Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INDUSTRIE


FORSCHUNG/509: Was ist Bioökonomie? Bundesregierung und EU setzen auf biobasierte Industrie (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014
Goldgräberstimmung
Bioökonomie zwischen Welthunger und Rohstoffalternativen

Was ist Bioökonomie?
Bundesregierung und EU setzen auf biobasierte Industrie

Von Steffi Ober


Die Transformation der Gesellschaft in ein Zeitalter ohne Öl und fossile Energien ist mehr als ein einfacher Wechsel des Kohlestofflieferanten für die Industrie. Natur und Umwelt, Ernährung und Landschaftsgestaltung sind gleichermaßen betroffen. Dies führt zwangsläufig zu Zielkonflikten. Doch wie diese gesteuert werden können und wer in die Aushandlungsprozesse wann und wie mit einbezogen wird, ist noch ungeklärt.


Bioökonomie wird definiert als Summe aller industriellen und wirtschaftlichen Sektoren, die biologische Ressourcen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen nutzen. Das klingt nicht besonders aufregend, bedeutet jedoch nicht weniger als die Umstellung einer erdölbasierten auf eine biomassebasierte Wirtschaft. Dazu gehören Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Nahrungsmittelwirtschaft, Papierproduktion, Chemie, Biotechnologie und Energieproduktion. Um diese Transformation zu bewältigen, wird in technologiezentrierte Innovationen investiert. Doch Ressourcenknappheit, Welthunger und Klimawandel drängen zuvor nach gesellschaftlichen Veränderungen, nach sozialen Innovationen in Lebensstilen und Konsummustern. Wohlstand und Lebensqualität in einer endlichen Welt müssen neu definiert werden. Einfach nur die Rohstoffbasis zu wechseln ist keine Option. Deshalb steht die Auseinandersetzung mit der biobasierten Wirtschaft im Zentrum einer größeren Diskussion rund um die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft in einer begrenzten Welt. Doch an diesem Punkt ist der politisch-gesellschaftliche Diskurs noch lange nicht, wie uns ein kursorischer Blick auf die aktuellen Forschungsstrategien lehrt.

Forschungsstrategien zur Bioökonomie

Europa soll zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissenschaftsbasierten Wirtschaftsraum werden. Horizon 2020 lautet der Name für das nächste europäische Forschungsrahmenprogramm FRP (2014 bis 2020) mit einem Volumen von knapp 80 Milliarden Euro. Dieses Programm ist recht industrielastig, wie sich der folgenden Aufstellung unschwer entnehmen lässt. Unter dem Pfeiler "gesellschaftliche Herausforderungen" werden die Themen "Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit, nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, marine, maritime und limnologische Forschung und Biowirtschaft" mit 3,8 Milliarden Euro gefördert.

Die Forschungs- und Innovationsstrategien sind sehr eng mit den einflussreichsten europäischen Industrien in öffentlich-privaten Partnerschafts-Programmen (Public Private Partnership, PPP) abgestimmt. Bestes Beispiel dafür ist die neueste Initiative zur Gründung eines europäischen Industriekonsortiums für den Aufbau von Bioraffinerien.(1) Mit dieser EU-Verordnung wird in einem einmaligen Vorgang der Industrie über einen wesentlichen Bereich der gesellschaftlichen Infrastruktur, der Biomasse, das vorrangige Verfügungsrecht zugesprochen. Wenn die Industrie wie geplant große Bioraffinerien aufbaut, um statt Öl und Kohle in Zukunft Biomasse als Grundlage für ihr Produkte (beispielsweise für Chemie oder Pharmazie) zu verwenden, dann geraten Landwirtschaft, Ernährung und Biodiversität noch mehr unter Druck als bisher. Die Industrie behauptet, sie wolle die Biodiversität schonen und selbstverständlich gelte das Motto "Food First" (Primat der Ernährungssicherung). Zudem wolle sie sich vorrangig mit organischen Abfällen und Rückständen begnügen. Aus der Sicht des Umwelt- und Naturschutzes sind organische Rest- und Abfallstoffe jedoch wichtige Pfeiler des Erhalts der Bodenfruchtbarkeit und der Biodiversität (wie zum Beispiel Totholz im Wald). Wie mit den Nutzungskonkurrenzen zwischen Ernährung und Industrie umgegangen werden soll, wer die Interessen der Verbraucher, des Naturschutzes und der Landwirtschaft absichert, ist völlig unzureichend gewährleistet. Im EU-Konsortium sind Natur- und Umweltschutz weder von der zivilgesellschaftlichen noch von der wissenschaftlichen Seite vertreten. Die Strategie wird vorrangig von der Industrie und der technologisch orientierten Wissenschaft im Interesse der Wirtschaft gelenkt. Transparenz und Partizipation als Grundforderungen einer Demokratie müssten hier stärker berücksichtigt werden, das Gemeinwohl mehr im Vordergrund stehen. Der deutsche Steuerzahler übernimmt immerhin ein Fünftel des EU-Haushaltes.(2)

