Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

FISCHEREI/105: Den Fischen geht's nachhaltig schlecht - Fischerei und Fischzucht weltweit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Den Fischen geht's nachhaltig schlecht
Stand der Dinge in Fischerei und Fischzucht weltweit

Von Billo Heinzpeter Studer



Der neuste Bericht der UNO-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) über den Zustand von Fischerei und Fischzucht in der Welt macht wenig Hoffnung. Denn er zeigt deutlich: Wir essen zu viel Fisch. Auch machen wir viel falsch: Wir überfischen die Meere, unsere Fachmethoden sind nicht nachhaltig, bei Zucht und Fang wird zu wenig oder kaum auf Tierrechte geachtet, und der Klimawandel gibt sein Übriges.


Die FAO zeigt in ihrem Bericht(1) auf: Der Fischkonsum pro Person stieg um 2,7 % auf 19.2 kg Fisch pro Jahr, das heißt umgerechnet fast vier Fischmahlzeiten monatlich, viermal so viel, wie der Planet laut Schätzungen von der zivilgesellschaftlichen Organisation fair-fish international unter derzeitigen Bedingungen auf Dauer zur Verfügung stellen kann. Die weltweite Fangmenge sank jedoch um 2,6 % auf 91,3 Millionen Tonnen (davon 79,7 Millionen Tonnen aus Meeren). Steigender Konsum wurde gedeckt durch ein erneutes Wachstum der Fischzucht um 7,5 %. Fast 49 % der Speisefische stammen heute aus Zucht. 2011 waren bereits 90 % aller Fischbestände bis an ihre Grenzen oder darüber hinaus genutzt (2008 waren es "erst" 85 % gewesen). Ein wichtiger Faktor der Überfischung ist Europas hochindustrialisierte Fangflotte: Obwohl hier nur 1.4 % aller Fischereiarbeiter tätig sind, fängt jeder von ihnen jährlich 24.200 Tonnen Fisch (Weltdurchschnitt: 2.300 Tonnen pro Person und Jahr). Die Folgen der Überfischung zeigen sich denn auch am stärksten in den europäischen Meeren: Im Nordostatlantik sanken die Fangerträge von 2003 bis 2012 um 21 % und im Mittel- und im Schwarzen Meer um 13 %. In Europas größten Fangnationen fielen die Erträge sogar um 16 % (Norwegen) und 27 % (Island). Illegale, nicht gemeldete oder nicht regulierte Fischerei (IUU) treibt die Überfischung weiter voran. Dabei handelt es sich laut neusten Zahlen der FAO um nicht weniger als zusätzliche 11 bis 26 Millionen Tonnen pro Jahr - 12 % bis 25 % aller Meeresfänge! Der stärkste Motor aber ist der zu hohe Fischkonsum, vor allem in Nordamerika und Europa, die beide immer mehr Fisch importieren müssen, während Lateinamerika und China zunehmend mehr Fisch exportieren. Um den Konsum zu decken, muss der frühere Fischexporteur Afrika seit einigen Jahren Fisch importieren - nachdem die Ressourcen für wenig Geld an europäische und asiatische Fangschiffe verschenkt wurden.

Aquakultur trägt zur Überfischung bei

Die Zucht von Friedfischen, Muscheln oder Wasserpflanzen kann insgesamt umweltverträglich gestaltet werden. Problematischer wird es bei Raubfischen und Garnelen, da ihr Futter Fisch enthalten muss. Dieser stammt noch immer vorwiegend aus speziellen Meeresfängen wie Sardellen und andern Heringsarten. Ein Viertel der weltweiten Fischfänge dient allein der Fütterung von Nutztieren, vor allem von Zuchtfischen. Doch auch die Bestände der "Futterfische" sind schon übernutzt. Doch die Industrie erzählt uns unverdrossen, dass wir Fischzuchten bräuchten und bis 2050 sogar eine Verdoppelung der Produktion nötig sei um die wachsende Menschheit zu ernähren.(2)

