Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

LATEINAMERIKA/052: Bolivien - Kleine Dschungelstadt will Riesendamm, Projekt umstritten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2011

Bolivien: Kleine Dschungelstadt will Riesendamm - Projekt umstritten

Von Mario Osava

Transparent in Cachueal Esperanza wirbt für Dammprojekt - Bild: © Mario Osava/IPS

Transparent in Cachueal Esperanza wirbt für Dammprojekt
Bild: © Mario Osava/IPS

Guayaramerín, Bolivien, 6. Mai (IPS) - Arturo Sánchez hat einen Traum. Der 72-Jährige will die kleine 1.336-Seelen-Gemeinde Cachuela Esperanza am Ufer des Beni im Nordwesten Boliviens für den Ökotourismus erschließen. Seine Hoffnungen setzt er auf ein riesiges Staudammprojekt, das die beschauliche Kleinstadt im Departement Beni an der Grenze zu Brasilien mit Strom versorgen soll.

14 Jahre lang hatte es Sánchez in das Nachbarland verschlagen, wo er als technischer Qualitätskontrolleur in der Automobil- und Stahlindustrie im Bundesstaat São Paulo tätig war. Sieben weitere Jahre brachte er als Chefkoch in den USA zu. Sein abwechslungsreiches Leben hat ihn zu einem Exoten in dieser entlegenen Amazonasregion gemacht.

"Seit 17 Jahren hält es mich bereits an diesem historischen Ort", erzählt Sánchez, den die Suche nach Gold an den Beni zog. Nun will er in Cachuela Eperanza ein Restaurant aufmachen. "Schließlich bin ich ein recht guter Koch", sagt er. Hotels, Esslokale und Wanderwege sollen am Ort entstehen, der Teil eines von Sánchez geleiteten Öko-Tourismus-Projekts ist, das mit niederländischen Geldern finanziert werden soll.

Sánchez ist überzeugt: Die auf einem Felsen errichtete Kirche, das Theater, das verlassene Krankenhaus, das 1920 zu den modernsten Kliniken Lateinamerikas zählte, und andere Sehenswürdigkeiten werden der zwischen Fluss und Dschungel eingebetteten Stadt die ersehnte Kundschaft bringen. Cachuela Esperanza ist ein Relikt aus der Zeit des Gummibooms Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.

Bisher ist die Stadt nur über eine unbefestigte Straße erreichbar. Die Nähe zu den gleichnamigen Stromschnellen ist Nicolás Suárez zu verdanken, einem bolivianischen Gummibaron, dem die Wasserfälle 1982 eine Bootsladung Gummi entrissen. Angetan von dem atemberaubenden Naturschauspiel entschloss er sich kurzerhand, sich hier am Beni, 30 Kilometer von der Stelle entfernt, wo sich der Fluss mit dem Río Mamoré in den Madeira ergießt, als Stadtgründer niederzulassen.

In den darauf folgenden Jahren bildete sich Cachuela Esperanza zu einer lebhaften Stadt heraus. Doch in den 1920er Jahren begann ihr Stern zu sinken, zunächst bedingt durch die Konkurrenz des Gummiproduzenten Malaysias und später durch die Herstellung von synthetischem Gummi.

Die Bevölkerung sieht in dem geplanten Wasserkraftwerk eine Chance, den Niedergang der Stadt aufzuhalten, der durch die Einstellung der Bergbauaktivitäten am Beni beschleunigt worden war. Die Menschen in Cachuela Esperanza sind arm. Sie leben vom Verkauf von Paranüssen, vom Fischfang und der Landwirtschaft.

Strom hat die Gemeinde ganze acht Stunden am Tag, von 16:00 bis 24:00 Uhr, weil der städtische Wärmegenerator in den letzten Zügen liegt, wie Vizebürgermeisterin Shisley Martínez berichtet. "Der Motor ist so alt, dass eher er einen Gerontologen als einen Techniker braucht", witzelt Martínez' Mann Aníbal Domínguez.

