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VERBRAUCHER/109: Geplante Obsoleszenz - Nach zwei Jahren schon ins Repair-Café (lunapark21)


lunapark 21, Heft 40 - Winter 2017
zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie

Nach zwei Jahren schon ins Repair-Café
Warum wird die Lebensdauer von technischen Geräten immer kürzer?

von Bernhard Knierim


Eines Tages quittierte mein Tintenstrahldrucker plötzlich seinen Dienst. Das Gerät war noch nicht sonderlich alt und hatte bis dahin ohne Probleme funktioniert. Eine Recherche im Internet ergab: Der angezeigte Blinkrhythmus bedeutete, dass der Druckkopf verbraucht sei. Das nächste ernüchternde Ergebnis: Ein neuer Druckkopf würde mehr kosten als ein komplett neuer Drucker. Kurz darauf kam mein kleiner Sohn angekrabbelt und machte sich an der Steckerleiste unter meinem Schreibtisch zu schaffen. Strom an, aus, an, aus. Und die Überraschung: Der Drucker funktionierte wieder tadellos - wenn auch leider nur für ein paar Tage, bevor das Problem zurückkam. Damit war aber bewiesen: An dem Drucker ist eigentlich nichts kaputt. Er hat einfach einen internen Seitenzähler, der so programmiert war, dass er beim Erreichen der angeblichen Maximalzahl nicht mehr benutzbar ist. Dass sich dieses Programm durch Kinderhände auch mal foppen lässt, ist nur ein Unfall. Es ist aber bekannt und dokumentiert, dass es solche Zähler in den meisten Druckern gibt - auch wenn man sich wundern mag, wie eine solche Entmündigung der Benutzenden legal sein kann.

Dass ein Gerät auch völlig ohne technischen Defekt unbenutzbar wird, ist ein Extremfall. Viele Geräte gehen aber schon nach kurzer Benutzungszeit - manchmal sogar schon nach wenigen Monaten - tatsächlich kaputt. Fast jeder kann Geschichten von solchen Fällen erzählen. Viele technische Geräte sind ganz offensichtlich alles andere als dauerhaft robust konstruiert. Das Phänomen wird als geplante Obsoleszenz diskutiert: Geräte sollen gar nicht langfristig funktionieren, damit die Hersteller uns nach kurzer Zeit schon wieder neue verkaufen können. Besonders technische Geräte werden außerdem so konzipiert, dass sie kaum wieder repariert werden können. In der Logik des Kapitalismus macht das durchaus Sinn, um die Absatzzahlen dauerhaft zu sichern.

Belastbare Zahlen gibt es zu dem Phänomen naturgemäß nicht, weil kein Hersteller offen zugibt, dass eine begrenzte Lebensdauer von vornherein technisch eingeplant ist. Eine 2016 veröffentlichte Untersuchung des Umweltbundesamtes kam zu dem Resultat, dass sich der Anteil von Haushaltsgroßgeräten, die bereits in den ersten fünf Jahren aufgrund eines Defekts ersetzt werden mussten, von 2,5 Prozent im Jahr 2004 auf 8,3 Prozent im Jahr 2013 mehr als verdreifacht habe. Es gebe damit zwar einen klaren Trend zu immer kürzeren Lebensdauern von Elektrogeräten, dennoch könne von geplanter Obsoleszenz "im Sinne böswilliger Designmanipulation keine Rede sein". Die Autoren sehen den Grund stattdessen in einer unzureichenden Zeit für die Entwicklung und das Testen der Geräte.[1] Für die Verbraucher macht es allerdings wenig Unterschied, ob das Gerät mutwillig oder aus Nachlässigkeit schlecht konstruiert ist.

