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ENERGIE/019: Island - Saubere Energie stinkt zum Himmel, Erdwärmekraftwerk in Verruf geraten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juni 2011

Island: Saubere Energie stinkt zum Himmel - Erdwärmekraftwerk in Verruf geraten

Von Lowana Veal

Dampf aus Wärmekraftwerken schädigt die Gesundheit - Bild: © Lowana Veal/IPS

Dampf aus Wärmekraftwerken schädigt die Gesundheit
Bild: © Lowana Veal/IPS

Reykjavik, 21. Juni (IPS) - Die Gesundheitsbehörden in der isländischen Hauptstadt Reykjavik haben vor einer geplanten Erweiterung des Erdwärmekraftwerks Hellisheidi gewarnt. Die Ausbeutung des neuen geothermischen Grauhnukur-Feldes drohe die Schwefelwasserstoffwerte um 40 Prozent in die Höhe treiben, sollten keine Vorkehrungen getroffen werden, die Werte unterhalb der erlaubten Höchstwerte zu halten.

Das Kraftwerk rund 30 Kilometer östlich von Reykjavik wurde im September 2006 eröffnet. Seitdem ist die Anlage bereits drei Mal ausgebaut worden. Bis zum vergangenen Dezember produzierte das Werk vor allem Strom für die Aluminiumfabrik Century in Grundartangi im Westen der Insel. Inzwischen beliefert Hellisheidi aber auch private Haushalte.

Der Kraftwerksbetreiber Orkuveita Reykjavikur (OR) ließ indes mitteilen, dass außer Grundartangi höchstens noch eine weitere derzeit im Bau befindliche Aluminiumfabrik in Helguvik im Südwesten des Landes mit Elektrizität aus Hellisheidi versorgt werde.

Zu den unangenehmen Nebenprodukten der Stromerzeugung in Wärmekraftwerken gehört allerdings der in den freigesetzten Dämpfen enthaltene und nach faulen Eiern stinkende Schwefelwasserstoff. In Kalifornien wurde ein zulässiger Höchstwert von 42 Mikrogramm pro Kubikmeter während einer Stunde festgelegt. Dies ist der Wert, ab dem Menschen den Geruch wahrnehmen.


Von Industrie präsentierte Umweltstudie umstritten

Im Vorfeld der geplanten Erdwärmebohrung in Grauhnukur legte der Kraftwerksbetreiber eine Umweltverträglichkeitsstudie vor, die bei den Gesundheitsbehörden in der Hauptstadt auf scharfe Kritik stieß. Die Behörden beanstandeten, dass die Ergebnisse mehrjähriger staatlicher Messungen der Gaskonzentration im Großraum Reykjavik in der Studie nicht berücksichtigt wurden.

Demnach gingen nur Prognosen in die Untersuchung ein. In einer der Messstationen war jedoch für 2009 eine jährliche Durchschnittskonzentration von Schwefelwasserstoff ermittelt worden, die um das 2,4-Fache über der Vorhersage in der Studie lag.

Messungen in Hvaleyraholt am Stadtrand von Reykjavik haben ergeben, dass seit der Inbetriebnahme von Hellisheidi 2006 der durchschnittliche Schwefelgehalt in der Atmosphäre die Voraussagen um bis zu 140 Prozent überschritten habe. Die Gesundheitsbehörden kritisierten außerdem, dass sich die Daten in der Umweltstudie nur auf ein unbewohntes Gebiet nahe dem Kraftwerk bezogen. Im Frühjahr treiben Winde die Gase jedoch weiter in Richtung Hauptstadt.

Bereits kurz nach dem Produktionsbeginn in Hellisheidi wurden höhere Schwefelwasserstoffwerte registriert. Laut Untersuchungen der isländischen Umweltagentur lag die Konzentration zwischen Februar 2006 und Februar 2007 um das 48-Fache oberhalb des Richtwertes.

Wissenschaftlich erwiesen ist, dass Schwefelwasserstoff in erhöhter Konzentration Augenreizungen und Atembeschwerden verursacht. Über die Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, die über einen längeren Zeitraum niedrigeren Mengen des Gases ausgesetzt sind, ist hingegen erst wenig bekannt.

Ragnhildur B. Finnbjornsdottir vom Umweltamt stellte im vergangenen Jahr in einer wissenschaftlichen Studie einen Zusammenhang zwischen Schwefelwasserstoff und Herzproblemen her. Die Verschreibung gefäßerweiternder Medikamente stieg demnach um 4,5 Prozent an dem Tag, an dem eine erhöhte Belastung festgestellt wurde, wie die Forscherin IPS sagte. Auch drei bis vier Tage, nachdem der Scheitelpunkt der Luftverschmutzung überschritten war, hatten offensichtlich noch mehr Patienten als üblich Beschwerden. Eine weitere Studie fand heraus, dass nach einem Anstieg der Schwefelwasserstoffwerte drei bis fünf Tage später mehr Asthmamedikamente verschrieben wurden.


Regierung legt Obergrenze fest

Auf öffentlichen Druck hin erließ Umweltministerin Svandis Svavarsdottir im vergangenen Jahr eine Richtlinie, die den Gehalt von Schwefelwasserstoff in der Luft begrenzte. Die Ministerin entschied, unter den von der Weltgesundheitsorganisation WHO festgelegten Höchstwert von 150 Mikrogramm pro Kubikmeter zu gehen. Stattdessen gilt eine Obergrenze von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter. Bis 2014 darf dieses Limit noch fünf Mal im Jahr überschritten werden. Danach ist dies nicht mehr zuverlässig. Wie die Gesundheitsbehörde von Reykjavik feststellte, lag der Wert 2010 zwei Mal über der Grenze.

Experten halten es für möglich, die Schwefelwasserstoff-Konzentration durch den Einsatz neuer Technologien zu reduzieren. Die bestmöglichen Vorkehrungen zu treffen, kommt die Industrie allerdings teuer zu stehen. Außerdem werden dabei andere unerwünschte Stoffe wie Schwefel und Schwefelsäure freigesetzt.

Der Betreiber von Hellisheidi testet nun ein neues Verfahren, durch das Schwefelwasserstoff im Dampf aufgefangen und in das System zurückgepumpt werden soll. Umweltexperten haben jedoch ihre Zweifel, ob das Problem angesichts der Expansionspläne des Energieunternehmens tatsächlich gelöst werden wird. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2011