Nationale Strategie Bioökonomie 2030

Das nationale Förderprogramm Bioökonomie 2030 (2,4 Mrd. Euro) der Bundesregierung lehnt sich recht eng an die europäischen Forschungsprogramme an. Die Förderaktivitäten gehen in mehrere Richtungen: Zum einen wird nach Wegen gesucht, wie die nötige Biomasse erzeugt werden kann, zum anderen soll die Industrie stärker in die postfossile Wirtschaft einsteigen.

Die Förderung der Pflanzenbiotechnologie läuft seit 1998, erst als Rahmenprogramm "Biotechnologie - Chancen nutzen und gestalten" (2001-2010) und seitdem im Förderprogramm Bioökonomie.(3) Das Förderprogramm Pflanzenbiotechnologie (2010) soll einerseits neue und wettbewerbsfähige biotechnologische Verfahren und Produkte voranbringen. Des Weiteren soll es für Ertragssteigerung und Ertragsstabilität in Nutzpflanzen und schließlich einen nachhaltigen Anbau von Nutzpflanzen unter reduzierter Verfügbarkeit von Ressourcen wie Wasser oder Nährstoffen ermöglichen sowie zum Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen. Letzteres Argument klingt interessant als neue Legitimationsstrategie der Grünen Gentechnik.

Derzeit werden 27 Verbundprojekte durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Diese durchweg als PPP zwischen akademischen Einrichtungen und Unternehmen konzipierten Verbünde erhalten hierzu eine öffentliche Förderung von mehr als 45,5 Millionen Euro.(4) Die einzelnen geförderten Projekte finden sich in einer Projektdatenbank im Portal Pflanzenforschung.(5) Schon heute liefern Pflanzen die Rohstoffe für biotechnologische Prozesse (beispielsweise Zucker oder Stärke). In Zukunft sollen nach dem Willen der ForscherInnen (und FördererInnen) auch gentechnisch veränderte Bäume dafür sorgen, dass der Chemikalien- und Energieeinsatz sinkt, um die Inhaltsstoffe für die Bioraffinerie zu verwerten.

Die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts (die lange in der Pflanzenbiotechnologie gesehen wurde) liegt laut BMBF neuerdings in der "industriellen Biotechnologie". Neue innovative Produkte und Systemlösungen mit hohem Wertschöpfungspotential sind das Ziel. Die Bundesregierung schreibt: "In der industriellen Produktion werden Unternehmen zunehmend gezwungen sein, nachhaltige Prozesse und Produkte zu implementieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die industrielle Biotechnologie bietet als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts die Chance, durch ressourcenschonende, energiesparende und abfallvermeidende Produktionsprozesse und neuartige Produkte diese Herausforderung zu bewältigen."(6)

Neue Hightechstrategie verspricht nachhaltige Produktion

Doch die Strategie Bioökonomie 2030 geht über diese Einzelmaßnahmen hinaus. Im Rahmen der dominanten nationalen Forschungsstrategie, der Hightechstrategie,(7) werden die Ziele für "Bioökonomie 2030" neuerdings folgendermaßen konkretisiert:

Im Mittelpunkt stehen in den kommenden Jahren die Stärkung des Systemansatzes in der Bioökonomie, die Intensivierung eines partizipativen Diskurses mit der Gesellschaft, die Weiterentwicklung von Innovationsbündnissen von Forschung und Industrie sowie die Effizienzverbesserung bei der Nutzung biologischer Ressourcen. Moderne Produktionstechniken, ressourcenschonende neue technische Lösungen und Verfahrensketten und die Arbeitsproduktivität steigernde Automatisierungstechniken (Precision Farming) bieten laut der Strategie wichtige Ansatzpunkte für eine umweltfreundliche und nachhaltige Agrarproduktion. Mit innovativer Technik und Verfahren in der Tier- und Pflanzenproduktion soll die kontinuierlich steigende Nachfrage nach hochwertigen pflanzlichen und tierischen Eiweißen gedeckt werden. Dabei gilt es, Gefährdungen von Mensch, Tier und Umwelt zu minimieren. Eine moderne, Standortangepasste, ressourcenschonende und effiziente Agrartechnik kann hierzu sehr wichtige Beiträge leisten.

