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KATASTROPHEN/113: Chile - Gefahr durch Giftschlamm in Abraumbecken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. April 2015

Chile: Gefahr durch Giftschlamm in Abraumbecken

von Marianela Jarroud


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Relaves.org

Ein vom Bergbauunternehmen 'Sali Hochschild' verlassenes Abraumbecken, aus dem nach einem Sturm giftige Rückstände ausgetreten sind, die den Fluss Copiapó und ein Viertel der nordchilenischen Stadt Copiapó verseuchten
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Relaves.org

Santiago, 21. April (IPS) - Mensch und Natur im Umfeld chilenischer Bergbauaktivitäten sind der ständigen Gefahr ausgesetzt, sich mit Schwermetallen und anderen toxischen Rückständen zu vergiften. Denn die Auffangbecken, in denen der bedenkliche Abraum gelagert wird, können lecken, überlaufen oder gar brechen.

Die Kontaminierung mit Schwermetallen sei schon vor dem verheerenden Wirbelsturm und den Überschwemmungen in der Atacama-Region im März eine Realität gewesen, berichtet Henry Jurgens, Gründer der Nichtregierungsorganisation 'Relaves' ('Tailings'). Doch habe das Unglück mit zwei Dutzend Toten und Vermissten sowie tausenden Obdachlosen diese Realität auf krasseste Weise sichtbar gemacht.

Anfang April hatte Relaves Bodenproben aus verschiedenen Teilen der Atacama-Region entnommen und ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass offensichtlich giftiger Abraum in die Umwelt gelangt war. Von Seiten des staatlichen Nationalen Dienstes für Geologie und Bergbau (Sernageomin) heißt es hingegen, dass die Schlammbecken, die toxischen Abraum enthalten, in einem guten Zustand seien.

Die Atacama-Wüste, das heißeste Trockengebiet der Welt, war der Hauptschauplatz der regionalen Überschwemmungen vom 23. bis 24. März in der Nähe von Copiapó, der Hauptstadt der gleichnamigen Region rund 800 Kilometer nördlich von Santiago. Hier finden sich zahlreiche Abraumbecken. An beiden Tagen entsprachen die niedergehenden Wassermassen einem Viertel der Niederschlagsmenge, die in der Region in einem Jahr fällt.


Schwermetalle

Experten halten es für wahrscheinlich, dass die heftigen Regenfälle die Schwermetalle aus verlassenen Abraumbecken in die Umwelt gespült haben. Tailings sind die aus Wasser, Chemikalien und Schwermetallen wie Zyanid, Arsen, Zink und Quecksilber bestehenden Rückstände der Erzproduktion. Arsen ist farb-, geruchs- und geschmacklos, was es für Menschen schwierig macht, das Gift etwa bei der Wasseraufnahme zu identifizieren. Experten warnen vor Haut-, Lungen- und Blasenkrebs, wenn Menschen über einen längeren Zeitraum arsenbelastetes Wasser trinken.


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Staubige Außenansicht von 'El Teniente', der größten Kupfermine der Welt, 150 Kilometer von der chilenischen Hauptstadt Santiago entfernt in den Anden gelegen
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Seinen Wohlstand verdankt Chile dem Kupfer. Allein 2014 wurden in dem 17,5 Millionen Einwohner zählenden Land 5,7 Milliarden Tonnen des Metalls produziert. Das entsprach 31,2 Prozent der globalen Kupferherstellung. Doch für jede Tonne Feinkupfer fallen in Chile 100 Tonnen Abraum an, der irgendwo sicher gelagert werden muss. In dem südamerikanischen Land gibt es nach offiziellen Zahlen 449 solcher Abraumbecken. Doch Raimundo Gómez, ein weiterer Relaves-Mitarbeiter, spricht von einer unvollständigen Inventarliste. "Sernageomin schätzt die Zahl allein in der Atacama-Wüste auf 90", sagt er. "Das ist sehr viel."

Gómez zufolge fehlt es an zuverlässigen Informationen. Die lokalen Gemeinschaften hätten in der Regel keine Ahnung, ob sie in der Nähe solcher giftigen Auffangbecken lebten. Auch seien sie sich der damit einhergehenden Gefahren für Gesundheit, Böden und Gewässer gar nicht bewusst. "Wir hören immer nur von den guten Seiten des Kupferbergbaus, nicht von den negativen Folgen, für die wir alle am Ende bezahlen müssen", warnt er.