Die Aquakultur-Industrie wächst seit den 1970er Jahren um 7 bis 9 % jährlich. So gesehen scheint eine Verdoppelung machbar. Doch gibt es genügend Futter für alle diese Zuchtfische? Könnten die Ressourcen dafür besser genutzt werden? Werden all die gefarmten oder gefangenen Fische die Menschheit sättigen können? Täten wir nicht besser daran, nachhaltigere Proteinquellen zu entwickeln? Gibt es genügend Fläche für all diese Fischfarmen oder könnten wir diese Flächen nicht klüger nutzen? Wird es eine Lösung für die enormen Fischwohlprobleme geben? Oder sollten wir nicht besser das Farmen von Fischen einstellen?

Wieder mehr Fische leben lassen statt essen

Der letzte Fisch ist immer der Teuerste: Entweder steigt der Aufwand die restlichen Fische zu fangen oder die Kosten zur Errichtung weiterer Anlagen gehen in die Höhe. Wenn mehr Fische konsumiert werden, als zur Verfügung stehen, werden sich ärmere Schichten Fisch nicht leisten können. Darum werden industrielle Fischerei und Aquakultur nie die ganze Menschheit nähren. Es wäre klüger, die Meere so rücksichtsvoll zu nutzen, dass sie wie in vorindustriellen Zeiten wieder Fische im Überfluss beheimaten. Der Kieler Fischereibiologe Rainer Froese geht davon aus, dass zur Regenerierung der Fischbestände der Fischereiertrag aus dem Meer für drei bis fünf Jahre um mehr als die Hälfte reduziert werden müsste, damit sich die Fischbestände wieder erholen können. Falls danach nur noch nachhaltig gefischt wird und es keinen Fischfang mehr zur Fütterung von Fischen gibt, könnten uns die Meere sogar bis zu 60 % mehr Fisch bringen als heute - mehr Fisch, als die Zucht von Raubfischen heute liefert!(3) Dessen ungeachtet predigen gewisse Ärztekreise, dass wir für unsere Gesundheit mehr als einmal pro Woche Fisch essen sollten. Selbst Kinder geraten ins Visier der Seafood-Designer. Die Industrie lässt nichts unversucht, um den Konsument/innen noch mehr Fisch anzudrehen. An der European Seafood Expo zum Beispiel werden jedes Jahr Produkte prämiert, die den Fisch noch leichter in den Gaumen rutschen lassen.(4) "Convenience" ist das Zauberwort einer Branche, die trotz ihrem Gerede von "Nachhaltigkeit" noch immer mehr Menge verkaufen will und nicht merkt, dass sie am Ast sägt, auf dem sie sitzt.

Weitere Gefahren: Klimawandel...

Eine neue Studie des zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimawandel(5) prognostiziert, dass bei einem Anstieg der Durchschnittstemperatur von zwei Grad Celsius bis zum Jahr 2050 etwa die Hälfte der Fische aus tropischen und antarktischen Zonen in höhere nördliche Breitengrade vertrieben werden. Was ernsthafte Folgen für die Bevölkerung in Entwicklungsländern hat.

Doch nicht der Klimawandel ist schuld an Quallenplagen, Algenteppichen und Trübung der Meere, sondern eine rasch entfernbare Ursache: die fortgesetzte Überfischung, welche das Leben in den Meeren auf den Kopf stellt. Ökologische Nischen, welche einst von begehrten Fischarten besetzt waren, werden jetzt von Organismen belegt, die am Ende der Nahrungspyramide angesiedelt sind und einst die Beute dieser Fische waren. Die Umwälzung der marinen Nahrungspyramide wird uns teurer zu stehen kommen als nur das Fehlen von Fisch auf unseren Tellern.

... Fangindustrie...