Auch der Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Bulow kam in einer theoretischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich nur Monopolisten eine solche geplante Obsoleszenz leisten könnten, während der Markt dies ansonsten verhindern würde.[2] Allerdings führen andere Ökonomen dagegen ins Feld, dass die geplante Obsoleszenz ja eben nicht transparent sei und die Hersteller deswegen eben doch damit davon kämen.[3] Und es gibt sogar direkte Hinweise darauf, dass die kurze Lebensdauer in vielen Fällen eben doch Absicht ist: Die Firma HVT (Halbleiter-Test & Vertriebs-GmbH) fand in einer Studie 2013 eine "Vielzahl von Beispielen für Produkte" mit leicht vermeidbaren anfälligen Konstruktionen. "Bei einer Vielzahl der unterschiedlichsten Bildschirme oder LCD-Fernseher befinden sich Elektrolytkondensatoren unmittelbar neben Leistungsbauteilen, die über 100 Grad Celsius warm werden. Die Lebensdauer der Kondensatoren beträgt dann nur noch wenige tausend Stunden. Nach zwei bis drei Jahren fallen diese aus, mit dem Resultat, dass der gesamte Bildschirm aufgrund zu hoher Reparaturkosten auf den Müll wandert."[4]

Die Idee, dass es für die Wirtschaft Sinn macht, dass Produkte nicht übermäßig lange halten, existiert dabei schon fast 100 Jahre lang: 1924 wurde in Genf das "Phoebuskartell" gegründet, das Glühlampen international normierte und dabei auch die Lebensdauer auf 1000 Stunden begrenzte. Allerdings ist auch hier umstritten, ob es wirklich darum ging, dadurch einen dauerhaften Absatz von Glühlampen sicherzustellen - oder einfach die Bauart der Lampen zu normieren. Zumindest die Herkunft des Begriffs ist einigermaßen eindeutig: Der Amerikaner Bernard London veröffentlichte 1932 während der Weltwirtschaftskrise den Artikel "Ending the depression through planned obsolescence" ("Die Wirtschaftsdepression durch geplante Obsoleszenz beenden"). Darin entwickelt er die Idee, dass der Neukauf von Produkten dadurch angeregt werden soll, dass die Käufer einen Rabatt für die Abgabe der Vorgängerprodukte erhalten - auch wenn diese noch gar nicht kaputt sind. Damit war er wohl einer der entscheidenden Ideengeber der Wegwerfkultur, die seitdem zu einer Grundlage unseres gesamten Wirtschaftssystems geworden ist.

Verstärkt wird diese Wegwerflogik noch dadurch, dass viele technische Produkte inzwischen extrem kurze Produktzyklen haben. Handys sind beispielsweise selten länger als ein Jahr auf dem Markt, obwohl sich die tatsächlichen technischen Veränderungen oft in Grenzen halten. Und bei neuen Generationen von Geräten werden häufig die Standards gewechselt: Stecker und Zusatzgeräte passen nicht mehr, und schon nach wenigen Jahren lassen sich kaum noch Ersatzteile finden. So müssen oft ganze Geräte ausgetauscht werden, auch wenn nur ein kleines Element defekt ist. Und durch die schnellen Generationswechsel werden die Produkte in extrem kurzen Zyklen entwickelt - was nicht zuletzt spektakuläre Rückrufaktionen für diverse Autos oder Mobiltelefone in den letzten Jahren illustrieren. Die Werbung tut überdies ihren Teil dazu, immer das neueste Produkt als erstrebenswert und alle Vorgänger als hoffnungslos veraltet darzustellen, auch wenn die Veränderungen oft marginal sind. Übrigens ist auch diese Idee amerikanischen Ursprungs: Alfred P. Sloan entwickelte als Präsident von General Motors schon in den 1920er Jahren die Idee, die Autos jedes Jahr etwas zu verändern, so dass sie schnell unmodern wirken. Sein Ziel war, dass die Verbraucher alle drei Jahre ein neues Auto kaufen sollten.

