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ENERGIE/040: Chile - Energiekonzern will Abbruch der Umweltstudie zu Mega-Hochspannungsleitung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Juni 2012

Chile: Energiekonzern Colbún plädiert für den Abbruch der Umweltstudie zu HidroAysén-Hochspannungsleitung

von Marianela Jarroud



Santiago, 1. Juni (IPS) - In Chile hat der Stromanbieter 'Colbún', der 49 Prozent der Aktien am umstrittenen Wasserkraftwerk 'HidroAysén' in der südlichen Region Patagonien hält, die Einstellung der Umweltverträglichkeitsstudie für die geplante, knapp 2.000 Kilometer lange Hochspannungsleitung empfohlen. Als Begründung hieß es, das südamerikanische Land sei noch nicht reif für ein Projekt dieser Größenordnung.

Die Empfehlung des Unternehmens im Besitz der reichen chilenischen Familien Matte und Luksic wurde von der Aufsichtsbehörde für Vermögenswerte und Versicherungen (SVS) verbreitet. Solange es in dem südamerikanischen Land keine mehrheitsfähige und klar umrissene Energiepolitik gebe, seien nach Ansicht von Colbún die Voraussetzungen für die Durchführung derartig großer und komplexer Energieprojekte nicht gegeben, hieß es in der SVS-Mitteilung.

Experten halten den Vorstoß von Colbún für den Versuch, Druck auf die Regierung des konservativen Staatspräsidenten Sebastián Piñera auszuüben. Die Piñera-Administration ist an einem Scheideweg angelangt: So geht es um die Frage, ob sie ein Megaprojekt unterstützen will, das von 74 Prozent der chilenischen Bevölkerung abgelehnt wird.


Naturerbe der Menschheit

Der HidroAysén-Komplex - Haupteigner ist die italienische Firma 'Endesa-Enel' - soll aus fünf großen Wasserkraftwerken an den Flüssen Baker und Pascua in der Patagonien-Region Aysén 1.600 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago bestehen. Das Gebiet gilt Umweltschützern aufgrund seines immensen Artenreichtums als Naturerbe der Menschheit. Außerdem birgt es Unmengen an Süßwasser.

Nach ihrer Fertigstellung hätten die fünf Wasserkraftwerke das Potenzial, 2.750 Megawatt Strom zu generieren, die in das zentrale Stromnetz (SIC) eingespeist werden sollen. Derzeit verfügt Chile über eine installierte Leistung von 17.000 Megawatt, von denen wiederum 74 Prozent ins SIC einfließen.

Mit ihren Stauseen würde HidroAysén ein Areal von 5.910 Hektar fluten. Sollte die Umweltmachbarkeitsstudie abgebrochen werden, die die ökologischen Auswirkungen der 1.912 Kilometer langen Hochspannungsleitung durch neun der 15 Regionen und 66 Kommunen Chiles untersucht, käme das gesamte Projekt zum Stillstand.

Umstritten ist die Leitung, die den von HidroAysén generierten Strom aus dem entlegenen Süden nach Santiago transportieren soll, auch deshalb, weil für den Bau der Strommasten eine 100 Meter breite Schneise geschlagen werden müsste. Die Hochspannungsleitung würde Endesa und Colbún 3,8 Milliarden Dollar kosten. Der Bau der fünf Kraftwerke schlägt mit weiteren 3,2 Milliarden Dollar zu Buche. 220 Millionen Dollar wurden bereits investiert.

Dem Politikanalysten Luis Casado zufolge geht es Colbún darum, die Verabschiedung des dem Parlament bereits vorliegenden nationalen Energieplans von 2012 bis 2030 zu beschleunigen, der den Bau einer öffentlichen Stromleitung vorsieht. "In Chile sind die Privatunternehmen daran gewöhnt, dass sie tun und lassen können, was sie wollen. Sie dulden keinen Widerstand gegen ihre Investitionsprojekte", meint er.

Nach Ansicht von Juan Pablo Orrego, Koordinator der Kampagne 'Patagonien ohne Staudämme!', bestätigt die Empfehlung von Colbún indirekt, dass das Megaprojekt Risiken für das einzigartige Ökosystem Patagoniens bereithält. Auch er geht davon aus, dass es Colbún vor allem darum geht, die Regierung unter Druck zu setzen, damit sie dem versprochenen Bau der Leitung beschleunigt.

Der Regierung empfahl Orrego, der 1998 mit dem 'Right Livelihood Award', dem alternativen Nobelpreis, ausgezeichnet worden war, die Gespräche mit den Beteiligten zugunsten eines Konsensvorschlags zu vertiefen.


Regierung pocht auf Notwendigkeit der Energiesicherheit

Wie Finanzminister Felipe Larraín erklärte, müssen saubere Energieträger wie die Wasserkraft in jeden Fall in Erwägung gezogen werden, "da wir alle Energien brauchen werden". Im Mai 2011 hatte Piñera erklärt, Chile werde ohne HidroAysén zu einem Land der Blackouts verkommen.

Seither ist der Anteil der HidroAysén-Befürworter an der Bevölkerung Umfragen zufolge auf 26 Prozent zurückgegangen. Anfang 2011 hatten im Zentrum von Santiago 120.000 Menschen gegen die Fertigstellung des Wasserkraftkomplexes demonstriert.

Die Vorsitzende des Senatsausschusses für Bergbau und Energie, die Sozialistin Isabel Allende, wirft der Firma Colbún vor, mit ihrer 'Empfehlung' ein Klima der Unsicherheit geschaffen zu haben. Das lasse sich an den vielen Unkenrufen im Umfeld der Wirtschaft erkennen, denen zufolge die Energiesicherheit in Chile gefährdet sei. "Ich denke, es geht ihnen darum, Druck zu machen, um ihren Willen und damit ihre Projekte durchzusetzen.", sagte Allende. Staat und Bürger sollten sich aber nicht unter Druck setzen lassen.

Die Regierung reagierte auf dem Colbún-Vorstoß mit den Worten, die Energiepolitik des Landes sei beschlossene Sache. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.svs.cl/sitio/index.php
http://www.patagoniasinrepresas.cl/final/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100868

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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2012