Am 27. Februar 2010 wurde Chile von einem Erdbeben erschüttert, das zum Bruch eines verlassenen Tailingbeckens führte. Eine vierköpfige Familie wurde unter den Schlammmassen begraben. Die Opfer hatten auf einer Farm in der Nähe der Stadt Pencahue gearbeitet, auf der Jurgens mit seiner Familie sechs Jahre lang lebte. "Erst ab diesem Zeitpunkt wurde uns bewusst, welchen Gefahren wir dort ausgesetzt waren", sagt er. "Die Menschen haben meist keine Ahnung. Oft trinken sie verseuchtes Wasser. Von den zuständigen Stellen werden sie nicht gewarnt. Das ist zynisch und traurig."

Auch wenn gern beteuert wird, dass die größten Gefahren von verlassenen Abraumhalden ausgehen, können sich auch die nach wie vor genutzten Schlammbecken als extrem gefährlich herausstellen. Das war der Fall in Caimanes gewesen, einer 1.000 Einwohner zählenden Stadt in der Nähe des El-Mauro-Tailingbeckens von 'Los Pelambres', Chiles sechstgrößtem Kupferproduzenten. Das Unternehmen gehört den Luksics, der landesweit reichsten Familie.

El Mauro bedeutet in der Sprache der indigenen Diaguita 'der Ort, an dem das Wasser aus dem Boden sprudelt'. Es liegt acht Kilometer flussaufwärts von Caimanes. Das sieben Kilometer lange Abraumbecken, umgeben von einer 270 Meter hohen Mauer, ist die größte Chemieabfalllagerstätte Lateinamerikas. Es hat die Artenvielfalt der Region empfindlich gestört und das von der Stadtbevölkerung genutzte Wasser verseucht.


Unzulässige Höchstwerte

Die bisher wichtigste Untersuchung über die Wasserverschmutzung durch Abraumbecken stammt aus dem Jahr 2011. Darin wies Andrei Tchernitchin, Wissenschaftler an der Universität von Chile, in einer Vielzahl von Flüssen hohe Schwermetallkonzentrationen nach. "An der Brücke von Caimanes lag der Eisengehalt um 50 Prozent über dem zulässigen Oberwert, und der Mangangehalt war fast doppelt so hoch wie in Trinkwasser erlaubt", berichtet er.

Im Jahr 2012 kehrte Tchernitchin zurück, um eine zweite Untersuchung vorzunehmen. In einem Teich wenige Zentimeter oberhalb eines Morastes fand er Mangankonzentrationen, die wieder weit über den international akzeptierten Werten lagen. "Der Grenzwert liegt bei 100 Mikrogramm Mangan pro Liter. Wir fanden 9.477 Mikrogramm", sagt der Wissenschaftler. "Auch der Eisenwert lag um 30 Prozent oberhalb des Limits."

Sollte nichts gegen die hohen Schadstoffbelastungen unternommen werden, müsse mit gravierenden Gesundheitsschäden gerechnet werde. "Mangan in hoher Konzentration greift das zentrale Nervensystem an. Die Folgen können Psychosen, Parkinson und Demenz sein", erläutert Tchernitchin.

Am 6. März hat ein Lokalgericht die im Dezember 2008 eingereichte Klage des Komitees vom Schutz von Caimanes angenommen und die Entfernung des Abraumbeckens angeordnet. Das Bergbauunternehmen ging in Berufung, und eine Entscheidung wird in Kürze erwartet.

Jurgens und Gómez machen sich für ein neues Tailing-Gesetz stark, dass die Behörden zwingt, sich mit dem Problem der Abraumbecken zu befassen. Es gelte festzustellen, wie viele solcher Gifthalden es landesweit gebe, wie viele verlassen und welche Chemikalien darin enthalten seien. "Wir brauchen zum einen strikte Bestimmungen, zum anderen informierte Bürger. An beiden fehlt es uns", sagt Gómez. "Es ist paradox, sich einerseits als Bergbauland zu präsentieren, das ständig über seine Kupferexporte spricht, andererseits jedoch die dadurch anfallenden Rückstände totzuschweigen."

"Wir müssen uns endlich mit den negativen Aspekten des Bergbaus auseinandersetzen und ein Bewusstsein für die Gefahren entwickeln, die durch die riesige Zahl der landesweiten Abraumbecken entstehen." (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/04/relaves-mineros-amenazan-a-poblaciones-chilenas/
http://www.ipsnews.net/2015/04/tailings-ponds-threaten-chilean-communities/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2015

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