Aber so wie die Konzerne sehr findig darin sind, möglichst schnell möglichst viele neue Produkte zu verkaufen, gibt es ebenso findige Menschen, die der Wegwerflogik widerstehen und herausfinden, wie es mit Reparaturen eben doch klappt. Da die eingeplanten Schwachstellen immer die gleichen sind, haben schließlich auch viele Menschen die gleichen Probleme. Im Internet findet man eine Unmenge von ausführlichen Reparaturbeschreibungen und selbstgemachten Filmen, in denen meist Männer ihre Reparaturprojekte darstellen und genau erklären, wo das Problem liegt und wie man es mit eigenen Mitteln beheben kann. Computer, Handys, Waschmaschinen, elektrische Zahnbürsten - für fast jedes Gerät findet man solche Reparaturbeschreibungen. Neben Werkzeug benötigt man dafür jedoch auch einige technische Begeisterung und ein bisschen Mut. Und die benötigte Zeit darf man nicht im Sinne eines Stundenlohns rechnen. Es muss schon ein bisschen ums Prinzip gehen - um den Wunsch, die Produzenten eben nicht mit dem "Murks" davonkommen zu lassen.

Eine größere Bewegung will solche Reparaturen immer mehr zum Normalfall machen und auch denen ermöglichen, die nicht zu den technisch versierten Bastlern gehören. Sie gründen sogenannte "Repair Cafés", die meist an festen Tagen in der Woche geöffnet sind. Dorthin kann jede und jeder mit ihren und seinen defekten Geräten kommen und bekommt technische Hilfestellung und das nötige Werkzeug, um sie zu reparieren - als Hilfe unter Gleichgesinnten, ohne einen finanziellen Ausgleich. "Repair Cafés" sind politisch gemeint, als Statement gegen die Wegwerfkultur.

Aber auch solche Selbsthilfewerkstätten können nur versuchen, im Einzelfall etwas zu beheben, was eigentlich ein systemisches Problem ist. Sie ändern nichts daran, dass es erlaubt ist und dass die Unternehmen wirtschaftlich sogar einen Anreiz haben, besonders kurzlebige Produkte herzustellen. Wirklich etwas daran ändern könnte nur der Gesetzgeber - und zwar am besten gleich auf europäischer Ebene. Warum müssen Hersteller nur eine zweijährige Gewährleistung auf ihre Geräte geben? Warum sind sie nicht verpflichtet, alle ihre Geräte mit einer Garantie von fünf oder sogar zehn Jahren zu verkaufen - plus weiteren zehn Jahren, in denen sie Zubehör- und Ersatzteile verfügbar halten müssen, damit die Geräte aufgerüstet und repariert werden können, nebst einer verpflichtenden verständlichen Reparaturanleitung im Internet? Warum dürfen komplett verschweißte Geräte verkauft werden, in denen nicht einmal der - völlig normal nach zwei bis vier Jahren verschlissene - Akku ausgetauscht werden kann? Man müsste die Hersteller stattdessen verpflichten, dass jedes ihrer Geräte mit standardisierten Werkzeugen zu öffnen sein muss und dass absehbare Verschleißteile von den Nutzenden selbst ersetzt werden können. Überdies könnte man wichtige Teile wie Akkus, die sich schon heute zwischen den Herstellern nur unwesentlich unterscheiden, normieren und die Hersteller noch stärker auf gemeinsame Standards verpflichten. Dafür hat die EU bereits einen vielversprechenden Anfang gemacht, als sie die Hersteller von Handys dazu verpflichtet hat, alle Netzteile mit den gleichen USB-Steckern auszustatten. Der Nutzen dieser Maßnahme bleibt jedoch gering, solange die Handys selbst alle zwei Jahre ersetzt werden. Frankreich ist hier immerhin schon einen Schritt weiter: Seit zwei Jahren gibt es dort ein Gesetz, das Strafen für eine mit Absicht verkürzte Lebensdauer von Produkten androht.


Bernhard Knierim ist Mitglied der LP21-Redaktion und bemüht sich um die Langlebigkeit von Geräten - wenn auch manchmal vergeblich. Der Star in seinem Arbeitszimmer ist ein inzwischen 23 Jahre alter Laserdrucker. Im Rahmen des Vereins "Halle 36" wirkt er in Werder (Havel) an einem Repair-Café mit.


