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ATOM/058: Schlechte Aussichten für die Atomindustrie (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport

Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 686-687 / 29. Jahrgang, 6. August 2015 - ISSN 0931-4288

Atomwirtschaft

Schlechte Aussichten für die Atomindustrie
World Nuclear Industry Status Report 2015 veröffentlicht

von Thomas Dersee


Ihren neuen Jahresbericht über den Zustand der Atomenergiewirtschaft in der Welt publizierten am 15.Juli 2015 die Energieberater Mycle Schneider und Antony Froggatt. Auch 2015 kommen die Autoren zu dem Ergebnis, daß die Atomenergie ein Auslaufmodell ist und sie sich weltweit auf Talfahrt befindet. Der in London vorgestellte Bericht beschreibt die desolate Situation der Atombranche. Unzählige Atomkraftwerke sind demnach überaltert und müssen deshalb bald vom Netz genommen werden. Mehr als die Hälfte der Reaktoren sind bereits länger als 30 Jahre in Betrieb. Zahlreichen Ländern fehlt die Expertise im Umgang mit diesem Sicherheitsrisiko.

Diverse Atomkonzerne befinden sich zudem in einer finanziellen Krise. So ist beispielsweise der Aktienkurs des einst führenden französischen Unternehmens AREVA im Vergleich zu 2007 um 90 Prozent eingebrochen. Auch werden AKW-Neubauten kaum mehr in Angriff genommen. Grund dafür sind unter anderem Kostenexplosionen und jahrelange Verzögerungen bei den bereits im Bau befindlichen Reaktoren. Bei 47 von 62 Reaktorbauten gab es Verzögerungen, fünf der Meiler sind bereits seit mehr als 30 Jahren im Konstruktionszustand. Bislang konnte weltweit noch kein einziges AKW der Generation III+ fertiggestellt werden, beschreibt der Bericht.

Der Statusreport zeigt auch, wie in verschiedenen Ländern das Ende der Atomkraft-Ära naht: Schweden will ältere AKWs früher als geplant herunterfahren. Frankreich hat beschlossen, den Atomstrom-Anteil von heute 77 Prozent bis 2050 auf 50 Prozent zu senken. Deutschland und Belgien haben einen genauen Ausstiegsplan bis 2022 bzw. 2025.

"Wenn wir die Beliebtheit der Kernkraft unter den Politikern, Journalisten und der breiten Öffentlichkeit und ihren faktischen Rückgang beobachten, der die Existenz der Schlüsselbetriebe in diesem Fachgebiet gefährdet, finden wir nur schwer eine Erklärung dafür. Auf jeden Fall zeigt sich, daß die Projekte vom Typ des britischen Atomkraftwerkes Hinkley Point C überwertet werden, die massive Staatsbeihilfen benötigen", kommentierte Mycle Schneider anläßlich der Herausgabe des Berichtes. Zu den Hauptergebnissen des aktuellen Jahresberichtes werden konkret folgende Punkte gezählt:

• Im Jahre 2014 wurden fünf neue Atomreaktoren in Betrieb genommen, drei in China, einer in Russland und einer in Argentinien. Einer, in den USA, wurde dauerhaft außer Betrieb genommen. Die Zahl der betriebenen Reaktoren stieg auf 391, was jedoch um 47 weniger ist als im Jahre 2002, als die Zahl ihr Maximum erreichte. Ähnlich sank die installierte Leistung der betriebenen Atomkraftwerke aus dem Maximum von 367 Gigawatt im Jahre 2010 auf 337 Gigawatt in 2014.

• Zum ersten Mal in den vergangenen 50 Jahren gab es in Japan das ganze Kalenderjahr 2014 lang keinen Strom aus den Atomkraftwerken.

• Im Jahre 2014 wurde der Bau von drei Atomkraftwerken weltweit gestartet, was um 12 weniger ist als im Jahre 2010.

• Aktuell befinden sich 62 Reaktoren im Bau, fünf weniger als im Jahr zuvor, drei Viertel mit Verspätungen zur Planung. In zehn von vierzehn Ländern, in denen Reaktoren gebaut werden, haben sämtliche AKW-Projekte Verspätungen. An fünf Reaktoren auf der Liste wird schon mehr als 30 Jahre lang gebaut, ohne fertiggestellt zu sein.

• Der Anteil der Kernkraft an der globalen Stromproduktion verharrt bereits das dritte Jahr hintereinander bei 11 Prozent.

• Die staatliche Gesellschaft Areva wurde nur mit Hilfe der französischen Regierung vor dem Zusammenbruch gerettet.

• Drei der weltweit vier stärksten Wirtschaftsmächte - China, Japan und Deutschland - erzeugen eine größere Strommenge aus erneuerbaren Energieträgern (ohne Einrechnung der Wasserkraft) als aus den Atomkraftwerken. Das gleiche gilt auch für Brasilien, Mexiko, Spanien, die Niederlande und Indien.

• Auch in Großbritannien haben die erneuerbaren Energieträger die Produktion aus den Atomkraftwerken überflügelt - unter Einbeziehung der Wasserkraft.

• Im Vergleich mit dem Jahr 1997, als das Kyoto-Protokoll unterzeichnet wurde, sind im Jahr 2014 in den Windkraftwerken 694 Terawattstunden mehr Strom erzeugt worden und die Produktion der Solarkraftwerke stieg um 185 Terawattstunden. Beide haben somit die Kernkraft überholt, die ihre Produktion um 147 Terawattstunden erhöht hat.

Antony Froggatt erklärte nach der Veröffentlichung des Berichtes: "Dieses Jahr ist aus Sicht der Verwirklichung des internationalen Übereinkommens über die Vorgehensweise gegen den globalen Klimawandel bedeutend. Die Politiker sollten ihre Unterstützung der technologischen Lösungen verantwortlich bewerten. Auf einer Seite sind die erneuerbaren Energieträger, deren Kosten schnell sinken und deren Anwendung steigt. Auf der anderen Seite sind die Atomkraftwerke, die immer teurer werden und die aus der Sicht der Lösung der Probleme des Klimawandels sehr träge sind."

Mycle Schneider, Antony Froggatt: The World Nuclear Industry Status Report 2015, Paris, London, July 2015,
www.worldnuclearreport.org/-2015-.html

Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_15_686-687_S15-16.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, August 2015, Seite 15-16
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2015

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