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GENTECHNIK/099: Bewohner Hawaiis wehren sich gegen Pestizideinsatz bei Gen-Anbau (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Oktober 2015

Umwelt: Bewohner Hawaiis wehren sich gegen Pestizideinsatz bei Gen-Anbau

von Christopher Pala


KIHEI, HAWAII (IPS) - Tammy Brehio steht auf dem Balkon ihres Hauses in Kihei auf der zu Hawaii gehörenden Insel Maui und zeigt auf ein braunes Feld in ein paar hundert Metern Entfernung. "Dort versprühen sie Pestizide, auch dann, wenn der Wind genau in unsere Richtung weht", sagt die 40-jährige Mutter von drei kleinen Kindern. "Seit wir hier wohnen, haben wir alle Halsschmerzen und ständigen Husten. Oft werden die Chemikalien nachts über das Feld gesprüht. "Ich wache durch den intensiven Geruch auf und habe Schwierigkeiten zu atmen", beschwert sich Brehio.

Dem widerspricht Monica Ivy, Sprecherin des Chemiekonzerns Monsanto, der auf dem Grundstück genetisch veränderten Mais anbaut. "Monsanto hält alle Gesetze zum Pestizideinsatz ein, die auf Bundesebene und in den Bundesstaaten erlassen worden sind."

Über die Gesetzestreue des Unternehmens wird in Hawaii jedoch seit Längerem kontrovers diskutiert. In den vergangenen zehn Jahren haben Monsanto sowie die Konzerne DuPont, Dow Chemical, Bayer, BASF und Syngenta ihre Nutzflächen auf Hawaii mehr als verdoppelt.


Chemiefirmen nutzen günstiges Klima für Gen-Anbau aus

Die Firmen profitieren davon, dass auf den Pazifikinseln rund um das Jahr Ackerbau betrieben werden kann. Da sie auf diese Weise neue Varietäten in der Hälfte der sonst üblichen Zeit auf den Markt bringen können, ist Hawaii zum Zentrum des Anbaus von Genmais geworden. Die Körner werden in die übrigen US-Bundesstaaten geliefert, wo sie eingepflanzt werden. Der größte Teil der Ernten wird als Viehfutter und zur Herstellung von Ethanol verwendet. Der als Nahrungsmittel verkaufte Süßmais macht höchstens ein Prozent des Genmaisanbaus aus.

Auf den Inseln Maui, Molokai, Kauai und Oahu besitzen oder pachten die Agrochemiekonzerne zusammen etwa 100 Quadratkilometer Land - etwa zwei Prozent der gesamten Fläche. Da auf den gebirgigen Inseln nur wenig urbares Land zur Verfügung steht, befinden sich die Felder oft in der Nähe von Wohnhäusern, Geschäften und Schulen. Auf den meisten Anbauflächen wurden früher Zuckerrohr und Ananas angepflanzt. Die Städte im Umkreis entstanden im 19. und 20 Jahrhundert.

Etwa 80 Prozent der Felder liegen immer brach. Der Mais wird auf kleinen Flächen angebaut und häufig mit Schädlingsbekämpfungsmitteln besprüht, die die Anwohner einatmen.


Brennende Augen und Juckreiz

Die 75-jährige Lois Catala, der auf der Insel Kauai etwa anderthalb Kilometer von einem Maisfeld entfernt wohnt, bestätigt, dass Pestizidschwaden in ihr Haus hinein ziehen. "Plötzlich beginnen meine Augen zu brennen und ich verspüre überall Juckreiz. Jeder hier klagt darüber", sagt sie.

Eine Ärztin in der Stadt Waimea, in der auch Catala lebt, erzählt, dass sie nicht mehr mit dem Fahrrad an den Feldern vorbei zur Arbeit fährt, um keine Chemikalien mehr einzuatmen. Andere Bewohner der Stadt berichten ähnliches.

Aus einer Studie des Zentrums für Nahrungssicherheit geht hervor, dass zur Erprobung und Zucht pestizidresistenter Maissorten die 17-fache Menge an Insektiziden notwendig sei, die Bauern in den USA normalerweise auf ihren Feldern verwenden. Diese Chemikalien, die nur sparsam eingesetzt werden sollten, müssen auf Genmaisfeldern häufiger versprüht werden als üblich.

