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AFRIKA/100: Südafrika - Radikale Umkehr in der Energiepolitik gefordert (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2016

Radikale Umkehr gefordert
Die südafrikanische Klimabewegung mahnt eine neue Energiepolitik an

von Melanie Müller


Im Dezember 2015 ist in Paris gelungen, woran viele nicht mehr geglaubt haben: Die Mitgliedsstaaten der UN-Klimakonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change UNFCCC) haben ein verbindliches - wenn auch schwaches - Klimaabkommen beschlossen. Der Weg nach Paris wurde vor über vier Jahren im südafrikanischen Durban geebnet, wo sich auch die südafrikanische Klimabewegung zu Wort gemeldet hatte. Sie fordert eine Energietransformation in Südafrika und setzt sich gegen die nationale Kohleförderung ein.


Während der Konferenz in Durban 2011 konnte die Blockade in den internationalen Klimaverhandlungen erstmals wieder durchbrochen werden: Die Vertragsstaaten der Conference of the Parties, die das jährliche Treffen der Vertragsstaatenparteien der UN-Klimarahmenkonvention darstellt, einigen sich auf ein neues Verhandlungsmandat für die Verabschiedung eines Abkommens. Als Schwellenland spielt Südafrika eine besondere Rolle in den internationalen Verhandlungen. Das Land ist Mitglied der BASIC Countries, der klimapolitischen Allianz der Schwellenländer, die neben Südafrika die Schwellenländer Brasilien, Indien und China umfasst.

Neben Brasilien war Südafrika zu eigenen Zugeständnissen zu CO2-Reduktionsverpflichtungen bereit, um die Verabschiedung eines internationalen Abkommens zu sichern. Auch hat sich die Regierung während der Klimaverhandlungen in Durban bemüht, die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Die Durban Road Map, die damals von den Delegierten der COP 17 in Durban beschlossen wurde, beinhaltete das Ziel, bis 2015 ein verbindliches Vertragsdokument zu verabschieden. Es ist der südafrikanischen Regierung damit gelungen, sich auf der internationalen Ebene als fähiger Verhandlungsführer zu präsentieren.


Südafrikanische Klimapolitik

Auf der nationalen Ebene steht die progressive Rhetorik Südafrikas allerdings im Widerspruch zu der Energiepolitik der ANC-Regierung. Derzeit werden über 90 Prozent der Stromerzeugung in Südafrika aus Kohle bereitgestellt. Der Anteil der erneuerbaren Energien liegt bei 1,5 Prozent. Mit dem Bau von zwei großen Kohlekraftwerken, Kusile und Medupi, wird der fossile Pfad, die Abhängigkeit von Kohle, weiter zementiert (siehe auch die Artikel von Birgit Morgenrath in afrika Süd Nr. 6, 2015)

Die Regierung argumentiert, dass die neuen Anlagen zur Reduktion von CO2 beitragen, weil alte und ineffiziente Kraftwerke abgeschaltet werden könnten. Die großflächige Elektrifizierung Südafrikas sei zudem ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur sozialen und ökonomischen Entwicklung. Gleichzeitig ist der Ausbau der Atomenergie eine Option. 2013 schloss die südafrikanische Regierung ein Abkommen mit Russland über die Zusammenarbeit im Bereich der Nuklearenergie. Das Abkommen wurde von verschiedenen Seiten kritisiert, auch weil zunächst wenig Details über die Inhalte des Abkommens und die konkreten Pläne der Regierung bekannt waren. Derzeit laufen die Debatten über den Ausbau der Atomenergie in Südafrika weiter: Es ist aber unklar, wie sich die Pläne der Regierung entwickeln werden.


Die südafrikanische Klimabewegung

Die kritischen Stimmen kommen aus einer kleinen und teilweise noch fragmentierten Umweltbewegung in Südafrika. Sie fordern eine radikale Umkehr in der südafrikanischen Energiepolitik hin zu mehr Klimaschutz. Einerseits sind es die "klassischen Umweltorganisationen", die sich seit einigen Jahren mit dem Klimawandel beschäftigen. Hierzu gehören Organisationen wie Earthlife Africa, eine der ältesten Umweltorganisationen des Landes, oder groundwork aus Durban, eine Organisation, die sich für das Recht auf saubere Umwelt einsetzt. Auch die South Durban Community Environmental Alliance (SDCEA) engagiert sich gegen die starke Umweltverschmutzung im südlichen Durban: Ihr Gründer Desmond D'sa erhielt 2014 den Goldman Environmental Prize für seine Verdienste. Zudem haben internationale Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace, 350.org und WWF eigene Sektionen in Südafrika eröffnet. Project 90X2030 ist eine südafrikanische Organisation, deren Namen sich aus den eigenen Zielen zusammensetzt: Bis zum Jahr 2030 sollen 90 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien bereit gestellt werden.

