Fuel cells and hydrogen, FCH) - einer Partnerschaft zwischen der Europäischen Kommission, Privatunternehmen und mehreren Universitäten und Forschungsinstituten.

Auch hier geht es um die Senkung des Kohlendioxidausstoßes und eine geringere Abhängigkeit Europas von Kohlenwasserstoffen, wobei gleichzeitig auch ein Beitrag zum Wirtschaftswachstum geleistet wird. Der Vorteil der JTI ist es, dass sie alle Akteure und Mittel in einer gemeinsamen Anstrengung zusammenführt. So sind etwa die Technologien, die zur Verbreitung von Brennstoffzellen notwendig sind, noch nicht marktreif und können auch nur schwerlich von einem auf sich allein gestellten Akteur entwickelt werden. Die erste Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen der JTI FCH wurde 2008 veröffentlicht und von der Kommission mit 28 Mio. EUR ausgestattet. Eine zweite Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen wurde bis zum 15. Oktober 2009 durchgeführt. Das Budget beträgt 70 Mio. EUR.

http://ec.europa.eu/research/fch/


Kleines Lexikon

Biokraftstoff: Ersatzkraftstoff, der auf der Basis von pflanzlichen Rohstoffen hergestellt wird.
Bioethanol: Ethanol aus der Vergärung von pflanzlichen Rohstoffen. Ethanol ist in allen alkoholhaltigen Getränken enthalten.
Anorganische Säure: Säure, die keinen Kohlenstoff enthält.


NEMO
18 Partner, 9 Länder
(BE-CH-DE-FI-FR-IT-NL-SI-SE)
www.vtt.fi/?lang=en


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Quelle:
research*eu Nr. 63, Juli 2010, S. 12-13
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
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E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2010