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LANDWIRTSCHAFT/020: Von Kleinbauern lernen - IFAD-Präsident Kanayo F. Nwanze im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Juni 2012

Umwelt: Von Kleinbauern lernen - IFAD-Präsident Kanayo F. Nwanze im Interview

von IPS-Korrespondenten



Rio de Janeiro, 12. Juni (IPS) - Vor Beginn der UN-Nachhaltigkeitsgipfel in Rio de Janeiro vom 20. bis 22. Juni, zu dem Staats- und Regierungschefs aus mehr als 120 Ländern sowie Zehntausende Entwicklungsexperten erwartet werden, steht es außer Frage, dass eine Neuausrichtung der Landwirtschaft eine der dringlichsten Aufgaben in der Gegenwart und der Zukunft ist. IPS sprach darüber mit Kanayo F. Nwanze, dem Präsidenten des Internationalen Fonds für Agrarentwicklung (IFAD). Die UN-Sonderorganisation konzentriert sich auf die Bekämpfung der Armut in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern.


Das Interview in Auszügen:

IPS: IFAD und Agrarexperten im Allgemeinen sehen den Kampf gegen die Armut als untrennbar mit dem Schutz der Umwelt verbunden. Was erwarten Sie in diesem Zusammenhang von 'Rio +20'?

Kanayo F. Nwanze: Die heutigen Ernährungs- und Agrarsysteme lassen die kleinen Bauern in Entwicklungsländern außen vor. Zwei wesentliche Punkte werden von den Politikern und der breiten Öffentlichkeit nicht richtig verstanden. Zum einen lebt eine Milliarde der insgesamt 1,4 Milliarden Menschen, die mit weniger als 1,25 US-Dollar täglich auskommen müssen, in ländlichen Gebieten in Entwicklungsländern. Die große Mehrheit von ihnen ist bei ihrer Existenzsicherung von der Landwirtschaft abhängig. Armut bleibt daher ein Phänomen ländlicher Regionen. Kleine Agrarbetriebe spielen eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von Nahrung und Arbeitsplätzen.

Zweitens weiß man zwar, dass die Landwirtschaft große Auswirkungen auf die Umwelt hat. Es ist aber nicht allen bekannt, dass Kleinbauern große Gebiete mit natürlichen Ressourcen bewirtschaften. 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen in Asien und Subsahara-Afrika werden von Kleinbauern bestellt.

Das Problem ist, dass diese Farmer oft nicht in der Lage sind, richtig mit den Rohstoffen umzugehen. Sie haben keinen sicheren Zugang zu ihrem Land, sind abhängig vom Wetter und haben keinen Kontakt zu Institutionen und Märkten. Zudem sind sie wachsenden Risiken durch schwankende Nahrungsmittelpreise und der Verknappung von Ressourcen wie Land und Wasser ausgesetzt. Veränderungen von Klimamustern und die erwartete Zunahme extremer Wetterbedingungen erschwert das Leben in den Dörfern zusätzlich.

Während die Verhandlungen zu Rio+20 weitergehen, setzt IFAD seine Zusammenarbeit mit Bauernorganisationen, den in Rom ansässigen Organisationen und anderen Partnern fort, um die Öffentlichkeit für die Probleme der Kleinbauern zu sensibilisieren und eine auf Aktionen ausgerichtete Agenda voranzutreiben, in der die Landwirtschaft einen zentralen Platz hat.

IPS: Können Sie die Position, die Sie bei Rio+20 vertreten werden, genauer definieren?

Nwanze: Wir werben für drei große Veränderungen im gegenwärtigen Nahrungs- und Agrarsystem. Es muss Strategien geben, die armen Frauen und Männern in ländlichen Regionen Zugang zu neuen Technologien geben. Nach fast drei Jahrzehnten, in denen die Unterstützung für die Landwirtschaft abgenommen hat, scheint es so, als sei unser Ziel der weltweiten Nahrungssicherheit schwerer zu erreichen denn je.

Durch die dunklen Wolken dringen allerdings auch Strahlen der Hoffnung. Aufgrund koordinierter Bemühungen sind die zerstörerischen Auswirkungen der Hungersnot am Horn von Afrika heute geringer, als wir es unter ähnlichen Umständen in der Vergangenheit beobachtet haben.

Eingedenk der Zusagen zur Förderung der Agrarentwicklung in den vergangenen Jahren - von der 'Maputo-Erklärung' der Afrikanischen Union bis zum G8-Gipfel in L'Aquila - entwickeln wir ein Rahmenwerk, um zu erreichen, dass die heute beobachteten Nahrungskrisen eines Tages Geschichte sein werden.