Mit dem Southern African Faith Communities' Environment Institute (SAFCEI) gibt es in Südafrika zudem eine Organisation aus dem religiösen Spektrum, in dem alle Glaubensgruppen über Umweltfragen diskutieren. Spätestens seit der Mobilisierung rund um die Klimakonferenz in Durban haben auch andere Organisationen ohne expliziten Umweltbezug das Thema für sich entdeckt. Hierzu gehört das Alternative Information Development Centre (AIDC) in Kapstadt, das die One Million Climate Jobs Campaign ins Leben gerufen hat. Aber auch die Gewerkschaften, unter anderem die National Union of Metalworkers of South Africa (Numsa), beschäftigen sich seit einigen Jahren mit Klimafragen: Sie diskutieren, wie das Wachstum erneuerbarer Energien ausgestaltet sein muss, um einen neuen Wirtschaftssektor und Arbeitsplätze in Südafrika zu befördern.


Vereint für Klimagerechtigkeit

In Durban gelang es erstmals, all diese Organisationen zu einen: Im Vorfeld der Konferenz bildeten die Organisationen das sogenannte C17 Committee, das die Verhandlungen kritisch begleiten sollte. Hierzu gehörten die Durchführung eines Gegengipfels während der Verhandlungen, Debatten mit Basisgruppen in Südafrika sowie die Organisation einer Demonstration. Mit 10.000 Teilnehmenden war die Demonstration während der Klimakonferenz in Durban eine der größten Protestmärsche seit dem Ende der Apartheid - und eine der größten Umweltdemonstrationen in Südafrika überhaupt. Die Forderung, die die Organisationen unter dem Slogan "United for Climate Justice" miteinander verbindet, ist ein Umsteuern in der Energiepolitik und eine Energiewende in Südafrika.

Auch wenn Organisationen unterschiedliche Strategien verfolgen - von der Basisorientierung hin zu Lobbyismus in den Ministerien - bildet die Forderung nach einer Abkehr vom fossilen Wirtschaftsmodell hin zu erneuerbaren Energien für die Organisationen eine wichtige Basis. Die Organisationen stützen sich dabei auch auf Prognosen führender südafrikanischer und internationaler Forschungsinstitute zu möglichen Energieszenarien: Südafrika ist eines der Länder mit den meisten Sonnenstunden weltweit und laut Aussagen von Expertinnen und Experten optimal dazu geeignet, die Solarenergie auszubauen. Dennoch hat sich in Südafrika bislang keine starke Klimabewegung entwickeln können. Innerhalb der Organisationen bestehen weiterhin etliche Meinungsverschiedenheiten über den richtigen Weg zur Energiewende: Welche Rolle soll der Markt spielen? Wie stark sollte der Staat eingreifen? Was sind die richtigen Instrumente auf dem Weg zur Energiewende?


Verknüpfung der Klimafrage

Vielen südafrikanischen Umweltorganisationen ist der Bezug zu Basisgruppen und südafrikanischen Gemeinden wichtig: Sie wollen mit ihrer Politik verschiedene gesellschaftliche Schichten erreichen. Südafrika gehört zu den Ländern mit der höchsten sozialen Ungleichheit weltweit. Die offizielle Arbeitslosenquote im Land liegt bei etwa 26 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit ist fast doppelt so hoch. Viele Menschen leben ohne Wasser- oder Stromanschluss. Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlichen und sozialen Problemlagen großer Teile der Bevölkerung steht die Beschäftigung mit Umweltfragen häufig erst einmal hinten an: Die überlebenswichtigen Probleme sind vorrangig. Gleichzeitig berichten Umweltorganisationen, dass zahlreiche sozio-ökonomisch marginalisierte Menschen schon seit der Apartheid von Umweltverschmutzungen und bereits jetzt von Klimaveränderungen betroffen sind. Dazu gehören Bewohnerinnen und Bewohner von Townships und informellen Siedlungen, aber gerade auch Menschen aus dem ländlichen Raum, die von der Landwirtschaft und der Fischerei leben.

