Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

GLOBAL/103: Neue Entwicklungsagenda darf alte Fehler nicht wiederholen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013 Globalisierung und Freihandel - Pokerspiel mit ungewissem Ausgang

Neue Entwicklungsagenda darf alte Fehler nicht wiederholen
Wo bleiben Umwelt und Nachhaltigkeit in den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung?

von Marie-Luise Abshagen



Die Vorschläge für mögliche Ziele in einer Post-2015-Entwicklungsagenda laufen auf Hochtouren. Die zwei wichtigsten Dokumente auf UN-Ebene sind dabei sicherlich der im Mai diesen Jahres erschienene Bericht des High Level Panel of Eminent Persons (HLP), welcher von einer Gruppe ausgewählter Mitglieder aus Zivilgesellschaft und Regierungen sowie dem privaten Sektor erstellt wurde, und der Bericht des UN-Generalsekretärs mit dem Titel »A Life of Dignity for All« vom August. Auch die internationale Zivilgesellschaft und Forschungseinrichtungen veröffentlichten zahlreiche Beobachtungen und Anregungen zur Schaffung neuer Entwicklungsziele nach 2015. Trotz unterschiedlichster Schwerpunktlegung haben sie doch alle eines gemeinsam: Umwelt und Nachhaltigkeit kommen deutlich zu kurz.


Die Frist für die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals - MDGs) läuft im Jahr 2015 aus, weshalb derzeit auf UN-Ebene eine neue Entwicklungsagenda für die Zeit danach verfasst wird. Neben der Diskussion um neue MDGs sind darin außerdem die auf der Rio+20-Konferenz im letzten Jahr beschlossen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals - SDGs) eingeschlossen. Sie sollen Entwicklungs-, Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen in einer Weise verbinden, wie es die bestehenden MDGs nicht konnten. Denn die MDGs haben gerade im Umweltbereich einige blinde Flecken. Das einzige Umweltziel (MDG 7) umfasst lediglich die Integration der Prinzipien nachhaltiger Entwicklung in nationale Politiken, eine signifikante Verringerung von Biodiversitätsverlusten, die Halbierung der weltweiten Anzahl von Menschen ohne Zugang zu sicherem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen und eine deutliche Verbesserung des Lebens von Slumbewohnenden. Grundlegende Fragen zum Zusammenhang zwischen dem nachhaltigen Umgang mit und Schutz von natürlichen Ressourcen und Entwicklung werden nicht gestellt.


Chance Fehler zu beheben
Die Debatte um neue Ziele bietet nun die Chance, alte Fehler zu beheben. In vielen anderen Bereichen ist dies auch schon mit Bravour angegangen worden. Aspekte wie eine Reform der Global Governance, Demokratie und Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit sowie Frieden und Sicherheit, die von den MDGs nur angerissen oder gar nicht behandelt worden sind, sind in teilweise schon sehr konkreten Zielverschlägen von der internationalen Gemeinschaft diskutiert worden. Vorschläge für Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele sind zwar ebenfalls vorhanden, häufig gehen diese allerdings bei weitem nicht genug in die Tiefe.

Die Vorschläge des HLP umfassen beispielsweise im Großen und Ganzen unkonkrete Vorschläge für umweltfreundliches Haushalten von Regierungen, Schutz von Ökosystemen und Biodiversität, Verringerung des Waldverlustes und Verringerung von Bodendegradation.(1) Der Generalsekretär wird in seinem Bericht sogar noch ungenauer und schreibt, für nachhaltige Entwicklung sei das Management der natürlichen Ressourcen wie Fischerei, Wälder, Frischwasserressourcen, Meere und Böden essentiell und weist auf die Notwendigkeit eines umsetzbaren Klimaabkommens hin.(2) Planetarische Grenzen,(3) die eigentlich den Rahmen für jegliche Entwicklung bilden sollten, finden in vielen der wichtigsten bisher erschienenen UN-Dokumente so gut wie gar keine Erwähnung. Der HLP-Bericht beschreibt die Grundlage der neuen Entwicklungsagenda lediglich als »people-centred and planet-sensitive«(4) und im Bericht des Generalsekretärs heißt es nur, man müsse den Planeten auf einen nachhaltigen Kurs bringen, bevor es zu spät sei.(5) Vielleicht liegt die Ungenauigkeit dieser Texte aber auch darin, dass sie noch zu sehr in der alten MDG-Logik denken. Tatsächlich verantwortlich für die Ausarbeitung der SDGs ist deswegen schlussendlich auch die in Rio+20 ins Leben gerufene zwischenstaatliche Open Working Group on Sustainable Development Goals (OWG).


