Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INDUSTRIE


HOLZ/276: Holz als Wegwerfprodukt - Wie der Papierhunger Wälder zerstört (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2021

Holz als Wegwerfprodukt
Wie der Papierhunger Wälder zerstört

von Evelyn Schönheit und Sergio Baffoni


Der Verkauf von Zellstoff als Papierrohstoff steigt weltweit. Die Herstellung von Primärfaserpapier ist eine wesentliche Ursache für den schlechten Zustand und die Zerstörung vieler Wälder. Es ist profitabel, Naturwälder abzuholzen oder in eintönige Holzplantagen umzuwandeln, lokale und indigene Gemeinschaften von ihrem Land zu vertreiben. Ganze Baumstämme, die besser zu langlebigen, hochwertigen Produkten verarbeitet werden sollten und energieintensivere Roh- und Baustoffe ersetzen könnten, enden im Papier. Entscheidend aber ist, viel mehr Wald aus der intensiven Nutzung zu nehmen, um seine Resilienz, CO2-Speicherfähigkeit und Biodiversität zu fördern.

Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) landen rund 40% der industriellen Holzernte in der Papierproduktion. Entsprechend wirkungsvoll für den Wald-, Arten- und Klimaschutz wäre ein bewusster und sparsamer Umgang mit dem wertvollen Material. Zumal die Papierindustrie in Deutschland der drittgrößte Endenergieverbraucher ist. Beim rechnerischen Pro-Kopf-Verbrauch liegen wir mit 226 Kilogramm (2019) weltweit an dritter Stelle nach Belgien und Luxemburg - beide Länder beherbergen EU-Institutionen mit hohem Papierumsatz. Auch in absoluten Zahlen belegen wir mit knapp 19 Millionen Tonnen Platz vier nach China, den USA und Japan. Zwar erzielt die deutsche Papierindustrie eine Altpapier-Einsatzquote von 79%, doch beim hierzulande verbrauchten Papier liegt diese aufgrund der Im- und Exporte nur bei etwa 66%.

Globales Holz für deutsches Papier - verheerend für Arten, Klima und lokale Gemeinschaften

80% des Holzes für unseren Papierverbrauch stammen aus Importen. Skandinaviens intensive Forstwirtschaft liefert fast 40% davon [1]. In Schweden, woher wir am meisten Papierholz beziehen, gelten nur noch 10% der Wälder als naturnah - trotzdem sind auch diese bedroht. Schwedische Naturschutzverbände beklagen eine schwere Krise der Biodiversität. Auf der Roten Liste stehen 1.800 Tier- und Pflanzenarten, die auf den Lebensraum Wald angewiesen sind. Zugleich gefährdet die Abholzung die Existenz des einzigen indigenen Volks in Nordeuropa, der Sámi. Die Forstindustrie missachtet deren traditionelle Weiderechte für die großen Rentierherden, die materielle Basis der Kultur und Lebensweise der Sámi sind.

Größere Mengen Papierholz importieren wir aus Russland, teils über Finnland und Polen, sowie Kanada, in beiden Ländern ist Kahlschlag von Primärwald übliche forstliche Praxis. Südamerika gewinnt als Zellstoff-Exporteur immer mehr an Bedeutung. Schnell wachsende Eukalyptusplantagen werden vor allem auf landwirtschaftlichen Flächen angelegt. Lokale und indigene Gemeinschaften, Bauernfamilien, die seit Generationen auf ihren Feldern Getreide anbauen und Tiere halten, werden gewaltsam vertrieben, teils mit schweren Menschrechtsverletzungen. Die Monokulturen verstärken in ohnehin trockenen Gebieten den Wassermangel und so gefährdet Dürre die verbliebenen Naturwälder, Waldbrände häufen sich [2]. In Brasilien hat die Papierindustrie innerhalb von 20 Jahren die Zellstoffproduktion von 6,7 auf 21,5 Millionen Tonnen verdreifacht, stark durch öffentliche Gelder subventioniert. Im Nordosten Brasiliens, einer der ärmsten Regionen, kontrolliert ein einziger Papierkonzern, Suzano, 726.000 Hektar Flächen. Die Gemeinden leiden seit den 1980er-Jahren unter der Abholzung ihres Waldes. In einigen Fällen hat die Justiz ihre Gewohnheitsrechte wiederhergestellt, aber Suzano versucht weiterhin, sie zu kriminalisieren.[3] Das Epizentrum der Zellstoffexpansion verlagerte sich in die Region Três Lagoas, in Mato Grosso do Sul, wo die Produktion in einem Jahrzehnt von null auf mehr als sieben Millionen Tonnen pro Jahr explodierte, mit fast einer Million Hektar Eukalyptusplantagen. Dies verursacht indirekt weitere Zerstörung von Naturwald, da Papierkonzerne die Infrastruktur wie Straßen und Stromnetz benötigen, aber auch bereits erschlossenes Land für ihre Plantagen von Rinderzüchtern kaufen, welche andernorts wiederum Wälder roden.[4] In Chile unterdrückt die Regierung verfassungsmäßige Rechte. Kürzlich hat sie die Armee gegen die indigenen Mapuche entsandt, die ihr traditionelles Land besetzt hatten. Und auch in Paraguay ist der Bau neuer Zellstofffabriken zu befürchten.