Die Einwohner von Waimea gewannen immerhin bereits einen Prozess gegen DuPont. In den Gerichtsakten ist belegt, dass das Unternehmen zehn Mal so viel Pestizide einsetzte, als dies laut Firmendokumenten von DuPont in anderen Teilen der USA der Fall ist.

Nachdem manchmal sogar täglich Chemikalien versprüht wurden, warfen die Geschädigten den Firmen vor, gegen nationale und bundesstaatliche Gesetze zu verstoßen. Demnach droht kommerziellen Verwendern, die Pestizide auch dann versprühen, wenn der Wind sie auf andere Grundstücke trägt, eine Geldbuße von 25.000 US-Dollar oder sechs Monate Haft oder beides.

Pestizide werden von der föderalen Umweltbehörde erst dann zugelassen, wenn sicher ist, dass deren Verwendung im Einklang mit den Gesetzen steht. Die gesundheitlichen Folgen für Menschen, die diese Stoffe einatmen, werden allerdings nicht untersucht.

In den Jahren 2006 und 2008 erlebte der Lehrer Howard Hurst in einer Schule in Kauai, wie mutmaßliche Pestizidschwaden von einem angrenzenden, durch Syngenta bewirtschafteten Feld in die Klassenzimmer hinein zogen. "Es war so, als würde einem Salz ins Auge gestreut. Die Zunge schwoll an, und die Muskeln schmerzten", erinnert er sich. Beide Male wurde die Schule geräumt. Mehrere Schüler mussten ärztlich notversorgt werden.


Unternehmen weisen Vorwürfe zurück

Das Schweizer Unternehmen, das bestritt, an den fraglichen Tagen Pestizide eingesetzt zu haben, wurde von den Behörden nie zur Verantwortung gezogen. Stattdessen wurden die Beschwerden bei Schülern und Lehrern auf eine 'Massenhysterie' zurückgeführt, die durch die übelriechende Pflanze 'Cleome Gynandra' ('stinkweed') verursacht worden sei. Syngenta verlegte die Maisproduktion später auf ein weiter entferntes Feld. Seitdem hat Hurst in der Schule seltener Pestizidgeruch wahrgenommen.

2013 beschloss der Bezirksrat von Kauai, dass Firmen größere Pufferzonen um ihre Felder einrichten und mehr Einzelheiten über den Einsatz von Chemikalien offenlegen müssten. Eine Gruppe von Ärzten in der Stadt Waimea, an die von drei Seiten aus Maisfelder angrenzen, erklärte, dass hier schwere angeborene Herzfehler bei Neugeborenen etwa zehnmal häufiger vorkämen als im nationalen Durchschnitt. Ein Kinderarzt in Honolulu gab an, dass immer häufiger Babys mit nach außen gewachsenen Unterleibsorganen geboren würden. Die Amerikanische Akademie für Kinderheilkunde sieht in einer in diesem Jahr erschienenen Studie Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Pestiziden bei Erwachsenen und Geburtsfehlern bei deren Kindern.

Die Vorsitzende der 'Hawaii Crop Improvements Association', eines Zusammenschlusses der Produzenten von Agrochemikalien, trat jedoch den Bedenken der Mediziner entgegen. "Uns liegen keine verlässlichen Gesundheitsstatistiken vor, die diese Behauptungen untermauern würden", erklärte Bennette Misalucha. Die Firmen, die sie vertritt, sind strikt gegen eine Einrichtung von Pufferzonen und die Veröffentlichung von Daten bezüglich ihres Pestizideinsatzes.

Im Bezirk Maui und Molokai stimmten die Wähler indes im vergangenen November für eine Initiative, die den Gen-Anbau solange verbieten will, bis eine Umweltverträglichkeitsstudie vorliege. Unternehmen gaben etwa acht Millionen Dollar für Kampagnen aus, die diese Initiative zu Fall bringen sollten. Wie zuvor bereits die Justizbehörden in Kauai entschied in diesem Fall ein Bundesrichter, dass nur der Staat die Verwendung von Pestiziden reglementieren könne. Gegen beide Urteile sind die betroffenen Bürger in Berufung gegangen. (Ende/IPS/ck/20.10.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/10/in-hawaii-concern-rises-about-use-of-farm-pesticides/

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IPS-Tagesdienst vom 20. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2015

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