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MASSNAHMEN/307: Clean Development Mechanism - Folgen weltweiten Handels mit CO2-Zertifikaten (BUND NI)


BUND Landesverband Niedersachsen e.V. - Hannover, 5. November 2010

Thema: Der weltweite Handel mit CO2-Zertifikaten und dessen Folgen
Hintergrund: Heutige Informationsveranstaltung beim BUND Niedersachsen, Hannover

BUND-Experte: "Taschenspieler-Tricks sorgen nicht für einen wirksamen Klimaschutz"


Ajita Tiwari, Gastrednerin aus Indien, und Manuel Graf (BUND) sehen im Klimazertifikatehandel modernen Ablasshandel, der Klimawandel nicht bremst Was hat das Kohlekraftwerk "GKH Gemeinschaftskraftwerk" der Stadtwerke Hannover mit einer Anlage zur Kühlmittelproduktion in indischen Gujarat zu tun? Und welche Verbindungen gibt es zwischen dem Kohlekraftwerk Mehrum und Anlagen zur Kühlmittelproduktion im chinesischen Shandong? Der weltweite Handel mit Klimazertifikaten stellt die Verbindung dar. Mit diesem Handel werden unter anderem Kohlekraftwerke in Indien oder China finanziert. Dort entstünden dann mehr Treibhausgase als zuvor, Klimaschutz werde ad absurdum geführt. Das sagten die beiden Referenten, die heute bei einer Informationsveranstaltung des BUND Niedersachsen zum so genannten "Clean Development Mechanism" (CDM) sprachen. In Niedersachsen und ganz Deutschland würden klimaschädliche Kohlekraftwerke von RWE, Vattenfall und anderen Kraftwerksbetreibern mithilfe der Zertifikate ermöglicht.

"Der Handel mit diesen Zertifikaten kann den Klimaschutz in Deutschland nicht ersetzen. Das schützt nicht das Klima, sondern sorgt vor allem dafür, dass die Energieriesen und die CO2-Großemittenten ihre Klimaschutzpflichten nur auf dem Papier erfüllen. Taschenspieler-Tricks sorgen nicht für einen wirksamen Klimaschutz. Was wir weltweit brauchen ist reale CO2-Reduktion", sagte Manuel Graf vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bei der heutigen Veranstaltung im Umwelthaus in Hannover.

Die indische Klimaexpertin Ajita Tiwari verwies auf die doppelte Ungerechtigkeit des Zertifikatehandels für die arme Bevölkerung in ihrem Land. "Wir verlieren doppelt. Einerseits stößt die Industrie in Deutschland und anderswo weiter massiv CO2 aus, was den Klimawandel anheizt und die armen Regionen in Indien und der Welt als erstes und am heftigsten trifft. Anderseits unterstützen die Zertifikate bei uns in Indien häufig dreckige Industrieanlagen, die keine zukunftsfähige Energieversorgung, sondern meist lokale Verschmutzungen für Natur und Menschen verursachen. Der Gewinn fließt in die Taschen der Anlagenbetreiber und gelangt nicht zur armen Bevölkerung." Die Verschmutzungsrechte in Form der CO2-Zertifikate, die derzeit in großem Stil von deutschen Unternehmen aufgekauft werden, gehen auf Vereinbarungen der weltweiten Klimaschutzdiplomatie (Kyoto-Protokoll) zurück, bei denen der "Clean Development Mechanism" entwickelt wurde. Damit sollte einerseits günstiger Klimaschutz ermöglicht und andererseits den Entwicklungsländern Finanzmittel für eine umweltfreundliche Entwicklung zur Verfügung gestellt werden. Im besten Fall gäbe es in Indien zum Beispiel weniger CO2, in Deutschland weiterhin gleich viel, aber die Verringerung in Indien wäre preisgünstiger umzusetzen.

Dieser Mechanismus sollte die Industrie animieren, die weltweiten Emissionen schneller abzubauen. Graf kritisierte jedoch, dass die meisten inzwischen realisierten CDM-Projekte auch ohne diesen Mechanismus realisiert worden wären. "Real gab es also keine zusätzlichen CO2-Minderungen", erklärte der Experte. "CDM erweckt den Anschein, als könnten die Industriestaaten Maßnahmen in Entwicklungsländern durchführen anstatt ihre Hausaufgaben zu erledigen. Doch mittel- und langfristige Klimagas-Reduktionen sind überall nötig", sagte Graf. In der Praxis entstünden absurde Situationen. Zum Beispiel könne RWE in China (Stadt Ningbo, Provinz Zhejiang) ein Kohlekraftwerk errichten und sich dafür Zertifikate anrechnen lassen. Weil das Kohlekraftwerk in China technisch auf dem neuesten Stand ist, spare es rein rechnerisch gegenüber einem alten chinesischen Kraftwerk mehr als 460.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Durch diese Rechnung könne RWE in Deutschland seine Klimaschutz-Vorgaben mit CO2-Zertifikaten von Kohlekraftwerken in China erfüllen, erläuterte Graf. Anstatt Zertifikate zu kaufen, sollten die deutschen Konzerne in erneuerbare Energien und in Energieeffizienz investieren. Der BUND fordere deshalb die schnellstmögliche Abschaffung des internationalen Zertifikatehandels. Auf jeden Fall müsse die deutsche Bundesregierung die massive Möglichkeit zur Nutzung von CDM-Zertifikaten innerhalb des Europäischen Emissionshandelssystems eindämmen, selbst von aktiver Förderung oder Hilfestellung für den "Clean Development Mechanism" absehen und stattdessen die Anstrengungen zum Klimaschutz hierzulande verstärken.


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Quelle:
Presseinformation vom 05.11.2010
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2010