Risiken werden unterschätzt

Doch schaut man genau hin, gibt es Anlass zur Sorge. Die Umgestaltung von Landschaft und Landwirtschaft unter dem Paradigma einer "effizienten Verwertung" beunruhigt zutiefst. Die vorliegenden Strategien suggerieren, dass durch technologische Innovationen Effizienzsteigerungen so optimiert werden, dass Knappheiten überwunden werden können. Doch die Risiken dieser Strategie werden systematisch unterschätzt. Schon heute gefährdet der fortschreitende, ungebremste Verlust der Biodiversität global die Ernährungssicherung. Die Intensivierung der Landwirtschaft und Landnutzung sowie der Klimawandel verschärfen das Problem. Trotz dieser Gefährdungen kommen die Worte Bedrohung, Sorge oder Vorsicht in den offiziellen Dokumenten zur Bioökonomie nicht vor. Ebenso fehlt die Frage, wie die Bioökonomie in eine begrenzten Welt der planetaren Grenzen integriert werden kann, in der schon heute wesentliche Parameter wie Biodiversitätsverlust, Stickstoffeintrag oder Degradation von Böden völlig überzogen sind. Sowohl der ökologische Fußabdruck als auch der Wasserabdruck der Industrieländer sind viel zu hoch. Die Energieproduktion durch Kulturpflanzen ist durch einen sehr hohen Wasserverbrauch gekennzeichnet. Im Vergleich zu Kohle, Erdgas oder Rohöl ist - um die gleiche Menge an Energie aus Biomasse zu erzeugen - das 24- bis 140-fache an Wasser notwendig. Der vermehrte Einsatz von Nitrat und Pestiziden in der Biomasseproduktion verschlimmert die Ökobilanz.

So bleiben auch für die Strategie Bioökonomie 2030 viele Fragen offen. Wo sind die Advokaten für Umwelt, Naturschutz oder Menschenrechtsthemen? Wo ist eine vernünftige Governance angedacht, die relevante Netzwerke und vielfältige Akteure integriert? Wie kann man die organisierte Zivilgesellschaft mit ins Boot holen, damit sie mit ihrer vielfältigen Expertise eine Korrektur der blinden Flecken in den Strategien und Förderprogrammen wahrnehmen kann? Wissen bündeln und gemeinsame Strategien aus der Gesellschaft heraus zu entwickeln wäre ein erster, wichtiger Schritt, um die Transformation in eine postfossile Zukunft demokratisch zu gestalten.


Autorin Steffi Ober ist Referentin für Nachhaltige Forschungspolitik beim NABU.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafik in der Originalpublikation:

- Anhand einer Studie zur Bioökonomie des NABU-Bundesverbandes wurde mit dieser Graphik ein Überblick zu Themen und Konflikten rund um die Bioökonomie erstellt. Die Anmerkungen am Rande sind Ergänzungen aus einem Verbändeworkshop auf Vilm im Sommer diesen Jahres.


Internet-Links

1. http://ec.europa.eu/research/participants/portal/desktop/en/opportunities/h2020/calls/h2020-bbi-ppp-2014-1.html#tab1

2. http://www.netzwerk-ebd.de/europapolitik/eu-finanzplanung-und-euhaushalt/ Abruf 28.10.2013.

3. http://www.bmbf.de/pub/Nationale_Forschungsstrategie_Biooekonomie_2030.pdf

4. http://www.bmbf.de/de/11985.php

5. Projektdatenbank unter
http://www.pflanzenforschung.de/de/plant-2030/fachinformationen/projektdatenbank?suchtext=&pflanze=&programm=leer&anzahlpflanzen=leer&summevon=0&summebis=0&pfilter=1#filter

6. http://www.bmbf.de/foerderungen/16331.php.

7. HTS 2014, 24 unter: http://www.bmbf.de/press/3650.php.



Weitere Informationen unter:

www.nabu.de/themen/konsumressourcenmuell/biooekonomie/

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014, Seite 2 - 4
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang