Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

LATEINAMERIKA/016: Brasilien - Energiepotenzial von Zuckerrohr nutzen, 12.000 Megawatt vergeudet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. September 2010

Brasilien: Energiepotenzial von Zuckerrohr nutzen - 12.000 Megawatt vergeudet

Por Mario Osava


Rio de Janeiro, 2. September (IPS) - Brasiliens Zuckerrohr hat das Potenzial, den Strom von drei Wasserkraftwerken zu produzieren. Doch die Chance wird nicht genutzt, wie Branchenvertreter kritisieren. Sie fordern Reformen, die sicherstellen, dass sich die Investitionen in die Entwicklung von Biostrom aus Bagasse, einem Abfallprodukt der Zuckerproduktion, rentieren.

Aus den fasrigen Pflanzenresten ließen sich 12.200 Megawatt Biostrom generieren, rechnet der führende Industrieverband 'Unica' vor. Das Amazonas-Wasserkraftwerk Belo Monte kann nur durchschnittlich 4.600 Megawatt liefern. Theoretisch könnte die Anlage zwar mehr - sogar bis zu 11.233 Megawatt - produzieren. Doch die lang anhaltenden Trockenzeiten, die den Wasserpegel des Xingú-Flusses absenken, machen verlässliche höhere Stromproduktionsprognosen unmöglich.

Nach Ansicht von Unica, deren Mitglieder 60 Prozent von Brasiliens Zucker und Ethanol produzieren, könnte Energie aus der Zuckerrohr-Biomasse in die Bresche springen. Dafür spricht auch, dass Zuckerrohr in den regenarmen Monaten April bis November geerntet wird und der Strom auch nicht aus einer Entfernung von tausenden Kilometern herangeschafft werden müsste, wie dies bei den Wasserkraftwerken der Fall ist. Kürzere Wege für den Energietransport hieße auch, mit weniger Stromausfällen geschlagen zu sein.


Produzenten fordern Sicherheiten

Dass die Produktion von Biostrom aus Bagasse im großen Stil trotz der ungeheuren Möglichkeiten auf sich warten lässt, führt der Unica-Berater Zilmar de Souza auf fehlenden Sicherheiten für die Produzenten zurück. Sie könnten nicht erwarten, dass sich ihre Investitionen in die Entwicklung und Infrastruktur des Biostroms auch tatsächlich lohnen. So fehle ein staatliches Programm, das eine langfristige und steigende Abnahme der Energie gewährleiste.

In Brasilien, dem weltweit führenden Biotreibstoffproduzent und Rohzuckerexporteur, gibt es derzeit 440 Fabriken, die Zucker und Ethanol produzieren und aus der anfallenden Bagasse Strom für den Eigenbedarf herstellen. Lediglich 100 gehen mit der Biomasse auf den Markt. Ohne spezielle Anreize, insistiert de Souza, wird sich daran auch nichts ändern. "Die Unternehmer brauchen Planungssicherheit", so der Unica-Sprecher.

Die Verdienstmöglichkeiten seien aufgrund der langen in den Stromeinspeisungsverträgen festgeschriebenen Laufzeiten gering, Der Anschluss an das nationale Netz verursache jedoch zusätzliche Kosten, die die Konkurrenzfähigkeit der Produktionsfirmen mit geringeren Kapazitäten weiter schmälere. Ohne einen gesicherten Anstieg der Nachfrage nach dem Biostrom seien die Risiken für die Investoren viel zu groß.

Gerade die kleinen Firmen sind auf Unterstützung angewiesen. Der Zucker- und Ethanolproduzent 'Usina Ester' der in der Gemeinde Cosmópolis 130 Kilometer von der Industriemetropole São Paulo seinen Standort hat, konnte erst im Juni mit der Produktion von Biostrom aus Zuckerrohr beginnen. Verschoben hatte sich der Termin, weil das Unternehmen zwei Jahre lang auf einen neuen Kessel warten musste, in dem die Bagasse verfeuert und zu Energie umgewandelt wird.

Normalerweise beträgt die Wartezeit drei Jahre, doch wie der Firmensprecher Antonio Alves berichtet, kam der Ester-Fabrik die Wirtschaftskrise zupass: Einige Aufträge waren annulliert worden. Das Stromproduktionspotenzial von 'Usina Esta' liegt bei 22 Megawatt und soll in einer weiteren Phase mit Hilfe der Bagasse ausgebaut werden. Bisher greift der Betrieb bei der Stromproduktion auf ein Viertel seines Zuckerrohrs zurück - eine Praxis, die er jedoch bis spätestens 2014 aufgeben muss.


Nischendasein

Die Zuckerrohrindustrie kann bisher lediglich 16 Prozent von insgesamt 1.159 Megawatt ins nationale Stromnetz einspeisen, die den Produzenten von erneuerbaren Energien vorbehalten sind. 70 Windkraftwerke halten einen Anteil von 78 Prozent. Die lange Laufzeit der Verträge von 15 bis 30 Jahren drückt die Preise. Die Zuckerindustrie fühlt sich zu Recht benachteiligt und fordert aus diesen Grund exklusive Ausschreibungen. Ein solcher Schritt hätte den Vorteil, dass sich die alternativen Energiequellen nicht untereinander Konkurrenz machen.

Der Unica-Vorsitzende Marcos Jank geht davon aus, dass Zuckerrohr bis 2020 einen Anteil von 14 Prozent am brasilianischen Strom haben wird. Seine optimistische Prognose begründet er mit ökologischen und klimatischen Anforderungen. Seinen Schätzungen zufolge wird Brasilien binnen der nächsten zehn Jahre 70 Prozent mehr Zuckerrohr herstellen und damit die Produktionsschwelle von einer Milliarde Tonnen überschreiten. Aus diesem Zuckerrohrberg lassen sich 65 Milliarden Liter Ethanol - doppelt soviel wie bisher - und 45 Millionen Tonnen Zucker gewinnen - ein Drittel mehr als heute.

Brasiliens Energiebehörden haben zwar Interesse an einer Förderung von Biostrom signalisiert. Sie erwarten jedoch, dass deren Rolle, den nationalen Strombedarf zu decken, nur unwesentlich von 4,8 auf 5,1 Prozent steigen wird. Dies geht aus dem Zehnjahresplan des Bergbau- und Energieministeriums für 2010 bis 2019 hervor.

Doch für Delcio Rodrigues, Energieberater der Nichtregierungsorganisation 'Vitae Civilis', ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Energiepotenzial von Biomasse erkannt und ausgeschöpft wird. Roberto Araujo vom Institut für strategische Entwicklung des Stromsektors, sieht im Strommodell die größten Hindernisse der Branche. Es sei zu komplex und irrational, um die systemischen und ökologischen Vorteile der Biomasse auszuschöpfen. (Ende/IPS/kb/2010)

Links:
http://www.unica.com.br/
http://www.ilumina.org.br/zpublisher/secoes/home.asp
http://www.mme.gov.br/mme
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96301

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. September 2010
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2010