Formulierung von Zielen wird nicht einfach
Diese offene Arbeitsgruppe wird es nicht leicht haben, am Ende ein Set an Zielen zu entwerfen, mit denen alle zufrieden sind. Zwar sollen die SDGs laut dem Abschlussdokument des Rio+20-Gipfels »prägnant und leicht zu kommunizieren, auf eine geringe Anzahl beschränkt«(6) der »zu tweeten«(7) sein, wie es die Delegierten der OWG formulierten. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass die Auswahl der endgültigen SDGs angesichts der zahlreichen Vorschläge äußerst schwierig sein wird. Umso mehr besteht die Sorge, dass ohne konkrete Vorschläge Umweltund Nachhaltigkeitsziele zweitrangig zu werden drohen. Hinzu kommt, dass die neuen Ziele - zu Recht - unter Berücksichtigung der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung nicht mehr alleinig für Entwicklungs- sondern für alle Länder gelten sollten. Es gilt also, die regionalen, nationalen und lokalen Unterschiede zwischen Staaten hinsichtlich ihrer sozialen Verfasstheit, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ökologischen Verantwortung bei der Ausarbeitung von Zielen und Umsetzungsstrategien zu berücksichtigen und trotzdem ein global gültiges Set an Zielen zu schaffen. Für die Formulierung von Umwelt- und Nachhaltigkeitszielen ist dies eine echte Herausforderung.


Umwelt und Entwicklung - Hand in Hand
Erste Schritte sind allerdings schon gesetzt. In der internationalen Zivilgesellschaft sowie auf der UN-Ebene besteht zumindest die Einsicht, dass Entwicklung nicht länger ohne eine gesunde Umwelt möglich ist. Denn dauerhaft erfolgreich kann nachhaltige Entwicklung eben nur dann sein, wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen dies nicht mehr können.(8) Die SDGs können dies nur erreichen, wenn sie eine Reihe von Grundsätzen berücksichtigen und in konkrete Ziele umsetzten. Dazu gehört, dass Entwicklung innerhalb planetarischer Grenzen ablaufen muss. Der Verlust von Ökosystemen muss gestoppt werden, mit Ressourcen wie Wasser, Boden, Holz, Luft und Energie respektvoll und schonend umgegangen werden und ihre Nutzung sowie unsere Landwirtschaft, Fischerei, Waldwirtschaft und Bergbau innerhalb nachhaltiger und gerechter Strukturen ablaufen. Nachhaltige Produktions- und Konsummuster müssen unserem Wirtschaften zugrunde liegen, fossile Energien nach und nach abgeschafft und Treibhausgase extrem verringert werden.


Wie geht es weiter?
Noch ist eigentlich alles offen, wie die Ziele gestaltet werden könnten. Auf der Sondersitzung der UN-Generalversammlung zum Thema MDGs am 25. September 2013 wurde zunächst eine Roadmap für die Weiterführung des MDG-SDG-Prozesses festgelegt. Wichtigste UN-Akteure sind außerdem die OWG, die an der konkreten Ausarbeitung der Ziele arbeitet, und das neu geschaffene High Level Political Forum, das die administrative Begleitung des Prozesses übernimmt. Auf diese beiden Institutionen sollte sich dann auch das Augenmerk richten. Und zwar ein scharf beobachtendes Auge. Denn obwohl in der OWG bisher überraschend offen Querschnittsthemen wie Ernährungssicherheit, nachhaltige Landwirtschaft, Desertifikation und Landdegradation sowie Wassernutzung und sanitäre Einrichtungen diskutiert worden sind, sind das bei Weitem noch keine festen Entschlüsse.


Wichtig ist es jetzt, dran zu bleiben.
Nur wenn Entwicklung eng verbunden wird mit dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung unserer Umwelt und nachhaltigem Wirtschaften, kann sie Schwächen der MDGs effektiv angehen. Konkrete Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele sind dafür unbedingt nötig. Das Forum Umwelt und Entwicklung arbeitet aus diesem Grund an einem Positionspapier mit Vorschlägen für solche Ziele für die Post-2015-Entwicklungsagenda.


Autorin Marie-Luise Abshagen arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung zu Rio+20 und dem SDG-Prozess.



Anmerkungen

(1) A New Global Partnership: The Report of the High-Level Panel of Eminent Persons on the Post-2015 Development Agenda (2013).
http://www.post2015hlp.org/wp-content/uploads/2013/05/UN-Report.pdf

(2) A Life of Dignity for All: Report of the Secretary General (2013).
http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/68/202

(3) Globale biophysikalische Grenzen definieren einen sicheren Handlungsraum für die Menschheit, in dem sich viele weitere Generationen nachhaltig entwickeln könnten.

(4) A New Global Partnership: The Report of the High-Level Panel of Eminent Persons on the Post-2015 Development Agenda (2013).
http://www.post2015hlp.org/wp-content/uploads/2013/05/UN-Report.pdf

(5) A Life of Dignity for All: Report of the Secretary General (2013).
http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/68/202

(6) The Future We Want: UNCSD (2012).
http://www.uncsd2012.org/content/documents/727The%20Future%20We%20Want%2019%20June%201230pm.pdf

(7) http://www.iisd.ca/download/pdf/enb3202e.pdf

(8) Our Common Future: Report of the World Commission on Environment and Development (1987).
http://www.un-documents.net/ocf-ov.htm#1.2


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013, Seite 17-18
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2013