Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

ABFALL/038: Eselskarren statt Laster - Treibstoffmangel erschwert Müllabfuhr in Gaza-Stadt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Dezember 2013

Nahost: Eselskarren statt Laster - Treibstoffmangel erschwert Müllabfuhr in Gaza-Stadt

von Mohammed Omer


Bild: © Mohammed Omer/IPS

Kind auf Eselkarren neben Müllcontainer in Gaza-Stadt
Bild: © Mohammed Omer/IPS

Gaza-Stadt, 10. Dezember (IPS) - Die Müllfahrzeuge in Gaza-Stadt stehen still, weil der Treibstoff knapp geworden ist. Inmitten des akuten Mangels, der alle Bereiche des öffentlichen Lebens betrifft, besinnen sich die Palästinenser auf altbewährte Helfer. Sie transportieren ihren Müll in Eselskarren ab. Doch weder die Unterstützung der Vierbeiner noch kurzfristige Spritlieferungen aus der Türkei können die Lage entspannen.

Abu Hesham hat einen Esel vor seinen Müllkarren gespannt. Im Stadtteil Barcelona, in dem der 33-Jährige unterwegs ist, quellen alle Container über. Aber auch auf der Müllkippe ist kein Platz mehr, und Hesham entleert sein Vehikel am Straßenrand. Es ist sieben morgens, der Gestank wird immer beißender und über Gaza-Stadt legt sich eine Decke aus schwarzem Qualm. Viele Bewohner verbrennen ihren Müll, um die Infektionsrisiken zu verringern. Frische Luft einzuatmen, ist zurzeit unmöglich.

Der Gaza-Streifen, der von der radikal-islamischen Hamas regiert wird, sieht sich gleich von mehreren Seiten in die Enge getrieben: von Israel, das das Palästinensergebiet belagert, von der mit der Hamas rivalisierenden palästinensischen Fatah-Regierung im Westjordanland und vom neuen Militärregime in Ägypten. Mit ihren Alltagsproblemen stehen die Menschen hier weitgehend alleine da.


Sprit aus Israel zu teuer

Laut der Stadtverwaltung gibt es keinen Diesel für die Müllwagen mehr. Man könne sich den teuren Sprit nicht leisten, heißt es. In den vergangenen Jahren war der isolierte Gaza-Streifen auf Lieferungen aus Ägypten angewiesen, die für umgerechnet einen US-Dollar pro Liter verkauft wurden.

Im Juli schloss Ägypten aber alle Tunnel, durch die Versorgungsgüter in den von etwa 1,8 Millionen Palästinensern bewohnten Gaza-Streifen gelangten. Damit sollte die islamistische Hamas, die den gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi unterstützt, in die Knie gezwungen werden. Nach Angaben der Stadtverwaltung fallen auf Sprit aus Israel so hohe Steuern an, dass er am Ende fast doppelt so viel kostet wie ägyptischer Treibstoff.

Auch Mahmoud Abu Jabal ist mit seinem Eselskarren unterwegs. Sein zehnjähriger Sohn Ala'a läuft hinterher, sammelt den herumliegenden Unrat auf und wirft ihn auf den Wagen. In den letzten zwei Wochen hat das Arbeitspensum zugenommen. Vorher waren beide lediglich im Umkreis eines großen Krankenhauses anzutreffen. Inzwischen sind sie in der ganzen Stadt unterwegs. "Ich habe sonst keine anderen Einkünfte, um meine zwölf Kinder und den Esel zu ernähren", meint Abu Jabal. Der 55-Jährige, der krank ist und keinen anderen Job findet, verdient als Abfallsammler etwa 200 Dollar. Das reicht bei weitem nicht aus, um die Bedürfnisse der Familie zu decken.

Für eine zufriedenstellende Straßenreinigung werden monatlich rund 150.000 Liter Treibstoff benötigt. Um sauberes Trinkwasser und eine sanitäre Grundversorgung zu gewährleisten, wären weitere 7.000 Liter Diesel erforderlich. Zwischen den Dörfern und den Auffanglagern laden die Palästinenser ihren Unrat am Straßenrand oder auf behelfsmäßigen Müllkippen in Wohngebieten ab. Die Behörden warnen vor der Verbreitung von Krankheitserregern.

Der Treibstoffmangel legt nicht nur die Müllabfuhr in Gaza-Stadt lahm. Auch die Stromproduktion in dem Hauptkraftwerk der Stadt ist unterbrochen. Die Bewohner müssen daher bis zu 18 Stunden am Tag ohne Elektrizität auskommen. Die Haushalte haben keine Heizung, kein Licht und keine Kochmöglichkeiten. Und vor den Häusern verwesen die Abfälle.


Warnung vor Umweltkatastrophe

Weiter nördlich im Gaza-Streifen, in Beit Lahia, warnten Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde bereits vor einer möglichen Umweltkatastrophe, wie Bürgermeister Khalil Matar erklärte. Die Kanalisation drohe wie 2007 überzulaufen, falle der Strom auch weiterhin über einen Großteil des Tages aus. Damals kamen vier Menschen ums Leben, und Ernten wurden zerstört. Matar hat bereits Organisationen aus arabischen Staaten und anderen Ländern gebeten, seine Stadt bei der Krisenbewältigung zu unterstützen.

Auch lokale und internationale Hilfsorganisationen zeigen sich inzwischen besorgt über die aktuellen Umweltgefahren. Nachdem der UN-Sonderkoordinator des Friedensprozesses im Nahen Osten, Robert Serry, kürzlich Rückendeckung seitens der Türkei angekündigt hatte, kamen von dort etwa 16.700 Liter Treibstoff in Gaza-Stadt an. Nach offiziellen Schätzungen reicht die Menge aber höchstens für ein paar Tage.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Häuser Dutzender palästinensischer Flüchtlinge in Gaza-Stadt bei heftigen Regenfällen unter Wasser stehen. Helfer brachten Familien in Sicherheit, nachdem die Abwasserkanäle übergelaufen waren. Das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) teilte mit, dass auf 19 von 20 Baustellen in Gaza-Stadt nicht mehr gearbeitet werden kann, weil Israel kein Material durchlasse.

Die Regierung des Gaza-Streifens hat inzwischen angekündigt, die Gehälter der Beamten zu kürzen, um mit der Differenz 430 Müllkutscher bezahlen zu können. Geplant ist der Einsatz von 250 zusätzlichen Eselskarren.

Als die Versorgungstunnel noch offen standen, witzelten viele Palästinenser, die dreirädrigen Tuk-tuks seien pflegeleichter als Tiere. Doch auch diese Fahrzeuge stehen ohne Benzin still. Deshalb sind die Eselskarren und ihre Besitzer auf den Straßen von Gaza-Stadt wieder vermehrt anzutreffen. (Ende/IPS/ck/2013)

Links: http://www.unrwa.org/ http://www.ipsnews.net/2013/12/donkeys-back-garbage-duty/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Dezember 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2013