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KATASTROPHEN/110: Argentinien - Düstere Aussichten nach verheerendem Waldbrand in Patagonien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. März 2015

Argentinien: Düstere Aussichten für Mensch und Natur nach verheerendem Waldbrand in Patagonien

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Daniel Wegrzyn

Die in Rauch eingehüllte Provinz Chubut am 12. März
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Daniel Wegrzyn

Buenos Aires, 17. März (IPS) - Nach der verheerenden Feuersbrunst im südargentinischen Patagonien sieht sich die Region mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Um die ebenso verheerenden sozioökologischen Kollateralschäden abzuwenden, fordern Experten, der Wiederaufforstung des 34.000 Hektar großen, abgefackelten Gebietes Priorität einzuräumen.

Bis die Spuren des schlimmsten Waldbrands in der argentinischen Geschichte im Nordwesten der Provinz Chubut verschwunden sein werden, dürften Jahrzehnte vergehen. Zunächst hoffen die 2.000 Einwohner der Ortschaft Cholila, die mit den umliegenden Seen, Tälern und Bergen eine beliebte Tourismusdestination ist, auf die Regenzeit, die im April beginnt. Bekannt ist Cholila auch als Rückzugsgebiet der legendären US-Gangster Butch Cassidy und Sundance Kid, die hier auf der Flucht vor den Behörden 1902 eine Ranch erwarben.

Gewütet hatte das Feuer in der Region zwischen Andenkordilleren und Chile vom 15. Februar bis 6. März. Vereinzelt gibt es noch einige kleinere Brände, die Experten zufolge jedoch in einigen Wochen ausgehen werden.

"Wir machen uns wirklich Sorgen. Die Wildnis, die uns einst umgab und die wir uns zum Leben ausgesucht haben, ist weg. Das bedeutet natürlich auch, dass unsere Lebensgrundlagen gefährdet sind", meint der Pilot Daniel Wegrzyn, der sein Wirtshaus am Cholila-See schließen musste. Wie er in einem Telefoninterview mit IPS berichtete, ist die Hütte zwar nicht niedergebrannt, dient aber als Auffanglager für die Menschen, die evakuiert werden mussten.

"Die Auswirkungen der Brände auf die Luftqualität und des Rauchs auf unsere Gesundheit könnten Monate wenn nicht gar Jahre spürbar sein", befürchtet Thomas Kitzberger, Experte für die Wälder Patagoniens der Nationalen Universität in Comahue.


Todesstoß für Fauna und Flora

Die Brände haben sowohl dem Tourismus als auch den Weideflächen und somit der Viehzucht den Garaus gemacht. Doch besonders dramatisch sind die Folgen für die Ökosysteme. So gingen Wälder voller Antarktischer Scheinbuchen (Nothofagus antártica), Lenga-Südbuchen (Nothofagus pumilio), Coihue-Südbuchen, Bambus der Art Chusquea culeou und die riesigen Patagonischen Zypressen (Fitzroya cupressoides) in Flammen auf. Darüber hinaus wurden endemische Tierarten wie das Puduwild, Eidechsen, Vögel und Füchse vertrieben oder getötet. Das Gleiche gilt für bedrohte Arten wie den Huemul-Andenhirsch.

Kitzberger zufolge verfügen die lokalen Ökosysteme über Pflanzen, die nach Bränden relativ schnell neue Triebe ausbilden. Auch gelten mehrere Zypressenarten als feuerresilient und könnten sich vergleichsweise rasch regenerieren. Im Fall der Patagonischen Zypresse hat der Brand jedoch jede Chance auf Fortpflanzung der Bäume vernichtet. Auch die Lenga-Südbuchen-Wälder seien schwer geschädigt. Wie Kitzberger betonte, könnte es Jahrhunderte dauern, bis sie sich regeneriert haben.

Der Experte wies darauf hin, dass die Wälder nicht nur Habitate zahlreicher Tier- und Pflanzenarten sind, sondern auch die Bedingungen schaffen, die die Ökosysteme brauchen, um funktionieren zu können. "Wenn sie niederbrennen, erhalten Ökosysteme wie Busch- und Graslandschaften mehr Raum, denen jedoch eine ganz andere Bedeutung zukommt."

Wie die Biologin Silvia Ortubay berichtete, wird es infolge der Brandkatastrophe zu Klimaverschiebungen kommen, die sich auf andere Ökosysteme auswirken werden. "Die Kreisläufe der Winde werden sich verändern, ebenso werden die Verfügbarkeit von Sauerstoff, Feuchtigkeit und Verdunstungsfähigkeit nachlassen. Die Temperaturen werden steigen, die Sonneneinstrahlung, Licht und der Treibhauseffekt zunehmen", prognostizierte sie. "Darüber hinaus besteht die Gefahr schlimmerer Überschwemmungen und Dürren. Deshalb müssen die Behörden der Wiederherstellung der Ökosysteme Patagoniens höchste Priorität einräumen."

Die örtliche Vegetation, Organik und das Wurzelwerk der Bäume seien eine Schutzschicht für Böden. Doch mit den ersten Niederschlägen würden die Böden ausgewaschen. Ortubay zufolge werden Landrutsche und größere Steigungen die Folge sein, wodurch sich die Lage weiter verschlechtern wird.