Anmerkungen

[1] Die Studie ist hier online abrufbar:
https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/elektrogeraete-werden-immer-kuerzer-genutzt

[2] Bulow, Jeremy (1986): An Economic Theory of Planned Obsolescence.

[3] Kreiß, Christian (2014): Geplanter Verschleiss.

[4] Golem.de (2013): Wo die Sollbruchstellen der Elektronik liegen. Online:
https://www.golem.de/news/geplante-obsoleszenz-wo-die-sollbruchstellen-in-der-elektronik-liegen-1306-99957.html

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Inhaltsverzeichnis lunapark 21, Heft 40 - Winter 2017

Lunart: Anonyme/r Plakatabreißer/in
editorial
quartalslüge: IV/MMXVII "Flüchtlinge sind eine normale Begleiterscheinung"
kolumne winfried wolf: Letter of intent: Ja zur Aufrüstung

soziales & gegenwehr
Daniel Behruzi • Pflege - Spielball von Finanzjongleuren
Werner Rügemer • Grenzenlose Arbeits-Flexibilität im EU-Kolonialsystem
Daniel Behruzi • Buchbesprechung: Gerhard Kupfer (Hrsg.): Streik und Menschenwürde

märchen des neoliberalismus nr.12
Kai Ecker-Wolf & Patrick Schreiner • "Mehr Wettbewerb macht unser Gesundheitssystem effizienter!"

lexikon
Georg Fülberth • Lexikon "Gesellschaft"

feminismus & ökonomie
Therese Wüthrich • Arbeitsplatz Einzelhandel
Eveline Linke & Ruth Becker • Bedingungsloses Grundeinkommen

spezial I - katalonien
Politik, Ökonomie & eine EU-weite Debatte um nationale Selbstbestimmung
Independencia - Sí! Interview mit Gabriela Serra
Glossar zur politischen Landschaft in Katalonien & im übrigen Spanien
Thomas Fruth • Harte kapitalistische Realitäten & nichtkapitalistische Kollektive
Thomas Fruth • Gewaltenteilung? Es wird durchregiert!
Winfried Wolf • Last der jüngeren Geschichte - Katalonien im Spanischen Bürgerkrieg
Christian Bunke • Schottische Unabhängigkeit im Zeichen des Brexit
Hannes Hofbauer • Deutschland setzt auf Sezession

spezial II - flüchtlinge & flüchtlingspolitik
Winfried Wolf • Flüchtlinge in Deutschland 2017 & das gescheiterte Jamaika-Projekt
Matthias Schmelzer • Konferenz in Leipzig zu Migration
Ekanga Claude Wilfried • Fluchtursachen aus afrikanischer Perspektive
Boniface Mabanza • Boot der gesamten Menschheit: Fluchtgründe, Krisen & Alternativen
Interview mit Victor Nzuzi • Der globale Süden als Melkkuh des Nordens
Isabelle Reimann • Afrika: Ein zweiter Marshallplan?
Interview mit Alberto Acosta • Ecuador: Das System ist ein Fehlentwickler
Bruno Kern • Degrowth heißt einseitige industrielle Abrüstung

klima, energie & verkehr
Bernhard Knierim • Geplante Obsoleszenz: Nach zwei Jahren schon ins Repair-Café

ort & zeit
Sebastian Gerhardt • Der Hafen von Felixstowe, die Container, der Brexit

der subjektive faktor
Die Mahnwache gegen Stuttgart21: Was? Die gibt's noch? Und wie!

geschichte & ökonomie
Thomas Kuczynski • Eine neue Ausgabe von Band I des "Kapitals"

seziertisch
Georg Fülberth • Regierbar

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Quelle:
Lunapark 21, Heft 40 - Winter 2017, Seite 63 - 64
Herausgeber: Lunapark 21 GmbH, An den Bergen 112, 14552 Michendorf
Telefon: 030 42804040
E-Mail: ww@lunapark21.net
Internet: www.lunapark21.net
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2018

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