Gesundheitsbelastung und miserable Arbeitsbedingungen

Die Zellstoffproduktion belastet durch Pestizide, Düngemittel und Bleichchemikalien Böden und Gewässer. Zudem verletzen die Arbeitsbedingungen in industriellen Baumplantagen in Südamerika, Asien und Afrika grundlegende Arbeitsrechte. Fehlende Schutzausrüstung sowie Anleitung, z. B. beim Umgang mit Motorsägen oder Chemikalien führen zu schweren, teils tödlichen Unfällen.[5] Ein spezieller Brennpunkt ist Indonesien, von wo uns über Buchimporte und Verpackungen aus China Urwaldfasern erreichen: In den vergangenen Jahrzehnten haben Papier- und Zellstoffindustrie mehrere Millionen Hektar Regenwald zerstört, verbunden mit Hunderten sozialen Konflikten, wobei die Land- und Menschenrechtsverletzungen in Indonesien besonders dramatisch sind [6]. Die weiter steigende Produktion zerstört die verbliebenen intakten Waldgebiete und gefährdet die Existenz indigener Gemeinschaften. Die Torfmoor-Entwässerung zur Anlage von Baumplantagen heizt die Klimakrise dramatisch an, mit Emissionen von bis zu 80 Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr. Gerade die ärmeren Teile der Bevölkerung im Globalen Süden sind nicht nur unmittelbar auf intakte Wälder und sauberes Wasser angewiesen, sie sind auch am schlimmsten von der Klimakrise betroffen, die der hohe Holz- und Energieverbrauch der internationalen Papierindustrie weiter befeuert.

Raubbau durch entwaldungsfreie Lieferketten verhindern

Einerseits ist hier das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz zu nennen, mit dem in Deutschland vor allem der illegale Holzeinschlag und -handel bekämpft werden sollen. Leider ist die Umsetzung mangelhaft. Strafbarkeit und Bußgelder sind zu gering, zudem werden Druckerzeugnisse nicht erfasst. Die Politik muss dringend Rahmenbedingungen setzen, um ökologische und soziale Mindeststandards zu garantieren und entwaldungsfreie Lieferketten sicherzustellen. Die Papierhersteller sollten verpflichtet werden nachzuweisen, aus welchen Regionen, von welchen Baumarten und aus welcher Art der Waldbewirtschaftung das Holz für ihren Zellstoff stammt. Insbesondere die sozialen Negativfolgen sind noch viel zu wenig bekannt. Hier sind NGOs gefordert, an der Informationsarbeit mitzuwirken, zumal Papier stellvertretend für viele Konsumgüter mit gravierenden Problemen in den Lieferketten steht. So gilt es, VerbraucherInnen grundsätzlich zu bewussterem Umgang mit Ressourcen und beharrlicher Nachfrage danach zu motivieren, was deren Gewinnung für Natur und Menschen in den jeweiligen Herkunftsländern bedeutet. Und klar zu benennen, dass wir den Ressourcenverbrauch in allen Bereichen um bis zu zwei Drittel verringern müssen.

Besiegelter Waldschutz und Anforderungen an die Politik

Groß- und EndverbraucherInnen können durch sparsame Nutzung und konsequente Wahl von Recyclingpapier mit dem Blaue-Engel-Siegel einen entscheidenden Beitrag zu ökologischer und sozialer Zukunftsfähigkeit leisten. Anders als das FSC Recycled Siegel, das nur die Altpapiernutzung gewährleistet, steht der Blaue Engel für hohe Anteile unterer und mittlerer Altpapiersorten, die den Großteil des Sammelaufkommens ausmachen, und damit für maximale Kreislaufführung der wertvollen Holzfasern. Beim Sparen wiederum helfen altbekannte Tipps wie doppelseitiges Kopieren, Aufkleber gegen Werbung und kostenlose Zeitungen oder das Abbestellen von Katalogen. Die Politik sollte den Forderungen der Initiative "Letzte Werbung" folgen und den Einwurf von Werbung im Briefkasten nur noch zulassen, wenn dies ausdrücklich gewünscht ist (Opt-in-Verfahren). Kartonagen lassen sich z. B. durch Kauf bei umweltorientierten Anbietern einsparen, die im Mehrwegsystem mit Recyclingkunststoffboxen liefern, welche mindestens 200 Umläufe erzielen. Auch hier braucht es politische Vorgaben für ein bundesweit einheitliches System für Mehrwegbehältnisse. Gleiches gilt für Lebensmittelverpackungen, wo zusehends Plastik durch Primärfaserpapier ersetzt wird. Tüten aus Primärfaserpapier sowie Einwegprodukte wie To-go-Becher und -Geschirr sollten verboten oder mit hohen Abgaben belegt werden. Außerdem ist ein nationales Ziel zur Reduzierung des Verbrauchs von Papier, Pappe und Karton überfällig, im Rahmen eines gesetzlich verankerten Abfallvermeidungsziels. Bei Hygienepapieren sollte ausschließlich 100% Altpapier zum Einsatz kommen, da diese am Ende der Nutzungskaskade stehen und die Fasern über Kanalisation bzw. Restmüll unwiederbringlich verloren gehen. Flankierend sollte die Regierung eine Informations- und Imagekampagne durchführen, um niedrigere Papierweißen zu fördern und damit auch einen höheren Einsatz von Verpackungsaltpapieren für Toilettenpapier und Papierhandtücher zu ermöglichen. Zudem ist Kostenwahrheit überfällig, indem Umweltfolgekosten internalisiert und Energie für die Papierbranche nicht mehr subventioniert werden. Dann könnten Primärfasern teurer werden.

Im Zuge der Dekarbonisierung der Wirtschaft sind sowohl Holz als auch Energie knappe Güter, die nicht zur Erzeugung von Wegwerfprodukten verschwendet werden dürfen.

Die Förderung von Holzverbrennung muss dringend enden. Im Zuge der Dekarbonisierung der Wirtschaft sind sowohl Holz als auch Energie knappe Güter, die nicht zur Erzeugung von Wegwerfprodukten verschwendet werden dürfen. Auch die Energie aus nachwachsender Biomasse ist zu knapp. Die vermeintlichen Resthölzer werden im Wald dringend benötigt, um das Bodenleben zu ermöglichen und nachwachsenden Pflanzen Nährstoffe zu liefern. Zudem sorgen sie für Schatten, Feuchtigkeit und Temperaturausgleich. Je weniger Papier und Pappe wir verbrauchen, desto besser für die Wälder. Und Plantagenflächen dürfen nicht länger Artenvielfalt, Nahrungsmittelproduktion und die Existenz von Millionen Menschen im Globalen Süden gefährden.

Die Autorin ist Umweltwissenschaftlerin und arbeitet als Papierexpertin für das Forum Ökologie & Papier (www.foep.info). Sergio Baffoni ist Koordinator der Waldschutzkampagne beim Environmental Paper Network, einem weltweiten Netzwerk von über 150 Verbänden. (http://www.environmentalpaper.org).


Vorsicht, wenn es heißt, Primärfaserpapier schneide beim CO2 besser ab als Recyclingpapier! Derartige Aussagen stützen sich auf die alte, dringend reformbedürftige Methodik von Ökobilanzen, die das Verbrennen von Holz als CO2-neutral bewertet. Fasern für Zellstoff machen nur etwa 45% des Holzes aus. Der Rest, der Holzstoff, der die Fasern wie ein Kitt zusammenhält, wird verbrannt und liefert einen Teil der Energie, die zur Herstellung des Zellstoffs benötigt wird. Angesichts der Dauer von 70 bis 80 Jahren, die es braucht, bis z. B. eine Fichte als typischer Baum für die Papierherstellung nachwächst sowie der Notwendigkeit, heute massiv CO2 gebunden zu halten, beurteilen große Wald-NGOs und internationale WissenschaftlerInnen dies als widersinnig und unhaltbar.

Anmerkungen

[1] Robin Wood (2020): Wo unser Papier wächst.
https://www.robinwood.de/sites/default/files/Wo_unser_Papier_waechst.pdf
[2] https://environmentalpaper.org/wp-content/uploads/2019/02/Forest-fires-plantations-EPN-discussion-document-20Feb-2019.pdf
[3] Bruzaca, Conflitos possessórios provocados pelo agronegóciono Baixo Parnaíba Maranhense, 2018.
http://www.anpocs.com/index.php/encontros/papers/42-encontro-anual-da-anpocs/gt-31/gt06-15/11151-conflitos-possessorios-provocadospelo-agronegocio-no-baixo-parnaiba-maranhense-sobre-acontinuidade-de-impactos-territoriais-e-ambientais-decorrentesda-pratica-juridica-nos-conflitos-envolvendo-as-empresassuzano-e-paineiras/file
[4] https://environmentalpaper.org/2020/09/two-sides-of-thesame-coin-how-the-pulp-and-paper-industry-is-profiting-fromdeforestation-in-the-amazon-rainforest/
[5] World Rainforest Movement (2007): Working Conditions and Health Impacts of Industrial Tree Plantations,
https://wrm.org.uy/wp-content/uploads/2013/01/Working_conditions_and_health.pdf
[6] https://environmentalpaper.org/2019/12/conflicts-plantationstwo-new-investigative-research-reports-from-indonesia/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Rundbrief 3/2021, Seite 14-17
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 17 75 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang