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KLIMA/218: Der Gipfel von Doha - Klimaboot legt ohne Mast und Segel ab (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012
Mehr, Mehr, Mehr?
Handelspolitik zwischen "Weiter so" und Nachhaltigkeit

AKTUELL
Der Gipfel von Doha
Klimaboot legt ohne Mast und Segel ab

von Sven Harmeling, Christoph Bals und Manfred Treber



Am 8. Dezember 2012 gegen 19.00 Uhr Ortszeit war es nach langem Warten und Bangen endlich so weit: das in knapp zweiwöchigen Verhandlungen geschnürte Paket an Entscheidungen wurde schließlich von der Staatengemeinschaft beim 18. UN-Klimagipfel angenommen. Am Ende hatte der Präsident der Konferenz aus dem OPEC- und Gastgeber-Staat Katar einen wesentlichen Beitrag hierzu geleistet, indem er die verbleibenden Entscheidungstexte quasi durchhämmerte. Das Gesamtpaket wurde schließlich als »Doha Climate Gateway« der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Hauptelemente des Paketes sind die zweite Verpflichtungsperiode unter dem Kyoto-Protokoll, Entscheidungen zu der internationalen Klimafinanzierung sowie ein Beschluss zur Fortführung des Arbeitsprogramms und zur Einrichtung einer Institution zum Umgang mit den Klimaschäden. Zudem wurde der 2007 in Bali begonnenen Verhandlungsstrang zu langfristiger Kooperation (AWG-LCA) beendet, und Eckpunkte für den Verhandlungsfahrplan zu einem neuen Klima-Abkommen unter der im letzten Jahr eingesetzten Ad-Hoc Working Group Durban Platform for Enhanced Action (ADP) in 2015 konkretisiert. Mit der - inhaltlich enttäuschenden - Einigung von Doha ist es am Ende gelungen, großen Schaden für die internationalen Bemühungen zur Bekämpfung der Klimakrise abzuwenden. Die Dynamik, die notwendig ist, um ernsthaft und ambitioniert den immer drängenderen Klimawandel und die damit in Zusammenhang stehenden Energie- und Ernährungskrisen zu bekämpfen, kann mit den derzeitigen Verhandlungsstrategien der wichtigsten Länder allerdings nicht entstehen. Auch die EU muss sich hier - trotz des engagierten Auftretens des deutschen Bundesumweltministers Altmaier in den entscheidenden Stunden des Gipfels - starke Kritik gefallen lassen.

Kyoto II - der verbleibende Rumpf eines großen Tankers

Die zweite Verpflichtungsperiode (VP2) des Kyoto-Protokolls ist nur noch der Rumpf eines ehemals großen Schiffes. Nach kontroversen Verhandlungen wurde beschlossen, dass die VP2 bis Ende 2020 dauern soll, also nicht nur bis 2017, wie von vielen Entwicklungsländern gefordert. Für 2014 wurde ein Ambitionssteigerungsmechanismus vereinbart, der zu einer Erhöhung der Klimaschutzziele führen soll. Die Kyoto-Architektur besteht damit fort, und es stellt sich die Frage, was von ihren guten Elementen sich in einem zukünftigen Abkommen wiederfinden wird.

Klimaschutz in Industrie- und Entwicklungsländern: keine konkreten Schritte

Neben dem Kyoto-Protokoll wurde Klimaschutz in Industrie- und Entwicklungsländern auch im Kontext der Beendigung der AWG-LCA sowie der ADP verhandelt. Das Ergebnis beschränkt sich auf zwei Arbeitsprogramme zur weiteren Klärung der bisherigen Klimaschutzversprechen. Zu der Frage eines globalen Höhepunkts der Emissionen (peak year) gab es keine Fortschritte, ebenso wenig bei dem langfristigen globalen Reduktionsziel. Ebenso enttäuschend ist die Entwicklung im internationalen Schiffs- und Flugverkehr. Der dazu verhandelte - sich an die Sprache des Kyoto-Protokolls anlehnende, sehr weiche - Text wurde am Ende sogar vollständig gestrichen.

