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KLIMA/198: KlimaKompakt 75 - Warum eine 4°C-Welt verhindert werden muss (GW)


Germanwatch e. V.

KlimaKompakt Nr. 75 / Dezember 2012

Mehr als 2/3 der fossilen Reserven müssen unter der Erde bleiben
Offener Brief zur Klimakonferenz
Warum eine 4°C-Welt verhindert werden muss
Weltbank-Bericht zeigt Gefahren mangelnden Klimaschutzes auf
2° oder nicht 2°
Neue Studie zeigt: 2°C-Grenze noch erreichbar, aber größere Anstrengungen nötig



Editorial

Die Wissenschaft ist klar: Die Welt steuert derzeit ungebremst auf einen in großem Maßstab gefährlichen Klimawandel zu. 4°C Temperaturanstieg, der derzeit als das wahrscheinlichere Szenario eingestuft werden muss, würden eine radikal veränderte Welt bedeuten. Dies zeigt der vor kurzem von der Weltbank vorgestellte Bericht.

Gleichzeitig sind Abgesänge auf das 2°C-Limit derzeit nicht angemessen. Erstens, weil es mit einer ambitionierten Politik noch möglich ist, die notwendige Transformation zu erreichen. Bis 2015 geht es darum, die Lücken auf dem Weg zum Zwei-Grad-Limit zu schließen. Zweitens, weil es moralisch geboten ist, die fundamentalen Gefahren für viele Millionen Menschen, für ganze Landstriche und Städte abzuwenden.

Und selbst wenn das 2°-Limit demnächst nicht mehr realistisch zu erreichen sein sollte, sollte es erhalten bleiben - als Mahnmal des moralischen Scheiterns: Hier würden menschenrechtliche Verpflichtungen, wie sie in der Klimarahmenkonvention vereinbart sind, grundlegend verletzt.

Der Weg unter 2°C zu bleiben führt letztendlich nur darüber, den größten Teil der verbleibenden fossilen Energiereserven im Boden zu lassen. Statt dessen geht es um einen entschlossenen Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Energieeffizienz und der Suffizienz. Eine erfolgreiche deutsche Energiewende ist ein wichtiges, weltweit wahrgenommenes Signal, dass diese Transformation möglich ist.

Sven Harmeling, Christoph Bals

Raute


Mehr als 2/3 der fossilen Reserven müssen unter der Erde bleiben
Offener Brief zur Klimakonferenz

In einem offenen Brief richten Bill McKibben, Nnimmo Bassey und Pablo Solon einen dringenden Appell an die Verhandler auf der UN-Klimakonferenz in Doha. Sie erinnern daran, in welchem Umfang die Nutzung fossiler Energien reduziert werden muss, um den globalen Temperaturanstieg noch unter 2°C halten zu können (Übersetzung durch Germanwatch).

"Das massive Abschmelzen der Arktis in diesem Jahr veranlasste unsere besten Klimawissenschaftler dazu, einen "planetarischen Notstand" auszurufen. Zudem zerstörten extreme Wetterlagen in 2012 weltweit Ernten, was einen Anstieg der Nahrungsmittelpreise um 40% und familiäre Notstände in armen Haushalten rund um den Globus nach sich zog.

Das ist die Realität einer 0,8°C wärmeren Welt. Eine Reihe von Institutionen haben in diesem Jahr ausführlich erklärt, was wir tun müssen, wenn wir Schlimmeres verhindern wollen: den Großteil der bekannten Kohlenstoffreserven unter der Erde lassen und aufhören, nach mehr zu suchen.

Wenn wir eine 50-50-Chance haben wollen, die Erderwärmung auf unter 2°C zu begrenzen, müssen wir 2/3 der bekannten Reserven von Kohle, Öl und Gas im Boden lassen; wenn wir diese Chance auf 80% erhöhen wollen, müssen 80% dieser Reserven unberührt bleiben. Das ist weder "Umweltschützer-Mathematik" noch eine radikale Interpretation - es stammt aus dem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) vom letzten Monat.

Dies bedeutet, dass - wenn wir nicht dramatische globale Maßnahmen ergreifen, um unseren Weg zu ändern - das Ende der Klimageschichte bereits geschrieben ist. Es gibt keine Zeit für Zweifel - ohne ein entschiedenes Handeln werden diese fossilen Brennstoffe verbrannt werden, die Temperatur steigen und eine Kettenreaktion von klimabedingten Katastrophen ausgelöst werden.

Verhandler sollten mit ihrem Gebaren der Gesichtswahrung, ihren endlosen Einklammerungen und Textvorschlägen in der letzten Minute brechen und sich einzig und allein darauf konzentrieren, wie man mit dem von Klimawissenschaftlern errechneten Kohlenstoff-Budget leben kann. Wir können bis 2050 nicht mehr als 565 Gigatonnen CO2 emittieren - bei unserem aktuellen Verbrauch würden wir diese Grenze bereits in 15 Jahren überschreiten. Wenn wir eine Chance haben wollen mit diesem Budget auszukommen, können wir bis 2020 nicht mehr als 200 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre blasen.

Reiche Länder, die für den Großteil des Kohlenstoffs in der Atmosphäre verantwortlich sind (vor allem die einzige Supermacht unseres Planeten), sollten mit Emissionsreduktionen voranschreiten, aber auch Schwellenländer müssen Bereitschaft zeigen, die Nutzung von Öl, Kohle und Gas zu reduzieren. Das Recht auf Entwicklung sollte als Verpflichtung der Staaten verstanden werden, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu garantieren um ein erfülltes und glückliches Leben zu ermöglichen, und nicht als Freifahrtschein für eine auf Konsum und hohem Ressourcenverbrauch basierende Gesellschaft, die sich nicht um die Grenzen unseres Planeten und das menschliche Wohlergehen schert.

Es ist keine Zeit mehr für diplomatische Verzögerungen. Die meisten Verhandler auf der 18. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) kennen die Fakten. Jetzt ist die Zeit zum Handeln - um der Zukunft der Menschheit und der Natur willen."

Bill McKibben (Gründer von 350.org), Nnimmo Bassey (Environmental Rights Action & Koordinator von Oilwatch International) und Pablo Solon (Exekutiv-Direktor von Focus on the Global South, früherer UN-Botschafter und Chefverhandler Boliviens)

Originaltext unter:
http://focusweb.org/content/really-address-climate-change-unfccc-cop18-should-decide-leave-under-soil-more-23-fossil

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Warum eine 4°C-Welt verhindert werden muss
Weltbank-Bericht zeigt Gefahren mangelnden Klimaschutzes auf

Am 18.11.12 veröffentlichte die Weltbank eine Studie, die eindringlich vor den Konsequenzen eines Temperaturanstiegs von 4°C warnt.

Im Folgenden geben wir zentrale Auszüge des Vorwortes des Weltbankpräsidenten Dr. Jim Yong Kim wieder (Übersetzung durch Germanwatch).

"Ich hoffe, dass dieser Bericht uns zum Handeln bewegt. Auch für die von uns, die sich bereits aktiv am Kampf gegen den Klimawandel beteiligen, hoffe ich, dass uns der Bericht zu einem noch schnelleren Handeln bewegt. Dieser Bericht verdeutlicht, wie eine Welt bei einer 4-Grad-Erwärmung aussehen würde, einem Szenario, das nahezu einstimmig von Wissenschaftlern für das Ende des 21. Jahrhunderts prognostiziert wird, wenn ernsthafte politische Veränderungen ausbleiben. Die 4-Grad-Szenarios sind verheerend: die Überflutung von Küstenstädten; zunehmende Risiken für die Nah-rungsproduktion, die zu höheren Unterernährungsraten führt; trockene Regionen, die trockener werden, feuchtere Regionen, die feuchter werden; unerwartete Hitzewellen in vielen Regionen, speziell in den Tropen; erheblich verschärfte Wasserknappheit in manchen Regionen; zunehmende Häufigkeit von schweren tropischen Wirbelstürmen; und unwiderruflicher Verlust von Biodiversität, darunter Korallenriffe.

Darüber hinaus ist eine 4-Grad-Welt so verschieden von der, die wir momentan haben, dass damit einhergehende Unsicherheiten und neue Risiken unsere Fähigkeit, zukünftigen Anpassungsbedarf zu antizipieren und zu planen, bedrohen. Das fehlende Handeln bezüglich des Klimawandels birgt nicht nur die Gefahr, Wohlstand außerhalb der Reichweite von Millionen Menschen in Entwicklungsländern zu bringen, sondern Jahrzehnte von nachhaltiger Entwicklung rückgängig zu machen.