Doch die Lösung aller Probleme sehen beide im Bau des Staudamms. Dann gebe es einen neuen Generator und Tag und Nacht Strom für alle. "Von einem solchen Wasserkraftwerk träumte ich schon, als ich noch ein Junge war", sagt der Fischer Juan Barba Jiménez, der seit 60 Jahren in Cachuela Esperanza lebt. Die Verfügbarkeit von Energie werde Industrien und Investitionen anziehen, ist er überzeugt.

Die Auswirkungen wären katastrophal, dämpfen hingegen Umweltschützer und Experten die Vorfreude. Um 990 Megawatt Strom zu generieren, müssen 690 Quadratkilometer Land geflutet werden, ist einer Machbarkeitsstudie der kanadischen Beraterfirma 'Tecsult' zu entnehmen, die die Regierung von Staatspräsident Evo Morales in Auftrag gegeben hatte.

Die für Cachuela Esperanza geplante Anlage nimmt sich im Vergleich zu den beiden Staudämmen in San Antonio und Jirau auf der brasilianischen Seite eher bescheiden aus. Diese werden 6,5 Mal mehr Energie produzieren und zusammen gerade einmal 529 Quadratkilometer Land unter Wasser setzen, wie der Ingenieur Walter Justiniano erläutert, ein unabhängiger Berater des bolivianischen Umweltministeriums.

Cachuela Esperanza wird den Großteil seines Stroms nach Brasilien exportieren. Das hat mit der geringen Nachfrage aus den bolivianischen Regenwaldprovinzen Beni und Pando zu tun. Sie benötigen lediglich 20 Megawatt Strom oder zwei Prozent des Staudammpotenzials. Da der Bau und Betrieb des Kraftwerks aller Voraussicht nach von Brasilien finanziert wird, verliert Bolivien seine Energiesouveränität. So sei es auch schon Paraguay 1984 mit der Itaipú-Anlage ergangen, berichtet Justiniano.

Der Ingenieur lebt in Guayaramerín, 44 Kilometer von Cachuela Esperanza entfernt. Auch diese Stadt soll Strom aus der Anlage von Cachuela Esperanza beziehen. Ihm zufolge profitiert Brasilien auch in anderer Hinsicht von dem Bauvorhaben. So wird es die Sedimente zurückhalten, die der Beni bisher in den Madeira schwemmt, und somit die Lebensdauer der beiden brasilianischen Staudämme verlängern.

Brasilien will einen weiteren Staudamm in Ribeirão, einer Stadt am Medeira-Fluss, mit einem Strompotenzial von 3.000 Megawatt bauen. Amengol Caballero vom Forschungs- und Förderzentrum für kleinbäuerliche Landwirtschaft (CIPCA) fürchtet, dass alle vier Kraftwerke in der Regenzeit zu Überschwemmungen auslösen werden.

Seit 2005 kommt es im Norden Boliviens häufiger zu Überschwemmungen, die mit den Klimaphänomenen El Niño und La Niña in Verbindung gebracht werden, periodischen Temperaturfluktuationen im Pazifik, die weltweit wirtschaftliche und ökologische Schäden verursachen. "Derart viele Staudämme haben ihren Preis", meinte Caballero an 16. April gegenüber Journalisten aus Guayaramerín und Riberalta in Cachuela Esperanza. Schon jetzt seien die Niederschläge in der Region kürzer und heftiger, während die Trockenzeit länger anhalte.

Doch die Einwohner von Cachuela Esperanza gaben sich alle Mühe, die Sorgen zu zerstreuen. Aufgrund der neuen Staudammtechnologien - Rohrturbinen mit Generator-Birnen - halte sich die Größe der Stauseen schon mal in Grenzen, sagte der 72-jährige Arturo Sánchez.

Die Gefahr, dass Cachuela Esperanza in den Fluten versinkt, sei ebenso wenig gegeben, zog der ehemalige Vizeministers der Stadt, Vicente Ferreira, nach. Staatspräsident Morales habe versprochen, dass der Staudamm nicht gebaut werde, sollte er die Existenz von Cachuela Esperanza in irgendeiner Weise gefährden. "Wir vertrauen Evo", sagte Sánchez. "Er ist der einzige bolivianische Präsident, der uns jemals (2008) besucht hat." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.cipca.org.bo/
http://www.ceadesc.org/
http://www.ende.bo/inicio.php
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98083

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2011