Klimafinanzierung

Die Phase der Schnellstartfinanzierung - das Versprechen der Industrieländer von Kopenhagen, 30 Milliarden US-Dollar zwischen 2010 und 2012 für Aktivitäten zu Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern bereitzustellen - endet. Daher stand in Doha auf der Agenda, verlässliche Zusagen für die nächsten Jahre zu bekommen sowie erste Schritte zu einem glaubwürdigen Aufwuchspfad bis 2020 zu vereinbaren. Dann sollen 100 Milliarden US-Dollar jährlich aus den Industrieländern mobilisiert werden. Das Ergebnis der Finanzierungsverhandlungen von Doha muss am Ende als enttäuschend bezeichnet werden. Einige Industrieländer, darunter Deutschland, haben konkrete Zusagen gemacht, die sich auf etwa acht Milliarden US-Dollar jährlich summieren. Es bleibt sehr unklar, ob die Industrieländer ihr 2009 gegebenes Versprechen tatsächlich einhalten wollen. Wichtig ist allerdings die Aufforderung an die Industrieländer, zum nächsten Klimagipfel darzulegen, wie sie sich den Aufwuchs bis 2020 vorstellen. Dies ist ein wichtiger Schritt, hatten doch die USA lange jede Notwendigkeit zurückgewiesen, darüber international Rechenschaft ablegen zu müssen. Zudem wird es beim nächsten Klimagipfel in Polen (COP19) einen hochrangigen runden Tisch der Minister speziell zum Thema Klimafinanzierung geben.

Klimaschäden mit nie gekannter politischer Aufmerksamkeit

Bedeutend war die Verhandlungsdynamik, die sich in der letzten Konferenznacht rund um das Thema »Loss and Damage«[1] entwickelte. Dabei geht es vor allem um die Klimaschäden, die sich auch durch Anpassung und Emissionsminderung nicht mehr vermeiden lassen. Insbesondere die kleinen Inselstaaten - viele von ihnen von der physischen Vernichtung durch den Klimawandel bedroht - und die ärmsten Entwicklungsländer (LDCs), mahnten hier substantielle Schritte durch die Einrichtung eines internationalen Mechanismus an. Angesichts der absehbar kläglichen Ergebnisse beim konkreten Klimaschutz wurde das Thema plötzlich zu einem Dealmaker beziehungsweise Dealbreaker. Die UNFCCC-Exekutivsekretärin war dort, und kurz zuvor hatte sich die EU-Klimakommissarin zu dem Thema geäußert. Durch den hohen Druck, den die besonders betroffenen Entwicklungsländer und auch die Zivilgesellschaft zu dem Thema aufbauen konnten, mussten schließlich auch die USA einer Entscheidung zustimmen, die im Grundsatz den Aufbau einer spezifischen Institution zu »loss and damage« beschließt. Die genauere Ausgestaltung wird im Jahr 2013 auf der Agenda stehen.

Darüber hinaus wurden Beschlüsse zur Unterstützung der Least Developed Countries bei der Ausarbeitung nationaler Anpassungspläne und bezüglich des dreijährigen Arbeitsprogramms des Anpassungskomitees getroffen.

Ohne Rückenwind auf den Weg nach 2015

Für den Verhandlungsprozess zu einem neuen Klimaabkommen mit allen Staaten gibt es jetzt Eckpunkte für einen Fahrplan bis 2015. Dieser Fahrplan fällt allerdings weniger konkret aus als von vielen gefordert. Beim Klimagipfel in drei Jahren, der in Paris stattfinden wird, soll ein neues Abkommen beschlossen werden, dass dann differenzierte Verpflichtungen für alle Länder umfassen und ab 2020 in Kraft treten soll. Bereits ein Jahr vorher soll ein als Verhandlungsgrundlage akzeptierter Entwurfstext vorliegen, der Mitte 2015 als offizieller Verhandlungstext die Basis für die COP21 Ende 2015 darstellen soll.

Machen Klimagipfel noch Sinn?

Beim Blick in die nationale und internationale Presse wird nach einem solchen, wenig wegweisenden Klimagipfel (wiederholt) die Frage aufgeworfen: Wie viel Sinn macht dieser Prozess, bei dem zu jedem Jahresende über 10.000 Menschen an einem Ort der Welt zusammenkommen (mit entsprechenden Flugemissionen), und die Ergebnisse jedes Jahr hinter dem dringend Notwendigen zurückbleiben? Schnell und quasi reflexartig wird fast jedes Jahr die Frage gestellt, ob nicht andere Prozess, beispielsweise die G20, eine bessere Alternative zu den Klimagipfeln wären.