Wir drängen zu einer massiven Aufstockung der Investitionen in eine nachhaltige Kleinlandwirtschaft, die die Produktivität und Einkommen der Bauern erhöhen und sie widerstandsfähiger gegen unberechenbares Wetter machen können. Außerdem können natürliche Ressourcen dadurch vor einer weiteren Verschlechterung bewahrt werden.

Nachhaltige Landwirtschaft mit Kleinbauern bedeutet nicht, dass wir eine Wahl zwischen der Armutsbekämpfung und Maßnahmen gegen den Klimawandel treffen müssen. Auf lange Sicht können wir beides realisieren, indem wir die landwirtschaftliche Planung, etwa die Steigerung der Agrar- oder Viehzuchtproduktion, mit der Planung in Bereichen wie Umwelt, Energie und Transport zusammenbringen. Nur auf diesem Weg werden wir eine Balance zwischen den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Vorteilen erreichen, die die Basis der nachhaltigen Entwicklung ist.

Kleinbauern sind außerdem Unternehmer, die keine Chancengleichheit genießen. Es ist unglaublich, wie viel sie mit ihrem eigenen Schweiß, ihrem überlieferten Wissen und mit Einfallsreichtum bewerkstelligen. Über viele Generationen haben Kleinbauern sich an wechselnde Bedingungen angepasst. In einer Zeit, in der sich das Klima viel schneller verändert, können wir viel von ihnen lernen. Mit ihnen zugänglichen Technologien können wir ihnen dabei helfen, sich an die unbeständigen Bedingungen anzupassen.

Keine Regierung oder Organisation kann dies allein schaffen. Wir brauchen bessere Partnerschaften, um Kleinbauern Kontakte zu Regierungsbehörden, der Zivilgesellschaft, dem privaten Sektor und der Forschung zu verschaffen. Wir brauchen neue Strukturen für eine Zusammenarbeit, die es uns ermöglichen, gemeinsam für Bereiche wie Landwirtschaft, Gesundheit, Transport und Bildung zu planen.

IPS: Wie würden Sie die Position armer Kleinbauern und ihrer Organisationen stärken, damit diese Ziele erreicht werden können?

Nwanze: IFAD ist eine der größten Finanzierungsquellen für Landwirtschaft und rurale Entwicklung in vielen Entwicklungsländern. Wir unterstützen staatliche Programme, die Kleinbauern und ihre Organisationen in die Lage versetzen, effizienter mit ihren Regierungen, der Umwelt und den Märkten zu interagieren.

Wir wollen es armen Frauen und Männern ermöglichen, sich an Entscheidungs- und Regierungsprozessen zu beteiligen und gleichberechtigte Partnerschaften einzugehen. 2011 wurden im Rahmen der von uns finanzierten Projekte 13.000 Marketinggruppen unterstützt und mehr als 700.000 Menschen zu Unternehmern weitergebildet. 2,1 Millionen Menschen erwarben Kenntnisse in Gemeinschafts- und Ressourcenmanagement.

IPS: Ihre Vorschläge scheinen insbesondere auf Frauen zugeschnitten zu sein.

Nwanze: Ich habe immer gesagt, dass der typische Bauer eine Frau ist, die ein Baby auf dem Rücken trägt. Frauen machen im Durchschnitt 43 Prozent aller Arbeitskräfte in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern aus. Im Afrika südlich der Sahara sind es sogar 50 Prozent. Sie sind aber schlecht bezahlt, haben weniger sichere Jobs und weniger Zugang zu Bildung. Männer kommen zudem leichter an Land, Vieh, Kredite, Düngemittel und Maschinen.

Die zehn Grundsätze unserer Umweltpolitik zeigen, wie sehr wir an übergreifende Ansätze glauben, um die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Vorteile, die wir erreichen wollen, miteinander in Einklang zu bringen. Wir plädieren für höhere Investitionen in die nachhaltige Landwirtschaft, die Anerkennung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Werts natürlicher Ressourcen, die Förderung einer klimafreundlichen ruralen Entwicklung und der Stärkung der Widerstandskraft von Kleinbauern gegen Umweltrisiken. Außerdem wollen wir uns in Wertketten einklinken, die grünes Wachstum fördern, die Verwaltung natürlicher Ressourcen verbessern und eine diversifizierte Viehzucht vorantreiben. Zudem planen wir die Position von Frauen und Ureinwohnern zu stärken, Kleinbauern leichter Zugang zu einer 'grünen' Finanzierung zu verschaffen und den ökologischen Fußabdruck von IFAD zu verringern. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.uncsd2012.org/
http://www.ifad.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=108109

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2012