Nach jahrelangem Gerangel hat die EU ihre Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) wieder einmal reformiert. Von den ursprünglichen Vorschlägen der EU-Kommission ist nicht viel geblieben. Immerhin wurde unter anderem ein Verbot des Rückwurfs von unerwünschtem Beifang beschlossen. Doch die Fangindustrie wird nicht müde, sich dagegen zu sperren. So sieht der britische Fischerei-Verband NFFO das Resultat der EU-Parlamentswahl als Erdbeben einer EUkritischen Stimmung und hofft, dass es das Rückwurfverbot und andere Beschlüsse aushebeln werde.

... Zertifizierung

Nachhaltige Fischerei wird oft gleichgesetzt mit Zertifizierung und Gütesiegel. Es ist sicher richtig, die Tätigkeit einer Fischerei durch unabhängige Dritte kritisch beurteilen zu lassen. Problematisch wird das, wenn daraus eine Industrie entsteht, die ihre Dienstleistung teuer verkauft und ihr Urteil zum Monopol macht. Das hat der WWF mit seinem Label MSC weitgehend erreicht. Die Folge: Ausschluss von kleineren Fischereien, welche sich die MSC-Zertifizierung nicht leisten können, sowie von konkurrierenden Organisationen, welche einen günstigeren Zugang zu einer Zertifizierung anbieten. Dies ist umso wichtiger als MSC in der Kritik von Fischereibiologen steht(6) und daher Wettbewerb nötig hat. Ganz abgesehen davon, dass es mehrere Schienen braucht, um alle Fischereien auf den Pfad der Nachhaltigkeit zu bringen.

Ethische Leerstellen: Fischwohl und Fairer Handel

Tierschutz in der Fischerei bestünde darin, die Fangdauer so kurz wie möglich zu halten und die Fische sofort zu betäuben und zu töten. Die meisten Fische werden heute mit Methoden gefangen, die weder das eine noch das andere ermöglichen und weit hinter dem Optimum zurückbleiben, welches fair-fish international in der Praxis entwickelt hat.(7) Es gibt zwar erste Versuche auf großen Fangschiffen mit Betäubungsanlagen aus der Aquakultur; dabei bleiben die Qualen des Fangs aber unvermindert. Noch viel schwieriger ist Tierschutz in der Aquakultur zu verwirklichen. Betäubung vor der Schlachtung mag zwar zunehmend zum Standard werden; aber von artgerechter Haltung der Fische ist die Praxis weit entfernt - ja: es fehlt überhaupt der Maßstab, mit dem beurteilt werden könnte, ob es den Zuchtfischen gut geht. fair-fish international hat daher begonnen, eine Datenbank der ethologischen Erkenntnisse bei den in Zucht gehaltenen Fischarten zu erarbeiten.(8)

Kriterien im Sinne des Fairen Handels sind in der Fischbranche bis heute völlig unbekannt. Selbst die Fairtrade-Bewegung macht einen großen Bogen um ein Produkt, das für die Entwicklungsländer wichtiger wäre als Kaffee, Reis oder Tee. Da wartet noch viel Arbeit.


Autor Billo Heinzpeter Studer ist Gründer und Präsident von fair-fish international (fair-fish.net) und ist daneben für verschiedene NGOs tätig, unter anderem für das Fischlabel Friend of the Sea.



Infos

1) SOFIA 2014, www.fao.org/3/a-i3720e/index.html2.

2) www.fishupdate.com/news/fullstory.php/aid/21197.

3) www.fair-fish.ch/files/pdf/feedback/facts-5.pdf (Seite 4).

4) www.seafoodexpo.com/global/expo-highlights/seafood-prix-d-elite-highlights.

5) aquaculturedirectory.co.uk/seafoodindustry-threat-climate-change-oceanacidification-global-reduction-co2emissions-required-safeguard-future/

6) www.fair-fish.ch/wissen/richtlinien/index9.html.

7) www.fair-fish.ch/wissen/richtlinien.

8) www.fair-fish.ch/was-wer-wo/wo/international/ethologie.html.

Mehr Informationen zu Fischerei und Fischkonsum finden Sie unter: www.fair-fish.net.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014, Seite 6-7
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2014