Nach Ansicht von Germanwatch zielt diese Frage am Ziel vorbei. Wenn man sich die Größe und Ernsthaftigkeit der Herausforderung Klimawandel vor Augen hält, ist vollkommen klar, dass die notwendigen Veränderungen nur mit ausreichendem politischen Willen zu erreichen sind. Besteht dieser nicht, wie derzeit, kann kein Politikprozess dieses Defizit wettmachen. Die G20, das globalpolitische Machtzentrum, hat sich in den letzten Jahren immer wieder mit Klimafragen beschäftigt. Die Ergebnisse waren insgesamt sehr dürftig. Den G20 fehlt es zum einen an rechtsverbindlicher Durchsetzungskraft und zum anderen an dem politisch-moralischen Druck seitens der Weltöffentlichkeit und der besonders verletzlichen Entwicklungsländer, die nirgendwo so eine starke Stimme haben wie bei den UN-Klimaverhandlungen.

Weder die G20 noch UNFCCC können die Probleme kurzfristig lösen, wenn der politische Wille fehlt. Diese Rahmenbedingungen machen beide nicht überflüssig, helfen aber, ihre Wirksamkeit und damit auch die Erwartungen an sie realistisch einzuschätzen (und trotzdem auf die Unzulänglichkeit ihrer Ergebnisse hinzuweisen). Natürlich muss auch daran gearbeitet werden, die Prozesse effektiver und effizienter zu machen. Völkerrecht kann nur der UN-Prozess, aber nicht G20 schaffen.

Am Ende aber wird die Dynamik, die wir brauchen, nicht von diesen Gipfeln ausgehen. Diese wird nur daher kommen, dass Länder Vorreiterrollen übernehmen. Deutschland mit der Energiewende ist hier in einer Schlüsselposition. Zudem müssen sich Allianzen von Vorreiterstaaten bilden, die das Ganze vorantreiben und die dann diese Dynamik in die Gipfel hineintragen. Für die nächsten Jahre ist es zudem zentral, mit diesen Allianzen auch die alten Blöcke von Industrieländern und Entwicklungsländern zu überbrücken. So lange die Situation als eine »Nord gegen Süd« wahrgenommene Verhandlungskonstellation verstanden wird, ist eine Blockade der Klimapolitik vorprogrammiert. Hier bedarf es einer intelligenten Bündnisstrategie, die besonders betroffene Staaten und besonders ambitionierte Staaten umschließt aber auch die Anschlussfähigkeit zu den relevantesten Akteuren herstellt. Ohne eine solche Dynamik wird es keinen erheblichen Fortschritt im internationalen Klimaschutz geben. Der UN-Prozess aber ist dann wieder der Landeplatz, um diesen Fortschritt ins Völkerrecht zu gießen.

Der Weg bis 2015: Europa im Mittelpunkt

Die nächsten Jahre werden darüber entscheiden, ob die zwei Grad-Obergrenze noch eingehalten werden kann, oder ob dieses Ziel beim Klimagipfel 2015 zu Grabe getragen werden muss, mit allen sich daraus ableitenden humanitär und ökologisch katastrophalen Konsequenzen. Der EU kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie muss in die nächsten Klimagipfel ganz anders vorbereitet hineingehen, sie muss das 30-Prozent-Ziel zu Hause in der EU verwirklichen. Zwei der nächsten drei Klimagipfel finden in EU-Ländern statt, zunächst in Polen und dann 2015 in Frankreich. Es bedarf jetzt einer gut abgestimmten, dreijährigen Strategie der EU, die internationale Klimapolitik massiv voranzutreiben. Die EU muss eine Gesamtstrategie entwickeln, die auch Aspekte der Allianzbildung zum Schwerpunkt macht Es ist auch zentral, mit Polen ernsthafte Verhandlungen zu führen und bald abzuschließen. Die Ergebnisse müssen es Polen ermöglichen, ehrgeizige Klimaziele mit einer Strategie der Energiesicherheit und den eigenen Nachhaltigkeitszielen zu kombinieren. Es wäre ein Fanal für die Handlungsfähigkeit der EU, wenn Polen als Gastgeber des nächsten Klimagipfels sich wieder so destruktiv wie diesmal präsentieren würde. Wenn sich die EU bei dieser Führungsrolle so kläglich wie in Doha aufstellen wird, dann wird sie in den nächsten drei Jahren vom Hoffnungsträger zum Versager der Klimapolitik.

Die Autoren arbeiten bei Germanwatch. Christoph Bals ist Politischer Geschäftsführer, Sven Harmeling ist Teamleiter Internationale Klimapolitik, Manfred Treber ist Klima- und Verkehrsreferent.

[1] Siehe zum Beispiel
www.lossanddamage.net


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012, Seite 17-18
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2013