Eine Herausforderung für die Umweltgruppen in Südafrika besteht auch darin, diese verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen für die Notwendigkeit einer Energiewende zu sensibilisieren. Dies gelingt, weil sie ökologische Fragen mit sozialen Herausforderungen verbinden und kluge Antworten liefern, die die Zusammenhänge zwischen Ökologie und entwürdigenden Lebensumständen in toxisch belasteter Umwelt verdeutlichen.

Organisationen wie GenderCC und Oxfam beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensrealität südafrikanischer Frauen, die bereits jetzt von Klimaschwankungen betroffen sind. Andere Organisationen wie Earthlife Africa oder SDCEA versuchen, neben ihrer Kampagnenarbeit auch konkrete Projekte zur Energiewende - wie die Installation von Solaranlagen - voranzutreiben. SAFCEI stellt die Frage nach einer neuen Wirtschaftspolitik und liefert mit dem Stichwort der "Gift Economy" (Geschenkökonomie/solidarische Ökonomie) ein alternatives Wirtschaftskonzept, das nicht das Streben nach ökonomischer Entwicklung, sondern auch nach Beziehungen, Gemeinschaft und sozialer Gerechtigkeit in den Vordergrund stellt.


Neue Arbeitsplätze

Dabei thematisieren die Organisationen den Zusammenhang zwischen der südafrikanischen Klimapolitik und ihren möglichen Entwicklungspotenzialen. Sie sehen in einer Energietransformation die Chance, neue Arbeitsplätze im Land zu schaffen. Aus dieser Forderung hat sich mit der One Million Climate Jobs Campaign mittlerweile eine eigene Kampagne gegründet. Über 40 Organisationen - darunter die oben beschriebenen Umweltorganisationen, aber auch Universitäten und Forschungsinstitute - sind Mitglieder der Kampagne, aus der heraus sich Ende 2013 sogar eine eigene Organisation gegründet hat. Die Kampagne besteht aus zwei Komponenten.

Erstens erforschen wissenschaftliche Analysen die Potenziale einer Energietransformation für verschiedene Sektoren. So haben die beteiligten Organisationen etliche Bereiche identifiziert, in denen eine Energietransformation mit wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung einhergehen kann. Hierzu gehören neben dem Umschwung auf erneuerbare Energie auch der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oder ein öffentliches Recyclingsystem. Die zweite Komponente ist die weitere Sensibilisierung der Bevölkerung für die Verknüpfung von Umweltthemen und sozialen Fragen. Mitglieder der One Million Climate Jobs Campaign sind im ganzen Land unterwegs, um Unterschriften für eine Petition zu sammeln. Diese Petition fordert die Regierung dazu auf, eine Million Arbeitsplätze im Klimabereich bereitzustellen. Durch die Gespräche beim Sammeln der Unterschriften will die Kampagne Menschen für das Thema sensibilisieren und Alternativen zur Energieversorgung mit Kohle oder Atom präsentieren.


Noch viel zu tun

Erfolgreich sind die Bemühungen von Klimaorganisationen vor allem dann, wenn es ihnen in Städten, aber auch im ländlichen Raum, gelingt, Klimafragen mit lokalen Problemen wie der gesundheitsschädlichen Umweltverschmutzung durch toxische Abraumhalden von Minen oder giftige Abwässer von Industrieanlagen mit den wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen der Bevölkerung zu verbinden. Mit Blick auf die noch immer hohe soziale Ungleichheit in Südafrika auch nach dem Ende der Apartheid sind diese Verknüpfungen wichtig. Gleichzeitig verfolgt die südafrikanische Regierung weiter ihren Pfad der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern: Bislang sind nur wenige energiepolitische Bemühungen erkennbar, sich aktiv für die Implementierung von erneuerbaren Energien einzusetzen.


Die Autorin arbeitet am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin zu Bergbaukonflikten in Subsahara-Afrika. Ihre Promotion analysiert Auswirkungen der Klimakonferenz in Durban auf die südafrikanische Umweltbewegung.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2016, S. 15-17
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2016

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