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LATEINAMERIKA/031: Brasilien - Amazonas-Region zunehmend industrialisiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. November 2010

Brasilien: Nach der Invasion der Rinder - Amazonas-Region zunehmend industrialisiert

Von Mario Osava

Bau eines Wasserkraftwerks am Rio Madeira - Bild: © Mario Osava

Bau eines Wasserkraftwerks am Rio Madeira
Bild: © Mario Osava

Porto Velho, Brasilien, 16. November (IPS) - In Rondônia verschwanden große Teile des Amazonas-Urwalds, weil riesige Herden mit insgesamt rund zwölf Millionen Rindern Weideland brauchten. Nun setzt der nordwestbrasilianische Bundesstaat auf die Industrialisierung der Region. Trotz der Proteste von Umweltschützern und Ureinwohnern sollen zwei große Wasserkraftwerke gebaut werden.

In der Stadt Porto Velho produziert das von dem französischen Konzern Alstom und der brasilianischen Firma Bardella gemeinsam gegründete Unternehmen IMMA Bauteile für die Kraftwerke, die an mehreren Flüssen des Amazonasstaates entstehen sollen. Ähnliche Projekte sind in anderen Teilen Brasiliens sowie in Bolivien und Peru geplant.

Im vergangenen Jahr hatte das brasilianische Konsortium Volorantim bereits ein Zementwerk in Porto Velho eingeweiht. Die Fabrik soll Nachschub für die Baustellen der Kraftwerke Santo Antonio und Jirau am Rio Madeira, einem der größten Nebenflüsse des Amazonas, liefern. Naturschützer warnen allerdings davor, dass die Projekte den Raubbau am Amazonas-Urwald weiter vorantreiben werden.

Allein für den Bau von Santo Antonio ist so viel Beton notwendig, dass man damit 36 Mal das weltgrößte Fußballstadion Maracaná in Rio de Janeiro bauen könnte. Wie Eduardo Bezerra von der brasilianischen Baufirma Odebrecht erklärte, wird außerdem die Stahlmenge von 16 Eiffeltürmen gebraucht.


Hohe Investitionen erwartet

Gilberto Baptista, der Vorsitzende des Industriellenverbands von Rondônia, hofft darauf, dass hohe Investitionen in den rohstoffreichen Bundesstaat fließen, der in dem interozeanischen Korridor zwischen den Pazifikhäfen in Peru und den Atlantikhäfen Brasiliens liegt.

Die beiden geplanten Kraftwerke werden die Stromproduktionskapazität Brasiliens um sechs Prozent steigern. In der Anfangsphase können sie 6.450 Megawatt erzeugen. Diese Menge soll sich erhöhen, sobald eine Erweiterung der ursprünglichen Projekte genehmigt wird. Baptista hob als besonders wichtig hervor, dass die brasilianischen Industriebetriebe somit konstanter beliefert werden können.

Für die Kraftwerke sind Investitionen von umgerechnet etwa 15 Milliarden US-Dollar nötig. Dies entspricht fast dem doppelten jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Rondônia. Der Bundesstaat profitiert insofern von dem Projekt, als rund 30.000 Menschen dadurch eine Beschäftigung fanden. Nach der Ankunft zahlreicher Arbeitsmigranten in die Region sind allerdings auch die Immobilienpreise und Mieten explodiert.

Der Boom in Rondônia begann aber schon lange vor Beginn der Bauarbeiten 2008. Bereits zwischen 2003 und 2007 wuchs das BIP des Bundesstaates im Vergleich mit dem brasilianischen Durchschnitt um das Vierfache, wie der Ökonom Valdemar Camata berichtete.

Im vergangenen Jahr seien in Rondônia zwei Drittel aller neuen Jobs in Nordbrasilien entstanden, sagte Camata, der für Odebrecht arbeitet. Demnach haben die Abschaffung oder Senkung von Zöllen auf dem Inlands- und dem internationalen Markt die Industrialisierung wesentlich vorangetrieben.

Ohne die Agrarpolitik der Militärregime zwischen 1964 und 1985 wäre die bisherige Entwicklung der Industrie undenkbar. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen dehnten sich damals weit bis in das Innere des Amazonasgebiets aus.

Nachdem die Juntas Land verschenkten und vor allem Menschen aus dem Süden Brasiliens mit großen Versprechen nach Rondônia lockten, wuchs die Bevölkerungszahl des Bundesstaates zwischen 1970 und 1991 stark an. Laut Camata sind mittlerweile 53,8 Prozent der 1,52 Millionen Einwohner des Staates aus anderen Teilen Brasiliens zugewandert.

Zunächst wurden in Rondônia vor allem Reis, Kakao, Kaffee und Mais angebaut, bevor die Viehzucht ab den achtziger Jahren sprunghaft zunahm. Inzwischen kommen auf jeden Einwohner der Bundesstaaten statistisch gesehen acht Rinder.


Fleisch und Milchprodukte dominieren den Markt

Fleisch ist das wichtigste Produkt, das Rondônia hervorbringt. Die Herstellung von Milch- und Tiefkühlerzeugnissen stellte die vorher dominierende Forst- und Bergbauindustrie in den Schatten. Nach Schätzungen von Camata haben von den einst rund 2.500 holzverarbeitenden Betrieben höchstens 200 überlebt.

Experten rechnen auch damit, dass der geplante Ausbau der bisher vernachlässigten Transportwege mit einem beträchtlichen Wirtschaftsaufschwung in Rondônia einhergeht. Die Straßen, die kreuz und quer durch den Bundesstaat und dem benachbarten Acre bis in die Grenzgebiete nahe Peru und Bolivien führen, sollen neu asphaltiert werden. Unter anderem soll die in den siebziger Jahren gebaute Autobahn BR-319, die derzeit über große Strecken unbefahrbar ist, wieder in Stand gesetzt werden.

Der Bau von Brücken und Kanälen soll ebenfalls dazu beitragen, dass Rondônia ein logistisches Zentrum zwischen Amazonas- und Andenregion wird. Die Kraftwerke Santo Antonio und Jirau haben nehmen der Stromgewinnung auch die Bedeutung, die Integration zwischen Brasilien, Bolivien und Peru weiter zu fördern. Experten wie der Soziologe Alfredo Wagner de Almeida sehen dadurch jedoch die "letzte Grenze Amazoniens" in Gefahr. (Ende/IPS/ck/2010)


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http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96892


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2010