"Regional gesehen führen die Zerstörung der Walddecke und die Auswirkungen auf die Oberläufe der Flüsse dazu, dass die Regulierung und Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigem Wasser abnimmt, was wiederum Auswirkungen auf die Energieerzeugung durch die stromabwärts gelegenen Dämme hat", erläuterte Kitzberger.


Verschlammte Seen

Ortubay befürchtet ferner, dass die einst klaren Seen Patagoniens aufgrund von Sedimenten verschlammen werden. Die Degradierung der Flussbecken werde Überschwemmungen und Dürren nach sich ziehen. Die Entstehung von Grasland in den ehemaligen Wäldern werde die Viehzucht begünstigen, die jedoch verhindere, dass die jungen Bäume Wurzeln schlagen könnten. Außerdem würden die Nutztiere über ihren Dung exotische Arten wie Apfelrosen, die sie gern verzehrten, in den Gebieten verbreiten.

Wie die Biologin weiter betonte, ist 2015 wegen eines Phänomens, das nur jedes halbe Jahrhundert auftritt, ein kritisches Jahr: dem Blühen und Vergehen des der Bambusart Chusquea culeou. Dadurch sei eine trockene und hochgradig entflammbare Vegetation entstanden. Eine schlimme Dürre und die klimatischen Bedingungen hätten zu kräftigen Winden und hohen Temperaturen im Sommer auf der Südhalbkugel geführt. All dies seien entscheidende Faktoren für die Ausbreitung der Feuer gewesen, die es vereinzelt auf Geschwindigkeiten von einem Kilometer pro Stunde gebracht hätten.

Nach Ansicht des Piloten Wegrzyn würden einige Aussichttürme an strategisch wichtigen Stellen, ein gut funktionierendes Radiosystem und Luftpatrouillen ausreichen, um ein wirksames Frühwarnsystem aufzubauen.

Rechtzeitig entdeckt hätten sich die diesjährigen Brände mit Handtüchern ersticken lassen, meinte der Aktivist Darío Fernández. Dann hätte das Land auch auf die Dienste der Löschflugzeuge aus dem Nachbarland Chile verzichten können.


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Daniel Wegrzyn

Eine kleine, am 11. März nach Niederschlägen aufgenommene Brandstelle im Flusstal des Alerce
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Daniel Wegrzyn

Die argentinische Regierung hat den Chef der Nationalen Feuermanagementbehörde wegen Fehlern im Umgang mit den Bränden entlassen. Nach Ansicht des Gouverneurs von Chubut, Martín Buzzi, wurden die Feuer absichtlich gelegt. Er vermutet eine Immobilienmafia hinter der Katastrophe. Um die Spekulationen mit Land zu beenden, hat Buzzi Maßnahmen wie ein zehnjähriges Verkaufs- und Kaufsmoratorium für die verbrannten Waldgebiete und die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses angekündigt.


Brandstiftung befürchtet

Fernández, der in Cholila geboren und aufgewachsen ist, hatte frühzeitig auf die Gefahr von Brandstiftung hingewiesen. Wie er erläuterte, hatte der vorherige Gouverneur Mario das Neves öffentliches Land im Interesse 'grüner Geschäfte' in den Jahren 2003 bis 2011 verteilt und damit gegen die Provinzverfassung verstoßen. Unter grünen Geschäften sei die Entwicklung des Tourismus ebenso zu verstehen wie die Aktivitäten der Holzindustrie, die Urwälder rodete, um dort kommerzielle Hölzer wie Pinien anzupflanzen. "Gemeinsam ist diesen Aktivitäten, dass Wälder gerodet werden."

Als Brandursache waren auch Gewitter im Gespräch, die aber sowohl Kitzberger als auch Wegrzyn für unwahrscheinlich halten. Das letzte Gewitter hatte am 3. Februar und somit zwölf Tage vor Ausbruch des Brandes stattgefunden. Allerdings können durch Blitze verursachte Feuer tagelang vor sich hinschwelen, bis sie voll ausbrechen.

"Doch ist der Zeitraum bis zur Entstehung des Brandes viel zu lang", meinte Kitzberger. "Hinzu kommt, dass die ersten Brandherde mit Hilfe von Satellitenbildern im Tal entdeckt wurden. Blitze jedoch schlagen gewöhnlich über den Bergen und über Bergabhängen, weniger in den Tälern, ein." Seit den 1990er Jahren haben allerdings Häufigkeit und Stärke von Gewittern und Dürren zugenommen. Im Nahuel-Huapi-Nationalpark 160 Kilometer von Cholila entfernt hat das letzte Gewitter acht kleinere Brände ausgelöst.

"Von politischen bis zu mafiösen Aktivitäten bedarf es nur eines kleinen Funkens", heißt es in der Internet-Zeitung 'Cholila Online', die von den Bürgern der Ortschaft erstellt werden. (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/03/catastrofe-socioambiental-surge-de-cenizas-en-bosques-patagonicos/
http://www.ipsnews.net/2015/03/socioenvironmental-catastrophe-emerges-from-the-ashes-of-patagonias-forests/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2015

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