[...] Trotz der guten Absichten der Weltgemeinschaft, die globale Erderwärmung unter 2 Grad über vorindustriellem Niveau zu halten, ist eine höhere Erwärmung zunehmend wahrscheinlicher. Wissenschaftler sind sich einig, dass die bisherigen Zusagen der Länder in der UN-Klimarahmenkonvention zur Emissionsminderung sehr wahrscheinlich in einer Erwärmung um 3,5 bis 4 Grad resultieren würden. Und je länger diese Zusagen nicht umgesetzt bleiben, desto wahrscheinlicher wird eine 4-Grad-Welt.

Daten und Fakten treiben die Arbeit der Weltbankgruppe voran. Wissenschaftliche Studien, darunter die des Weltklimarats, beeinflusste unsere Entscheidung, die Arbeit an diesen Themen zu intensivieren, und führte zu einem Weltentwicklungsbericht zu Klimawandel, der unser Verständnis über die Bedeutung einer sich erwärmenden Welt verbessert; zu einem Strategischen Rahmenwerk für Entwicklung und Klimawandel und einem Bericht über Grünes Wachstum ("Inclusive Green Growth"). Die Weltbank ist ein führender Verfechter für ehrgeiziges Handeln zum Klimawandel, nicht nur weil es moralisch geboten ist, sondern weil es wirtschaftlich Sinn macht. [...]

Wir sind uns der Ungewissheit, die diese Szenarios umgibt, bewusst, und wissen, dass unterschiedliche Wissenschaftler und Studien zu unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich des Risikogrades kommen. Aber die Tatsache, dass diese Szenarien nicht verworfen werden können, ist ausreichend, um die Stärkung gegenwärtiger Strategien zum Klimawandel zu rechtfertigen. Einen Weg zu finden, um dieses Szenario abzuwenden, ist entscheidend für die Gesundheit und den Wohlstand der weltweiten Gemeinschaft. Obwohl jede Region der Erde betroffen sein wird, träfe es die Armen und Verletzlichen am stärksten. [...]

Die Weltbankgruppe wird weiterhin ein starker Befürworter für internationale und regionale Vereinbarungen und zunehmende Klimafinanzierung sein. Wir werden unsere Bemühungen wesentlich verstärken, um schnell wachsende nationale Initiativen zur Emissionsminderung zu unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe zu bekräftigen; sowie grünes Wachstum und "klima-smarte" Entwicklung zu fördern. Unsere Arbeit zu "Grünem Wachstum" hat gezeigt, dass durch mehr Effizienz und geschickteren Umgang mit Energie und natürlichen Ressourcen viele Möglichkeiten bestehen, um klimabedingte Auswirkungen auf Entwicklung drastisch zu reduzieren, ohne Armutsbekämpfung und wirtschaftliches Wachstum zu verzögern.

Dieser Bericht ist eine schonungslose Warnung, dass der Klimawandel alles beeinflusst. Die Lösungen liegen nicht allein in Klimafinanzierung und Klimaprojekten. Die Lösungen liegen in effektivem Risikomanagement und darin, dass all unser Handeln und all unsere Überlegungen die Bedrohungen eines 4-Grad-Szenarios im Hinterkopf behalten. [...]"

Das Original der vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Auftrag der Weltbank erstellten Studie kann hier herunter geladen werden:
http://climatechange.worldbank.org/content/climate-change-report-warns-dramatically-warmer-world-century *


2° oder nicht 2°
Neue Studie zeigt: 2°C-Grenze noch erreichbar, aber größere Anstrengungen nötig

Eine anlässlich der Klimakonferenz in Doha vorgestellte Analyse des "Climate Action Tracker" erfasst das Ambitionsniveau der aktuellen Klimaschutzversprechen der wichtigsten Länder und die bereits zu ihrer Umsetzung ergriffenen Maßnahmen. Weiterhin besteht bis zum Jahr 2020, wenn ein neues Klimaschutzabkommen in Kraft treten soll, eine erhebliche Lücke zwischen dem hohen, prognostizierten und dem viel niedrigeren, klimapolitische notwendigen Niveau des globalen Treibhausgas-Ausstoßes (sog. "Emissionslücke").

Germanwatch stellt hier wichtige Teile des Papiers in eigener Übersetzung vor.

"Viele Behauptungen sind in Medien- und Politikkreisen aufgestellt worden, dass das Erreichen des 2-Grad-Ziels nicht länger möglich ist, und dass das von der Allianz der kleinen Inselstaaten und der ärmsten Entwicklungsländer ausgerufene Ziel, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad bis 2100 zu reduzieren, ebenfalls nicht erreicht werden kann.

Andere behaupten, das Schließen der Emissionslücke bis 2020 sei nicht von Bedeutung und dass noch ausreichend Zeit zum Handeln nach 2020 bleibe, mit "unendlich" vielen denkbaren Emissionspfaden, um die globale Erwärmung noch unter 2 Grad zu halten. [...]

Zusammenfassend zeigt die Wissenschaft eindeutig, dass:

  • die Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 2 Grad, oder sogar auf unter 1,5 Grad bis 2100 technisch und wirtschaftlich umsetzbar bleibt, für den Fall dass genügend politischer Wille besteht und unter der Bedingung, dass die erforderlichen Maßnahmen und Politikwandel jetzt eingeleitet werden.
  • das Zeitfenster zur Umkehrung der Emissionstrends enger wird. Die Emissionen müssen bis 2020 um rund 15% gegenüber dem gegenwärtigen Niveau reduziert werden, um die Erwärmung bis 2100 unter 2 Grad oder auf unter 1,5 Grad halten zu können. [...]

Wenn nichts über die bisherigen Zusagen hinaus getan wird, würden die Kosten, um spätere Reduzierungen zu erreichen, sehr viel höher und/oder die Schäden von Klimaauswirkungen bei weitem größer sein. Die Gesellschaft würde zudem die Wahlmöglichkeit verlieren, ob sie Technologien wie CO2-Abscheidung und -speicherung oder Atomenergie wollen, da diese, zusammen mit Bioenergie, im großen Maße angewandt werden müssten.

Das vorliegende Papier liefert eine Analyse der derzeitigen Politiken, mit denen die Zusagen von China, den USA, EU, Russland, Indien, Brasilien, Indonesien, Japan, Mexiko, Kanada, Südkorea, Australien und Südafrika erreicht werden sollen. Wir bewerten die Ergebnisse dieser Analyse im Kontext des Ambitionsgrads der von den Ländern gemachten Zusagen.

Die aggregierten Emissionsniveaus aus allen Länderzusagen werden wahrscheinlich dennoch eine globale Erwärmung auslösen, die 2 Grad bei weitem übersteigt, wenn Zusagen nicht erhöht oder zusätzliche Maßnahmen auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Obwohl wir manchen Fortschritt beobachten, bleibt das grundlegende Problem bestehen: wenige Länder haben Maßnahmen ergriffen, um ihre Zusagen zu erfüllen, und noch weniger haben ausreichende Zusagen gemacht.

Zum ersten Mal hat China Schätzungen seiner künftigen Treibhausgas-Emissionen vorgelegt, die, falls zutreffend, eine Reduzierung der Emissionen um 4,5 Gigatonnen CO2 im Jahr 2020 unter einem hypothetischen Szenario ohne jegliche Maßnahmen nach 2005 bringen würde. Damit würde seine Zusage einer 45%igen Minderung der Emissionsintensität erfüllt werden."

Originalstudie:
http://climateactiontracker.org/assets/publications/briefing_papers/2012-11-30_Briefing_paper_Doha.pdf


Herausgeber:
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Redaktion:
Sven Harmeling (V.i.S.d.P.), David Eckstein, Christoph Bals, Dr. Gerold Kier, Pascal Molinario

Diese Veröffentlichung wurde mit Unterstützung der Europäischen Union und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erstellt. Für den Inhalt dieser Veröffentlichung ist allein Germanwatch verantwortlich.

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Quelle:
KlimaKompakt Nr. 75, 4. Dezember 2012
Herausgeber: Germanwatch e.V.
Dr. Werner-Schuster-Haus, Kaiserstr. 201, 53113 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2012